Hämatom
Studioreport und Interview zu "Bestie der Freiheit"

Special

Wenn ihr so den Quoten-Partysong einspielt, is‘ dann eher so letzter Tag mit mehr Alkohol? Also bringt ihr euch dafür quasi in Stimmung?

Süd: Wir saufen uns total zusammen. Also ich glaube, ich konnte nicht mehr stehen, dann habt ihr mich zum Schlagzeug getragen und hab den eingetrommelt. Einfach um die Euphorie, die man im Vollsuff hat, wiederzugeben. Da sind wir konsequent.

Wie oft ist der Weg von hier oben, so nach 20 Bier, nochmal vor die Instrumente gegangen?

Ost: Gar nicht so oft. Das Problem ist, Studio und Alkohol verträgt sich gar nicht so gut, wie man denkt. Ab und zu hat man nochmal gute Ideen, die trägt man dann aber erst am nächsten Morgen verkatert vor und aus ’ner geilen Idee am Abend ist dann eine durchschnittliche bis schlechte Idee morgens geworden und entweder man hält gleich die Schnauze und spart sich das oder man versucht da eine Diskussion aufzumachen.

Süd: Da ist der Vince auch ganz professionell im Umgang mit solchen Sachen, der rührt gar keinen Alkohol an, kann aber ganz souverän mit Alkoholikern umgehen und lässt dann souverän auf seine nordische kühle Art abblitzen, wenn du eine für dich, gefühlt, mega Idee hast.

Welcher Song hat denn am meisten Spaß gemacht beim Aufnehmen?

Ost: Spaß und Aufnehmen? Das sind zwei verschiedene Dinge (lacht).

(Süd zeigt auf einen Song, auf der vor uns liegenden Tracklist: Der hier hat mir am meisten Spaß gemacht.)

Ost: West kann vielleicht auch einfach drauf zeigen, was ihm am meisten Spaß gemacht hat?

West zeigt auf einen Bereich vom Blatt, weit über den Songs, was mit allgemeiner Heiterkeit aufgenommen wird sowie der Frage, wie diese stumme Antwort nun zu interpretieren ist.

Gibt es irgendeinen Song, der beim Aufnehmen etwas nerviger war? Also wahrscheinlich ist es so, dass selbst wenn ihr alle da seid, zuerst die Drums eingespielt werden. Oder wie habt ihr das gemacht?

Süd: Nein, wie ich das vorhin schon erwähnt hatte, gab es eine sehr ausführliche Vorproduktion. In der Vorproduktion checkst du schon viel aus und probierst viel rum. Das heißt, du hast nicht mehr die ganze nervenden, brutal zeitaufwendigen Momente beim Recorden selbst. Das Recording wird dadurch eigentlich schon beschleunigt. Ich kann mir jetzt auch gar nicht an starke Probleme beim Recording erinnern, wo wir so richtig lange rumgefummelt hätten.

Ost: Ne, es gab zwei Songs, bei denen wir wirklich am Texten sehr lange geschraubt haben. Es gab ’ne erste Demo-Version, die hat uns nicht gefallen, dann gab’s ’ne andere Thematik, die dann besser war, aber mit Nord nicht richtig funktioniert hat, und dann kam hier auf dem Balkon beim sechsten bis siebten Bier, das ist dann eine der wenige Ideen, die sich von hier oben durchgesetzt haben, zusammen die passende Idee. Und daraus ist jetzt die aktuelle Thematik und der aktuelle Text geworden. Bei einem weiteren Song gab es glaube ich auch drei Versionen. Ansonsten ist es relativ flüssig verlaufen. Man muss uns da auch eventuell ein bisschen loben, wir sind da so ein bisschen Nerds, wir bereiten uns tatsächlich auf solche Recording-Geschichten vor.

Macht man das als Band nicht grundsätzlich?

Ost: Nein, aus meiner Erfahrung macht das keiner oder kaum eine Band (lacht). Süd hat wirklich alles notiert und spielt dann einfach nach Noten ein.

Süd: Klingt scheiße …

Du spielst wirklich nach Noten ein? 

Ost: Das klingt für mich überhaupt nicht scheiße, das ist sehr professionell und vor allem sehr zeitsparend sowie zielführend. Du hast später immer noch alle Optionen. Das heißt, die Datei ist als Midi abgespeichert und alle Veränderungen können sofort umgesetzt werden, neu ausgedruckt und dann spielt er das. Ist bei den Gitarren ähnlich und deshalb lief das alles ziemlich flüssig ab.

Süd: Und nochmal zurück zur zweiten Eingangsfrage, wir haben jeweils das Schlagzeug sogar zum Schluss recordet. Also wir haben wie gesagt an einem Tag einen Song aufgenommen und haben mit den Gitarren angefangen, die haben im Prinzip auf ein programmiertes Schlagzeug drauf gespielt, dann Bass, dann weitere Gitarren, dann Gesang und dann erst das Schlagzeug. Da die Vorproduktion sehr ausführlich war, war es schon richtig vorgesteckt, was für ein Fill-in ich spiele, wann welcher Schlag wo hin kommt und hab dann beim Recording nur noch reproduziert. Aber dafür brauchst du natürlich Noten, weil sonst spielst du einfach irgendwas.

Wieviel Versionen von einem Song gibt es eigentlich, bis der dann da ist wo er hin soll? Oder ist das extrem unterschiedlich? Was waren die wenigsten und was die meisten?

Ost: Du kannst dir das nicht als Versionen vorstellen, weil wir nicht zwölf Versionen aufnehmen und die alle unterscheiden sich so ein bisschen, sondern während des Recordings umstellen. Das heißt, wenn du merkst, ich bin jetzt bei den Rhythmus-Gitarren und ich merke, der Refrain stimmt nicht, oder die Strophe ist irgendwie kacke, dann wird sofort während des Recordings was anderes probiert

Bei welchem wurde, vom Demo bis zur Endversion, am meisten geändert?

Ost: Bei „Zeit für neue Hymnen“ ist sehr viel passiert.

Süd: Da gibt es auch verschiedene Refrains und so.

Ost: Genau, der Song ist wie gesagt auf Formentera entstanden. Da gibt’s in der Freak-Box, die zum Album erscheint, eine 45-minütige Dokumentation darüber, da sieht man genau die Entstehung dieses Songs und der hat wirklich kaum etwas mit dem zu tun, den wir jetzt auf Platte haben. Da ist sehr viel passiert. Bei einem weiteren ist der komplette Refrain umgeschmissen und neu gemacht worden.

Süd: „Todesmarsch“ ist auch ganz spannend, das war erst eine mittelalterliche Version mit Dudelsack. Schon mit E-Gitarre und Band-Kontext, aber das ist jetzt schon eine klassische Version geworden.

Wer von euch vieren oder fünfen, wenn wir Vincent mitzählen, achtet am meisten darauf, dass die Songs am Ende live richtig gut funktionieren? Denn überwiegend funktionieren die Songs, denk ich mal, live alle richtig gut.

Ost: Ja, das glaub ich auch. Ich wüsste gerade nicht, welcher Song live nicht gut sein könnte. Vielleicht „Todesmarsch“, der wäre vielleicht nur ok, aber der Rest ist gut.

Süd: Ich würde da zwischen zwei Sachen unterscheiden: Einmal so wie es sich anfühlt, wenn man den dann so performt, und das haben eigentlich alle ganz gut. Und wie die Leute dann so abgehen, das find ich auch schwer zu sagen.

Ost: Das hat man beim Schreiben schon etwas verinnerlicht. Klar denkst du schon beim Schreiben daran. Das ist ja auch unser Tagesgeschäft. Wir werden mit dem Album auf die Straße gehen und damit zwei Jahre unterwegs sein, das heißt es muss auch funktionieren. Es gibt schon Ausnahmen wie eben „Todesmarsch“, da war uns klar, das wird jetzt nicht der Opener unserer Show werden. Da geht es dann um die coole Umsetzung und ’ne künstlerische Note. Andersherum gibt es dann ja auch Songs wie „Halligalli“. Ich find auch, dass ein Album wirklich beides braucht. Diese Dynamik und unterschiedlichen Richtungen, die braucht ein Album, sonst wird es ziemlich langweilig und eintönig.

Was passiert, wenn ihr euch während des Recording-Prozesses in die Wolle kriegt?

Süd: Also wir lösen sehr viel mit Gewalt. Ich schau nicht so aus, aber ich gewinne immer. Manchmal krieg ich schon eine auf die Maskennase. Wir kämpfen natürlich auch nur mit Masken. Aber ich beherrsche fünf Kampfsportarten.

Ost: Ich geh immer verbal fies unter die Gürtellinie und werde sehr persönlich bei meinen Beleidigungen. Das hilft oft. Auch gegen Gewalt.

(Mit der Zeit im Nacken, wir sprechen immerhin schon eine gute Dreiviertelstunde, kommen wir zur letzten Frage, die uns seit dem Auffrischen der zur Band vorliegenden Informationen unter den Fingernägeln brennt. Als das geklärt war, haben wir die trockenen Kehlen bei einem Bierchen befeuchtet, ehe wir der Kollegin vom Sonic Seducer die Jungs überlassen haben.

Als wir uns auf dem Rockharz im vergangenen Jahr im Rahmen eines Interviews für ein anderes Magazin unterhalten haben, habe ich gefragt, ob ihr auch ein Interview ohne Masken führen würdet. Das habt ihr ganz klar verneint und auf eure Anonymität bestanden. Jetzt ist es ja als Journalist auch unsere Aufgabe zu recherchieren und da ist uns aufgefallen, dass im Wikipedia-Artikel von HÄMATOM im Moment eure Klarnamen stehen.

Süd: Es wechselt dauernd. Wir sind da dran. Es wechselnd wirklich andauernd, so kann es sein, dass die gerade drin stehen, oder aber auch nicht.

Ost: Das hängt so ein bisschen, ohne jetzt da übermütig wirken zu wollen, mit der Popularität zusammen. Das heißt je unwichtiger wir waren, desto einfacher war es die eigentlichen Namen aus der Wikipedia raus zu löschen, aber wenn du bekannter wirst, gibt es mehr Artikel über dich, recherchieren die Leute etwas mehr, stellen das irgendwo online und Wikipedia muss sich dran halten. Du kannst nicht sagen „Pass auf, ich will diese Namen nicht haben“. Wikipedia ist eine unabhängige Enzyklopädie, die mit Fakten arbeitet und wenn es Beweise dafür im Netz gibt, wie Süd oder ich heißen, dann taucht das auch dort auf.

Ist es denn aber immer noch so, dass ihr nach Möglichkeit möglichst anonym sein wollt?

Süd: Jetzt wo wir durchstarten ist es uns wichtiger denn je.

Dann machen wir doch jetzt mal folgendes: Ihr sagt jetzt im Interview ganz klar, wie euer Wille als Künstler zu dem Thema ist und ich schaue mal, ob sich die Wikipedia daran hält, wenn „der Künstlerwille ganz klar und öffentlich verfügbar ausgedrückt“ wurde.

Ost: Hallo, hier ist der Ost von HÄMATOM.

Süd: Und der Süd.

(An dieser Stelle klopft West, wieder ganz in seiner Rolle, zwei Mal zur Bestätigung seiner Anwesenheit auf den Tisch. Nord hatte das Ganze schon im Vorfeld abgenickt.)

Ost: Hallo Wikipedia, wir würden sehr gerne weiterhin unsere Anonymität genießen und bei Wikipedia im Zusammenhang mit HÄMATOM nur unter Nord, Süd, West und Ost genannt werden. Nicht mit Klarnamen.

Süd: Dito.

(West klopf wiederholt zwei Mal zur Bestätigung.)

Zu Gast bei Hämatom im Studio

Im Anschluss an unsere gut vier Stunden im Studio ging es mit HÄMATOM, allen Verantwortlichen und einigen geladenen Freaks gemeinsam zum Essen. Gerade in der Atmosphäre, nachdem jeder von uns seine Arbeit erledigt hat, ergibt sich ein vollständiges Bild, wie man sich die letzten Monate um die Band vorstellen kann. Man kann sich vor dem inneren Auge schon vorstellen, wie die vier Himmelsrichtungen aus vier Richtungen die eigene Meinung und Sicht der Dinge in die Aufnahmegeräte haben wehen lassen. Aber nach Monaten der Arbeit sitzen nun alle vier sichtlich zufrieden nebeneinander und genießen entspannt den einen oder anderen Drink, ehe es nach dem Essen für die Band zurück zum Bier und vor allem dem Billardtisch und für uns, leider viel zu früh, gen Heimat geht. Ein gutes Album zu produzieren ist also nicht nur wochenlange Anstrengung und Stress, sondern auch der Geist des Rock’n’Roll gehört irgendwie noch immer dazu. Es sei ihnen aber gegönnt, denn die eigentliche Arbeit, die beginnenden Liveauftritte, stehen erst noch bevor.

Interview geführt von Cynthia Theisinger und Daniel Stahlmann. Danke an Mirco Wenzel für die Hilfe beim Abtippen.

Galerie mit 16 Bildern: HÄMATOM Album Release Tour 2018 - live in Hamburg

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13.12.2017

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