Hämatom
Studioreport und Interview zu "Bestie der Freiheit"
Special
Wir waren zu HÄMATOM ins Studio geladen, um einen Vorgeschmack auf das kommende Album „Bestie der Freiheit“ (VÖ: 26.01.2018) zu bekommen. Wir saßen einen Tag mit der Band im Studio und lauschten dem neuesten Album in der bestmöglichen Qualität – nämlich auf der Anlage, auf der es gemischt wurde. Dazu werden natürlich, wie es sich Business gehört, Sex, Drugs & Rock’n’Roll in appetitlichen Häppchen gereicht. Okay, wir übertreiben hier ein bisschen, aber wie es in den letzten Monaten und auf der Zielgeraden zum neuen Album für HÄMATOM gewesen ist, versuchen wir ein wenig mit dem folgenden Interview zu erfassen.
Mit noch ganz frischen Eindrücken der „Bestie der Freiheit“ begeben wir uns mit der Band in den Aufenthaltsraum, das Wohnzimmer oder besser: Den Lebensmittelpunkt der Jungs der letzten Monate. Der ist ausgestattet mit Billiardplatte, Mini-Fitnessbereich und Sofaecke, die zentral im Raum vor dem vollverglasten Giebelbereich des Obergeschosses steht. Wir haben natürlich ein paar Fragen, die uns so direkt nach dem ersten Durchhören unter den Fingernägeln brennen.
Das Smartphone von Süd vibriert kurz vorm Interview, was er mit „So, ganz professionell hier, Handy an. Ich mache das mal aus.“ kommentiert, nur um im nächsten Moment nochmal danach zu greifen, um es doch zumindest auf Vibration zu stellen. Ganz offline geht es eben trotz des letzten Albums auch nicht.
Ich hatte so das Gefühl, „Todesmarsch“ war dein Lieblingssong, Ost. An deiner Reaktion gemessen, während das Lied gerade lief.
Ost: Hattest du das Gefühl?
Na gut, jetzt seid ihr alle unter Masken, da kann man eure Emotionen schwer sehen, da muss immer ein wenig raten.
Ost: Wir haben keine Emotionen.
Süd: Ich hab geweint.
Ist also ein Vorteil unter der Maske zu sein. Wie oft hast du bei den Aufnahmen geweint?
Süd: Nie.
Ost: Ich hab alle Emotionen im Internet verkauft, deswegen hab ich keine mehr. Auf Emotion-eBay.
(Nachdem die einleitende Frage unbeantwortet blieb, kommt Ost nach dem Ausverkauf von Emotionen noch schnell auf die eigentliche Frage zurück, welche allerdings von vielen Musikern immer sehr ähnlich beantwortet wird.)
Ost: Aber du lagst jetzt nicht komplett daneben, so dass es nicht mein Lieblingssong gewesen wäre, aber so einen richtigen Lieblingssong hab ich gar keinen. Ich find’s total schwer, da jetzt irgendwie objektiv die Songs zu beurteilen. Weil du so in ’nem Tunnel drin bist, seit so einem dreiviertel Jahr, wo du kein Abstand mehr davon hast. Wenn man das jetzt 3-4 Wochen gar nicht hören würde, dann glaub ich, kommt es so langsam. „Todesmarsch“ ist deswegen ganz gut, weil die Umsetzung einfach mal komplett anders ist für uns.
Welches Orchester hat „Todesmarsch“ eingespielt?
Ost: Das HÄMATOM-Orchester. West spielt gerne mal …
(Eine Stimme, deren Herkunft unbekannt ist. wirft ein: „Die Arschgeige!“)
Ost (lacht, mit einem Blick in Richtung West): … Cello und Bratsche, fließend. Sagt er glaub ich so.
Süd: Ich spiele fließend Klavier.
Also selbst bei „Todesmarsch“ seid ihr für den gesamten Song verantwortlich?
Ost: Ja, auf jeden Fall. Und wir spielen das alles mit Masken ein. Wir haben das tatsächlich so gemacht diesmal, dass wir das komplette Album mit Masken eingespielt haben.
Du nimmst mir die Fragen vorweg.
Ost: Ach so, wolltest du das fragen? Also das war jetzt etwas gelogen mit „Todesmarsch“. Wir haben, glaub ich, die erste Geige nicht eingespielt, aber ansonsten (hustet theatralisch) alles.
Alles?
Ost: (hustet nochmal) Alles!
Also das war vermutlich auch der Song, der am längsten gedauert hat insgesamt, oder?
Ost: Ja.
Süd: Also heutzutage wird natürlich hier und da mal etwas getrickst.
Ost: Aber ja, das darf man. Da, wo es geht, tricksen wir, aber alles was wir selber können, das wird schon versucht, irgendwie auf Platte zu bringen.
Süd: Dadurch entsteht so ’ne Mischung. Aber du brauchst auch diese Mischung, sonst würde es wirklich einfach nur nach so ’ner Klassik-Aufnahme klingen und heutzutage mischst du Dinge dazu, dann klingt es nach einer modernen Klassik-Aufnahme.
Was habt ihr dazu gemischt, um daraus eine moderne Klassik-Aufnahme zu machen? Auch über das gesamte Album betrachtet?
Ost: Synthies, wie du bestimmt gehört hast. Wir kommen eher aus der klassischen Ausbildung, oder haben eine klassische Ausbildung genossen. Im Kindheits- bis zum Jugendalter zumindest, bis es dann an die harten Metal-Instumente ging, aber ans Keyboard hat sich wirklich keiner gewagt von uns. Nord konnte es ein bisschen, aber da hat es fürs Album nicht ganz gereicht. Da hat uns der Vince ausgeholfen.
Süd: Also der Vince, unser Produzent, ist ursprünglich Keyboarder oder Pianist, wie er selber sagt.
Jetzt hattest du die Antwort ja bereits vorweggenommen, ihr habt das Album tatsächlich mit Masken eingespielt?
Ost: Wir haben das das erste Mal durchgezogen. Es war ein harten Kampf, war meine Idee, ich hab fast schon drauf bestanden, das einfach mal durchzuziehen. Vor allem den Recording-Prozess. Weil ich mir einbilde, das klingt jetzt etwas esoterisch, dass da eine andere Energie rüber kommt und dann haben wir das tatsächlich versucht bzw. durchgezogen und das gesamte Album mit Masken eingespielt.
Wie lange habt ihr gebraucht, um das einzuspielen? Also wie lange seid ihr tatsächlich hier im Haus mit Masken rumgelaufen?
Süd: Also wenn wir uns wirklich aufs Einschränken beschränken. Aufs Einspielen beschränken…
(Ost unterbricht an der Stelle lachend und wiederholt den Freudschen Versprecher von Süd. Greift lachend zum stummgeschalteten Smartphone, auf dem er mit den Worten „Ich muss das notieren“ den Notizblock im Gerät öffnet. „Ich notiere mir immer gerne geile Sprüche“, sagt er, während er tippt. Tatsächlich erfreuen wir uns den Abend noch weitere Male an dem Ausspruch, der wie schon im Interview freudiges Gelächter hervorruft. Hoffen wir, dass das Einschränken der Lieder für die nächsten Konzerte auch eher eingeschränkt stattfindet und wir viele neue, aber eben auch eine Menge alter Songs genießen dürfen. Unterdessen fährt Süd auf die Frage antwortend fort.)
Süd: Also reine Recording-Zeit haben wir so ein Tag pro Song gebraucht. Nur fürs Recording, da ist dann kein Mix dabei und es gibt eben dreizehn Songs und dann gibt’s nochmal drei Bonus-Songs, also haben wir sechzehn Songs aufgenommen. Was neu war, war die brutal ausführliche Vorproduktionszeit, da hatten wir auch nicht immer die Masken auf. Damit man so ein bisschen einen Überblick bekommen kann, oder eine Vorstellung, wie lange es dauert vom ersten Spatenstich zur Fertigstellung.
Was fällt dann alles unter die Vorproduktion?
Süd: In der Vorproduktion findet eigentlich ein Zusammensetzen von uns mit Demotapes statt, die dann nochmal komplett durch den Fleischwolf gedreht werden. Songwriting meist noch nicht, da ist Ost immer sehr fleißig. Wann war das erste Treffen? März, April?
Ost: März, April haben wir uns das erste Mal hier getroffen und dann ging das mit der Vorproduktion ziemlich schnell, weil wir bis dahin eigentlich schon 20 bis 30 Demos fertig hatten, die wir dann radikal ausgesiebt haben. Radikal heißt, der Vince hat den Daumen gehoben oder den Daumen gesenkt. Hier und da haben wir ein Veto eingelegt und gesagt: „Doch der Song ist trotzdem geil!“.
Welcher Song ist denn ein Veto-Song?
Ost: „Wehleidige Monster“ ist zum Beispiel ein Veto-Song. Den haben wir durchgesetzt und werden damit grade bestätigt, da die Reaktionen auf diese Song sehr positiv sind. Aber zurück zur Vorproduktion. Dann haben wir, bis glaub ich Ende September, an Demos geschraubt und die Songs richtig ausproduziert und dann ging es so gegen Oktober ins Studio zum Recorden, da wurden die Masken aufgesetzt und pro Tag ein Song aufgenommen, was wirklich ein sehr geiler Prozess war, weil wir beim Einspielen zusammen im Studio waren. Wir haben sogar heute früh noch Sachen eingesungen, weil wir mit der einen oder anderen Stelle nicht zufrieden waren. Diese Möglichkeiten hätten wir jetzt nicht, wenn man jetzt klassisch aufnimmt wie die letzten 10 bis 15 Jahre, so nacheinander. Das heißt, dass der Schlagzeuger ins Studio fährt und aufnimmt, dann geht der Gitarrist irgendwann hin und so weiter.
Die Frage lag mir tatsächlich auf der Zunge, ob das Album klassisch aufgenommen wurde, aber dann wurde der klassische Prozess bei euch übersprungen und dann waren quasi alle auf einmal hier.
Ost: Genau, wir haben uns alle hier zusammen gesetzt und dann wirklich sechzehn Tage lang, vielleicht ein paar mehr, weil wir nicht immer einen Song pro Tag dann geschafft haben, dann wirklich am Stück, pro Tag einen Song, abzuarbeiten.
Aber wenn jeder da ist, ergibt sich dann ja der Vorteil, dass der Drummer dann da nochmal sagen kann: „Ey Moment, das muss jetzt mal anders“.
Ost: Ganz genau, viele Kleinigkeiten wären sonst nicht passiert, das wissen wir aus Erfahrung, das ist ein sehr zeitaufwendiger Prozess, aber total sinnvoll, finde ich.
Süd: Und der Vincent, muss man auch sagen, der macht irgendwie nie den Deckel drauf. Eigentlich sind wir auch mit dem Mixen schon fast durch und wie gesagt, heute Morgen haben wir noch ein Gesangsstück geändert. Da ist er auch total aufgeschlossen, weil er merkt „Stimmt, da könntet ihr echt Recht haben“ oder wir hören zumindest mal den neuen Part an und dann schaut er nicht auf die Uhr und sagt „Ne, lass lieber zur nächsten Produktion warten“, sondern nimmt sich da die Zeit.
Also so ein gewisser Hang zum Perfektionismus?
Ost: Genau, da treffen wir uns aber ganz gut, da wir ähnlich gestrickt sind und irgendwie versuchen wir dann doch alle fünf, in dem Fall (Anmerkung: die Band und der Produzent), glücklich zu machen.
Süd: Perfektionistisch und ich find‘ auch auch leidenschaftlich, dass er nicht sagt, so „Mensch, krieg ich irgendwie auch nicht mehr Geld, wenn ich nochmal das Mikrofon anwerfe“. Das ist schon cool bei ihm.
Wenn ihr alle vier hier gewesen seid, wie kann man sich dann einen durchschnittlichen Tag hier vorstellen?
Ost: Der Studiotag sieht so aus, dass wir sehr motiviert beginnen und uns vornehmen sehr diszipliniert zu sein, früh ins Bett zu gehen, wenig Alkohol zu trinken und nur zu arbeiten, arbeiten und zu arbeiten, um die Zeit so effizient wie möglich zu nutzen und dann hältst du das den ersten Tag, die ersten Stunden, bis 17 Uhr, 18 Uhr durch, dann wird das erste Bier aufgemacht, aber es wird aber trotzdem fleißig weiter gearbeitet, da kann man uns nichts vorwerfen, und dann sitzen wir bis 22 oder 23 Uhr unten (Anm. d. Redaktion: Das Interview haben wir im sehr gemütlichen Aufenthaltsraum geführt, in dem schon andere große Bands bei einigen Bieren ihre neuen Alben besprochen haben. Mit „unten“ ist der Aufnahmeraum gemeint.), gehen dann hier rauf, eigentlich mit dem Gedanken „So, noch ein Feierabendbier und dann ab ins Bett“ und dann wird’s doch meist 3, 4, 5 Uhr bis wir uns tatsächlich dann in die Kojen verkriechen. Den nächsten Tag geht’s aber trotzdem zeitig um 10 Uhr weiter. Ich glaube nicht, dass wir es jemals irgendwie verpennt hätten …
(Kurz überlegen Süd und Ost an dieser Stelle ob dem wirklich so war, was dann mit einem Blick auf West per Kopfnicken von diesem bestätigt wird.)
Ost: Die Müdigkeit nimmt zu, aber du ziehst es durch. Du musst die Zeit schon nutzen, die du hier hast. Da musst du wirklich konsequent und effizient sein, aber so das Partyleben, in Anführungsstrichen, als Musiker, das Studioleben, das lassen wir uns dann auch nicht nehmen. Also das gehört schon dazu. Auch die Billardplatte hier wurde öfters missbraucht.
Süd: Und das nicht zum Billiard spielen, wenn ihr wisst, was ich meine.
(Alle lachen. Und der eine oder andere kurze Witz über Wissen und Nichtwissen, was für anzügliche Anspielungen da gemeint sind oder eben auch nicht gemeint waren, werden ausgetauscht.)
Aber gepennt wird dann getrennt, also fahrt ihr mit dem Taxi zurück oder wie läuft das?
Ost: Ne, das ist sehr praktisch hier, hier gibt’s ja fast schon Hotelzimmer. Schöner wie viele Hotelzimmer, in denen wir normalerweise geschlafen haben. Da hat jeder sein Einzelzimmer und kann tun und lassen, was er will.
Zum Beispiel Masken abnehmen?
Süd: Teils teils, also West schläft zum Beispiel immer mit der Maske.
Ost: Also dem Geruch nach zieht er sie nie aus.
West, sind die immer so lieb zu dir?
(Darauf zuckt West lediglich mit den Achseln und lässt stattdessen Ost für sich antworten. So erklärt sich, wieso, obwohl beim Interview anwesend, noch keine der Fragen von ihm beantwortet wurden und auch in Zukunft keine beantwortet wird.)
Ost: Er darf nicht, nein anders, er kann nicht sprechen. Wir haben festgestellt, dass er nur über den Wolken sprechen kann. Wir haben ja eine Vorproduktion auf Formentera gemacht, das ist eine kleine Insel unterhalb von Ibiza, da waren wir fünf Tage lang. Eine sehr schöne und inspirierende Künstlerinsel, auf der zum Beispiel PINK FLOYD waren, BOB DYLAN hat da ein Album geschrieben, die HOSEN sind des Öfteren dort, und dann haben wir uns da auch mal fünf Tage einquartiert und haben Songs geschrieben. Zum Beispiel „Zeit für neue Hymnen“ und ich glaub noch einer. Und unter den Wolken, plötzlich, auf 10.000 Metern kam da ein Wort raus.
West: Ja nicht unter den Wolken, wenn schon drüber.
Ost: Ja Mensch, jetzt kannst doch sprechen. Du musst das schon durchziehen. Das kann doch so nicht sein.
(Süd wirft ein, dass wir immerhin im ersten Obergeschoss, und damit gut vier Meter über dem Boden sind und wir schlagen vor, das nächste Interview mit HÄMATOM in einem Flugzeug zu führen. Amüsiert betont Süd den Wert dieser Aufnahme, da ja nun West zu hören sei, was in einer Argumentation darüber mündet, ob wir nicht schon vor dem erstmaligen Hören des Albums unsere Smartphones hätten abgeben müssen, um ein Mitschneiden zu unterbinden. Was sollen wir sagen, das haben wir selbstverständlich nicht gemacht. Erstmal ist es ja Ehrensache sowas zu unterlassen und wer sollte aus so einer Qualität eine Rezension verfassen? Das ist schließlich ein separater Prozess, dessen Ergebnis ihr natürlich ebenfalls bei metal.de finden werdet.)
Der politische Ansatz, den ihr ja schon immer in euren Texten habt, ist auf diesem Album ein wenig besser versteckt. Außer vielleicht bei „Wehleidige Monster“ und „Todesmarsch“.
Ost: Oh, das hast du gut ausgedrückt. Ein bisschen besser versteckt.
Süd: Ja, gut ausgedrückt, aber auch vollkommen richtig festgestellt.
(Den anschließenden Teil haben wir gekürzt. Nicht nur, dass wir der Rezension nicht alles vorwegnehmen wollen, werden im Folgenden im Grunde alle Songtitel genannt und auf deren politische Aspekte untersucht. Allerdings wollen wir dem Wunsch der Band entsprechen und nicht schon knapp zwei Monate vorab alle Songtitel verraten. Soviel sei aber verraten: Dem Album liegt eine persönlichere Note zugrunde, die auf „Bestie der Freiheit“ wesentlich mehr Raum bekommen hat. Und wo wir schon über das Politische reden, noch ein kleiner Hinweis, an alle Freaks (Anm. d. Redaktion: die Hardcorefans von HÄMATOM, wie sie sich selber nennen und von der Band genannt werden): Hört doch beim letzten Wort der Platte (ohne Bonustracks) mal genau hin.)
Wenn ihr so den Quoten-Partysong einspielt, is‘ dann eher so letzter Tag mit mehr Alkohol? Also bringt ihr euch dafür quasi in Stimmung?
Süd: Wir saufen uns total zusammen. Also ich glaube, ich konnte nicht mehr stehen, dann habt ihr mich zum Schlagzeug getragen und hab den eingetrommelt. Einfach um die Euphorie, die man im Vollsuff hat, wiederzugeben. Da sind wir konsequent.
Wie oft ist der Weg von hier oben, so nach 20 Bier, nochmal vor die Instrumente gegangen?
Ost: Gar nicht so oft. Das Problem ist, Studio und Alkohol verträgt sich gar nicht so gut, wie man denkt. Ab und zu hat man nochmal gute Ideen, die trägt man dann aber erst am nächsten Morgen verkatert vor und aus ’ner geilen Idee am Abend ist dann eine durchschnittliche bis schlechte Idee morgens geworden und entweder man hält gleich die Schnauze und spart sich das oder man versucht da eine Diskussion aufzumachen.
Süd: Da ist der Vince auch ganz professionell im Umgang mit solchen Sachen, der rührt gar keinen Alkohol an, kann aber ganz souverän mit Alkoholikern umgehen und lässt dann souverän auf seine nordische kühle Art abblitzen, wenn du eine für dich, gefühlt, mega Idee hast.
Welcher Song hat denn am meisten Spaß gemacht beim Aufnehmen?
Ost: Spaß und Aufnehmen? Das sind zwei verschiedene Dinge (lacht).
(Süd zeigt auf einen Song, auf der vor uns liegenden Tracklist: Der hier hat mir am meisten Spaß gemacht.)
Ost: West kann vielleicht auch einfach drauf zeigen, was ihm am meisten Spaß gemacht hat?
West zeigt auf einen Bereich vom Blatt, weit über den Songs, was mit allgemeiner Heiterkeit aufgenommen wird sowie der Frage, wie diese stumme Antwort nun zu interpretieren ist.
Gibt es irgendeinen Song, der beim Aufnehmen etwas nerviger war? Also wahrscheinlich ist es so, dass selbst wenn ihr alle da seid, zuerst die Drums eingespielt werden. Oder wie habt ihr das gemacht?
Süd: Nein, wie ich das vorhin schon erwähnt hatte, gab es eine sehr ausführliche Vorproduktion. In der Vorproduktion checkst du schon viel aus und probierst viel rum. Das heißt, du hast nicht mehr die ganze nervenden, brutal zeitaufwendigen Momente beim Recorden selbst. Das Recording wird dadurch eigentlich schon beschleunigt. Ich kann mir jetzt auch gar nicht an starke Probleme beim Recording erinnern, wo wir so richtig lange rumgefummelt hätten.
Ost: Ne, es gab zwei Songs, bei denen wir wirklich am Texten sehr lange geschraubt haben. Es gab ’ne erste Demo-Version, die hat uns nicht gefallen, dann gab’s ’ne andere Thematik, die dann besser war, aber mit Nord nicht richtig funktioniert hat, und dann kam hier auf dem Balkon beim sechsten bis siebten Bier, das ist dann eine der wenige Ideen, die sich von hier oben durchgesetzt haben, zusammen die passende Idee. Und daraus ist jetzt die aktuelle Thematik und der aktuelle Text geworden. Bei einem weiteren Song gab es glaube ich auch drei Versionen. Ansonsten ist es relativ flüssig verlaufen. Man muss uns da auch eventuell ein bisschen loben, wir sind da so ein bisschen Nerds, wir bereiten uns tatsächlich auf solche Recording-Geschichten vor.
Macht man das als Band nicht grundsätzlich?
Ost: Nein, aus meiner Erfahrung macht das keiner oder kaum eine Band (lacht). Süd hat wirklich alles notiert und spielt dann einfach nach Noten ein.
Süd: Klingt scheiße …
Du spielst wirklich nach Noten ein?
Ost: Das klingt für mich überhaupt nicht scheiße, das ist sehr professionell und vor allem sehr zeitsparend sowie zielführend. Du hast später immer noch alle Optionen. Das heißt, die Datei ist als Midi abgespeichert und alle Veränderungen können sofort umgesetzt werden, neu ausgedruckt und dann spielt er das. Ist bei den Gitarren ähnlich und deshalb lief das alles ziemlich flüssig ab.
Süd: Und nochmal zurück zur zweiten Eingangsfrage, wir haben jeweils das Schlagzeug sogar zum Schluss recordet. Also wir haben wie gesagt an einem Tag einen Song aufgenommen und haben mit den Gitarren angefangen, die haben im Prinzip auf ein programmiertes Schlagzeug drauf gespielt, dann Bass, dann weitere Gitarren, dann Gesang und dann erst das Schlagzeug. Da die Vorproduktion sehr ausführlich war, war es schon richtig vorgesteckt, was für ein Fill-in ich spiele, wann welcher Schlag wo hin kommt und hab dann beim Recording nur noch reproduziert. Aber dafür brauchst du natürlich Noten, weil sonst spielst du einfach irgendwas.
Wieviel Versionen von einem Song gibt es eigentlich, bis der dann da ist wo er hin soll? Oder ist das extrem unterschiedlich? Was waren die wenigsten und was die meisten?
Ost: Du kannst dir das nicht als Versionen vorstellen, weil wir nicht zwölf Versionen aufnehmen und die alle unterscheiden sich so ein bisschen, sondern während des Recordings umstellen. Das heißt, wenn du merkst, ich bin jetzt bei den Rhythmus-Gitarren und ich merke, der Refrain stimmt nicht, oder die Strophe ist irgendwie kacke, dann wird sofort während des Recordings was anderes probiert
Bei welchem wurde, vom Demo bis zur Endversion, am meisten geändert?
Ost: Bei „Zeit für neue Hymnen“ ist sehr viel passiert.
Süd: Da gibt es auch verschiedene Refrains und so.
Ost: Genau, der Song ist wie gesagt auf Formentera entstanden. Da gibt’s in der Freak-Box, die zum Album erscheint, eine 45-minütige Dokumentation darüber, da sieht man genau die Entstehung dieses Songs und der hat wirklich kaum etwas mit dem zu tun, den wir jetzt auf Platte haben. Da ist sehr viel passiert. Bei einem weiteren ist der komplette Refrain umgeschmissen und neu gemacht worden.
Süd: „Todesmarsch“ ist auch ganz spannend, das war erst eine mittelalterliche Version mit Dudelsack. Schon mit E-Gitarre und Band-Kontext, aber das ist jetzt schon eine klassische Version geworden.
Wer von euch vieren oder fünfen, wenn wir Vincent mitzählen, achtet am meisten darauf, dass die Songs am Ende live richtig gut funktionieren? Denn überwiegend funktionieren die Songs, denk ich mal, live alle richtig gut.
Ost: Ja, das glaub ich auch. Ich wüsste gerade nicht, welcher Song live nicht gut sein könnte. Vielleicht „Todesmarsch“, der wäre vielleicht nur ok, aber der Rest ist gut.
Süd: Ich würde da zwischen zwei Sachen unterscheiden: Einmal so wie es sich anfühlt, wenn man den dann so performt, und das haben eigentlich alle ganz gut. Und wie die Leute dann so abgehen, das find ich auch schwer zu sagen.
Ost: Das hat man beim Schreiben schon etwas verinnerlicht. Klar denkst du schon beim Schreiben daran. Das ist ja auch unser Tagesgeschäft. Wir werden mit dem Album auf die Straße gehen und damit zwei Jahre unterwegs sein, das heißt es muss auch funktionieren. Es gibt schon Ausnahmen wie eben „Todesmarsch“, da war uns klar, das wird jetzt nicht der Opener unserer Show werden. Da geht es dann um die coole Umsetzung und ’ne künstlerische Note. Andersherum gibt es dann ja auch Songs wie „Halligalli“. Ich find auch, dass ein Album wirklich beides braucht. Diese Dynamik und unterschiedlichen Richtungen, die braucht ein Album, sonst wird es ziemlich langweilig und eintönig.
Was passiert, wenn ihr euch während des Recording-Prozesses in die Wolle kriegt?
Süd: Also wir lösen sehr viel mit Gewalt. Ich schau nicht so aus, aber ich gewinne immer. Manchmal krieg ich schon eine auf die Maskennase. Wir kämpfen natürlich auch nur mit Masken. Aber ich beherrsche fünf Kampfsportarten.
Ost: Ich geh immer verbal fies unter die Gürtellinie und werde sehr persönlich bei meinen Beleidigungen. Das hilft oft. Auch gegen Gewalt.
(Mit der Zeit im Nacken, wir sprechen immerhin schon eine gute Dreiviertelstunde, kommen wir zur letzten Frage, die uns seit dem Auffrischen der zur Band vorliegenden Informationen unter den Fingernägeln brennt. Als das geklärt war, haben wir die trockenen Kehlen bei einem Bierchen befeuchtet, ehe wir der Kollegin vom Sonic Seducer die Jungs überlassen haben.
Als wir uns auf dem Rockharz im vergangenen Jahr im Rahmen eines Interviews für ein anderes Magazin unterhalten haben, habe ich gefragt, ob ihr auch ein Interview ohne Masken führen würdet. Das habt ihr ganz klar verneint und auf eure Anonymität bestanden. Jetzt ist es ja als Journalist auch unsere Aufgabe zu recherchieren und da ist uns aufgefallen, dass im Wikipedia-Artikel von HÄMATOM im Moment eure Klarnamen stehen.
Süd: Es wechselt dauernd. Wir sind da dran. Es wechselnd wirklich andauernd, so kann es sein, dass die gerade drin stehen, oder aber auch nicht.
Ost: Das hängt so ein bisschen, ohne jetzt da übermütig wirken zu wollen, mit der Popularität zusammen. Das heißt je unwichtiger wir waren, desto einfacher war es die eigentlichen Namen aus der Wikipedia raus zu löschen, aber wenn du bekannter wirst, gibt es mehr Artikel über dich, recherchieren die Leute etwas mehr, stellen das irgendwo online und Wikipedia muss sich dran halten. Du kannst nicht sagen „Pass auf, ich will diese Namen nicht haben“. Wikipedia ist eine unabhängige Enzyklopädie, die mit Fakten arbeitet und wenn es Beweise dafür im Netz gibt, wie Süd oder ich heißen, dann taucht das auch dort auf.
Ist es denn aber immer noch so, dass ihr nach Möglichkeit möglichst anonym sein wollt?
Süd: Jetzt wo wir durchstarten ist es uns wichtiger denn je.
Dann machen wir doch jetzt mal folgendes: Ihr sagt jetzt im Interview ganz klar, wie euer Wille als Künstler zu dem Thema ist und ich schaue mal, ob sich die Wikipedia daran hält, wenn „der Künstlerwille ganz klar und öffentlich verfügbar ausgedrückt“ wurde.
Ost: Hallo, hier ist der Ost von HÄMATOM.
Süd: Und der Süd.
(An dieser Stelle klopft West, wieder ganz in seiner Rolle, zwei Mal zur Bestätigung seiner Anwesenheit auf den Tisch. Nord hatte das Ganze schon im Vorfeld abgenickt.)
Ost: Hallo Wikipedia, wir würden sehr gerne weiterhin unsere Anonymität genießen und bei Wikipedia im Zusammenhang mit HÄMATOM nur unter Nord, Süd, West und Ost genannt werden. Nicht mit Klarnamen.
Süd: Dito.
(West klopf wiederholt zwei Mal zur Bestätigung.)
Im Anschluss an unsere gut vier Stunden im Studio ging es mit HÄMATOM, allen Verantwortlichen und einigen geladenen Freaks gemeinsam zum Essen. Gerade in der Atmosphäre, nachdem jeder von uns seine Arbeit erledigt hat, ergibt sich ein vollständiges Bild, wie man sich die letzten Monate um die Band vorstellen kann. Man kann sich vor dem inneren Auge schon vorstellen, wie die vier Himmelsrichtungen aus vier Richtungen die eigene Meinung und Sicht der Dinge in die Aufnahmegeräte haben wehen lassen. Aber nach Monaten der Arbeit sitzen nun alle vier sichtlich zufrieden nebeneinander und genießen entspannt den einen oder anderen Drink, ehe es nach dem Essen für die Band zurück zum Bier und vor allem dem Billardtisch und für uns, leider viel zu früh, gen Heimat geht. Ein gutes Album zu produzieren ist also nicht nur wochenlange Anstrengung und Stress, sondern auch der Geist des Rock’n’Roll gehört irgendwie noch immer dazu. Es sei ihnen aber gegönnt, denn die eigentliche Arbeit, die beginnenden Liveauftritte, stehen erst noch bevor.
Interview geführt von Cynthia Theisinger und Daniel Stahlmann. Danke an Mirco Wenzel für die Hilfe beim Abtippen.