Gravenhorsts Graveyard
Wer rettet den Metal?
Special
Letzte Woche haben MANTAR mit ihrer Tourverkürzung massiv Staub aufgewirbelt. Die Transparenz des Duos ist wohltuend, gerade weil Bands bei geschäftlichen Themen selten so ehrlich sind, wenn man mal von der notorischen Generalkritik am Musikbusiness absieht. Doch zu der anderen Seite der Medaille gehört neben dem artikulierten Verständnis für die schwierige Lage der Besuchenden auch die Verbitterung, die sich herauslesen lässt. Sie müssten dann halt Sommerhits schreiben, sofern die Metalgemeinde sich nicht durch den Kauf von Tickets für den Erhalt der Band entscheidet.
Für Konzertveranstaltende kommen gerade viele Probleme zusammen: Da wäre die besondere Pandemiesituation. Vielerorts fühlt sich Corona überwunden an, doch der wirtschaftliche Schaden ist in der Konzertindustrie noch deutlich spürbar. Gestiegene Produktionskosten und schleppende Kartenverkäufe belasten die Branche. Außerdem lässt sich schwer vorhersagen, unter welchen Bedingungen Konzerte ab Herbst durchgeführt werden können.
Rocking is my business and business is good
Doch trotz dieser Schwierigkeiten wurde der Konzertbetrieb aus der Vorpandemiesituation unter diesen veränderten Rahmenbedingungen möglichst unangepasst wiederaufgenommen. Am leichtesten fällt es bei diesen schwierigen Problemen das veärnderte Freizeitverhalten der Leute zu kritisieren, weswegen es kaum verwundert, dass die Diskussion um die Rettung der Clubkultur, auch seitens MANTAR, normativ gefärbt ist: Es sei die Verantwortung der Konsumierenden, sie zu erhalten. Wie können sie es überhaupt wagen, in dieser Ausnahmesituation ihr Konsumverhalten bezüglich des Besuchs von Musikveranstaltungen zu ändern. Interessant ist dabei die Implikation eines „richtigen“ Konsumverhaltens.
Ich muss zugeben, dass ich mir auch Gedanken darüber gemacht habe. Während ich meine Bedenken bezüglich der Infektionsgefahr beiseite schob, war ich im Juni und Juli vor allem bei Großkonzerten von KISS und IRON MAIDEN. Ich witzelte, dass mein Konzertverhalten zu mainstream war und nun wieder nischiger werden müsse. So kam es, dass ich meine Karte für DIE ÄRZTE mit Verlust verkauft habe, um auf ein Undergroundfestival zu gehen und mir dort von mehreren Bands Merch zu kaufen. Und demnächst kaufe ich mir für das „Hellseatic“-Festival, bei dem MANTAR headlinen, eine Karte. Kann mir dafür Joey DeMaio bitte einen „Saviour of True Metal“-Orden verleihen?
Eskapismus muss man sich leisten können
Rodney Fuchs hat eine andere Antwort auf diese Frage kürzlich in einem Kommentar auf MoreCore.de skizziert: Mehr Toleranz für teurere Tickets, die im Vorverkauf erworben werden sollen; möglichst viele Getränke in der Location trinken, weil diese nicht unter der unfairen Preispolitik globaler Bierkonzerne leiden soll und das 30€-Shirt der Band kaufen, weil bei dem von der letzten Tour ohnehin der Aufdruck beschädigt ist. Oder kurz gesagt: Möglichst viel konsumieren. Das hilft zwar musikwirtschaftlichen Akteuren, sich dem vorpandemischen Einnahmenniveau zu nähern, doch hohe und regelmäßige Ausgaben setzten eine ökonomische Sicherheit voraus, die vielen Menschen momentan nicht gegeben ist.
Vorverkäufe sind unter diesen Umständen für Besuchende sowieso zweischneidig. Denn die fehlende Planbarkeit betrifft nicht nur die Veranstaltenden, sondern auch ihre Kund:innen. Über das tatsächliche Stattfinden des Konzerts hinaus geht es da vor allem um Terminfragen. Selbst wenn man für den Konzertbesuch keinen organisatorischen Aufwand wie Kinderbetreuung oder der Anmeldung von Urlaub fahren muss, können die Auftritte letztlich doch in ungünstige Zeiträume fallen. Zudem haben sich gerade große Ticketplattformen, an denen man wegen ihrer marktbeherrschenden Stellung kaum vorbei kommt, bei der Rückerstattung als anstrengend erwiesen, so dass viele sich den Aufwand verständlicherweise sparen möchten.
Neustart Kulturverständnis
Vielleicht sollte man das als Anlass nehmen um in Frage zu stellen, ob sich Tourneen ausschließlich über die Nachfrage der Besuchenden finanzieren sollen. Es war gerade das Programm „Neustart Kultur“, welches der Konzertindustrie wieder auf die Beine half. Branchenvertretende sagen, dass eine Unterstützung zur Abfederung der Pandemie noch zwei bis drei Jahre weiterlaufen müsse. Da ist es ein positives Signal, dass das Programm bis Mitte nächsten Jahres verlängert wurde, doch auch darüber hinaus muss eine tiefergreifende Förderung der Populärmusik stattfinden. Länder wie Schweden könnten ein Vorbild sein, wo der Staat bei der Tourneefinanzierung hilft.
Allerdings schwindet bei mir die Zuversicht, dass das Momentum der Pandemie genutzt wird, um die Veränderung des Kulturverständnis weiter voranzutreiben. Die neue Bundesregierung tut sich schwer damit und die allgemeine Wertschätzung für die Clubkultur ist in den letzten beiden Jahren leiser geworden. Daher ist offen, wie die Clubkultur in einigen Jahren aussieht, ob sich der Markt je nach Sichtweise „gesundschrumpft“ oder monopolisiert. Sicher ist bloß, dass der vorpandemische Konzertbetrieb in seiner Quantität insbesondere für den Metal schwerlich aufrecht zu erhalten ist, wenn man ihn allein in die Hände der Verbrauchenden legt.