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Was die Musikindustrie aus der Corona-Krise lernen sollte
Special
Die Coronapandemie stellt einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der Musikwirtschaft dar. Durch das Verbot von Großveranstaltungen wurde dem Geschäftsmodell der Veranstalter die elementare Grundlage entzogen. Durch das Fehlen dieser Events werden automatisch die Albumverkäufe geschwächt. Alles findet nur noch online statt. Das schlimme an der Corona-Krise ist, dass sie die Hilflosigkeit über eine schon vorher bestehende Krise der Musikwirtschaft offenbart hat: Die Digitalisierung.
Schon beim Erfolg von Napster wusste sich die Musikindustrie nicht zu helfen. Der einzige Ansatz, der sich in diesem Bereich durchgesetzt hat, ist die Entkriminalisierung von Konzepten. Was iTunes oder Spotify getan haben, war nur in einer Hinsicht neu und zwar in der rechtlichen Hinsicht. Diese Fantasielosigkeit zeigt sich gut am Umgang mit Spotify. Das Unternehmen und die Künstler sind sich spinnefeind: Spotify soll mehr ausschütten, CEO Daniel Ek fordert, dass Künstler mehr veröffentlichen müssen. Es gibt in der öffentlichen Wahrnehmung keine Alternative zu Spotify. Dabei haben aber Deezer und Tidal dezidiert fairere Vergütungsmodelle. Anteilseigner bei letzteren sind unter anderen JAY-Z, KANYE WEST und JACK WHITE.
Agency within structure
Der Angewohnheit, sich auf bestehende Strukturen zu verlassen, verfallen auch die Bands. Obwohl es eigentlich gar nicht notwendig wäre, unterzeichnen viele Bands immer noch Plattenverträge. Die immer noch bestehenden Vorteile sind offenkundig. Mit einem Label können vor allem junge Gruppen von einem Netzwerk profitieren, welches Expertise bei der Albumproduktion und -vermarktung bringt. Es sorgt aber auch dafür, dass Bands sich dem klassischen Album-Tour-Trott unterwerfen. Dabei ist das gar nicht einmal notwendig.
Durch das Internet haben Bands nicht nur die Möglichkeit, direkt mit ihren Fans zu kommunizieren, sondern auch direkt ihr Produkt zu vertreiben. Wie das gehen kann, haben NIGHT DEMON vorgemacht. Von April bis August haben sie fünf 7″-Singles veröffentlicht, ohne begleitendes Album. Sie haben einen besonderen Zugang zur Band ermöglicht, so ließen sich die Songs gut auf die Pandemie-Situation beziehen. Auch das MACHINE-HEAD-Mastermind Rob Flynn erklärte unlängst in einem Interview, dass er die Veröffentlichung von Singles momentan reizvoller findet.
Aus der Mottenkiste
Die Idee des Fanclubs gewinnt wieder an Attraktivität. Wo es früher vor allem Autogrammkarten gab, fährt WHILE SHE SLEEPS diese Idee ganz groß auf: Als Mitglied der „Sleeps Society“ gibt es eigens produzierte Behind-The-Scenes-Videos und exklusives Merchandise. Bei der Umsetzung dieser Idee ist jedoch Feingefühl gefragt. Wie man eine echte Gemeinschaft erschaffen kann, anstatt nur exklusive Textilien anzubieten. Auf diese Shirts kommt es auch nicht mehr an.
Bedauerlicherweise lässt sich auch eine Geringschätzung von Konzertfilmen feststellen. Diese ist einerseits mit dem schleichenden Niedergang der DVD erklären, doch auch im digitalen Bereich gibt es kaum welche. Dabei lassen sich heute noch hochklassige Konzertfilme produzieren. ALIEN WEAPONRY haben erst vor rund einem Jahr einen wunderbaren Konzertfilm gemacht. Ein Streaming-Portal mit Soundboard-Aufnahmen ist wohl noch ein utopisches Wunschdenken meinerseits.
Zum Abschluss will ich noch einmal festhalten, dass die vorgestellten Ideen nicht die Allheillösung für die Gegenwartsprobleme der Musikschaffenden sind, sie sollen nur zeigen, dass es Ansätze gibt, wie sich das Internet besser einbeziehen lässt und die Situation nicht alternativlos ist. Denn für eines braucht man keine hellseherischen Fähigkeiten: Die Musikwirtschaft in ihrer Gesamtheit, Bands, Konzertveranstalter, Plattenfirmen und alle anderen beteiligten Akteure, muss sich besser digitalisieren. Sonst ist die nächste Krise nicht weit.
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