Gravenhorsts Graveyard
Was bedeuten die Konzertabsagen für Pantera?

Special

Letzte Woche fand eine lebhafte Debatte des noch jungen Jahres ihren vorläufigen Höhepunkt: Die Rock-Am-Ring-Veranstalter DreamHaus kündigten an, dass nach „vielen Gesprächen mit Künstler*innen, Partner*innen und euch, den Festivalfans“ PANTERA aus dem Line-Up der Zwillingsfestivals gestrichen werden. Wenige Tage später sagten die Veranstalter des Auftritts der Groove Metaller im Wiener Gasometer ohne nähere Begründung das Konzert ab. Es stellt sich die Frage, ob die Karriere von PANTERA durch diese Absage Schaden nehmen wird. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass insbesondere Anselmo trotz gehäuften Fehlverhaltens keine Probleme damit hatte, seine Karriere fortzusetzen.

Auf der Tour 1995 erklärte er an jenem Abend in einer Rede, dass Rapper aufhören sollten auf die Kultur von Weißen zu „pissen“, der Slogan „Stop Black on Black crime“ impliziere, dass das Töten von Weißen in Ordnung sei und Weiße stolzer auf ihre Kultur sein sollten. So sei dieser Auftritt ein Ereignis für Weiße. Er entschuldigte sich später dafür. In dem SUPERJOINT-RITUAL-Song „Stealing A Page Or Two From Armed And Radical Pagans“ singt er von „feigen Muhammeds“ und „jüdischen Eliten“. Die Benutzung der Konföderiertenflagge auf dem Cover von „The Great Southern Trendkill“ betrachtet er als unpolitisch. Anselmo umwehte immer einen Hauch von Zwielichtigkeit, der seine Karriemöglichkeiten allerdings nicht einschränkte.

Ein Wendepunkt?

Das Video vom Dimebash 2016 stellte jedoch einen Einschnitt dar und wurde von vielen in der Metalszene rezipiert. Rob Flynn griff in einem vielbeachteten Video Anselmo und seine Verteidiger:innen an. Scott Ian nannte sein Verhalten „fies“ und legte ihm nahe, an das Simon Wiesenthal Center zu spenden. Das zwang Anselmo dazu, auf das Video zu reagieren, was jedoch von Unbeständigkeit geprägt war. In einem Kommentar unter dem Video behauptete er, dass das „White Power“-Gebrüll ein Insiderwitz über Weißwein war und sich einige der Leute ein dickeres Fell zulegen sollten. In einem wenige Tage später veröffentlichen Videostatement nannte er die Reaktionen völlig gerechtfertigt und bat um Entschuldigung.

Es wurden Auftritte von Anselmos anderer Band DOWN in New Orleans und beim FortaRock abgesagt, ehe die Band die gesamte Europatournee im Sommer aufgrund des Vorfalls und einer Knieoperation des Sängers abgesagte. Obendrein hat Anselmo aufgrund seinen Ausstieg aus der Band angeboten, da nun auch seine Bandkollegen kritisch beäugt worden waren.  Ungefähr neun Monate nach dem Dimebash erklärte er in einem Interview, dass ihn zwei Fans als Rassisten beschimpft hätten und er sich so zu dieser „Parodie“ habe provozieren lassen.

Bei späteren Gelegenheiten nannte er die Rassismus-Vorwürfe lächerlich, da er in einem multikulturell geprägten Viertel aufgewachsen sei und mit nichtweißen Musikern zusammenarbeite. Zudem ging er dazu über, seine Kritiker:innen in zwei Gruppen zu teilen: In Leute, die er wirklich verletzt hätte und in Heuchler, vor allem aus dem Musikgeschäft, die auf den Zug aufspringen würden. Er beklagte sich zudem über den Metaljournalismus, der ihn vorschnell verurteilt hätte, ohne sich für seine Seite der Geschichte zu interessieren.

Rückkehr zum Normalzustand

Ein halbes Jahr nach dem Vorfall fing Phil Anselmos Rehabitilation wieder an. Im August 2016 feierte er mit EYEHATEGOD und DOWN sein Livecomeback. Nach dem Anschlag in Christchurch 2019 wurde zwar ein Auftritt seiner Soloband kurzfristig abgesagt, doch seine Popularität schien nicht nachhaltig beschädigt. Das zeigte sich umso deutlicher als die PANTERA-Reunion angekündigt wurde: Die Diskussionen drehten sich in den USA nun um die Frage, ob das Zusammenraufen der beiden überlebenden PANTERA-Mitglieder respektvoll gegenüber den verstorbenen Abott-Brüdern sei. Dabei traten auch Rob Flynn und Scott Ian als Fürsprecher der Wiedervereinigung auf.

Zum Jahreswechsel wurde das Video vom Dimebash wieder hochgespült und brachte Beteiligte von Rock Am Ring/Rock Im Park in Erklärungsnot. Die Veranstalter:innen betonten, dass sie sich mit Anselmo ausgetauscht hätten und sie davon überzeugt seien, dass er kein Rassist sei. Des weiteren gebe es in allen Verträgen eine Antidiskriminerungsklausel, sodass ein Vorfall seitens des Veranstalters sanktioniert würde. Wie jüngst auch DIE TOTEN HOSEN in ihrer Stellungnahme hervorhoben, befinden sich PANTERA in einem attraktiven Geschäftsumfeld, welches offenbar keine Reibungspunkte mit dem Vorfall sieht.

Auf internationaler Ebene scheint der öffentliche Druck nicht so groß zu sein. PANTERA haben sich zu den Absagen bislang nicht öffentlich geäußert und es wirkt nicht so, als ob sie ein Interesse daran hätten. Die Band ließ etwa eine Anfrage des Guardians unbeantwortet. Phil Anselmo vermeidet seit einigen Jahren in Interviews das Thema und politische Aussagen. Und andere Geschäftspartner wie die Veranstalter der Einzelkonzerte in Deutschland äußern sich nicht zu dem Thema. Auch wenn Trinity Music, der Veranstalter des Konzerts in Berlin, erklären ließ, dass sie die Auswirkungen einer Absage prüfen lassen.

Niedrige Wellen

Auch wenn die Absagen auf den Festivals viel beachtet werden und noch nicht klar ist, welche Entwicklungen folgen werden, wirkt es aus heutiger Sicht unwahrscheinlich, dass sie tiefgreifende Auswirkungen auf die Popularität der Band haben werden. Da das diskutierte Ereignis lange zurück liegt und damals schon rege diskutiert wurde, ist es kaum anzunehmen, dass in der Metalszene viele durch diese Diskussion ihre Haltung zu der Band ändern werden oder sich ihr Standing nochmal verändert.

Die Band kann zwar in bestimmten Kontexten nicht spielen, doch der Gruppe stehen noch viele Türen offen. Vor allem, da nicht davon auszugehen ist, dass das Thema im nichtdeutschsprachigen Ausland nochmal hochkocht. Es ist eher zu erwarten, dass ein „Layla“-Effekt eintritt, also die Band mehr gestreamt wird und für ihre Einzelkonzerte mehr Tickets verkauft.

30.01.2023
Exit mobile version