Gravenhorsts Graveyard
Thin Lord

Special

Obwohl ich vor Kurzem erst 21 Jahre alt geworden bin, würde ich mich dennoch guten Gewissens als Kind der Siebziger bezeichnen. Mein erster Kontakt mit Rockmusik war KISS, mit denen ich auch weitere erste Male erlebte. Die Band ist fest mit meiner Kindheit verwoben. Nicht zuletzt auch wegen dem Film „Detroit Rock City“. Er eröffnete mir einen Einblick in das Leben des typischen 70er-Jahre-Rockers, und darüber hinaus habe ich über den Soundtrack viele weitere tolle Bands entdeckt: THE RUNAWAYS, CHEAP TRICK und THIN LIZZY, dessen Song ‚Jailbreak‘ im Film angespielt wird. Auch so eine Band, in die ich mich verliebte. Phil Lynott hatte die Ausstrahlung, von der viele seiner zeitgenössischen Kollegen träumten, und gerade die legendären atemberaubenden Doppel-Leads sorgten dafür, dass sie einen festen Platz in meinem Herzen bekam.

Über das Anschleichen

Aufgrund dieser Affinität verfolge ich auch die Retro-Rock-Szene intensiv. Aus der sticht für viele DEAD LORD heraus, eine Band mit der ich kaum Berührungspunkte hatte. Ich habe den Hype 2015 mitbekommen und sie im Vorprogramm für ’77 gesehen, wo ich sie für nett befunden habe. Im CD-Regal habe ich „Heads Held High“ stehen, das ich in einer Sonder-Aktion bei Saturn für 6,66€ gekauft habe und mir wahrscheinlich nur zwei Mal angehört habe. Warum so selten? Über dieser Band hing der andauernde THIN-LIZZY-Vergleich, der mich abschreckte. Es hat sich nicht gleich angefühlt, weswegen ich mich oft schon nach kurzem abgewendet habe.

Vor Kurzem war deren viertes Studioalbum „Surrender“ in meinem E-Mail-Postfach. Da unser DEAD-LORD-Superfan Marek Protzak die Redaktion inzwischen verlassen hat, habe ich mich dieses Albums angenommen, um die Band besser zu ergründen und nach den Jubelarien unseres Quoten-Anarchos eine nüchternere Perspektive zu bieten. Gerade bei den ersten Hördurchgängen blieb der Vergleich mit THIN LIZZY die ganze Zeit im Kopf. Sie versuchen, wie THIN LIZZY zu klingen, aber Kram klingt nicht wie Phil und die Double-Leads fühlen sich weniger erhaben an. Sollte ich das wirklich über das vierte Album einer Band schreiben, die sich in den vergangenen Jahren eine respektable Anhängerschaft erspielt hat?

Über das Rechthaben

Dieses Dilemma hat mich vor allem in einem Punkt meiner Rezensionsphilosophie bestätigt: Benutze keine Bandvergleiche, wenn es sich vermeiden lässt, ganz besonders keine positiven. Viele Bands, gerade die großen Legenden, haben bei vielen Hörern ein ganz unterschiedliches Bild hinterlassen. Für viele ist dieses Bild emotional aufgeladen, meist verbunden mit Erinnerungen, wodurch der Bandname eine ziemlich nostalgische Konnotation erhält. Das Problem ist jedoch, dass diese Konnotation für den Rezipienten vor allem in qualitativer und weniger in stilistischer Hinsicht besteht. So erwartet man als Hörer das Auslösen eines bestimmten Gefühls, was jedoch nicht erfolgt, da das Hören nun unter ganz anderen Voraussetzungen geschieht.

So war es auch bei mir: Als ich zum ersten Mal THIN LIZZY gehört habe, war das ohne Erwartungshaltung. Der Song lief und es gefiel mir einfach. Als ich mich dann mehr mit dem Œuvre der Iren auseinander gesetzt habe, habe ich einen differenzierten Eindruck mit Vorlieben für bestimmte Aspekte gewonnen. Dieser war der Maßstab für DEAD LORD. Es ging also nicht um die Qualität der Gruppe, auch nicht im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Bands, sondern um die Erfüllung dieses Eindrucks. Da die Schweden mir nicht das gegeben haben, was ich an THIN LIZZY so liebe, habe ich die Auseinandersetzung mit der Band abgeschlossen. Ein solcher Vergleich kann zwar gut gemeint sein, geht dann aber nach hinten los, weil die Erwartungen zu hoch angesetzt werden.

Über die Überwindung dank des Über-Ichs

Einen solchen Vergleich wird man aufgrund eines guten Vorsatzes nicht einfach los, vor allem, wenn er so zielgenau wie in diesem Fall ist. Ich versuchte diesen Aspekt weitesgehend auszublenden und mich auf die Songs zu konzentrieren. Inzwischen kann ich „Surrender“ als das genießen, was es ist: Ein unaufgeregtes Rock-Album mit deutlichem THIN-LIZZY-Einfluss und einigen netten Melodien, die einen zwar nicht bis in die Unendlichkeit ausflippen lassen, aber sich gut mitsummen lassen.

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18.09.2020

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