Gravenhorsts Graveyard
The Ballad Of Yoko
Special
Muss Glam Metal sexistisch sein? Es würde über das Ziel hinausschießen, ihm boshafte Intentionen zu unterstellen, Ignoranz ist treffender. Misogyne Lyrics werden dennoch oft als ein inhärentes Stilmerkmal gerechtfertigt, das sich beim Verfolgen der Devise „Sex, Drugs And Rock ‚N‘ Roll“ halt ergibt. Mehr Reflektion bedeutet weniger Party, deswegen Sexismus? Ganz so einfach ist es dann doch nicht. KISSIN‘ DYNAMITE haben auf ihrem neuen Album „Not The End Of The Road“ weiteres Anschauungsmaterial geliefert, welches das Ende der Fahnenstange nicht an der Objektivierung von Frauen ausmacht.
Dabei geht es um den Song ‚Yoko Ono‘. In der Ankündigung des Musikvideos, in dem die Influencerin Madmoiselle Peachy lasziv um die in Zwangsjacken gekleideten Bandmitglieder tanzt, wurde die japanische Aktionskünstlerin als die Sorte von Mensch bezeichnet, die „dich wie eine Spinne zunächst in ihrem Netz fängt, um dich schließlich zu benutzen und zu manipulieren.“ Im Text wird aus der ersten Person die Beziehung mit einer Frau beschrieben, die das lyrische Ich zugrunde richtet.
Dort dominieren vor allem zwei sexistische Motive: Einerseits der Mann als Brötchenverdiener, auf dessen Rechnung seine Frau ein kostspieliges Leben bestreitet. Sie wiederum übt nicht nur einen negativen Einfluss auf die monetäre Situation des lyrischen Ichs aus. Ihre wichtigste Schandtat: Sie reißt den Männerbund, die Band, auseinander. Zudem treibt sie ihn in den finanziellen Ruin. Die Bezüge auf Ono sind eindeutig, so ist die Rede vom Ende „seiner“ Band oder vom Weltfrieden als Vorwand des eigenen Luxus.
Diese scharfen Worte gehen auf die Trennung der BEATLES zurück. Obwohl sie jetzt schon ein halbes Jahrhundert her ist, ist sie immernoch ein sehr emotional aufgeladenes Ereignis. Seit jeher ist die Frage nach dem Warum ein beliebtes Diskussionsthema für Menschen, die sich mit den Fab Four beschäftigen. Damals kommunizierte die Band die Trennungsgründe sehr unklar. In der offiziellen Pressemitteilung werden sie ausgespart, McCartney sprach von „persönlichen, geschäftlichen und musikalischen Differenzen“. Man kommt nicht um das Eingeständnis herum, dass sich der Zerfall der BEATLES nur unzureichend in einem Satz beschreiben lässt.
Allein die Umstände des Dachkonzertes und des „Abbey Road“-Covers zeugen von der eingeschränkten Arbeitsfähigkeit der Band. In ständigen unauflösbaren Auseinandersetzungen mussten Entscheidungen schnell umgesetzt werden, bevor sie erodierten. Dabei gab es vielfältige Konflikte wie die Nachfolge von Brian Epstein. Spätestens auf dem weißen Album hat sich deutlich gezeigt, dass die Musiker mehr allein arbeiteten. War die Autorenangabe Lennon/McCartney nur noch eine Formalie. So sahen sie sich, vor allem Harrison und Starr, immer stärker gefangen in einem Trott, in dem sie sich nicht mehr ausleben konnten. Kein Wunder, dass bis auf Paul McCartney alle im Verlauf der letzten zwei Jahre mindestens einmal ausgestiegen sind.
Obwohl die Trennung eindeutig multikausal war, gibt es eine simple These, die sich trotz der ständigen Dementierung durch die Bandmitglieder stets gehalten hat: Yoko Ono ist schuld. Etabliert wurde dieses Narrativ durch Boulevardmedien kurz nach der Trennung in der damals fremdenfeindlichen Stimmung Englands und hatte dabei oft einen rassistischen und misogynen Unterton. Ein gängiger Spitzname für sie war Dragon Lady, wie es Talkshowmoderator Dick Cavett im verlinkten Video angesprochen hat. Dies ist auch die Bezeichnung eines cineastischen Topos, das ostasiatische Frauen als verführerisch und verschlagen charakterisiert.
Yoko Ono – Witwe von John Lennon und Japanerin
Warum ist die Abneigung ihr gegenüber so rassistisch konnontiert? Grace Hong, Direktorin des Zentrums für Studien über Frauen an der Universität Kalifornien, erklärte dies so, dass ihre äußere Erscheinung an einem westlichen Schönheitsideal bemessen wurde, welches Ono mit ihren langen schwarzen Haaren nicht erfüllte. Diese Nonkonformität war durch die öffentliche Darstellung präsent und habe eine Neidreaktion hervorgerufen, warum Lennon denn nicht mit einem netten englischen Mädchen zusammen sei. Die 88-jährige selbst führte den rassistischen Unterton ihr gegenüber auf die Gegnerschaft der USA und Japan im 2. Weltkrieg zurück.
Obwohl die Auflösung 50 Jahre her ist, die anderen Mitglieder sie im Rückblick als richtige Entscheidung betrachten und Lennon nicht mehr lebt, hält die Beschimpfung Onos nicht nur an, sondern hat sich nicht verändert. Sie wird für ihre äußere Erscheinung angegriffen, so wurde sie in Family Guy bezeichnet als „Frau, die aus dem Brunnen aus ‚The Ring‘ gekrochen ist“. Die für historische Ungenauigkeit bekannte ZDF-Comedy Sketch History nahm sich auch des Themas an. Dort wird Ono als dominante Persönlichkeit dargestellt, welche die anderen Bandmitglieder zu absurden Aufnahmen in Persiflage der Avantgarde-Alben „Unfinished Music“ zwingen würde.
Es ist zu beobachten, wie sich die Legende um Yoko Ono als ein literarisches Motiv verselbstständigt hat. Diese Entkopplung zeigt sich exemplarisch an dem nach ihr benannten ÄRZTE-Song, in dem es eigentlich um eine Frau geht, die keinen Bezug zur Witwe von John Lennon hat, außer dass sie nach Ansicht des lyrischen Ichs so sehr „nerve“ wie sie. Eine Ehefrau mit zweifelhaften Qualitäten, die ihren vor Liebe blinden Partner ins Unglück stürzt. Das ist beileibe nichts, was Ono exklusiv zugeschrieben wird, trägt dies nicht nur Züge der biblischen Erzählung von Adam und Eva, sondern auch andere Rockstarfrauen wie Courtney Love sind davon betroffen.
Und so ist es auch nur logisch, dass die Attribute, die Ono zugeschrieben werden, wenig mit dem Mythos um ihr und noch weniger mit ihrer realen Person zu tun haben. Die Herabwürdigung ihres Äußeren und die Unterstellung einer Geldgier sind Reflexe einer Gesellschaft, die ihren Frauenhass so verinnerlicht hat, dass sie ihn nur mühselig zu erkennen vermag. KISSIN‘ DYNAMITE schwimmen in diesen Strom mit, in dem sich auch der Glam Metal befindet. Sie haben nicht den Weg reingesucht, aber genießen den Platz, auf dem sie ihren patriarchalen Hedonismus ausleben können. Das ist schade, denn es bräuchte mehr Menschen, die wir stolz als eine Yoko Ono bezeichnen könnten.