Gravenhorsts Graveyard
Komplette Alben auf YouTube
Special
Eigentlich sind Musikjournalisten die letzten, von denen man etwas über den Wandel der Musikrezeption in Folge der Digitalisierung lesen möchte. Heul, fehlende Einordnung. Brüll, Bedeutungsverlust der Musikkritik. Schnief, Unübersichtlichkeit. Dennoch ist dieses Thema so wichtig, dass es sich lohnt, sich dem aus einer nutzerorientierte Perspektive anzunähern. Anstatt aber wieder den Blick auf das böse Spotify zu lenken, möchte ich mich aber einer anderen Plattform zuwenden, die in der Frage des Musikstreamings seltsamerweise oft übersehen wird: YouTube.
Wobei es nicht direkt um die Plattform selbst, sondern um eine bestimmte Form von Kanälen geht, wie NWOTHM Full Albums, 666MrDoom oder Black Metal Promotion. Diese Kanäle haben Abonennten im mindestens hohen fünfstelligen Bereich. Hauptsächlich laden sie mit Einverständnis der Bands Alben hoch. Daneben gibt es exklusive Videopremieren. NWOTHM Full Albums geht da noch einen Schritt weiter und bietet sogar redaktionelle Formate an.
Kuratör
Diese Kanäle nehmen eine Kuratorrolle ein. Sie selektieren aus den ihnen zugesandten Alben eine bestimmte Anzahl, die dann für den YouTube-Kanal aufbereitet wird. Im Gegensatz zu Musikmagazinen bewerten sie die Alben nicht und präsentieren sie den Rezipienten als nominell gleichwertig, daneben fehlt auch die charakterische Stilisierung und Einbettung in den Genre-Kontext. Beim Durchsuchen des Musikdschungels müssen sich Fans nicht eine Meinung auf Basis von schroffen Urteilen und alberne Alliterationen bilden, sondern aber so einen direkten Zugang zur Musik.
Für Bands sind diese Kanäle ein nicht zu unterschätzendes Marketingtool. Bei Black Metal Promotion haben die Videos in der Regel fünfstellige Abrufzahlen und so manche Bands konnten auf der Basis dieser Videos eine Karriere starten: Der Hype um RIOT CITY (Happy 2nd anniversary!) ist nicht unwesentlich darauf zurückzuführen, dass ihr Album „Burn The Night“ schon einen Monat vor Release auf NWOTHM Full Albums veröffentlicht wurde.
Das Sprüngbrett
Auch bei BUTTERFLY und VIDEO NASTY war es jeweils so, dass sie ihre Veröffentlichungen zunächst in Eigenregie auf den Markt geworfen haben und danach sich Petrichor Records bei ihnen gemeldet haben, welche die Alben nochmal herausgebracht haben. Gerade in diesen beiden Fällen kam ich wegen des Musikselektionsprozess bei uns ins Grübeln, weil es erst eine professionelle Promotion-Kampagne brauchte, damit wir auf diese beiden Releses aufmerksam wurden.
Allerdings erwächst daraus eine neue Unübersichtlichkeit. Bei Black Metal Promotion sind in den letzten sieben Tagen 15 neue Videos hochgeladen worden. Wenn man den Anspruch eines Gesamtüberblicks über zumindest ein Subgenre hat und sich nicht jeden Tag mindestens zwei Videos ansehen will, kommt man um regelmäßige lange YouTube-Abende gar nicht herum. Die können auch ihren Reiz haben, aber manchmal nervt es, wenn von 20 Bands letztendlich doch nur zwei brauchbar sind.
Die Hoffnüng?
Diese Kanäle spiegeln somit ein Problem wieder, welches mit dem heutigen Musikmarkt verbunden wird: Der Überfluss. Gerade die Bewertung ist zeitintensiv. Interessanterweise steuert NWOTHM Full Albums in Form von redaktionellen Beiträgen gegen dieses Phänomen. Aber das grundlegende Prinzip dieser Kanäle stimmt hoffnungsvoller für die Zukunft der Musik als die Algorithmen von Spotify.