Gravenhorsts Graveyard
Die Beerdigung von AC/DC
Special
Die Veröffentlichung eines neuen AC/DC-Albums löst oft ein Gefühl der Erleichterung aus. Dabei geht es jedoch nicht um die Vorfreude auf den jüngsten Geniestreich der Australier, sondern vielmehr um die Gewissheit, dass der Hype nun endlich abflauen wird. In den letzten Jahren hat jeder Furz um eine mögliche neue AC/DC-Platte ein breites Presse-Echo bekommen: Vieldeutige Fotos, nichtssagende Straßengerüchte und sogar Dee Snider, der seit der Auflösung von TWISTED SISTER nur noch Blabbermouth-Lesern ein Begriff ist, versorgte die Öffentlichkeit mit ein paar Informationen, die zwar viel beachtet wurden, sich letztlich aber als falsch herausgestellt haben. Die Qualität dieser Neuigkeiten hatte etwas von Stalking und Tratsch, eigentlich zwei hässliche Dinge.
Im Vorfeld des Albums haben die Rock-’n‘-Roll-Veteranen nur mäßig interessante Musik veröffentlicht: ‚Shot In The Dark‘ und ‚Realize‘ haben den Eindruck gemacht, als ob Teile aus anderen AC/DC-Songs ausgeschnitten wurden und nun neu zusammengesetzt wurden. Das ist ein Gedanke, der sich bei fortschreitender Dauer des Albums manifestiert. „Power Up“ ist dadurch nicht zwingend langweilig, doch es bleibt die ganze Zeit das Gefühl, dass man entsprechende Parts schon mal gehört hat. Im wahrsten Sinne des Wortes. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass Angus Young den Papierkorb von seinem Bruder geplündert hat und er deswegen auch als Komponist bei jedem Song geführt ist. Vielleicht wollte Malcolm Young die Songs aus diesem Grund nicht veröffentlichen?
Die ewig junge Meinung
Dass auch dieses Album nur ein lauwarmer Aufguss alter Ideen ist, kam keineswegs überraschend. Schon seit mindestens 35 Jahren fragt man sich bei jedem neuen AC/DC-Album, wie uninspiriert es dieses Mal wird. Es fing mit „Back In Black“ an, welches nur noch eine zahme Version des ohnehin schon geglätten „Highway To Hell“ war. Es kommen vor allem die Achtziger-Ausfälle „Flick Of The Switch“ und „Fly On The Wall“ in den Sinn. Aber auch Scheiben wie „Ballbreaker“ oder „Stiff Upper Lip“ sind kein Bündel an überbordender Kreativität. Das letzte Album „Rock Or Bust“ zeigt einen alten zahnlosen Löwen.
Auch AC/DC-Konzerte sind heutzutage befremdliche Veranstaltungen. Es fängt beim Eintrittspreis an. Aus dem Hard-Rock-Sektor waren sie die erste Band, für die man auf ihrer Deutschland-Tour 2015 einen dreistelligen Eintrittspreis bezahlen musste. Weiter geht es beim Publikum. Die hohen Kosten haben für eine soziale Selektion gesorgt, die dafür dubiose Gestalten anlockt. Dazu kommen die Auftritte selbst. Meistens geht es mit dem Alibi-Song vom neuen Album los, ehe das Quintett so tut, als ob es seit Anfang der Achtziger Jahre kein Aufnahme-Studio mehr von innen gesehen hat. Auf dem Nachhauseweg fragt man sich aufgewühlt „Ist Rock tot? Bleibt Rock tot? Und haben wir ihn getötet? Nichts kann uns trösten, wir Mörder aller Mörder.“
It’s not a long way to the top (if you have a famous brother)
Dabei waren AC/DC schon immer eine Band, die ihre Attitüde ernster als ihre Musik genommen hat. Es ging immer darum zu vermitteln, dass sie harte, bodenständige Arbeiter-Jungs sind. Die Young-Brüder hatten gerade die Volljährigkeit erreicht, als sie mit der Band anfingen. Ihren Erfolg haben sie vor allem ihrer priviligierten Stellung zu verdanken. Sie wurden massiv gefördert von ihren Verwandten George Young, der als Mitglied der EASYBEATS zu den größten australischen Musikern seiner Zeit zählte. Er half mit Know-how und Kontakten in die Musikindustrie aus. Dadurch hatten sie schon früh einen leichten Zugang zum Musik-Markt. Also im Vergleich zu den Zeitgenossen von ROSE TATTOO kann man über das Harte-Jungs-Image nur müde lächeln.
Ironischerweise beschreibt ausgerechnet deren Song „Nice Boys“ die Attraktivität von AC/DC für junge Fans. Da AC/DC vom bürgerlich-konservativen Teil der Gesellschaft als hart empfunden wurde, konnten viele Jugendliche die mit der Band assoziierte Härte nutzen, um sich selbst als hart zu profilieren und sich auch von allem Unmännlichen abzugrenzen. Für Jungen zu Beginn ihrer Pubertät ist das wichtig, gerade um ihre Geschlechterrolle auszufüllen. Diesen soziokulturellen Einfluss konnte die Band nur ausüben, weil sie ein Massenphänomen sind. Als ROSE-TATTOO-Fan funktioniert das bedingt, da das Quintett nur wenigen bekannt ist.
Früher mag diese Abgrezungsstrategie noch funktioniert haben und heutzutage gibt es immer noch viele, die an ihre Wirksamkeit glauben, aber die Band ist inzwischen längst in der Mitte der Gesellschaft verankert. Songs wie „T.N.T“ oder „Highway To Hell“ sind landauf und landab bekannt. Jedes neue Album steigt auf Platz 1 der Charts ein. Der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der jüngst durch seine Lobbyarbeit für Wirecard im Gespräch war, klatscht in der Öffentlichkeit begeistert mit. AC/DC sind Teil des Kulturkanons.
Bahn frei
Dabei wurden sie schon lange von jungen Bands überholt, AIRBOURNE ist da nur das bekannteste Beispiel, welches sich selbst schon auf den Festivalplakaten immer weiter nach oben gearbeitet hat. Die AIRBOURNE von morgen sind THUNDERMOTHER. Die Schwedinnen zählen dank ihrer ausgiebigen Touren zu den aufsteigenden Sternen. Das letzte Album „Heat Wave“ lässt eine Steigerung erhoffen. Länger dabei, aber immer ein bisschen für sich sind 77. Sie konnten dem Riffrock auf ihrem letzten Album „Bright Gloom“ sogar eine angenehm düstere Seite abgewinnen.
Es gibt genügend Gründe, um diesen Hype nicht mehr mitzutragen. AC/DC haben sich zu dem entwickelt, wogegen der Rock vor 40 Jahren stand, obwohl sie oft noch als Inbegriff von ebenjenen angesehen werden und dementsprechend als Gottheit behandelt werden, gerade von der Musikpresse. Musikalisch bleiben sie innerhalb der eigenen Konventionen, was natürlich auch die positive Massenwirkung bedingt. Und die Besonderheiten, ein Fan dieser Gruppe zu sein, sind in vielerlei Hinsicht weggebrochen. Es gibt nur noch eine Lösung: Wir sollten AC/DC umbringen. Nur das wäre der Trost für uns Mörder aller Mörder.