Gravenhorsts Graveyard
April 2020

Special

Unter den Phänomenen in der heutigen Musik-Landschaft gibt es wohl kaum ein zweischneidigeres Schwert als die Veröffentlichungsflut: Dadurch, dass nun jeder mit einem Internetzugang ein Album veröffentlichen kann, gibt es ein breiteres Angebot an Bands. Viele unbekannte, begabte Musiker und auch ganze Labels konnten sich darüber eine Existenz aufbauen. Allerdings ist diese Masse unübersichtlich geworden. Draußen schlummern überwältigend viele unentdeckte Bands, die allesamt ein hohes Niveau erreichen, aber unverdienterweise ungehört bleiben.

Daraus folgt, dass sich ein richtiger Tonträger-Purismus, wie ihn viele gerne propagieren, sich heute nicht mehr leisten lässt. Einerseits fehlt der Platz, um alle relevanten Tonträger mehrerer Jahrzehnte aufzubewahren. Und es sollte überdeutlich sein, dass man doch ein sehr eingeschränktes Bild vom Markt bekommt, wenn man drauf besteht, die Neuerscheinung auf Vinyl für 20€ zu kaufen.

Als Musikjournalist hat man mit dieser Flut besonders zu kämpfen. Einerseits wird man mit Bemusterungen überschüttet, aus denen man dann die Perlen suchen muss, die einen dann aber begeistern. Andererseits sind die Kapazitäten begrenzt, weshalb man viele von diesen Perlen nicht unterbringen kann. Schließlich haben wir begrenzte Ressourcen und können nicht allein nach der Qualität eines Albums entscheiden. Auch wenn es absehbar ist, dass das neue MANOWAR-Album ein Rohrkrepierer wird, so werden wir es doch besprechen, weil viele unserer Leser daran interessiert sind. Dagegen verschmerzen es wohl viele, wenn das Debüt einer aufstrebenden kanadischen Hard-Rock-Band unerwähnt bleibt.

Gerade bei mir ist es häufig so, dass ich meine Wünsche nur zähneknirschend auf eine handvoll runterstreichen kann. Um diesen Missstand entgegen zu treten, stelle ich nun monatlich einige Platten, denen ich zwar keine ausführliche Würdigung zu teil werden lassen kann, die trotzdem aber einen kurzen Auftritt im Scheinwerferlicht verdienen. Diese stammen zumeist aus den Genres, die ich üblicherweise auch bespreche, also Hard, Alternative und Stoner Rock, sowie Heavy und Thrash Metal.

Ich wünsche viel Spaß beim Reinhören.


DEMONIC DEATH JUDGE – The Trail

Sludge/Stoner Rock
Suicide Records
VÖ: 27. März 2020
10 Songs/48:16

Es ist schon irgendwie seltsam: Obwohl DEMONIC DEATH JUDGE so ein cooler Name ist, trägt ihn nur eine Band und zwar die finnischen Sludger. Unterwegs sind sie schon seit 2009, „The Trail“ ist ihr viertes Studioalbum, welches herrlich düster dröhnt. Die Hauptmerkmale des Sounds sind staubige Riffs, ein zwingender Groove und fieses Gekeife. Dabei kommt insbesondere dem Spiel mit der Dynamik eine besondere Bedeutung zu, lockert es Songs wie ‚Spaceshifting Serpents‘ auf. „The Trail“ ist damit zwar zu keinem Zeitpunkt besonders spektakulär, wirkt aber gerade durch seine Vorhersehbarkeit so meditativ, dass die Platte sich bedenkenlos bei Erledigungen anhören lässt.

FREEWAYS – True Bearings

Blues driven seventies rock
Temple Of Mystery Records
VÖ: 3. April 2020
7 Songs/33:22

Bei den Kanadiern FREEWAYS lässt es sich ruhigen Gewissens von einer Rocker-Gruppe aus dem Nichts reden. Vor einem Jahr haben sie auf dem „Trapped Under Ice“-Sampler einen Beitrag gehabt, der heraus stach. Nicht nur für mich, denn sie wurden auch prompt zum Storm Crusher-Festival eingeladen. Nun haben sie Anfang April mit „True Bearings“ ihr Debüt veröffentlicht, auf dem sie Siebziger-Nostalgie vom feinsten bieten. Das Quartett spielt harten Blues, um genau zu sein. Der Sänger überzeugt mit einer Lässigkeit, die sonst für Phil Lynott charakteristisch ist und auch die melodische Gitarrenarbeit weiß die Blues-Rhythmik zu umschmeicheln. Dass dabei so coole Songs wie ‚Sorrow (Was Her Name)‘ herauskommen, ist nicht überraschend. Mit 33 Minuten fällt die Platte zwar kurz aus, aber lohnenswert.

KEVERRA – Keverra

Sludge, Post-Punk, Noise Rock und was immer euch einfällt
Seeing Red Records
VÖ: 1. Mai 2020
10 Songs/36:05

KEVERRA stammen aus Kalifornien und legen ihr unbetiteltes Debüt vor. Darauf spielen sie Sludge und garnieren das mit Post-Punk und Noise-Rock-Elementen. Und verdammt, das klingt richtig gut. Denn sie haben Ahnung vom Songwriting und wissen, wie sie die Hörer zum Weiterhören bringen können. Anstatt auf fortdauernde Wiederholung zu setzen, entwickeln sich ihre Tracks. Sie haben Intros und bieten Gelegenheiten zum Durchschnaufen. Dabei können sie prägnante Momente kreieren. Die lärmende Produktion tut ihr übriges. Ein entscheidender Twist fehlt noch, um auch Nicht-Genre-Fans über die volle Albumdistanz zu begeistern, aber dennoch bieten die Kalifornier einen sehr starken Einstand.

SKYRYDER – Vol. 2

NWoBHM
High Roller Records
VÖ: 27. März 2020
5 Songs/23:51

Auch wenn Nordamerika momentan als der Hotspot für neue traditionelle Metal-Bands gilt, so vermehren sich auch in der alten Welt, genauer Großbritannien, wieder die Stahlschmieden. SKYRYDER aus dem Nordosten Englands zählen zu diesen Stahl-Lehrlingen. Mit „Vol. 2“ ist jüngst ihre zweite EP bei High Roller erschienen und auch auf ihr wird klassischer NWoBHM inklusive Twin-Gitarren-Soli und dünnen Sound geboten. Dabei läuft alles überraschungsfrei ab, so dass die eingängigen Refrains das wesentliche Erkennungsmerkmal bilden. Somit ist diese EP ein klassisches Nischenprodukt, dem Traditionalisten unbedingt Gehör schenken sollten.

27.04.2020
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