Gravenhorsts Graveyard
Alles auf Anfang?
Special
In den letzten beiden Jahren war der Konzertbetrieb im On-Off-Modus: Kurzfristige Ansetzungen, neue Formate. Besucher:innen wurde einiges an Flexibilität abverlangt. So ging es mir auch in diesem Frühjahr wieder als ziemlich unvermittelt die Clubs öffneten. Nachdem monatelang kein Konzertbesuch möglich war, musste ich mich nun richtiggehend daran gewöhnen, dass wieder Konzerte stattfinden und dabei auch panisch einen Blick auf die vergilbten Konzertkarten an der Kühlschranktür werfen, denn im Gegensatz zu früheren Phasen der Pandemien werden jetzt auch lang verschobene Tourneen durchgeführt.
Für mich war die Situation nochmal besonders überfordernd, da ich während der Pandemie in eine neue Stadt gezogen bin und dementsprechend einen neuen Zugriff auf das metallische Programm vor Ort brauchte, denn den einschlägigen Locations auf Facebook zu folgen, reichte nicht mehr. Trotz aller Hindernisse versuchte ich wieder auf mein Vorcoronapensum zu kommen, ehe ich nach dem dritten Konzert gestoppt wurde: Ich hatte mich nun selbst mit Corona infiziert.
Sleeping My Day Away
Der Krankheitsverlauf war einigermaßen mild: Einen Tag habe ich das Bett gehütet, anschließend machte sich das Virus vor allem durch einen Schnupfen bemerbar und angesichts der neuen Quarantäneregelungen konnte ich nach acht Tagen wieder gewohnt meinem Studium nachgehen. Also alles wieder zurück zum alten? In meiner Inkubationszeit hatte ich viele Kontakte und war währenddessen sogar auf einem Konzert, habe das Virus also ordentlich weiterverbreitet. In der Folge habe ich mir Vorwürfe gemacht, dass ich andere Menschen gefährdet habe und stelle mir nun die Frage, wie ich die Wiederholung dieser Situation in Zukunft vermeiden kann, schließlich ist Corona immernoch im Umlauf.
Die individuelle Vorsicht korrespondierte bei mir bislang stark mit den Pandemieeindämmungsmaßnahmen: Im Sommer ging ich also öfter zu Konzerten und in die Gastronomie, während ich im Winter wert darauf gelegt habe, bloß nicht zu viele Menschen zu treffen. Momentan befinden wir uns in einer Phase, in welcher der Staat die Pandemiebekämpfung weitesgehend dem Individuum überlässt. Viele Maßnahmen wurden abgeschafft, nun ist Eigenverantwortung das Gebot der Stunde. Lange habe ich das Wort als politischen Kampfbegriff abgetan, aber nun finde ich es tatsächlich interessant zu wissen, ob hinter diesem Schlagwort mehr steckt, als den Infektionsschutz zur Privatsache zu erklären.
Viel hilft viel
Mit dem Wort verbunden ist die Frage, wie man nach der weitesgehenden Abschaffung der Maßnahmen der Infektionsgefahr Rechnung tragen sollte. Als erster Impuls fallen da bewährte Hilfsmittel wie die Warnapp, Antigentests und Masken ein. Doch all diesen Möglichkeiten gemein ist, dass der Schutz geringer ausfällt, je weniger Menschen darauf zurückgreifen. Vielleicht ist Kontaktreduktion das probatere Mittel, also tatsächlich zu weniger Konzerten mit wenig Besucher:innen zu gehen, anstatt über den Sommer über alle Äcker des Landes zu hoppen. Damit würde man immerhin selbst weniger Möglichkeiten haben, andere anzustecken.
Am geringsten ist die Ansteckungsgefahr, wenn man auf keine Konzerte geht, würden wohl einige einwenden. Doch eine konsequente Null-Kontakte-Politik ist für mich nicht mit meinem Studium vereinbar, wo ich wiederum Kontakte mit mehr Menschen als auf Konzerten habe. Zudem sorge ich mich um den Zustand der Szene. Die Reaktionen auf kleine Konzerte waren in den vergangenen Monaten eher verhalten und zu den Einnahmeausfällen der vergangenen Jahre kommen noch gestiegene Preise hinzu, welche die Akteure der Szene allerseits belasten.
Spürbares Unbehagen
Es ist schwer, diese Widersprüche aufzulösen, gerade wenn auch ich mich nicht von der Pandemiemüdigkeit freisprechen kann und unbedingt wieder auf Konzerte will. So kam es, dass ich inzwischen mein erstes Konzert seit meiner Infektion besucht habe. Mir war es wichtig, mich vorher zu testen, was ich vorher der Faulheit halber selten gemacht habe. Auf dem Konzert lief ich weitesgehend ohne Maske herum, aber als ich einen der Musiker vollgequatscht habe, hatte ich auch die Maske auf, wie übrigens alle Bandmitglieder. Nach fünf Tagen habe ich immernoch keine Meldung von der Corona-Warnapp bekommen.
Ich musste in der Zeit oft an das Interview denken, dass ich mit Danny Bowes von THUNDER geführt habe. Ich habe ihn auf die ersten Konzerte ohne Gesundheitsschutz angesprochen und er sprach von einem spürbaren Unbehagen im Publikum. Des weiteren sprach er auch davon, dass der Pandemiezustand nicht vorbei ist. Für mich trifft es diese Situation am besten: Wir sind in einer Lage, die sich wie die Vorpandemiezeit anfühlt, doch das Virus steht immernoch wie der Elefant im Raum, weil es sich immernoch stark verbreitet und auch die Pandemiefolgen spürbar sind. Ich wünsche mir, dass man das anerkennt anstatt möglichst schnell wieder in den Vorpandemiemodus schalten zu wollen.
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