Gojira
L'Enfant Sauvage: Das meint die Redaktion

Special

Gojira

Mit dem Wechsel zu Roadrunner dürften die Franzosen von GOJIRA problemlos in der Lage sein, ihre Fan-Gemeinde erheblich zu vergrößern. Aber können vermeintliche Massenkompabilität und die GOJIRAesken Trademarks Hand in Hand gehen? Kollege Eugen meint „Ja!“ – doch geht das den anderen metal.de Redakteuren ähnlich?

Wären GOJIRA nicht längst über den Status eines Geheimtipps hinaus, könnte ich an dieser Stelle darüber philosophieren, woran man einer Band eigentlich anmerkt, dass sie musikalisch ganz genau weiß, was sie tut, dass hohe Qualität bei ihr kein Zufall ist und ob ihr Erfolg eigentlich gerechtfertigt ist. Ohne diese Frage explizit zu stellen, kann ich „L’Enfant Sauvage“ ohne Weiteres als Antwort auf alle diese Teilaspekte heranziehen. Das fünfte Album der Franzosen um die Gebrüder Duplantier gibt nämlich über genau diese Authentizität und künstlerisch integre Vision Auskunft.

Zunächst sind GOJIRA immer noch GOJIRA. Die besonders auf den Vorgängern „From Mars To Sirius“ und „The Way Of All Flesh“ beinahe zur Perfektion gebrachten Trademarks lassen sich auf Anhieb ausmachen und beherrschen weite Teile des Albums: Hier und dort die Grenze zur Polyrhythmik überschreitende Stakkato-Motive, extrem grooviges und dynamisches Schlagzeug, gepresst-melodische Vocals; auch das bereits in „Global Warming“ exerzierte und in „Oroborus“ intensivierte Tapping findet sich auf „L’Enfant Sauvage“. Wer die Band kennt und mag, sollte also keine Schwierigkeiten haben, auch mit der neuen Scheibe warm zu werden.

Entscheidend ist aber meines Erachtens, dass GOJIRA sich nicht auf ihren letzten beiden Geniestreichen ausruhen und somit stehenbleiben, sondern ihrer Musik trotz allem Wiedererkennungswert eine neue Dimension hinzufügen. Worin besteht diese nun? Mir scheint, als hätten GOJIRA seit dem sehr direkten „The Way Of All Flesh“ ihr musikalisches Harmonie-Verständnis erweitert (selbst im Vergleich zum melodie-lastigeren „From Mars To Sirius“), wie Songs wie „Born In Winter“ oder der Schluss von „Planned Obsolescence“ eindrucksvoll zeigen. Dadurch gewinnt das gesamte Album an emotionaler Tiefe und kombiniert die Charakteristika der beiden Vorgänger-Alben nicht nur, sondern wächst in dieser Synthese über die bisherigen Veröffentlichungen hinaus. GOJIRA gehen ihren Weg weiter und behalten ihren Blick für das Außergewöhnliche.

Als wäre all das noch nicht genug, muss ich bei Genuss von „L’Enfant Sauvage“ begeistert feststellen, dass GOJIRA auch aus „technischer“ Hinsicht einige Fortschritte verzeichnen können – sofern man bei technisch derart ausgefuchster Musik überhaupt davon sprechen kann. So ist Joseph Duplantiers Gesang noch sicherer geworden und verstärkt das Songmaterial kräftiger als zuvor. Außerdem sind die neuen GOJIRA-Songs wesentlich kompakter, fokussierter. Das ist natürlich einerseits schade, da ein Kracher wie „The Art Of Dying“ nicht mehr dabei ist, andererseits stellt das Material die Essenz GOJIRAs weiter in den Vordergrund.

Kurzum: GOJIRA legen mit „L’Enfant Sauvage“ eine rundum gelungene Fortsetzung ihrer bisherigen Alben vor und zeigen trotz aller Eingängigkeit und trotz ihres markanten Stils den Willen zur Weiterentwicklung. Danke. (9/10)

(Falk Wehmeier)

Die Franzosen GOJIRA machen ihrem Namen alle Ehre und kredenzen uns ein wahrhaftes Monster von Album. Für mich war (und ist nach wie vor) „From Mars To Sirius“ (2005) der Meilenstein der Band, den Nachfolger „The Way Of All Flesh“ (2008) fand ich verhältnismäßig ernüchternd und über die gesamte Spieldauer auch recht eintönig, fast schon langweilig. Meines Empfindens nach fehlten diesem Album die Power, die Abwechslung und der wirkliche Tiefgang. Nun steht „L’Enfant Sauvage“ parat, und um es vorweg zu nehmen: GOJIRA haben ihre Stärken wiedergefunden und vorzüglich weiterentwickelt. Das Album ist teilweise schwer und düster, aber auch losgelöst von stilistischen Fesseln und alten Grenzen. Spontan würde ich es als gesunde Mischung aus „From Mars To Sirius“ und „The Way Of All Flesh“ bezeichnen. Das neue Album präsentiert GOJIRA in super Form, auch wen ich denke, dass hier zukünftig noch mehr drin ist.

Erstaunlich finde ich, dass manche Parts regelrecht positiv klingen und auch so etwas wie Hoffnung vermitteln. Allein der Gesang, der von der Tonlage her am Ende einer Textzeile oft abfällt und dadurch eine gewisse emotionale Schwere in sich trägt, zeugt hier von negativer Stimmung. Dann werden die Jungs sogar zwischenzeitlich wild und blasten sich und dem Hörer mit „Planned Obsolescence“ und „Pain Is A Master“ gern mal die Birne weg. Schöner Kontrast und positiv für die Abwechslung. Toll zu hören ist auch, dass GOJIRA ihre Melodieausläufer in den Riffs behalten und diese trotz „typischem GOJIRA-Stil“ immer wieder neu und frisch interpretieren. So erzeugen sie eine Mischung aus melancholischer Schwere und irgendwie auch hoffnungstragender Leichtigkeit.

Die Produktion ist sauber und trotzdem fett, ohne jedoch klinisch und zu trocken zu klingen. Sehr detailliert heraushörbar sind die einzelnen Elemente und besonders der Gesang wirkt wieder sehr präsent, was die Musik einfach perfekt ergänzt. Klasse Job. „L’Enfant Sauvage“ ist der Griff nach den Sternen für eine Band wie GOJIRA. Richtig gutes Album,  super Leistung. Weiter so! (8/10)

(Matthias Olejnik)

Immer dann, wenn große Dinge anstehen, hält man – zum Teil auch unbewusst – nach Vorzeichen Ausschau. Dass GOJIRA mittlerweile zu einer großen Sache geworden sind und somit auch deren neue Veröffentlichung reges Interesse findet – klare Sache!

Aber da musste ich, als ich im Netz Neuigkeiten über die kommende Scheibe suchte, entsetzt eine Frotzelei über die Bedeutung des Albumtitels lesen:

„L’Enfant Sauvage“ – übersetzt: „Die Elefantenwurst“

Da war es – das Vorzeichen! Und womöglich ein ganz schlechtes Omen! Würde sich die Platte auch wie Elefantenwurst anhören?

Nach dem ersten Genuss des Openers „Explode“ stand fast: Eindeutig Rüsseltier!

Eigentlich ist ja alles da: der typische GOJIRA-Groove, dann ein elegischer Teil. Doch die kennzeichnende Dynamik durch verquere Polyrhythmik schmeckt leicht ranzig. Ein blöder Opener – aber irgendwie dann doch kein schlechter Track. Hmmm… mal weiterhören! Der nachfolgende, aus dem Netz bereits hinlänglich bekannte Titeltrack bietet wieder die Kost, die uns die Franzosen schon mit dem Vorgänger „The Way Of All Flesh“ angeboten haben, auch wenn er sich nicht ganz in Schlagweite zu solchen Krachern wie meinetwegen „Vacuity“ oder „All The Tears“ befindet… oder doch?

Mit „The Axe“ kommt hiernach wieder ein hübsch schleppender Rhythmus zum Tragen, gepaart mit subtiler Melodie. Ein Fest der Eingängigkeit, doch befürchtet man fast, die Jungs seien vielleicht zu harmlos, zahnlos geworden.

„Liquid Fire“ wird schneller, auch wenn neben Quietsch-Klampfen Elegie und Melancholie nicht zu kurz kommen; hier nervt allenfalls der dämliche Vocoder-Effekt, für den CYNIC schon hätten bestraft werden müssen [Naja, in „A Sight To Behold“ auf dem Vorgänger benutzten GOJIRA auch schon den Vocoder… – Falk]. Das nachfolgende „The Wild Healer“ lebt im Super Mario-Land und bereitet nur ungenügend auf das zunächst sehr ereignislos daherkommende „Planned Obsolescence“ vor.

Dann aber kommt „Impermanence“ [so heißt der Song zumindest in der Promo-Version. Auf der Veröffentlichung heißt er offenbar „Mouth Of Kala“ – Anm. d. Red.] und schleicht sich zunächst hinterhältig an… Quatsch! Das bricht über einen herein! Was dann folgt, ist der Sprung in den GOJIRA-Hyperraum. Alles ist ebenso mächtig wie atmosphärisch dicht. Purer Donner und Dynamik! Das ist gleichermaßen explosiv wie wuchtig! Hier beweist die Kapelle wieder ihre hehre Fähigkeit, Songs von elaborierter Erhabenheit und Majestät zu schaffen. Das Ding ist dann nicht nur in Schlagweise zu oben genannten Songs wie „Love“ und Konsorten, sondern übertrifft auch die Klasse von „Flying Whales“. Hier hört man destillierte GOJIRA. Groß!

Die nachfolgenden „The Gift Of Guilt“ und „Pain Is A Master“ glänzen mit Speed, reichlich Dampf, klug gesetzten Breaks und ausreichender Härte, bis danach „Born In Winter“ wieder einen, zwei Gänge runterschaltet und den bis dato ergreifendsten Refrain der Bandgeschichte bietet. Das abschließende „The Fall“ klingt zu Beginn gar nach ein wenig Industrial, gerät dann zu einem schweren Schlepper und mutet fast schon Soundtrack-artig an.

Dabei ist die Produktion wieder zwingend, kompakt, ins Gesicht drückend und doch transparent genug.

Das Beste: Lässt man die Elefantenwurst einige Male rotieren, schmeckt sie mit jedem Male besser und gehaltvoller. Sie ist nicht zu leicht zu erschließen wie der Vorgänger, obwohl die Jungs hier stellenweise noch vertrackter zu Werke gingen. Die Klasse so mancher Songs, die zuerst nur so dahinzuplätschern schienen, offenbart sich erst nach mehrmaligem Hörer. So sind die Details noch feiner und die erste Enttäuschung, dass die vier Jungs nicht ständig Vollgas geben, verfliegt mit jedem Genuss des vielschichten Materials immer mehr, wenn man Stimmung und Atmosphäre ebensoviel Bedeutung beimisst, wie der schieren Raserei.

GOJIRA bleiben also eine große Sache und der aktuelle Output ist dazu angetan, eine noch größere daraus zu machen – ganz entgegen der Vorzeichen! (9/10)

(Jost Frommhold)

GOJIRA ist eindeutig eine Band, die polarisiert, denn entweder man liebt die Musik der vier Franzosen, oder eben nicht. Ein Dazwischen gibt es da fast nicht. Und ich gebe es lieber gleich zu: Ich für meinen Teil gehöre definitiv zu Ersteren und konnte bisher ausnahmslos mit jedem Album warm werden, auch wenn der letzte Streich „The Way Of All Flesh“ nicht ganz meine zugegebenermaßen extrem hoch gesteckten Erwartungen erfüllen konnte. Nun, vier lange Jahre nach eben diesem letzten Lebenszeichen in Albumform und der vor Kurzem veröffentlichten DVD „The Flesh Alive“ steht mit „L’Enfant Sauvage“ der neueste Geniestreich in den Startlöchern und die Spannung unter den Fans ist natürlich mehr als gerechtfertigt. Werden die Musiker aufgrund ihrer Tourneen mit METALLICA oder IN FLAMES eingängiger oder gar poppiger? Und wie schlägt sich der Erfolg in den USA auf das Schaffen nieder?

Um es gleich vorweg zu nehmen: GOJIRA sind definitiv sie selbst geblieben und das untermauern die Musiker auch mit den ersten Takten des Openers „Explode“. Hier ist der Name Programm, denn eine rhythmische Eruption jagt die nächste, nur um sich im späteren Verlauf auf ein Duell mit Westerngitarren einzulassen. Der vorab als Single ausgekoppelte Titelsong wirkt im Gegensatz dazu zwar fast schon poppig, offenbart aber mit seiner drückenden GRundstimmung, wofür GOJIRA anno 2012 stehen. Bei all dem Rhythmuswahnsinn und manischer Wucht schleichen sich vemehrt griffige Hooklines in das Geschehen ein, was „L’Enfant Sauvage“ eine angenehm neue Note verleiht. Natürlich sind die Musiker noch meilenweit davon entfernt, kommerziell zu werden, aber sie schaffen es dennoch gekonnt, den Wiedererkennungswert weiter zu steigern. Das wird neben den ausgeklügelten Kompositionen auch an Sänger Joes Organ deutlich, welches noch wesentlich dynamischer und abwechslungsreicher klingt als es das in der Vergangenheit je getan hat. Über das spielerische Vermögen muss man an dieser Stelle sicher keine Wort mehr verlieren, denn dies ist auch hier wieder über allen Zweifel erhaben, aber wer hätte auch Anderes erwartet?

Eigenständigket war schon immer das große Plus GOJIRAs und wird auf dem aktuellen Werkl nun noch weiter bis zur Perfektion ausgebaut. Zwischen aggressiven Ausbrüchen der Marke „Liquid Fire“, „Planned Obsolescence“ oder „Impermanence“ findet man mit „The Wild Healer“ auch wieder den obligatorischen ruhigen Exkurs, der als angenehme Verschnaufpause zwischen den Songs dient, um danach mit gesteigerter Härte wieder zuzuschlagen, Mit „The Gift Of Guilt“ und „Born In Winter“ erschaffen GOJIRA gegen Ende sogar nochmal zwei großartige Hits, welche dem früheren Schaffen der Band in nichts nachstehen und sicherlich einen dauerhaften Platz im Live-Set einnehmen werden. Aber als ob das nicht schon genug wäre, übertreffen sich die Jungs mit dem finalen „The Fall“ nochmals selbst und beweisen somit eindrucksvoll, wer in der Welt des progressiven Death Metals das Sagen hat – ganz großes Kino!

Was bleibt bei all dieser Huldigung noch zu sagen? Ganz einfach: GOJIRA haben mit „L’Enfant Sauvage“ ein erstklassiges Werk vorgelegt, welches für mich schon jetzt ganz klar zu den besten Veröffentlichungen des Jahres zählt. Und auch wenn ich persönlich es nie geglaubt hätte, so schaffen es die Franzosen sogar fast, ihren eigenen Meilenstein „From Mars To Sirius“ zu toppen. Fans empfehle ich das limitierte Digipack, denn sowohl die beiden Bonustracks, als auch die beiliegende DVD runden das sowieso schon erstklassige Paket perfekt ab und beweisen, was für eine einzigartige Macht GOJIRA sind. Also ohne Widersprüche zugreifen! (9/10)

(Florian Hefft)

23.06.2012
Exit mobile version