Geist
Studio-Logbuch zur Entstehung des neuen Albums "Galeere", Teil 2
Special
Vor Weihnachten brachten wir an dieser Stelle den ersten Teil des Studio-Logbuchs von GEÏST, die im Studio E ihr neues Album „Galeere“ einspielen. Nach erfolgreich absolviertem Jahreswechsel sind die Nordmänner nun in Studio zurückgekehrt, um zu vollenden, was sie im Dezember begonnen haben.
GEÏST Studiotagebuch, zweiter Teil
Tag 9 – 08.01.2009
Willkommen zurück zu unserem überaus kurzweiligen Studiotagebuch! Um gleich jeder Diskussion aus dem Weg zu gehen: dies ist tatsächlich der neunte Tag unserer Albumproduktion. Während sich die ganze Band in den letzten drei Wochen einen ansehnlichen Winterspeck angefressen hat, musste Markus Stock im Schein eines Radiators (stilecht zur Ausstrahlung des Albums war die Heizung ausgefallen) mutterseelenallein drei Tage lang am Mix arbeiten. Rockstars, die wir sind, sind wir nun nur noch zum Meckern und Verbessern zurückgekommen – und natürlich, um den Gesang und alle Keyboards aufzunehmen. Nach drei Tagen werden wir uns dann aus Steuergründen wieder auf die Bahamas verdrücken und Markus das Mastering überlassen.
Um 10:30, nach über vier Stunden Blindflug über gottverlassene Autobahnen (die Scheibenwischanlage war natürlich eingefroren, genau wie die Innenseiten der Seitenscheiben), sind wir zurück im noch leicht verschneiten, vom -27°-Rekordfrost an den Eiern gepackten Mellrichstadt. Obwohl wir neugierig auf das Mixwerk des Meisters sind, halten wir uns damit momentan nicht auf und gehen sofort daran, die Keyboards aufzunehmen. Weil viele der längeren Ambientparts schon im Vorfeld fertig gespielt oder programmiert wurden, geht das verhältnismäßig schnell. Bis zum Eintreffen Cyphers am frühen Nachmittag haben wir den größten Teil schon fertig. Darunter sind neben einigen nostalgisch-windigen Black-Metal-Chören mit dem Flair der 90er-Jahre auch akzentuierende Pianoeinsätze, glänzende French Horns und heroische Trompeten, subtile Streicher, donnernde Bässe wie von Kanonenschlägen und bedrohliche Pauken, fast psychedelische Synthesizersounds, und dazu ein paar Überraschungen, die jeder in ein paar Monaten selbst suchen darf.
Ein wenig Schwierigkeiten macht uns ein Relikt aus einer Zeit, als ich noch nicht Kapitän dieser großartigen Band war: ein originales Weltmeister-Akkordeon, mit dem Faruk ein wenig kämpfen hat. Das Ergebnis seiner Bemühungen ist die Investition aber wert. Das Instrument klingt unvergleichlich klapprig und alt und erinnert uns unweigerlich an die ranzigen Hafenkneipen aus 50er-Jahre-B-Movies. Insgesamt geben die synthetischen Instrumente und die vielen netten Details den Songs eine interessante Würze, von der ich glaube, dass sie die Stücke für sich ziemlich wiedererkennbar und eigen macht. Das ist etwas, was ich an vielen Alben selbst vermisse: die Eigenheiten der einzelnen Lieder, die aber im Zusammenklang nie den roten Faden vermissen lassen.
Vor dem Feierabend schaffen wir sogar noch den Gesang zu den drei Songs „Einen Winter auf See“, „Galeere“ und „Helike“ – in weniger als zwei Stunden. Nach kurzer Aufwärmphase ist Cyphers Stimme ausdrucksstark, variabel und passt wie die Faust aufs Auge zur jeweiligen Stimmung der Songs. Ich wage zu behaupten, dass wir sogar auf „Patina“ keinen so intensiven Gesang hatten – so ungewöhnliche und metaphorische Texte vermutlich erst recht nicht. Ich bin wirklich gespannt, die Songs ab morgen Abend gemischt und mit allen Details zu hören.
Ich nehme mir ab jetzt, um das noch kurz zu erwähnen, heraus, so wie Fenriz den dozierenden Metalpapst mimt, meine Rolle als Unterhaltungsfilmpapst wahrzunehmen und weiterhin mit Filmempfehlungen zu glänzen. Diesmal verschreibe ich „Die nackte Pistole“, die leider sträflich vernachlässigte Vorgängerserie der großartigen „Die nackte Kanone“-Filme. Der Erfahrung nach macht sich Salamipizza und/oder Frühlingsrolle sowie Beck’s ganz gut. Und man muss danach früh schlafen gehen, übrigens.
Tag 10 – 09.01.2009
Ich muss mich entschuldigen. Natürlich weiß ich, dass die Metalwelt, insbesondere natürlich die Black-Metal-Welt inklusive aller ihrer Foren, voller Sehnsucht auf den nächsten Logbucheintrag aus dem Studio wartet. Widrigkeiten wie die, dass Keyboarder Faruk uns bereits am Freitagabend mitsamt eines enorm praktischen Laptops verlassen hat, trugen dazu bei, dass sich die ganze Chose ein wenig verzögert. Bevor der Mann sich allerdings gen ostwestfälische Heimat aus dem Staub gemacht hat, musste er die letzten Tätigkeiten eines Tastensklaven auf der Galeere verrichten. Unter anderem warteten noch ein paar ziemlich sinistre Pauken, ein paar untrue Schweinereien jenseits der 100-Hz-Grenze und andere Attacken auf Ohren und Anlagen der Interessierten auf ihre Fertigstellung. Unfassbar, wie viel Zeit man mit so subtilen Details verbringen kann.
Der restliche Tag stand Cypher D. Rex zur freien Verfügung, der hier im Studio förmlich aufblüht und die mitunter etwas schwer zu phrasierenden Texte glorreich auf die Songs eingepasst hat. Die Authentizität, mit der er während der letzten Konzerte unsere skandalösen Anklagen gegen schlechte Musik, schlechte Intentionen, fehlende Inspiration und mangelhafte Intelligenz nach draußen transportiert hat, landet diesmal auch 1:1 (oder sogar 2:1) auf einer Platte. Endlich! Ich freue mich diebisch über die ganzen versteckten fiesen Anspielungen (besonders in „Durch lichtlose Tiefen“), die vermutlich leider niemand verstehen wird, und wie präsent dreckig, doch gleichzeitig gut verständlich Cyphers Stimme klingt. Die Intonation einzelner Wörter gibt den Stücken mitunter noch einmal eine komplette Wendung, binnen eines Satzes kippt eine ganze Aussage in ihr absolutes Gegenteil, Atmosphären türmen sich plötzlich auf wie monströse Wellen. „Unter toten Kapitänen“ ist einfach nur schrecklich und finster. So muss ein wohlüberlegter Sturm klingen.
Am Abend sind wir von SONIC REIGN-Drummer Sebastian ins Sonic-Room-Studio (Mellrichstadt gilt offiziell als Black-Metal-Stadt!) eingeladen, um mit ihm und SONIC-REIGN-Gitarrist/Sänger Ben das ein oder andere Bier genauer unter die Lupe zu nehmen. Nach dem Genuss alter DARKTHRONE-Demos, BERGRAVEN-Teasern und einer wahrlich interessanten Promo von Faruks Soloprojekt FLUORYNE trennt sich die Gesellschaft. Faruk sitzt fortan im Auto, Cypher, Ben, Sebastian und ich auf das penetrante Drängen Cyphers hin in der einzigen lokalen Kneipe, die nach 22 Uhr noch AC/DC spielt. Wir trinken beiläufig und diskutieren über 70er-Jahre-Hardrock (ich kann an dieser Stelle verraten, dass Ben DEEP PURPLE-Verfechter ist) und stellen fest, dass ich nicht der einzige Musiker unter 30 bin, der nach Konzerten gerne in einem Bett schläft (mich entsetzt meine verweichlichte Art, Sebastian scheint es zu beruhigen). Außerdem verabreden wir uns für den nächsten Tag zu einem gemeinsamen Mittagessen, das SONIC REIGN an ihrem Probentag (!) als Pause nutzen wollen. Ich kann verraten, dass diese Information noch von Bedeutung sein wird.
Als wir uns weit nach Mitternacht auf den Weg in unsere Pension machen, verkündet Ben mit „Hells Bells“-seligem Grinsen und verdächtig schwerer Zunge, er wolle „noch kurz bleiben und sein Bier austrinken“. Dass ich heute auf den traditionellen Runterkomm-Film am Abend verzichten muss, finde ich in diesem Moment noch ganz leicht schade. Am nächsten Mittag werde ich allerdings wissen, dass sich das alternative Schauspiel dieses Abends mehr als „Donnie Darko“ gelohnt hat.
Tag 11 – 10.01.2009
Wenn man, wie wir, eine kleine, aber ambitionierte Band ist, muss man zwingend sehen, wo man bleibt. Das ist auch der Grund, wieso mir Cypher noch beim gestrigen Verlassen der Mellrichstädter Rockkneipe mit zwinkerndem Auge versicherte, er habe nur auf diese kleine Sauftour bestanden, um unsere Mitbewerber von SONIC REIGN im Kampf um den Black-Metal-Thron lahm zu legen. Dieser schmierige kleine Witz sollte bittere Realität werden, als ich am nächsten Morgen feststellte, dass Mr. Ben um genau 3:37 Uhr versucht hatte, mich auf meinem – glücklicherweise ausgeschalteten – Handy aus meinem wohlverdienten Schlaf zu klingeln. Der Mann hat vermutlich noch gewissenhaft das Spielen der gesamten AC/DC-Diskographie vom Kneipen-DJ verlangt und währenddessen noch mehrere Biere „ausgetrunken“, sodass es leider am nächsten Tag weder zur Probe, noch zu einem Besuch im Studio oder etwa zum veranschlagten Mittagessen kam. Die Lehre aus der Geschichte ist also: wer vorankommen will, muss seine Mitbewerber zu Saufwettbewerben anstacheln und so sämtliche Arbeitsmoral untergraben. So viel prophetische Subtilität habe ich Cypher gar nicht zugetraut.
Unterdessen haben wir natürlich auch ein wenig gearbeitet. Ich muss allerdings zugeben, dass wenig für die Außenwelt Interessantes geschehen ist. Wir haben gut acht Stunden damit zugebracht, Lautstärkenverhältnisse auf das Zehntel Dezibel genau einzustellen, noch ein paar Details in diesem Sturm aus hämmernden Drums, unermüdlich rockenden Gitarren und schiebenden Bassspuren unterzubringen und die Übergänge der Stücke ideal zu gestalten. Aufgenommen haben wir nichts mehr, die Stücke sind komplett. Offenbar sind dabei auch ein paar das Hirn und die Nackenmuskulatur peinigende Frequenzen mit in die Songs geraten, denn ab Mittag rauchen uns allen die Köpfe, und spätestens zum Sonnenuntergang hängen wir fürchterlich in den Seilen. Die Arbeitsgeschwindigkeit wird zäh, und es tauchen von dieser Zeit in der nebeligen Brühe meiner Erinnerung nur noch Gesprächsfetzen über Bonobo-Affen, 70er-Jahre-Zombiefilme, alberne sexuelle Anspielungen, Kaffee, nicht schmecken wollendes Bier und anderer Blödsinn auf.
Der ersehnte Feierabend kommt also wie gerufen. Cypher und ich, gerädert von rasenden Kopfschmerzen, machen uns in höchstmöglicher Geschwindigkeit und bei wohltuender Stille, mit einer Endmix-CD im Gepäck, auf den Heimweg. Kurz vor Mitternacht treffe ich in Porta Westfalica ein, im Arsch wie selten, und bin mir noch nicht ganz darüber im Klaren, was für ein tolles Album wir gerade fertig gestellt habe. Diese Erkenntnis wird noch ein, zwei Tage benötigen. Bevor ich selig in eine andere Welt hinüber gleite, in der Black Metal, Mischpulte, Kuhglocken, Akkordeons und abnorme Mengen Koffein gerade keine Rolle spielen, schaue ich mir noch einmal den Nachthimmel an. Es ist sternenklar und eiskalt. Und, wie bei unserem Aufbruch ins Studio E vor vier Wochen – ist es Vollmond.