Flake
Der Tastenficker - An was ich mich so erinnern kann
Special
Christian Lorenz, unter seinem richtigen Namen kennen ihn vermutlich nur die wenigsten, den meisten ist er bekannt als „Flake“. Genau, der „Flake“, der geschminkte Verrückte hinter den Keyboards von Deutschlands polarisierendster Band, RAMMSTEIN. Doch eben dieser „Flake“ ist weit mehr als nur ein Tastenficker, selbst findet er sich eher langweilig, er behauptet nicht mehr zu sein als jeder andere seines Jahrgangs auch. Mit „Der Tastenficker – An was ich mich so erinnern kann“ veröffentlichte Christian Lorenz vor wenigen Tagen ein Buch, eine 390-seitige Zeitreise, einen Spiegel, den er sich selbst vorhält, ein Porträt über weit mehr als nur einen Tastenficker.
Im Rahmen einer Lesung zum Buch ergab sich die Möglichkeit, den Autor persönlich zu erleben, aus dem Werk vorlesend oder frei sprechend über das Leben philosophierend. „Flake“ wirkt anfangs ziemlich introvertiert, man merkt ihm an, dass es für ihn unangenehm ist, im Zentrum zu stehen. Sich selbst sieht er als normalen Mensch, der eigentlich genauso viel zu erzählen hat wie jeder andere der Anwesenden auch, bereits am Anfang der Lesung ein riesiger Sympathiepunkt. Doch zurück zum Buch:
Bereits auf den ersten Seiten zeigt sich, dass Christian Lorenz über einen verhältnismäßig hohen Grundintellekt verfügt, er philosophiert über den Sinn des Lebens, seine Liebe zu edlen (aber auch nicht so edlen) Autos, Flugangst und über das stellenweise ziemlich löchrige Erinnerungsvermögen seiner selbst. Selbst eine grobe Zusammenfassung des dargelegten Inhaltes würde an dieser Stelle sämtliche Grenzen sprengen, immer wieder kommt es vor, dass „Flake“ anfängt, die eigentliche Erzählung zu unterbrechen, um eine weitere Anekdote seiner Kindheit, seiner Jugend oder seines späteren Lebens einzuschieben. Dies erweckt das Gefühl, dass man dem Autor direkt gegenübersitzt, und nicht, dass man nur ein Stück Papier in den Händen hält. Durch die überaus menschliche Art zu erzählen, durch eine völlig alltägliche Sprache und durch ebenso alltägliche Themen, die stellenweise einfach zu ungewöhnlich klingen, entwickelt der Leser innerhalb kürzester Zeit eine riesige Sympathie für den Menschen hinter der sonst nur bekannten Maske. Egal ob es die peinliche Erfahrung des ersten Auftrittes ist oder die Außenseiterposition über die gesamte Schullaufbahn hinweg, man fühlt mit. Denn vor allem wenn es um ausgeübte Selbstkritik geht, agiert der Autor auf einer Augenhöhe mit den Lesern, sein Leben als Außenseiter, „Schwächling“, Stotterer und Mensch, der viel zu gut für diese Welt ist, formuliert er an den richtigen stellen appellativ, so dass man mit den richtigen Rückschlüssen in der Lage ist, daraus zu lernen.
Sein Schicksal selbst sieht „Flake“ als eine „Folge von Missverständnissen“, Fragen wie „Was wäre, wenn ich mein Bruder wäre?“ oder „Was, wenn ich in Westberlin geboren wäre?“ stellt er sich regelmäßig, nur um sie anschließend in schier ewiger Ausführung als nicht beantwortbar abzuhaken. Ein roter Faden wird somit nicht erkennbar, sämtlicher Ansatz von Chronologie und Struktur geht innerhalb kürzester Zeit verloren, einen Abbruch tut dies dem Werk nicht. Konzentration ist beim Lesen allerdings von Nöten, sonst wird es mitunter ziemlich schwer, den Ausführungen des Malers, Sammlers, Musikers und Autors zu folgen. Auch der gelebten Nostalgie, der Sympathie für die Grundidee der DDR gibt sich „Flake“ hin, so umstritten es politisch wirkt, so nachvollziehbar ist auch seine Argumentation.
Für all jene, die sich seitenweise Ausführungen über RAMMSTEINs Backstagealltag und Tourgeschehen erhofften, ist „Der Tastenficker“ vermutlich eine Enttäuschung. Für Personen, die ohne jegliche Erwartungshaltung einen Blick riskieren, jedoch absolute Pflichtlektüre. Eigentlich ist es schade, dass ein Mensch mit solch hohem Intellekt und einer solchen Gabe das eigene Leben zu reflektieren nur auf den Job „in dieser einen Band“ reduziert wird. Denn wie ich bereits eingangs mehrfach erwähnte, ist Christian Lorenz weit mehr als nur ein “technisch versierter Keyboarder“. Auf menschlicher Ebene punktet das Buch auf voller Länge, ebenso in puncto Lesefluss, Ausdruck und Inhalt.