Falks Blick über den Tellerrand
Ausgabe 1: Ellie Goulding
Special
Hallo und herzlich willkommen! Mit diesem Artikel verlässt du, liebe Leserin / lieber Leser, die vertrauten schwermetallischen Landschaften und leistest mir – so hoffe ich! – Gesellschaft bei einem ersten Blick über den Tellerrand. Genau: Diese erste Ausgabe von „Falks Blick über den Tellerrand“ soll der Auftakt zu einer Reihe von mehr oder weniger regelmäßig erscheinenden Artikeln sein, in denen ich die eine oder andere musikalische Perle (oder was ich dafür halte) vorstellen möchte, die mir so abseits des Metals zu Ohren kommt. Natürlich erhebe ich keinerlei Anspruch darauf, dass diese Perlen auch für andere glänzen – aber vielleicht ist doch hin und wieder für jemanden etwas unerhört Gutes dabei…!?
Den Anfang möchte ich mit einer jungen Britin machen, über deren Musik ich Anfang des letzten Jahres eher zufällig gestolpert bin: ELLIE GOULDING. Mittlerweile hat die 1986 als Elena Jane Goulding geborene Dame den Brit Award als beste Solo-Künstlerin abgeräumt und damit wohl endgültig ihren Geheimtipp-Status verloren. Die Single „Lights“, die ELLIE GOULDING im Januar 2013 bei einem TV-Auftritt präsentierte, wird dem einen oder anderen ein von Augenrollen begleitetes „Ach so, die!“ entlocken:
Es grenzt fast an Ironie: Ausgerechnet diese Single, die sich in den folgenden Wochen und Monaten durch ihre mediale Omnipräsenz in erstaunlichem Ausmaß abnutzen sollte und zudem bereits auf GOULDINGs Vorgänger-Album „Lights“ / „Bright Lights“ gestanden hatte, machte mich neugierig auf ihr zu diesem Zeitpunkt aktuelles Album „Halcyon“ (auf dem „Lights“ lediglich als Bonustrack auftaucht!):
Tracklist:
01 Don’t Say A Word
02 My Blood
03 Anything Could Happen
04 Only You
05 Halcyon
06 Figure 8
07 Joy
08 Hanging On (ACTIVE CHILD-Cover)
09 Explosions
10 I Know You Care
11 Atlantis
12 Dead In The Water
Bonustracks:
13 I Need Your Love
14 Lights
„…und der Rest ist Geschichte…„, wie man so schön sagt – zumindest für mich. „Halcyon“ hat mich das gesamte Jahr 2013 über begleitet und es sogar in meine Top 3 der „besten Alben 2013“ geschafft.
Was aber hat „Halcyon“ nun, was mich so sehr begeistert, dass ich das Album monatelang nicht aus der Hand legen konnte und auch nach unzähligen Durchläufen jedes Mal aufs Neue großartig finde? Um es kurz zu sagen: Atmosphäre. Die vierzehn Songs sind – mit Ausnahme des zweiten Bonustracks „I Need Your Love“ – von einer feinen Melancholie durchzogen, die gerade durch ihre Subtilität so stark zuschlägt. Oberflächlich mögen die gut 54 Minuten halbwegs gefälliger Pop sein, doch unter der Oberfläche wartet der Schmerz darauf, den Hörer zu packen und – wie in meinem Fall – nicht mehr loszulassen. Dabei ist es gleichgültig, ob ELLIE GOULDING ein wenig in Dubstep-Gefilden wildert („Figure 8“) oder sich auf Klavier und Hintergrund-Chöre beschränkt („I Know You Care“) – sie klingt jederzeit authentisch und findet daher auch in jedem Song die perfekte Balance zwischen Zerbrechlichkeit und Stärke.
Bevor jetzt die ersten Protestschreie kommen, dass es auf Pop-Alben heutzutage doch üblich sei, dass die darauf enthaltenen Songs von unterschiedlichsten Songwritern stammen und der interpretierende Künstler eben nur noch genau das ist – interpretierend: Auf „Halcyon“ ist ELLIE GOULDING – mit einer Ausnahme: „Hanging On“ stammt im Original von ACTIVE CHILD – bei jedem Song unter den Autoren genannt; und das hört man meiner Meinung nach auch. Selten bis nie habe ich derart integre und berührende Pop-Musik gehört.
Doch auch aus „technischer“ Hinsicht gibt es an „Halcyon“ nichts auszusetzen: ELLIE GOULDING hat ihre Stimme so meisterhaft im Griff, dass sie sich das an anderer Stelle vielfach genutzte (und zu Recht verpönte) Auto-Tuning („Hanging On“), schräge Loops oder auch völlig überzogenes Pitching („Only You“) als Stilmittel erlauben kann. Die instrumentale Ebene unterstützt GOULDINGs ausdrucksstarken Gesang, ebenso wie die tollen Chöre, perfekt: Es offenbart sich ein exzellentes Gespür für feine Arrangements, die den Raum jederzeit füllen, dabei aber nie überladen wirken. Ähnlich der atmosphärischen Dimension gilt hier, dass „Halcyon“ schon im ersten Durchgang begeistern kann, aber mit jedem Durchlauf mehr Details, mehr Tiefe preisgibt. Das Ganze ist in eine transparente, zeitgemäße Produktion gegossen, die der Musik trotzdem ihre Seele lässt – etwas, das in Zeiten totaler Kompression keine Selbstverständlichkeit ist!
Durch „Halcyon“ gewissermaßen angefixt, sah ich mich – natürlich! – genötigt, mir auch ELLIE GOULDINGs 2010er-Debüt „Lights“ bzw. „Bright Lights“ (bei letztgenannter Veröffentlichung handelt es sich um eine durch einige Songs „aufgepeppte“ Neu-Auflage von „Lights“ – ein Vorgehen, das uns bei ELLIE GOULDING nicht das letzte Mal begegnen soll) einmal näher anzuhören.
Tracklist:
01 Guns And Horses
02 Starry Eyed
03 This Love (Will Be Your Downfall)
04 Under The Sheets
05 The Writer
06 Every Time You Go
07 Wish I Stayed
08 Your Biggest Mistake
09 I’ll Hold My Breath
10 Salt Skin
11 Lights
12 Human
13 Little Dreams
14 Home
15 Animal
16 Believe Me
17 Your Song (ELTON JOHN-Cover)
Ganz ehrlich: Ich war zunächst ganz schön enttäuscht. Die knapp 62 Minuten erschienen mir wir flacher Eurodance / Pop, den ich wahrscheinlich – wenn ich das Album eher zufällig angehört hätte – sofort zu den Akten gelegt hätte. Andererseits war mir natürlich bewusst, dass ich durch „Halcyon“ zu einem gewissen Grad eine Erwartungshaltung entwickelt hatte, die „Bright Lights“ unmöglich erfüllen konnte. Ich wollte auch nicht so recht glauben, dass das hier dieselbe ELLIE GOULDING sein sollte, die mich zuvor derart umgehauen hatte.
Also habe ich „Bright Lights“ wieder und wieder angehört – man könnte natürlich behaupten, ich habe mir das Album „schön gehört“ -, und tatsächlich: Nach und nach konnte ich Vorahnungen dessen entdecken, was ich auf „Halcyon“ in Perfektion gehört hatte. „Bright Lights“ ist insgesamt deutlich fröhlicher und musikalisch bei Weitem nicht so tief wie sein Nachfolger – aber dennoch offenbart sich hier und dort in Ansätzen die atmosphärische Größe, zu der GOULDING in der Lage ist: Genannt seien hier der Refrain des Openers „Guns And Horses“ oder das zunächst furchtbar nach Standard-Dancefloor anmutende „Little Dreams“, das im Refrain mit gekonnten mehrstimmigen Vocals aufwartet und auf diese Weise aus seiner vermeintlichen Gewöhnlichkeit ausbrechen kann.
Rückblickend war es sicher meine Erwartungshaltung, die mir den Zugang zu „Bright Lights“ erschwert hatte – das Album ist dennoch eine musikalisch und atmosphärisch zumindest souveräne Pop-Scheibe, die im Kontext ihres Nachfolgers am ehesten unter „Der Weg ist das Ziel“ fällt.
Ein weiterer ELLIE GOULDING-Song, der mir im Zuge meiner eingehenden Beschäftigung mit ihr in die Finger geriet, war ihr Beitrag zum Soundtrack des letzten Films der „Twilight“-Reihe, „Breaking Dawn – Bis(s) zum Ende der Nacht“. Nein, ich habe weder die Bücher gelesen noch die Filme gesehen! Eine sehr gute Freundin machte mich – als ich von meiner Begeisterung für die Musik GOULDINGs berichtete – darauf aufmerksam, dass sie auf dem Soundtrack mit dem Song „Bittersweet“ vertreten ist. Genannter Song war in Zusammenarbeit mit SKRILLEX (mit dem GOULDING einige Zeit zusammen war) entstanden und zeigt wieder eine etwas Dubstep-lastigere Seite. Nichtsdestoweniger kann „Bittersweet“ atmosphärisch durchaus mit dem „Halcyon“-Material mithalten.
Leider kann ich die letzte Bemerkung nicht uneingeschränkt auf „Halcyon Days“, die zu „Bright Lights“ analoge Neu-Auflage von „Halcyon“, anwenden. Bei „Halcyon Days“ handelt es sich um eine Doppel-CD, die neben den bereits bekannten 14 Songs von „Halcyon“ auf CD 1 noch vier weitere Titel enthält (von denen einer eine längere Version von „Hanging On“ ist, bei der Rapper TINIE TEMPAH mitwirkt), während CD 2 aus zehn komplett neuen Stücken besteht:
CD 1:
15 Ritual
16 In My City
17 Without Your Love
18 Hanging On (feat. TINIE TEMPAH)
CD 2:
01 Burn
02 Goodness Gracious
03 You My Everything
04 Hearts Without Chains
05 Stay Awake (feat. MADEON)
06 Under Control
07 Flashlight (feat. DJ FRESH)
08 How Long Will I Love You?
09 Tessellate (ALT J-Cover)
10 Midas Touch (feat. BURNS)
In weiten Teilen besteht die Erweiterung „Halcyon“s, so musste ich recht schnell feststellen, aus auf tanzbar getrimmter, betont gut gelaunter Musik, die ELLIE GOULDING ein wenig zur Statistin reduziert – ihr Gesang wirkt in meinen Ohren häufig so, als sei er bloß „abgeliefert“, als habe GOULDING nicht gefühlt, was sie dort singt. Insbesondere die – mittlerweile auch unfassbar ausgenudelte – Single „Burn“, die ohne Zweifel sehr „catchy“ ist und daher wohl zu Recht ein ziemlicher Chart-Stürmer war, demonstriert mir immer wieder die atmosphärische Kluft zwischen „Halcyon“ und „Halcyon Days“.
Dabei zeigt ELLIE GOULDING mit „Hearts Without Chains“ oder „Tessellate“ (einem ALT J-Cover, das – genau wie übrigens „Hanging On“ – auch im Original verblüffend cool ist!) auf eindrucksvolle Weise, dass sie es nicht verlernt hat, berührende Musik zu veröffentlichen. Ebenso lohnt es sich, „Midas Touch“ einmal anzutesten; an „How Long Will I Love You?“ – das auch auf dem „Alles eine Frage der Zeit“-Soundtrack steht – werden sich die Geister wohl scheiden: Ich selbst schwanke zwischen „Liebe Güte, was für eine schreckliche Schnulze!“ und „Och ja, eigentlich ein ziemlich gelungenes Liebeslied…“
Ich denke, ich hätte mit „Halcyon Days“ deutlich weniger Schwierigkeiten, wenn GOULDING den Großteil der neuen Titel vollständig von „Halcyon“ abgekoppelt, meinetwegen damit ein neues Kapitel ihres musikalischen Weges eröffnet hätte. So bleibt ein etwas fader Eindruck zurück, den die Künstlerin hoffentlich mit ihrem nächsten Album egalisieren kann. Ich bin sehr gespannt, was aus dem Hause ELLIE GOULDING noch kommen wird – ihr neuer Song „Beating Heart„, der auf dem „Divergent“-Soundtrack zu finden sein wird, klingt jedenfalls vielversprechend. „Halcyon“ hat so oder so längst einen Platz in meinem persönlichen Musik-Olymp – und vielleicht konnte ich mit diesem „Blick über den Tellerrand“ ja auch den einen oder anderen neugierig machen!?