Epica/Amorphis/Ride The Sky
Listening Session zu den neuen Alben der Bands
Special
Heiß ist es an diesem 19. Mai, an dem Nuclear Blast trotz des nahenden Triumphs des VfB Stuttgart, dem das ganze Land entgegenfiebert, zur Listening Session ins Donzdorfer Hauptquartier geladen hat. Neben RIDE THE SKY, der Band um Ex-Meisterplaner Uli Kusch, und den holländischen Female-Frontern EPICA haben Nuclear Blast mit AMORPHIS gleich drei Bands gebeten, ihre neuen Alben der Presse vorzustellen. Die Klimaanlage funktioniert nur eingeschränkt, die Hitze steht im Raum. Die Erwartungshaltung an die Mannschaft des VfB ist ebenso hoch wie die an die Bands – insbesondere natürlich AMORPHIS. Eine überraschend erfolgreiche Saison liegt hinter der einen, ein überraschend starkes Album und zahlreiche Konzerte hinter der anderen. Werden die hohen Erwartungen erfüllt werden können?
AMORPHIS
Ein starkes Jahr nach der Veröffentlichung von „Eclipse“, das so etwas wie dem Beginn einer neuen Ära gleichkam, haben AMORPHIS vor wenigen Wochen mit der Ankündigung ihres neuen Albums „Silent Waters“ überrascht. Die Kreativreservoirs scheinen voll zu sein bei den Finnen, waren sie in den Monaten nach der Veröffentlichung von „Eclipse“ doch nicht gerade tourfaul. Und nun ist schon die neue Scheibe fertig. Was sich nach einiger Eile anhört, präsentiert sich allerdings ganz anders.
Denn das neue Album ist ruhig geworden. „Silent Waters“ wird seinem Titel gerecht. Wieder einmal bildet der Kalevala, die Sammlung alter, finnischer Geschichten, den Dreh- und Angelpunkt der lyrischen Seite. Zwar findet sich Mastermind Esa Holopainen zufolge diesmal keine durchgehende Storyline auf dem Album, wie die des tragischen Helden Kulervo auf „Eclipse“. Dennoch zeigt sich auch Album Nummer acht stark vom Buch geprägt, das in all den Jahren zur Bibel für die Band geworden ist. Die Frage, ob sich die Band denn je noch einmal davon entfernen wird, beantwortet Esa dann auch mit einem schlichten „wer weiß?“. Es gehe weniger um die Thematik des Kalevala, als vielmehr um den Stil, in dem diese alten Geschichten und Gedichte verfasst sind und deren Übertragung in die heutige Zeit.
AMORPHIS legen auf „Silent Waters“ deutlich erkennbar viel Wert auf Abwechslung und Ausgewogenheit. Mehr noch als auf „Eclipse“, so scheint es. Der Variantenreichtum der Songs spiegelt sich nicht nur in Tomis stimmlicher Bandbreite wieder, sondern auch in den Arrangements, die in ihrer Vielfalt den Vorgänger noch überflügeln. Allgegenwärtige Akustikgitarren betonen die folkloristische Seite und lassen das Album im komplett akustischen „Enigma“ seinen Höhepunkt finden. Folkiger haben AMORPHIS tatsächlich noch nie geklungen. Gerade Tomis Part hat im Vergleich zu „Eclipse“ deutlich mehr Gewicht erhalten. In der ersten Hälfte der Scheibe halten sich Growls und clean gesungene Passagen in etwa die Waage. In „A Servant“ wird sogar durchweg gegrunzt, was es in dieser Konzentration zuletzt vor über zehn Jahren bei „My Kantele“ gegeben hat.
Dennoch ist „Silent Waters“ dem Überwerk „Elegy“ unähnlicher als „Eclipse“ es war. Denn in der zweiten Hälfte der Scheibe glätten sich die Wogen deutlich. Die zweite Hälfte, die besagtes „Enigma“ enthält, zeigt sich deutlich ruhiger. Die akustischen Gitarren werden wichtiger, die Rolle des Keyboards als stimmungsprägendes Instrument verstärkt deren Gewicht noch. „Von akustischer Musik waren wir schon immer fasziniert“, gibt Esa zu verstehen, „und auf „Eclipse“ haben wir begonnen, akustische Motive verstärkt zu verwenden. „Enigma“ ist unser erster komplett akustischer Song. Viele Leute sind in der Vergangenheit auf uns zugekommen und haben uns auf ein Live-Album angesprochen. Wir finden die Idee gut, wollen das aber mit unserer Liebe zu akustischer Musik verbinden und ein Akustik-Live-Album aufnehmen.“ Dass bei dieser Setlist einiges von „Silent Waters“ zu hören sein wird, ist bereits jetzt offensichtlich. Mit seinen eingängigen Songs ist das Album geradezu prädestiniert dafür. Der Eindruck, die Musik würde durch ihre Eingängigkeit auch seichter, hält sich nur so lange, wie die wirklich wunderschönen Melodien brauchen, um vom Hörer Besitz zu ergreifen. Und das hatten sie bei AMORPHIS schließlich schon immer drauf. Wir sind gespannt! (Thomas)
RIDE THE SKY
Nach kurzer Verschnaufpause, die angesichts der doch überraschend sehr ruhig gearteten neuen AMORPHIS kaum notwendig ist, lädt Ex-MASTERPLAN/HELLOWEEN Fellgerber Uli Kusch sichtlich nervös zur ersten Hörprobe. Schon allein der Name klingt angesichts der persönlichen Historie des Drummers als Kampfansage. Aber weit gefehlt, RIDE THE SKY sind alles andere als ein Versuch der Vergangenheitsbewältigung. „New Protection“ umfasst zwölf eigenständige, innovative Songs, die keine Rückschlüsse auf die Vergangenheit zulassen. Vielmehr ist der Band nach dem ersten kompletten Durchlauf ein Scheibchen gelungen, das nicht selten die versammelte Presseschar zu anerkennendem Kopfnicken hinreißt. Aber nun zu den Songs im Detail:
New Protection
Gleich zu Beginn steht der Titeltrack des Albums mit recht klassischer Power Metal-Färbung in der Instrumentierung, sowie einem hitverdächtigen Refrain. Schon der Opener fräst sich in den Gehörgängen fest und lässt das Publikum in freudiger Erwartung, was da noch kommen mag.
A Smile from Heaven’s Eye
Ein chorales Keyboard treibender Part leitet das zweite Stück der Scheibe ein. Wuchtige Gitarren münden in ein Feuer aus schön ausgearbeiteten Frickeleinlagen, genährt durch einen sphärischen Grundtenor. In der Summe bedient dieser Song mit dem überaus positiven Gerüst das Klischee eines typischen Power Metal-Songs, wirkt aber zu keiner Zeit langweilig.
Silent War
Ein erdiger Beginn wird durch sehr fragilen Gesang sprichwörtlich beblumt und wirkt trotz zunächst völliger Instrumenten-Freiheit lebendig. Eine solide Gitarrenarbeit formt schließlich die Basis für einen Song, der lehrbuchmäßig mit den ganzen Spielarten des Power Metal kokettiert. Aufgrund der Perfektion in Instrumentierung und Innovationskraft das bis dato stärkste Stück.
The Prince Of Darkness
Was sagt schon ein Sprichwort? „Du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben“. Besser lässt sich wohl das Knallbonbon, welches einen in Song Nummer vier überrascht, kaum umschreiben. Mit Leichtigkeit zitiert man progressive Elemente, die man wohl nur von DREAM THEATER erwartet hätte und mischt diese mit genretypischen Elementen. Tolle Soli runden diesen Song ab. Progressiv, hymnisch und zu jeder Zeit durchdacht. Selbst dem letzten Hörer im Raum dürfte dieses Stück die Mundwinkel nach oben gezogen haben.
Break The Chain
Ein ebenfalls progressives Gerüst flankiert von tonnenschweren Gitarren, passend akzentuiertem Drumming und markantem Gesang fügt das Stück nahtlos an den bemerkenswerten Vorgänger. Insbesondere die klassischen Einschübe heben dieses Stück vom derzeitigen Power Metal-Allerlei ab.
Corroded Dreams
Ein erneut klassischer Beginn, gepaart mit harten Gitarren und dominantem, fast rauem Gesang leitet „Corroded Dreams“ ein. Wieder sind für das Genre untypische Referenzen zu DREAM THEATER gegeben, die an dem Stück sicherlich ihre berechtigte Freude hätten. Im Refrain bleibt man allerdings bei Altbewährtem und entzieht somit etwas die zuvor aufgebaute Spannung.
The End Of Days
Aller Tage Abend ist bei diesem Stück sicherlich nicht, auch wenn der Song im Gegensatz zu den Vorherigen einen Gang zurück schaltet. Der Song als solcher ist durchweg im Midtempo gehalten und zieht seine Energie hauptsächlich aus den starken Gesangspassagen. Weniger verspielt als die Vorgänger, ist „End Of Days“ als willkommene Atempause einzustufen.
Far Beyond The Stars
Auch dieser Song konzentriert sich mehr auf das Wesentliche und generiert weniger experimentelle Höhepunkte als beispielsweise „The Prince Of Darkness“ oder „Corroded Dreams“. „Far Beyond The Stars“ ist ein bodenständiger Song mit typisch markantem Refrain und netten Soli.
Black Cloud
Wer glaubt, RIDE THE SKY hätten Ihr Pulver verschossen, wird auf dem Fuße eines Besseren belehrt und findet sich inmitten eines waschechten Thrash-Gewitters wieder, welches das notwendige Fundament für Herrn Kuschs dominantes Drumming bildet. Die bei diesem Song dezenter eingestreuten Prog-Anteile schneidet die satte Gitarrenwand in angenehm konsumierbare Happen.
Endless
Na was hört man denn da? Sollte einen der Einstig doch tatsächlich an „Hangar 18“ erinnern? Der Gesang dominiert von Beginn an und führt direkt in einen starken Mittelteil, der aus seinen Reminiszenzen an die 80er Jahre Kraft schöpft. Durchdacht und erfrischend!
Heaven Only Knows
„Heaven Only Knows“ konzentriert abermals die Stärken der Band. Der bei diesem Stück eher würdig im Hintergrund gehaltene Gesangspart findet im Wechselspiel aus teils filigranem, teils hoch aufgebauten Drumlinien einen passenden Konterpart.
A Crack In The Wall
Das letzte Stück von „New Protection“ lässt es sich erneut nicht nehmen, DREAM THEATER auf die Spielwiese von RIDE THE SKY zu zerren. Solide Gitarren und Synthie-Spielereien schaffen einen unkomplizierten Ausstieg aus einem Album, welches das doch in die Kritik geratene True- und Power Metal-Genre deutlich aufwertet.
„New Protection“ bewegt sich einen großen Schritt weg vom „Be-Happy-Image“ der Szene und wirkt wie der Leuchtturm im Sog von Metalcore und allen sonstigen derzeit so modernen Spielarten. (Norman)
EPICA
Als letzte im Bunde stellen EPICA ihr neues Album „The Divine Conspiracy“ vor. Mit ihrer ersten Scheibe für Nuclear Blast scheinen die Holländer gleich richtig klotzen zu wollen: über 70 Minuten Musik bringt der Silberling auf die Waage und ist dabei selbst kein Leichtgewicht. Bombastisch, episch und progressiv sind die Attribute, die die Scheibe am besten beschreiben.
Im Vergleich zum Beispiel zu NIGHTWISH legen die Holländer noch mehr Wert auf Opulenz. Die Arrangements sind derart dicht geraten, dass es schier unmöglich ist, sich bei einmaligem Hören in den Strukturen der Songs zurechtzufinden. Mit leicht verdaulichem, klassisch-gotischem Tralala hat „The Divine Conspiracy“ nichts zu tun. Mit marktgerechtem Songwriting, wie es den female-fronted Bands gerne – und oft zurecht – unterstellt wird, genauso wenig. Verglichen mit der Anbiederung, die SIRENIA mit ihrem letzten Album diesbezüglich vollführt haben, marschieren EPICA genau in die entgegen gesetzte Richtung, wessen sich die Band durchaus bewusst ist. „Niemand hat uns geglaubt, als wir sagten, wir wollten härter werden. Alle dachten, wir würden kommerzielleres Material schreiben“, drückt es Sängerin Simone Simons (wenn DAS mal kein Künstlername ist!) aus.
Zwar mag der Rough Mix, den man hier durch die Boxen schickt, ein Stück zum recht harschen Gesamteindruck beitragen, insgesamt gesehen macht die Scheibe aber bereits in diesem Stadium einen ordentlichen Eindruck. Die Gitarren röhren angenehm, sind nicht zu sauber produziert und verschärfen zusammen mit den sehr markanten Growls den Kontrast zur holden Weiblichkeit in Gestalt von Sängerin Simone, die ihrerseits weit vom gängigen Trällerelsen-Klischee entfernt eine starke Stimme ins Feld führt. Angst davor, die härtere Herangehensweise könnte die Fans vergraulen, haben die Holländer allerdings nicht. „Die meisten Leute werden erwartet haben, dass wir einen ähnlichen Weg wie WITHIN TEMPTATION, SIRENIA oder AUTUMN einschlagen und softer werden würden. Aber wir wollten nicht den Weg des geringsten Widerstandes gehen, sondern unseren eigenen, der uns Spaß macht“, rechtfertigt Gitarrist Mark.
Das progressive Element der Songs lebt hauptsächlich durch die enorme Variabilität und den Detailreichtum der größtenteils überlangen Songs. Stilfremde Einflüsse wie orientalische Passagen („Death Of A Dream“) oder untypische Instrumentierung („La’fetach Chatat Rovetz“) unterstreichen diesen Eindruck noch. So bleibt die Scheibe einerseits interessant, verlangt andererseits aber auch einige Beschäftigung, bis man sich in ihrer Vielschichtigkeit zurechtfindet. „The Divine Conspiracy“ ist mit Sicherheit eines der komplexesten Alben seiner Gattung.
„Mit dem Songwriting haben wir bereits während er Aufnahmen zu unserem letzten Album begonnen. Das ist jetzt über zwei Jahre her. Die Aufnahmen selber haben auch über ein halbes Jahr gedauert. Manchmal glaube ich, dass wir ein Album in einer solchen Dimension nie wieder hinbekommen werden“, erzählt Mark nicht ohne Verwunderung über die eigene Leistung, „aber wir werden uns bemühen.“ (Thomas)