Enslaved
Der Diskografie-Check

Special

ENSLAVED sind in der gegenwärtigen Metal-Landschaft eine Macht mit Vorbildwirkung. Seit fast drei Jahrzehnten sind die Bergener Edda-Enthusiasten im Geschäft, definieren sich mit so gut wie jeder Platte neu und wahren gleichzeitig ihre markante Identität. Dabei wurde kaum eines ihrer 15 Studioalben auf unseren Seiten unterhalb der Note “Kaufempfehlung” besprochen. Von sinfonischem Black Metal hin zu einer ganz eigenen Melange aus Extreme Metal, Prog und anspruchsvollen mythologischen Texten hielten sich ENSLAVED nie unter einem gewissen Grundniveau auf, von dem auch ihr neues Album – und metal.de-Soundchecksieger – “Utgard” keine Ausnahme macht.

15 Studioalben lang die Note “Kaufempfehlung”?

Dies nahmen wir zum Anlass einer tiefgründigen Querschnittsanalyse ihrer umfangreichen und nicht immer zugänglichen Diskografie. Es verwundert nicht, dass sich immerhin sieben Mitglieder unserer Redaktion mit wahrlich unterschiedlichen Hörgewohnheiten dafür begeistern ließen, an diesem Special mitzuwirken. So laden die Herren Endres, Klaas, Klug, Lattemann, Maronde, Thorbrügge und Werner zum gepflegten Nerdtalk durch 15 Alben, die mal kauzig, mal sperrig und mal zum Niederknien genial sein können, aber stets höchst originell sind.

Text: Johannes Werner

Nach den etwas rumpeligen Demos “Nema” und “Yggdrasill” ist es bemerkenswert, mit welchem Potential und welcher Eigenständigkeit ENSLAVED sich 1993 auf “Hordanes Land” – auch als Split mit den seelenverwandten EMPEROR erschienen – zu Wort meldeten. Dass Gitarrist und Hauptsongwriter Ivar Bjørnson zum Zeitpunkt der Aufnahmen schlappe 15 Jahre alt war, ist zu keiner Sekunde hörbar. Vielmehr nehmen ENSLAVED trotz deutlicher Wurzeln im Black Metal einige Elemente vorweg, die wesentliche Charakteristika ihres Signature-Sounds werden sollen: Sinfonische bis verträumte Keyboards, komplexe Songstrukturen, die oft in Überlänge münden und der progressive Blick über den Tellerrand. Letzterer ist zwar im Vergleich zum aktuellen Output der Band lediglich zu erahnen, sollte sich aber als wegweisend entpuppen. ENSLAVED hielten so neben den genannten Split-Partnern aus der Telemark eine Pionierstellung in dieser Verzahnung von Elementen, die kurze Zeit später erst salonfähig wurde.

Es ist ganz natürlich, dass “Hordanes Land” noch nicht die große Klasse der späteren Werke erreichen kann. Man hört den jugendlichen Enthusiasmus und die damit oft einhergehende Naivität, die die Black-Metal-Bands der frühen Neunziger oft so reizvoll gemacht hat. Nicht jeder Tempo- und Themenwechsel (insbesondere im ersten Song “Slaget I Skogen Bortenfor (Epilog / Slaget)” ist elegant, die Keyboards klingen inzwischen nach uralten Fantasy-RPGs. Die beachtliche Leistung, die die blutjungen ENSLAVED auf “Hordanes Land” demonstrieren, trübt das jedoch nicht.

Sammlungswürdig: Für Komplettis

Highlights: Falsche Frage. Man überspielt sich “Hordanes Land” gemeinsam mit der EMPEROR-Seite auf Tape und pfeift es sich bei einer winterlichen Nachtwanderung via Walkman durch die Ohren. Und zwar am Stück.

Text: Markus Endres

Nachdem ENSLAVED mit ihrer ersten Mini-LP „Hordanes Land“ für viel Beachtung in der Szene sorgten, brachten die Norweger im Februar 1994 via Deathlike Silence Productions ihr Debütalbum „Vikingligr Veldi“ heraus.

„Vikingligr Veldi“ – das andere Debütalbum Norwegens

ENSLAVED zählten damals noch zur sogenannten zweiten Black Metal-Welle und aufgrund der Verflechtungen von Ivar Bjørnson, Grutle Kjellson und Trym Torsson zur Szene rund um MAYHEM, IMMORTAL, EMPEROR, BURZUM und DARKTHRONE. Aber ENSLAVED wollten anders sein, und das schafften sie bereits damals, was sie zu Urvätern des Viking/Pagan Metals macht. Musikalisch inspiriert vom damaligen Black Metal Norwegens, die Szeneverwandtschaft und musikalische Nähe zu den Debütalben dieser Zeitspanne ist unüberhörbar, sowie natürlich BATHORY, erschufen sie mit „Vikingligr Veldi“ einen einflussreichen Klassiker. Noch nicht so progressiv und heroisch wie später, aber schon sehr episch, mit Themen rund um die Sagen- und Mythenwelt der Wikinger, authentisch vorgetragen in Alt-Norwegisch und Alt-Isländisch. Wie damals in Norwegen Pflicht, wurde das Album in den Grieghallen Studios mit Pytten aufgenommen. Die ausufernd überlangen Stücke meist jenseits von zehn Minuten Länge atmen auch heute noch erfrischend diese jugendliche Aufbruchsstimmung und Leidenschaft, was sich auch an den recht simplen, teils monotonen bis fast hypnotischen aber sehr effektiven Strukturen zeigt.

Was ENSLAVED damals zu den Kollegen bereits unterscheidet, sind die recht prägnanten und nicht so sehr in den Hintergrund gemischten Basslinien. Das Keyboard, welches neben den kalten Gitarren für majestätische Melodik sorgt, ist auch bei ihnen ein wichtiger Teil der Musik, die aber noch sehr stark klirrend ungestümen und dabei fürstlich rasanten Black Metal enthält in Form von frostig sägenden Gitarren, die repetitiv prägnante Riffs teils voller Dramatik zelebrieren, hoher, heiserer Kreischgesang, der aber recht spärlich vorkommt, sowie oft rasend schnelle Rhythmen mit Blast Beats. Mit relativ minimalistischen Mitteln erschufen ENSLAVED dennoch voneinander abwechslungsreiche, eingängige, epische und aggressive Stücke, die einige wenige folkloristische sowie elektronische Elemente enthält, was die Atmosphäre zusätzlich unterstreicht. Das alles macht das archaische „Vikingligr Veldi“ zu einem Klassiker der frühen Neunziger, auch wenn die Genialität späterer Werke noch nicht erreicht wurde. Ein harscher, rauer, ungeschliffener Grundstein für das Genre Viking Metal.

Sammlungswürdig: Die Wurzeln von ENSLAVED und ein früher Klassiker Norwegens – Pflicht!

Highlights: Lifandi Liv Undir Hamri, Vetrarnótt

Frost (1994)

Text: Marc Thorbrügge

Bereits ein halbes Jahr nach dem Debüt hauen ENSLAVED ihr zweites Album raus. “Frost” geht in allen Belangen einen Schritt weiter als der Vorgänger. Die nordische Mythologie rückt noch stärker in den Fokus, die Songs werden komplexer und hochwertiger. Vor allem aber klingen ENSLAVED eigenständiger.

War vorher noch nicht zu erahnen, wie sich die Band musikalisch von Weggefährten wie EMPEROR und SATYRICON abgrenzen würde, zeigen sich auf “Frost” der glasklare Sound, die progressiven Songstrukturen und die daraus entstehende majestätische, trotz aller Raserei beinahe entrückte Atmosphäre. Auch das Zusammenspiel zwischen harschen Gitarren und folkloristischen Akustik-Parts, zwischen wütendem Geschrei und melancholischem Klargesang gelingt deutlich besser.

Diese musikalische Genialität wirkt ansteckend. “Frost” öffnet, mehr noch als das erste ULVER-Album, die Tür für zahlreiche andere Bands, angefangen bei Landsleuten wie BORKNAGAR und HELHEIM, die ihren Sound ebenfalls progressiven Elementen öffnen. Dass diese Entwicklung von einem Album beschleunigt wird, dessen Attitüde sehr tief in einer verklärten Vergangenheit wurzelt, macht “Frost” umso faszinierender.

Sammlungswürdig: Steht das nicht schon in eurem Regal?

Highlights: Loke, Fenris, Gylfaginning

Eld (1997)

Text: Eckart Maronde

ENSLAVED tun sich nach ihrem Zweitwerk “Frost” schwer, einen Nachfolger zu präsentieren. “Eld” (dt. “Feuer”) erscheint erst nach drei Jahren, was teilweise der Tatsache geschuldet ist, dass Schlagzeuger Trym Torson die Band bald nach Veröffentlichung von “Frost” verlässt und durch Harald Magne Revheim (der hier als Harald Helgeson auftritt) ersetzt wird.

„Eld“ erreicht nicht die Klasse des Vorgängeralbums

An ihm liegt es allerdings nicht, dass “Eld” den Erfolg und die Reputation des Vorgängers nicht erreicht: Das Schlagzeugspiel ist nämlich gleichzeitig wieselflink, als auch progressiv und durchdacht. Da können die sieben teilweise ellenlangen Kompositionen leider nicht ganz mithalten. Denn wenn es einen Kritikpunkt an “Eld” gibt, dann ist es der baukastenmäßige Aufbau der Songs – man höre sich einmal den Opener “793 (Slaget om Lindisfarne)” an, der in zwei genau gleich lange, achtminütige Parts aufgeteilt ist und insgesamt ein wenig statisch wirkt. Dabei gehört er allerdings noch zu den besseren Songs, denn letztlich können lediglich ebendieser Opener, “Glemt” und der Titeltrack “Eld” vollends überzeugen. Die restlichen Stücke sind ja nicht schlecht, aber außergewöhnlich auch nicht.

Stilistisch orientieren sich die drei Nordmannen am Vorgängeralbum, sind also insgesamt noch deutlich bei Black Metal, Raserei und Geschwindigkeit zu Hause und weniger in progressiven Gefilden. Trotz des variablen Schlagzeugspiels. Aber „Eld“ vermittelt nicht die Majestät der norwegischen Natur oder die Kraft der wikingerzeitlichen Mythen, wie es noch auf dem Vorgänger „Frost“ der Fall war. Insgesamt geben ENSLAVED hiermit eher ein Lebenszeichen von sich, als dass sie ein Ausrufezeichen setzen können.

Sammlungswürdig: erst in zweiter Reihe

Highlights: 793 (Slaget om Lindisfarne), Glemt, Eld

Blodhemn (1998)

Text: Eckart Maronde

Nach “Eld” dreht sich bei ENSLAVED das Personalkarussell abermals, und mit Drummer Dirge Rep und Leadgitarrist Roy Kronheim kommen zwei neue Mitglieder in die nunmehr zum Quartett angewachsenen Band. Und die drücken dem am 1. Juni 1998 und damit bereits 15 Monate später veröffentlichten “Blodhemn” ihren Stempel auf. Das lässt sich allerdings nicht als Pluspunkt verbuchen, wie auch Gründungsmitglied Ivar Bjørnsen in einem späteren Interview durchscheinen lässt. Kronheim kommt eher aus der Punk-Ecke, der Drummer ist Schwarzheimer durch und durch, und insgesamt gibt der Bandleader das erste Mal die Zügel aus der Hand.

„Blodhemn“ erreicht nicht die Prägnanz und Originalität der Vorgängerwerke

Heraus kommt ein Album, das nicht die Prägnanz und Originalität der Vorgängerwerke erreicht. Ja, “Blodhemn” ist ein Album, das zerrissen und ein wenig ziellos klingt, außerdem keine neuen Wege aufzeigt. Zwar enthalten die Songs vermehrt Gitarrenleads und kompliziertere Riffs, das Drumming wiederum ist straighter als zuvor. Aber bessere Songs stehen dadurch nicht auf der Habenseite. Hinzu kommt eine undifferenzierte und maschinenhafte Tägtgren-Produktion, die das Album wie eine schaukelnde Hansekogge wirken lässt und nicht wie ein wendiges und schnelles Wikingerboot. Das mag eine bewusste Entscheidung sein, aber ein Ohrenschmaus ist das Album bei aller harschen und schwarzmetallischen Raserei dadurch leider nicht.

Und im direkten Vergleich mit beispielsweise „Vikingligr Veldi“ oder „Frost“ kann das Album schon damals nicht mithalten. Zudem stehen beispielsweise mit HELHEIM oder EINHERJER weitere Bands auf der Matte, die um den Viking-Metal-Thron mitkämpfen. ENSLAVED wirken also nicht nur auf dem Albumcover etwas unentschlossen, was jetzt als nächstes passieren soll…

Sammlungswürdig: nur für Komplettisten

Highlights: Urtical Gods

Mardraum: Beyond The Within

Text: Johannes Werner

Nach dem sinfonischen “Eld” und dem brutalen Wutklumpen “Blodhemn” war “Mardraum: Beyond The Within” im Jahre 2000 keinesfalls vorherzusehen. Wie nie zuvor ließen ENSLAVED ihren Vorlieben für Progressive- und Psychedelic-Rock-Bands der Sechziger und Siebziger freien Lauf. Heute wissen wir, dass sich ENSLAVED in diesen Gefilden außerordentlich wohl fühlen und den Pfad so konsequent erforscht haben, dass sie ihn seither nie wieder so recht verlassen haben. Auf “Mardraum: Beyond The Within” finden sich erstmals deutliche PINK-FLOYD-Einflüsse, die man bereits im überlangen Opener “Større Enn Tid – Tyngre Enn Natt” klar vernehmen kann. “Entrance – Escape” intensiviert das trippige Spiel mit scheinbar bewusstseinserweiternden Soundlandschaften sogar noch.

Zudem werden die Songstrukturen an sich immer komplexer. Etliche Male, wie in “Daudningekvida”, “Æges Draum” oder “Det Endelege Riket” (mit großartigem Michael-Schenker-Gedächtnis-Solo) dominieren manische, teils polytonal verschachtelte VOIVOD-Riffs. Die Arrangements sind häufig so exakt durchkomponiert, dass es fast verkopft wirkt. All diese Feinheiten vermag die – wie üblich unangenehm höhenlastige – Peter-Tägtgren-Produktion leider überhaupt nicht zu tragen. Es zischt und scherbelt an allen Enden; Vintage-Rock-Sounds waren vor 20 Jahren im extremen Metal noch längst nicht so hip wie heute. So bleibt eine höchst eigensinnige Stunde Musik, in der eigensinnige Menschen aber viel verstörende Schönheit finden werden.

Sammlungswürdig: Nur für fortgeschrittene Fans.

Highlights: Større Enn Tid – Tyngre Enn Natt; Entrance – Escape; Det Endelege Riket

Monumenion (2001)

Text: Eckart Maronde

“Mardraum” war der Beginn der progressiven Ära bei ENSLAVED – und “Monumension” führte diesen Weg fort. Dabei ist beiden Alben ihre Sperrigkeit gemein, aber auch die Aufgeschlossenheit gegenüber Neuerungen. Orgelsounds? Kein Problem. Verhaltene Passagen? Klar. Vocals zwischen dem bekannten Black-Metal-Krächzen und monströsem Grunzen? Immer her damit. Hinzu kommen Kompositionen, die gerade im Gitarrenbereich mit allem brechen, was ENSLAVED in den ersten Jahren ihrer Existenz veranstaltet haben.

„Monumension“ ist sperrig – und enthält eine Überraschung

Allerdings erfordert die veränderte thematische Herangehensweise auch Neuerungen. Schließlich geht es schon auf dem Vorgänger “Mardraum” nicht mehr nur um die wikingerzeitlichen Mythenüberlieferungen, sondern um einen nach innen gekehrten Blickwinkel. Und der offenbart eben ein paar Abgründe, die halt auch musikalisch stimmig umgesetzt werden wollen. So sind straightere Songs wie “The Voices” deutlich in der Minderheit. “Vision: Sphere of the Elements – A Monument Part II”, “The Cromlech Gate” oder “Enemy I” sind hingegen deutlich sperriger, “The Sleep: Floating Diversity – A Monument Part III” fast schon von Seventies-Progressivität getragen. Als kleines Bonbon für alle Wikingerjünger endet das Album mit dem schamanisch trommelnden und mit ausgeklügelten Chorarrangements versehenen “Sigmundskvadet” – allerdings macht bereits der Zusatz “performed by HOV” deutlich, dass es sich hierbei um ein Experiment außerhalb der Reihe handelt – ein einmaliges obendrein, wie sich zeigen sollte.

Insgesamt ist “Monumension” sicherlich kein Album aus der ersten Reihe der ENSLAVED-Diskografie – es hat aber gegenüber “Mardraum” den deutlich angenehmeren Sound und gegenüber “Blodhemn” einen wesentlich interessanteren Ansatz.

Sammlungswürdig: Auch hier gilt: nur für fortgeschrittene Fans

Highlights: The Voices, Sigmundskvadet

Below The Lights (2003)

Text: Johannes Werner

Vieles ist anders auf “Below The Lights”, das seinerzeit von einem anonymen Bösewicht aus unseren Reihen mit schäbigen sechs Punkten abgestraft wurde. Mit Roy Kronheim (Gitarre) und Dirge Rep verließen zwei langjährige und kreative Mitstreiter die Band. Letzterer wirkte immerhin noch am Songwriting von “Below The Lights” mit und vermöbelte ein letztes Mal die Kessel, um sich fortan ORCUSTUS zu widmen. Für Kronheim allerdings rückte mit Arve Isdal ein Gitarrist nach, der sich zwar nicht am unmittelbaren Songwriting beteiligen sollte, jedoch mit seinem am Classic Rock orientierten Leadgitarren das Gesicht der Band visuell und musikalisch bis heute nachhaltig prägt. Außerdem verbinden ENSLAVED nach dem sperrigen “Monumension” nun auf völlig selbstverständliche Weise extremen Metal mit klassischem Prog und halten von der ersten bis zur letzten Minute eine perfekte Balance aus beiden Welten aufrecht. “Below The Lights” legt den Grundstein für den Sound, mit dem man ENSLAVED in der Gegenwart assoziiert.

Ein diesmal auf Natürlichkeit bedachter weicher Sound mit den inzwischen typisch crunchigen Gitarren bettet ein Kompositionsfeuerwerk ein, das – wie nahezu alles, was die Bergener in den letzten zwei Jahrzehnten veröffentlichten – lange braucht, um ins Ohr zu gehen. Dafür wird man beinahe mit Langzeitwirkung auf Lebenszeit belohnt. Egal, ob der grandiose Opener “As Fire Swept Clean The Earth”, das mit unglaublich lässigem JETHRO-TULL-Intro versehene “Queen Of Night” oder das harsche “Ridicule Swarm” – ENSLAVED haben inzwischen zu sich selbst gefunden und demonstrieren dies mit beeindruckendem Selbstvertrauen. Von “Below The Lights” aus sollten ENSLAVED die eingeschlagene Route konsequent erkunden und fortsetzen. Und (fast) immer noch einen drauf setzen können.

Sammlungswürdig: Definitiv.

Highlights: As Fire Swept Clean The Earth, The Crossing, Queen Of Night, A Darker Place

Isa (2004)

Text: Sven Lattemann

Mit ihrem achten Album halten ENSLAVED beharrlich Kurs. Der kreative Output der Band Anfang der 2000er-Jahre ist enorm: Nur eineinhalb Jahre nach dem Batzen „Below The Lights“ erscheint im November 2004 „Isa“, das im vorhergehenden Sommer in den bewährten Grieghallen-Studios aufgenommen wurde. Dem nach der Eis-Rune benannten Album gelingt es (erneut) auf unnachahmliche Weise, die Eindringlichkeit und Wucht des Black Metal mit spannenden Kompositionen und tollen Melodien zu vermischen.

ENSLAVED entwickeln ihren Stil weiter

Schon zu Beginn von „Isa“ hauen die Norweger ein Titel-Trio raus, das die gesamte Bandbreite des Schaffens klarmacht: Das wogende „Lunar Force“ mit dem beinahe klassisch-schwarzmetallischen Abschluss und einem kleinen ABBATH-Gastauftritt als wuchtiger Einstieg, dazu in direktem Kontrast der Titeltrack mit dem zwischen Growling und Klargesang wechselnden Gesangslinien und dem hymnischen Refrain. Dann setzt es mit „Ascension“ noch einen drauf, ein Stück, das richtig satt im psychedelischen Rock wildert und mit einem markanten Orgelspiel fesselt.

Die Experimentierfreude jedenfalls, die ENSLAVED an den Tag legen, ist auch danach beachtlich: „Violet Drawning“ mit dem hämmernden, industrial-artigen Schlagzeug, dagegen das fast zurückhaltende „Return To Yggdrasil“ und das wogende “Bounded By Allegiance”. Langeweile kommt hier zu keiner Sekunde auf – doch zur progressiven Perfektion treiben es die Herren Kjellson und Bjørnson wohl mit dem 11-minütigen „Neogenesis”.

„Isa“ – die Manifestierung der modernen ENSLAVED

„Isa“ macht bereits bei den ersten Hördurchgängen mächtig Eindruck – und legt mit der Zeit und zunehmenden Durchläufen sogar noch weiter zu. Das Werk aus 2004 ist ein essenzielles ENSLAVED-Album und vereint alle Stärken der Band in einem fünfzig-minütigen, einzigartigen Gesamtkunstwerk. Den Status als Klassiker der Band untermauert “Isa” sicherlich auch durch die live beliebten und häufigst gezogenen Titel „Isa“ selbst und „Return To Yggdrasil“, ohne die einfach kein ENSLAVED-Konzert steigen darf.

Sammlungswürdig: Ja, ohne Frage.

Highlights: Isa, Return To Yggdrasil, Neogenesis

Ruun (2006)

Text: Sven Lattemann

Mitte 2006 erscheint das neunte Album von ENSLAVED. Die Norweger schleifen weiter an ihrem ureigenen Progressive Viking Metal: In direkter Folge zu dem Vorgänger „Isa“ fühlt sich „Ruun“ wie eine konsequente Fortführung ohne großen Bruch an.

„Ruun“ – Das Team spielt sich ein

„Ruun“ wirkt runder, vielleicht auch ein wenig geschlossener als „Isa“, ist dafür aber auch etwas weniger impulsiv. Die rockigen Anteile erobern zunehmend das Terrain, so richtig losgehauen wird auf „Ruun“ gar nicht mehr – da geht es maximal ein wenig zackig auf „Fusion Of Sense And Earth“ voran.

Das mit „Isa“ formierte Gesangsduo Kjellson/ Larsen gewinnt hörbar an Routine und harmoniert zunehmend ausgewogen. Ein besonderes Highlight bildet der in der Mitte des Albums angesiedelte Titeltrack „Ruun“, der mit seinem Wechsel aus Klargesang und Growling, den Tempowechseln und dem spannenden Songaufbau ein absolutes Highlight der Schaffenskraft ENSLAVEDs darstellt.

Dass die Black Metal-Wurzeln dabei weitestgehend gekappt werden und nur noch gelegentlich durchschimmern: Reine Haarspalterei. ENSLAVED haben Mitte der 2000er-Jahre ihren eigenen Sound gefunden, der in so epischen, von Keyboardklängen getragenen Titel wie „Essence“ oder “Heir To The Cosmic Seed” definiert wird.

ENSLAVED treibt es weiter zu neuen Ufern

Mit “Ruun” setzen ENSLAVED ihre Expedition in progressive Gefilde fort – eine rastlose Suche, die auch mit diesem Album nicht vollendet wird. “Ruun” ist und bleibt aber ein monolithischer Meilenstein in der Diskographie der Band, der über die gesamte Spielzeit fesselt – einfach auch, weil er das Verhältnis von gelungenem Experiment zu bewährter ENSLAVED-Basis wunderbar ausgewogen hält.

Sammlungswürdig: Klaro. Kennst Du “Ruun”? Musst Du kennen!

Highlights: Entroper, Ruun, Essence

Vertebrae (2008)

Text: Michael Klaas

Auf den Wogen von „Ruun“ gleitend erscheint 2008 „Vertebrae“, bei dem ENSLAVED den Gipfel ihrer Progressivität erreichen sollten. Vollgepackt bis obenhin mit einfallsreichen Songs, welche die Identität der Band jederzeit durchscheinen lassen, in puncto Kreativität aber doch gerne mal von der Leine gelassen werden, ist das insgesamt zehnte Album der Herren das essentielle Prog-Album ihrer Diskografie und jenes, auf dem sich diese Ader am ausgereiftesten zeigt.

Die modernen ENSLAVED auf dem Zenit

Dabei tummeln sich schrägere Tracks wie der großartige Opener „Clouds“ mit seiner eröffnenden Synthesizer-Sequenz und den Riffs in den aggressiveren Passagen, bei denen ich komischerweise immer an schwarzmetallischen Surf Rock denken muss, oder das höchst atmosphärische „Reflection“ neben traditioneller anmutenden Songs wie beispielsweise „New Dawn“, in denen speziell Herbrand Larsens Klargesang etwas seltsam Sehnsuchtsvolles durchscheinen lässt. Der Hang der Band, Elemente klassischen Progs einzuarbeiten, offenbart sich durch die zahlreichen PINK FLOYD-Einflüsse, aber auch durch die schönen Mellotron-Streicher zum Ende des letztgenannten Songs „New Dawn“.

Grutle Kjellson und Herbrand Larsen bilden erneut ein gut aufeinander eingespieltes gesangliches Tandem zwischen Kjellsons markanntem Gekeife und dem Klargesang Larsens. Beides im Zwischenspiel funktioniert bei diesen Songs besonders gut. Der Sound ist warm, leicht fuzzy und verpasst dem Album diese eigenartig andersweltliche Art. Das passt: Auf „Vertebrae“ sind Kjellson und Co. wahrhaftig andersweltlich unterwegs gewesen und zaubern ein Referenzwerk aus dem Wikingerhelm, das gehört gehört.

Sammlungswürdig: Aber sowas von!

Highlights: Clouds, To The Coast, Ground, New Dawn, Reflection, The Watcher (aber eigentlich kann man’s wunderbar am Stück hören)

Axioma Ethica Odini (2010)

Text: Michael Klaas

Beim Lesen zeitgenössischer Kritiken freuten sich viele, dass ENSLAVED mit „Axioma Ethica Odini“ wieder metallischer geklungen haben und den etwas rockigeren, experimentellen Sound der Vorgängerwerke „Ruun“ und „Vertebrae“ wieder mit deutlich mehr Härte unterfüttert haben. Im Grunde kann man das so stehen lassen. „Axioma Ethica Odini“ ist der jüngere, ruppigere Bruder der beiden Vorgängerwerke und als solcher heavier und rifforienterter (man höre „The Beacon“!) unterwegs bei gleichbleibendem Fokus auf Experimentierfreude und Atmosphäre.

Die Norweger sind wieder härter unterwegs

Man muss dazu sagen, dass das Album hier und da auch repetitive Passagen enthält, die nicht immer ganz zünden. Die etwas langweilig bratenden Riffs im Opener „Ethica Odini“ hätten mit etwas mehr Leben gefüllt werden können. Aber das ist wirklich Korinthenkackerei, denn abseits dieser kleineren Abstriche laufen die Norweger wieder einmal zur Hochform auf.

Will sagen: Die mittlerweile bewährten, experimentellen Qualitätsmerkmale halten auch hier weiterhin, was sie versprechen, haben dank des erhöhten Metal-Anteils nun aber einen etwas technischeren Charakter. Sie zielen weiterhin erfolgreich auf Atmosphäre ab, was sich wunderbar mit der Gesangsleistung ergänzt. Apropos: Das gesangliche Zweigespann Grutle Kjellson/Herbrand Larsen läuft vor allem in „Waruun“ und „Night Sight“ zu stimmungsvollen Höchstleistungen auf. Songschreiberisch haben diese beiden Tracks zusammen mit dem vergleichsweise geradeaus gespielten „Raidho“, „Giants“ und „Singular“ die Nase vorn, während das Synthie-Interlude „Axioma“ eine nette Dreingabe ist.

Klasse mit kleinen Abstrichen

Kurzum: ENSLAVED rücken ihren modernisierten Sound mit „Axioma Ethica Odini“ wieder etwas mehr in Richtung Metal und passen ihr Songwriting entsprechend an. Mit den erwähnten, kleinen Abstrichen kann die Platte als weiterer, essentieller Bestandteil der mittelspäten ENSLAVED angesehen, -gehört und gesammelt werden.

Sammlungswürdig: Wer die Wahl zwischen dem hier und „Ruun“/“Vertebrae“ hat, sollte letzteren den Vortritt lassen. Ansonsten: Definitiv!

Highlights: Raidho, Waruun, The Beacon, Giants, Singular, Night Sight

RIITIIR (2012)

Text: Alex Klug

The best of both worlds: Eigentlich ist es schon schwer zu glauben, wie jung und frisch ENSLAVED 2012 klingen – ohne gleichzeitig anbiedernd und scheiße zu sein. Der Shift vom reinen Black Metal zum extremeren Prog ist längst vollzogen, „RIITIIR“ bietet Platz für gediegene, teils nicht einmal unpoppige Melodiearbeit – und viel Vertrautes.

Musikalisch geht’s dabei gar nicht so viel anders zu als in der jüngeren Vergangenheit, das Riffing wurzelt etwas mehr in Doom und Hard Rock denn im Black Metal vergangener Tage (Ausnahme: „Storm Of Memories“). Die jedoch auch Alt-ENSLAVED-Fans nicht unbekannte repetitive Komponente lässt sich auch hier klar auszumachen, verlagert sich zeitweise jedoch in bisher noch nicht beackerte Krautrock-Gefilde. Das sorgt zwar gerade in der zweiten Hälfte vielleicht einmal für die eine oder andere Länge – macht aber eben auch nur einen Bruchteil der instrumentalen Leistung aus.

Die eigentliche samtig-weiche Rotwein-Note verdankt „RIITIIR“ nämlich Keyboarder Herbrand Larsen, der gesanglich die wohl beste Performance seine Karriere hinlegt – von AHABs postig-doomigen „The Giant“ einmal abgesehen, auf dem er früher im Jahr beteiligt ist.

Aber: Keine falsche Angst vor altersmildem Geschwurbel! Denn schon das überlebensgroße „Roots Of The Mountain“ zeigt, dass zu einem guten Wein immer auch eine ordentliche Portion Nüsse gehören. Und so sorgt der Wechselgesang zwischen Larsen und gutturalem Hauptsänger Kjellson, dem scheinbar selbige den Rachen aufgekratzt haben, dafür, dass „RIITIIR“ als einer der deutlicheren Grenzgänger der ENSLAVED-Diskografie nie die Balance verliert.

Sammlungswürdig: Aber ja doch!

Highlights: Roots Of The Mountain, Thoughts Like Hammers

In Times (2015)

Text: Eckart Maronde

„In Times“ setzt im Großen und Ganzen stilistisch dort an, wo sein Vorgänger „Riitiir“ aufgehört hat. Das ist keinesfalls negativ gemeint, sondern vielmehr Ausdruck dessen, dass ENSLAVED in diesem Bereich einfach noch nicht alles gesagt hatten.

Und „In Times“ hat großartige Songs. Vor allem die Gesangsarrangements sind ausgefeilt und verleihen Stücken wie „One Thousand Years Of Rain“ oder „Building With Fire“ eine angenehme Eingängigkeit. Und das, obwohl sich jeder der sechs Songs oberhalb der Achtminutenmarke einpendelt. Bei aller Progressivität klingen die Songs aber nicht überbordend oder sperrig; das Bergener Quintett versteht es meisterlich, geschmeidige Kompositionen zu kreieren und bestehende Übergänge mit geschickten Gitarrensoli zu schließen. Leadgitarrist Ice Dale ist schließlich coolere Sau als die meisten Hardrocker, und überhaupt… er weiß, dass Chaos mit Rückkopplung und Tremolohebel eher zielgerichtet eingesetzt werden will und nichts über ein ganz klassisches Solo geht.

„In Times“ überzeugt mit großartigen Songs

Nicht zuletzt profitieren die Songs von den umschmeichelnden Vokallinien, die sich Frontmann Grutle Kjellson (harsch) und Herbrand Larsen (clean) wie gewohnt aufteilen. Noch was? Der Opener „Thurisaz Dreaming“ weckt mit seinen tropfenden Tönen im Zwischenteil Erinnerungen an vergangene Dunkelheit (und auch wenn man deren Urheber seit vielen Jahren einen verwirrten Geist attestieren muss, stimmungsvoll ist es allemal).

„In Times“ ist nicht nur eins der besten Alben von ENSLAVED, es bedeutet leider auch das Ende einer Ära – denn danach verließ erst Keyboarder Herbrand Larsen die Band, nach den Aufnahmen zum Nachfolgealbum auch Drummer Cato Bekkevold. Aber bekanntlich können sich ja auch neue Türen öffnen, sobald alte geschlossen werden…

Sammlungswürdig: Klassiker

Highlights: Thurisaz Bleeding, Building With Fire, One Thousand Years Of Rain

E (2019)

Text: Marc Thorbrügge

Nachdem ENSLAVED über zehn Jahre kultiviert haben, was mit “Isa” gepflanzt wurde, probieren sie mit “E” neue Ideen aus. Dies bedeutet jedoch keine unbekümmerte Beliebigkeit, sondern ein überaus durchdachtes Experiment. Mehr noch als früher lassen sich ENSLAVED vom Progressive Rock der 1970er inspirieren, was sich nicht nur in den generellen Songstrukturen, sondern auch in der Gitarrenarbeit und dem Keyboard-Einsatz widerspiegelt.

Dabei machen die Norweger aber nicht den Fehler, ihr Erbe komplett über Bord zu werfen. “E” steht zumindest mit einem Zeh im Black Metal und beinhaltet immer noch die nordische Majestät des Viking Metal. Doch damit hört es nicht auf. Doom, Post-Rock und sogar ein Saxophon finden sich auf “E” ein.

Trotzdem klingt alles wie aus einem Guss und eingängig. Ungeachtet der komplexen Songstrukturen finden die Songs leicht ihren Weg ins Gedächtnis, ohne dabei aufdringlich um Gunst zu betteln. Unterm Strich ist “E” trotz aller unterschiedlicher Einflüsse kein Sammelsurium, sondern ein in sich schlüssiges Werk, mit dem ENSLAVED sich zwar nicht komplett neu erfinden, aber neue Wege für sich entdecken. Dies mag nicht jedem gefallen, zeigt aber, dass die Band ihre Geschichte noch lange nicht zu Ende erzählt hat.

Sammlungswürdig: Für Fortgeschrittene.

Highlights: „Sacred Horse“, „Hiindsiight“

Utgard (2020)

Text: Eckart Maronde

„Utgard“ ist in der nordischen Mythologie ein Gebiet außerhalb der neun Welten und ein Wohnort von Riesen und Trollen. ENSLAVED haben also ein vergleichsweise konkretes Thema als Klammer für die Songs auf ihrem neuen, mittlerweile fünfzehnten Studioalbum gewählt. Und es tut gut, ein paar konkrete Assoziationen und Bilder im Kopf zu haben. Denn „Utgard“ ist ein vergleichsweise sperriges Album geworden, mit dem man vielleicht nicht sofort warm wird.

„Utgard“ – konkrete Assoziationen und Sperrigkeit

Wenn also der Opener „Fires In The Dark“ mit einem sonoren Wikingerchor beginnt, ist dies lediglich der Auftakt zu einem Album, das vergleichsweise progressiv ist und zwischen heimeligen und abweisenden Passagen, zwischen Melodie und Chaos pendelt. Dafür steht stellvertretend „Homebound“, bei dem diese beiden Pole ziemlich unvermittelt gegenüberstehen, nur um im Refrain dann doch eine Synthese zu finden. Eher gewöhnungsbedürftig ist „Urjotun“, das mit einem Synthie-Loop beginnt und schließlich im Spacerock ausläuft. Das ist ungewohnt und sperrig, funktioniert aber trotzdem. Dazwischen stehen Songs, welche die Black-Metal-Wurzeln nicht verleugnen, harsch und gleichzeitig ein wenig episch sind. Gerade am Ende finden sich aber auch Stücke, bei denen der Härtegrad ziemlich zurückgeschraubt wird.

Hinzugekommen ist aber mit Schlagzeuger Iver Sandøy eine weitere Gesangsstimme, die dem Sound von ENSLAVED eine neue Facette hinzufügt – er kann ziemlich frei und mit Inbrunst singen und tut dem Sound des Quintetts aus Bergen durchaus gut. Und so ist „Utgard“ vielseitig und letztlich überzeugend, wenngleich nicht das beste Album der Bergener Band; es ordnet sich aber locker in der oberen Hälfte der überwiegend hochklassigen Diskographie ein.

Sammlungswürdig: Nach den Klassikern: letztlich ja

Highlights: Jettegryta, Homebound, Urjotun

Quelle: Unsere Plattensammlungen
16.10.2020

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

Exit mobile version