Eluveitie
Listening-Session zum neuen Album "Helvetios"
Special
Wirklich unumstritten waren die eidgenössischen Folk-Metaller ELUVEITIE nie. Dabei brauchen sie sich musikalisch wahrlich nicht hinter der vornehmlich skandinavischen Konkurrenz verstecken. Nun hat die achtköpfige Truppe mit „Helvetios“ ein besonders heißes Eisen im Feuer.
Promoter Markus Jakob spricht sogar von „ELUVEITIES ‚Black Album‘ – nicht nur wegen des Covers“. Nun neigt man in seinem Metier ja gerne zu Superlativen, schließlich will man auch das Geschäft ordentlich ankurbeln. Dass er es in diesem Fall jedoch todernst meint und mit seiner Einschätzung sogar ziemlich richtig liegt, davon können sich einige ausgewählte Presse-Vertreter Ende November im Donzdorfer Nuclear-Blast-Hauptquartier überzeugen. Bandkopf Christian „Chrigel“ Glanzmann und Anna Murphy, die bei ELUVEITIE nicht nur für Gesang und Drehleier zuständig ist, sondern auch gemeinsam mit Marco Jencarelli in den Luzerner „Soundfarm Studios“ für die Produktion von Folk-Instrumenten und Gesangspart verantwortlich zeichnete, sind mit der eben erst fertig gewordenen Scheibe im Gepäck angereist und machen einen sichtlich nervösen Eindruck.
Natürlich werden ELUVEITIE auch mit diesem Album nicht in die Größenordnung von METALLICA vorstoßen. Für sie persönlich dürfte „Helvetios“ aber tatsächlich einen ähnlichen Stellenwert haben, wie das selbstbetitelte „schwarze Album“ der Thrash-Titanen. Das Album präsentiert die gesamte musikalische Bandbreite der Band, weist einige überraschende Wendungen auf und erlaubt sich in der Umsetzung keinerlei Schwächen. Darüber hinaus verschiebt es aber auch einige Grenzen des Folk-Metal-Genres und setzt neue Maßstäbe, an denen sich künftig auch die skandinavische Konkurrenz orientieren darf.
„Helvetios“ ist ein Konzeptalbum über den Gallischen Krieg. Dieser geht auf die Auswanderungsbestrebungen der von den germanischen Sueben unter Druck gesetzten Helvetier in der Mitte des ersten Jahrhunderts vor Christus zurück, die wiederum Cäsar einen Vorwand für seinen ambitionierten Feldzug zur Eroberung ganz Galliens lieferten. Der Krieg gipfelte im von Vercingetorix angeführten Aufstand der Gallier gegen die römischen Besatzer, der im Jahr 52 vor Christus nach der Schlacht um Alesia blutig niedergeschlagen wurde.
Als wichtigste Quelle zu den historischen Ereignissen gilt Cäsars „De Bello Gallico“, das in acht Büchern umfassend die militärischen Operationen der Jahre 58 bis 50 vor Christus beschreibt. Allerdings erzählt Cäsar naturgemäß aus der Sicht der Römer und ist bemüht, sich selbst in einem möglichst guten Licht dastehen zu lassen, so dass die historische Authentizität seiner Schilderungen an vielen Stellen äußerst fragwürdig erscheint. Demgegenüber wollen ELUVEITIE – wie der Titel „Helvetios“ bereits andeutet – die Geschichte aus Sicht der Helvetier erzählen, wofür eine umfangreiche Recherchearbeit nötig gewesen sein dürfte.
Anna Murphy bestätigt dies: „Der Chrigel recherchiert viel in Büchern, im Internet und auch mit auf die Kelten spezialisierten Wissenschaftlern. Was wir machen, ist eine Geschichte zu erzählen, und die ist historisch fundiert. Das ist also nicht irgendwelcher esoterischer oder paganistischer Schnickschnack, sondern es ist einfach Geschichte. ‚Helvetios‘ ist ein Konzeptalbum und stellt eigentlich eine chronologische Abfolge der Geschichte des Gallischen Krieges aus der Sicht der Helvetier dar. Für mich ist das ein bisschen wie ein Film-Soundtrack, weil es musikalisch voll auf die Texte abgestimmt ist.“
Doch nun wollen wir endlich auch hören, was uns da mit so vollmundigen Worten angekündigt wurde. Und sind schon mächtig gespannt auf das, was die Band gemeinsam mit Produzent Tommy Vetterli im „New Sound Studio“ in Pfäffikon, sowie in den bereits erwähnten „Soundfarm Studios“ in Luzern eingespielt hat.
Los geht es mit dem vergleichsweise langen Spoken-Word-„Prologue“, der mit dem Rauschen von Wind im Hintergrund beginnt, in das sich nach und nach sanfte, keltische Klänge und Background-Chöre mischen. Fließend geht dieses Intro-Stück in den Titeltrack „Helvetios“ über, eine ziemlich flotte Growl-Hymne, die mit ihrem Irish-Folk-artigen Zwischenspiel eine perfekte Balance aus Melodie und Härte findet. Auch wenn das Stück im Grunde dem bewährten Folk-Metal-Schema früherer ELUVEITIE-Veröffentlichungen folgt, weiß es zu gefallen und macht Lust auf mehr.
Den thematischen Hintergrund beschreibt Anna wie folgt: „Es fängt mit einer Einführung an, wer die Helvetier sind und wie das alles entstanden ist. Dann baut sich da ein immer größerer Druck auf, du hast auf der einen Seite die barbarischen Stämme, die dich überfallen und ausplündern. Auf der anderen Seite steht dann noch Rom, also die Bedrohung Nummer eins, die dich quasi erobern will. Im ersten Viertel des Albums geht es um die Frage, was man jetzt angesichts dieses Drucks machen soll, und dann entstehen eben die Pläne zu fliehen oder auszuwandern. ‚Helvetios‘ ist für mich einer der besten Songs auf der Scheibe.“
Es folgt das mit einem fantastischen Groove versehene „Luxtos“, das mit seiner simplen, aber effektiven Ohrwurm-Melodie überraschend viel Pop-Appeal aufweist. Die Refrain-Chöre und der schunkelige „Bumdarassa-Dsching-Gesang“ könnnte das Stück zu einer starken Single-Auskopplung machen. Dabei zeigt sich aber auch erstmals, dass das Album beim ersten Hören an vielen Stellen etwas überladen wirkt. Die vielen verschiedenen Folk-Instrumente klingen zwar authentisch, lassen einander aber recht wenig Raum. Möglicherweise wäre hier weniger mehr gewesen, vielleicht braucht es aber auch einfach nur mehrere Hördurchläufe, bis man wirklich begreift, was hier alles passiert.
Diesen Eindruck bestätigt auch Anna: „Es passiert tatsächlich sehr viel. Aber Tommy Vetterli hat das umso besser gemacht. Als ich ‚Song 2‘ – der jetzt ja ‚Luxtos‘ heißt – bei mir im Studio gehört habe, dachte ich, ich krieg epileptische Anfälle, wenn ich das höre. Da ist so viel: Zwei Flöten und Drehleier und Geige und Akkordeon… In einem Part gab es so viele verschiedene Spuren, dass mich echt gefragt habe, wie das gehen soll. Aber der Tommy hat das wirklich super hingekriegt.“
Mit „Home“ folgt ein Stück, dessen Intro zwar sehr getragen und episch anmutet, das sich dann aber als eher kompakt entpuppt. Auf Anhieb wirkt der Titel eher unauffällig. Und auch das sich anschließende „Santonian Shores“ tanzt nicht wirklich aus der Reihe, obwohl die Gitarren hier ziemlich recht fett braten und dabei stellenweise erfrischend modern wirken. „Ich persönlich bin auch nicht so der Fan von ‚Luxtos‘ und ‚Santonian Shores‘,“ bekennt Anna. „Das sind zwar gute Songs, aber auch nicht die großen Knaller.“
Insgesamt fällt bis hierhin auf, dass die Songs zwar alle gut umgesetzt sind, dabei aber auch recht unkompliziert funktionieren und in kompositorischer Hinsicht eher Folk-Metal-Standardkost bieten. Das erleichtert es dem Zuhörer zweifellos, sich in die Scheibe hineinzufinden, birgt aber auch die Gefahr, dass der ein oder andere nach den ersten drei Liedern noch nicht wirklich gepackt ist und das Album vorschnell beiseite legt. Dabei stellt das bisher gehörte eher noch das harmlose Vorspiel dar, die echten Kracher folgen erst ab hier.
„Scorched Earth“ setzt einen ruhigen Gegenpol zum bisher recht flotten Folk-Metal-Programm. Mit klagendem Solo-Gesang kommt das Stück als ein längeres Zwischenspiel daher, das als klagendes Lamento Erinnerungen an die elbischen Klagegesänge in der „Herr der Ringe“-Verfilmung weckt. Anna zieht hingegen einen anderen, ebenfalls sehr treffenden Vergleich: „Ich hab die Filme nicht gesehen. Ich hab das Buch gelesen, finde das toll und will die Filme dann gar nicht sehen. Ich muss hier dafür immer an den Soundtrack von ‚Gladiator‘ denken.“ Die Melancholie des Stückes hält sie jedenfalls für symptomatisch: „Es ist halt – was die Geschichte so mit sich bringt – ein düsteres, trauriges, dunkles Album.“
Das härtetechnische Kontrastprogramm folgt auf dem Fuße. „Meet The Enemy“ kommt zunächst als flotter Knüppel-Song mit stark betonter Death-Metal-Komponente daher. Das ist natürlich kein Zufall: „Bei ‚Meet The Enemy‘ geht es darum, dass die Römer, so feige wie sie halt zum Teil waren, einfach über Nacht Dörfer überfallen und sich völlig unter aller Sau aufführen.“ Im Mittelteil bricht dann ein Flötensolo den Song auf, der sich mit fortschreitender Spieldauer als wahres Chamäleon entpuppt, das seinen Charakter mehrfach komplett wandelt und schließlich sphärisch-abgehoben ausklingt.
Nun wird es ziemlich thrashig. „Neverland“ überzeugt mit stark betontem Riffing, einem klassischen Ohrwurm-Refrain und einem coolen Einsatz von zweistimmigem Gesang. Dagegen wird „A Rose For Epona“ von Annas weiblichem Clean-Gesang beherrscht. „Der Song wird aus Sicht eines Zivilisten erzählt. Epona ist eine gallische, beziehungsweise keltische Göttin und es geht dann darum, dass man seinen Glauben verliert. Du siehst halt tote Soldaten überall um dich herum und dann fragst du dich: Was ist hier überhaupt los und wo bleibst du selbst dabei? Das ist alles sehr verzweifelt in diesem Teil des Albums.“ Melancholie gepaart mit Poppigkeit – beinahe wildern ELUVEITIE hier im klassischen NIGHTWISH-Territorium. Durch die keltische Note lässt gleichzeitig aber auch das Mel-Gibson-Meisterwerk „Braveheart“ grüßen.
Nun gibt es aber wieder ordentlich auf die Fresse: „Bei ‚Havoc‘ und ‚The Uprising‘ geht es direkt um die Kriege und die Aufstände der Gallier, die leider erfolglos waren.“ Beide Up-Tempo-Stücke machen Spaß, bleiben aber auf Anhieb nicht wirklich hängen. „Havoc“ kommt dabei besonders knüppelig daher, während „The Uprising“ eine weitere Spoken-Word-Passage beinhaltet. Nach dem ganzen Gemetzel gibt es mit „Hope“ wieder einen ruhigen Gegenpol. Das Flöten- und Dudelsack-Zwischenspiel steigert sich kontinuierlich durch Hinzunahme neuer Instrumente und leitet so gekonnt zum großen Album-Höhepunkt über.
Von „The Siege“ zeigt sich auch Anna restlos begeistert: „Das ist mein Lieblingssong. Ich war drei Tage heiser, nachdem ich den eingesungen habe. Er ist von Ivo (Henzi, Gitarre – Anm. d. Red.) und ich weiß auch nicht, wie er das geschrieben hat, aber ich finde ihn hammermäßig! Ich weiß jetzt nicht, wie ich das live hinkriegen werde, vor allem jeden Tag so rumschreien und dann noch ‚A Rose For Epona‘ schön singen… Ich muss das halt irgendwie üben. Aber ‚The Siege‘ hat mir so viel Spaß gemacht, bei der Vorproduktion war es mein Lieblingssong und jetzt noch immer. Vor allem, weil er halt auch noch das Folkige drinnen hat, nicht zuviel, aber gerade genug. Ich finde den perfekt.“ Diesem Urteil kann man nicht widersprechen. Das härteste Stück des Albums hat vor allem gesanglich eine Menge Black-Metal-Flair. Bei aller Brachialität findet sich aber auch Platz für ein extrem cooles Geigen-Solo, was das Stück insgesamt höchst spannend und vielseitig macht.
Eine weitere Steigerung scheint eigentlich unmöglich, doch mein persönlicher Favorit „Alesia“ schafft genau das. Hymnisch, poppig und wendungsreich erinnert das Stück mit seinem raffinierten Songwriting an eine harte Alternativ-Version jüngerer WITHIN-TEMPTATION-Großtaten (Anna: „Ich muss da immer an EVANESCENCE denken. (lacht) Das hat schon was.“). Frauengesang wird von harschen Männer-Growls kontrastiert – ein wahrer Pop-Song gone bad! „‚Alesia‘ hat wahrscheinlich den krassesten Text überhaupt. Es geht um die gleichnamige Stadt, die von den Römern umzingelt und dadurch von Lebensmitteln, Wasser und allem anderen abgeschnitten ist, während beide Seiten erst einmal abwarten. Eigentlich sollte man in Kriegen die Zivilisten ja in Ruhe lassen, weshalb die Gallier diese aus der Stadt geschickt haben, damit diese irgendwohin fliehen. Die Römer haben sie aber auf Befehl von Cäsar nicht abziehen lassen.“ Auch die Gallier wollten oder konnten die Flüchtlinge nicht mehr nach Alesia hineinlassen, so dass diese zwischen beiden Fronten gefangen waren. „Da sind dann Frauen, Kinder und alte Leute – insgesamt etwa 20000 Menschen – direkt vor den Augen der Römer verhungert. Das war wohl für beide Seiten komisch, die Römer müssen auch dagestanden und sich gefragt haben, was da eigentlich abgeht. Das ist schon ziemlich krass und wahrscheinlich der emotionalste Text. Chrigel hat gesagt, dass er da auch beim Schreiben des Textes an seine Grenzen gekommen ist.“
„Tullianum“ erinnert als gesprochener Nachsatz zu „Alesia“ an den Kerker in Rom, in dem der besiegte gallische Anführer Vercingetorix vermutlich hingerichtet wurde. Die Worte „Fly, raven, fly!“ bleiben verursachen hier Gänsehaut und bleiben lange im Gedächtnis hängen. Vom Ende des Gallischen Krieges berichtet schließlich „Uxellodunon“: „Hier fand die letzte Schlacht der gallischen Kriege statt, das war die letzte aufständische Stadt, die von Cäsar unterworfen wurde,“ erklärt Anna. Dabei ist die Belagerung eher zu den Nachwehen der Schlacht um Alesia zu zählen und steht in ihrer historischen Bedeutung deutlich in deren Schatten – eine perfekte Analogie zu den beiden Songs.
Musikalisch kehren ELUVEITIE noch einmal zum bewährten Folk-Metal-Song-Schema zurück und liefern ein gutes, aber im direkten Vergleich zu den vorangegangenen Stücken doch deutlich abfallendes Schlussstück ab. Es folgt der gesprochene „Epilogue“, der mit Tribal-artigen Trommeln und schönen Chor-Akzenten das Album würdig ausklingen lässt.
Insgesamt haben ELUVEITIE mit „Helvetios“ wirklich eine Großtat verbracht. Was zu Beginn noch nach recht harmloser Folk-Metal-Standard-Kost klingt, steigert sich kontinuierlich und setzt schließlich im letzten Drittel mit den beiden Über-Songs „The Siege“ und „Alesia“ völlig neue Genre-Maßstäbe. Auch Anna Murphy, die das Album heute selbst zum ersten Mal am Stück gehört hat, ist überzeugt vom eigenen Schaffen: „Der Chrigel hat mir nach und nach einzelne Songs geschickt, aber natürlich nicht in der richtigen Reihenfolge. Die Songs hießen auch nur ‚Song 2‘, ‚Song 4‘ und so weiter. Deswegen hatte ich zunächst keine Ahnung, was da eigentlich passiert. Er hatte sein Konzept und ich hab halt einfach gemacht, aufgenommen und Ideen gebracht. Ich dachte irgendwann auch, dass die Songs, die alle total ähnlich klingen, zu nahe beieinander auf dem Album stehen. Und die Knaller sind quasi auch wieder zusammen, das fand ich am Anfang etwas komisch. Aber jetzt, mit dem ganzen Konzept, macht das schon Sinn, weil die Musik wirklich den Text beschreibt, wie bei einem Filmsoundtrack. Und da am Anfang der Geschichte – blöd gesagt – noch nicht so viel passiert, macht das Sinn.“
Natürlich stellt sich angesichts des historischen Konzepts auch die Frage, ob die Band das komplette Album live am Stück spielen wird. Mit dem Gedanken hat Anna jedenfalls schon gespielt: „Das würde ich sehr gerne machen, der Chrigel auch und unser Drummer (Merlin Sutter – Anm. d. Red.) auch. Mal schauen, wie das der Rest so findet. Aber es wäre schon cool, vor allem weil es halt so ein Konzept-Ding ist.“ Doch erst einmal muss das Album noch unters Volk gebracht werden. „Wir machen Mitte Januar eine US-Tour mit CHILDREN OF BODOM, aber weil das Album dann noch nicht raus ist, können wir das Material da noch nicht wirklich spielen. Ab Mitte März 2012 headlinen wir dann das Paganfest und das wird dann die richtige Album-Promo.“ Wir dürfen also hoffen, das neue Material in seiner gesamten Pracht auch live zu hören bekommen. Dass es „Helvetios“ verdient hätte, in dieser Form dargeboten zu werden, davon könnt ihr euch ab dem 10.02.2012 selbst überzeugen, wenn dieses fantastische Folk-Metal-Werk endlich erscheinen wird.
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„made in switzerland“ – what else? ich bin gespannt wie ein Flitzebogen und freue mich auf die erste Kostprobe am Eluveitiefest vom 30.12.2011 in Zürich. Dort gibt es nämlich „meet the enemy“ als erstes Häppchen.
Freu!