Eisregen
Pre-Listening-Bericht zu "Leblos"

Special

Die Corona-Krise zwingt uns alle in ungewöhnliche Situationen hinein und selbst EISREGEN wussten nicht, ob ihr kommendes Album „Leblos“ nun tatsächlich wie geplant im Sommer erscheinen wird. Nun ist es aber von offizieller Seite bestätigt – „Leblos“ kommt am 19. Juni. Und wir hatten die Gelegenheit, bereits vorab reinzuhören. Passend zur aktuellen Situation geschah das nicht im Rahmen einer Listening Session im Studio oder beim Label, sondern schön mit dem Arsch auf dem eigenen Sessel innerhalb der eigenen vier Wände. Also dann: Hier kommt der Ersteindruck zu „Leblos“.

Der Pre-Listening-Bericht zum neuen EISREGEN-Album „Leblos“

Ruhet sanft

Das Album beginnt mit „Ruhet sanft“, einer Art Schlaflied, in der sich das lyrische Ich anhand der Bemerkung „Weil ich des Schlafes Bruder bin“ als der Tod höchstselbst zu erkennen gibt, ohne es direkt zu sagen. EISREGEN-typisch ist das ganze natürlich morbide in Szene gesetzt, doch textlich hat Michael Roth hier einen erfrischend subtilen Ansatz gewählt, der tatsächlich Spannung aufbaut. Es ist ein bisschen cheesy, aber es passt.

Pechschwarz

Mit dem folgenden „Pechschwarz“ setzen die Thüringer den Trend fort, der sich schon auf „Fegefeuer“ abgezeichnet hat – sie legen ein rohen, groovenden Brocken aufs Parkett mit ordentlich Dampf auf dem Kessel und einer gefälligen Hook. Die zahlreichen Rhythmuswechsel halten den Song durchweg interessant, befeuert durch die einfache aber effektive Gitarrenarbeit, die ordentlich Dreck und Erde schürft.

Erstschlag

Oha – jetzt geht es richtig zur Sache. „Erstschlag“ übt sich überzeugend im schwarzmetallischen Furor und wirbelt mit bissigen Blastbeats und punkigen Backbeats umher, bevor der Song mit einem fiesen Midtempo-Break etwas mehr Gewicht unter die Achse geklemmt bekommt. Bisher das (frühe) Highlight der Platte.

1000 Jahre Nacht

Etwas wehmütiger und melancholischer geht es in „1000 Jahre Nacht“ zu, was zum Text passt. Das Konzept hinter den Lyrics ist ziemlich interessant. Es geht um einen Vampir, der seines Fluches respektive seines Vampirismus‘ müde geworden ist, über seine Taten und sein Leben sinniert und den Freitod wählt, indem er in die Sonne geht. Sehr spannend geschrieben.

Leblos

Der Titeltrack wirkt fast leichtfüßig, rockig und geht gut ins Ohr. Die Lyrics sind vielleicht ein bisschen sehr cheesy geraten und auf lange Sicht hält sich der Mehrwert des Songs in Grenzen. Typischer EISREGEN-Filler-Track.

Schlachtraum

Das ist mal was anderes: Es geht um einen Serienmörder namens Bernd, der es auf homosexuelle Männer abgesehen hat und diese verführt, bevor er sie in seinem „Schlachtraum“ tötet. Drum herum entspinnt sich mehr oder minder ein rudimentärer Song mit leicht sakraler Note, der ein paar nette Melodien dank Synthesizer-Pizzicatos („Stahlschwarzschwanger“ lässt grüßen) und eine seltsam poppige, geradezu nervtötend eingängige Hook sein eigen nennt, die nach Einzug in den Gehörgang partout nicht daraus verschwinden möchte.

Atme Asche

Wieder deutlich melancholischer klingend schaltet „Atme Asche“ zwischen schleppenden, treibenden und rasenden Passagen hin und her. Hier scheint der textliche EISREGEN-Makel ziemlich deutlich durch. Die Lyrics fließen nicht wirklich elegant durch den Song, was schade ist, denn in instrumentaler Hinsicht gehört „Atme Asche“ definitiv zu den besseren Songs der Trackliste.

Mein Leichenwerk

Noch so ein typischer Filler-Track der Thüringer: „Mein Leichenwerk“ klingt so ein bisschen, als wäre er im musikalischen Autopilot unterwegs, während die Lyrics eine Frankenstein-Thematik behandeln. Eigentlich gut geschrieben, aber in einen wenig memorablen Track eingebettet, der seinen Zweck zwar erfüllt, aber weit unter seinen dramatischen Möglichkeiten bleibt, gerade angesichts des Textes.

Wangenrot

Jetzt landen sie wieder einen Volltreffer – einen ungewöhnlichen noch dazu. „Wangenrot“ wildert im atmosphärischen, romantisierten Gothic Rock und erweist sich als einer der großen Hits von „Leblos“. Die Hook ist erste Sahne und bohrt sich umgehend in die Gehörgänge hinein, während die melancholischen Melodien angenehm unter die Haut gehen.

Mutter schneidet

Die Thüringer auf den Spuren von RAMMSTEIN – „Mutter schneidet“ emuliert speziell den frühen Sound der Berliner NDH-Institution zu „Herzeleid“-Zeiten in puncto Sound und Textqualität, was in einem düsteren, spannenden und herrlich morbiden Track resultiert. Provokation pur, geschmackvoll verpackt – so gehört sich das.

Drauß‘ vom Häuten komm ich her

Den gelungenen Abschluss des Albums macht das stimmungsvolle, ominöse „Drauß‘ vom Häuten komm ich her“, bei dem EISREGEN versatzstückweise orientalische Melodien einarbeiten. Die Hook hat leicht kultische Züge, was zur Thematik von religiösem Wahn passt.

Und EISREGEN haben die Spendierhosen an

Als Schmankerl obendrauf wird das Album in der limitierten Edition noch mit der Bonus-CD „Räudige Rennsteig Rebellen“, das EISREGEN-typisch natürlich mit dreifach rollenden Rs ausgesprochen wird und selbstverständlich deren Heimat referenziert, schließlich handelt es sich beim Rennsteig um den historischen Kammweg an der Thüringer Grenze. Im Geiste verwandt mit „Eine erhalten“ handelt es sich hier im wesentlichen um vier ziemlich ulkige Trinklieder.

Es schwingt etwas leicht sinistres mit, aber sie machen Spaß, haben etwas von einer Dark-Metal-Variante eines ONKEL TOM ANGELRIPPER und flattern als solche mit den Augenlidern, was das Zeug hält. Und erstaunlicherweise enthalten die Songs ziemlich viele, zitierbare Zeilen wie: „Kopf auf, Maul auf, rein damit! Wir sind hier nicht zum Spaß!“ von „Wenn es draußen dunkel wird“. Nicht, dass man in feuchtfröhlicher Runde mit zehn plus Bier intus nicht selbst auf sowas kommen würde, aber es ist schön, dass man mit dieser Ansicht nicht alleine ist.

Im Großen und Ganzen setzen die Thüringer also ihren erfreulichen Aufwärtstrend fort. „Leblos“ ist auf den ersten Hör keine „All Killer, No Filler“-Angelegenheit, aber sie zeigt, dass sich die Band weiterhin in einem kreativen Hoch befindet. Die Frage ist natürlich: Wird sich dieser Trend auch langfristig bewahrheiten? Nun, das werden wir wohl erst im Juni erfahren.

Quelle: Massacre Records
02.05.2020

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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