Shining
Mit Niklas Kvarforth durch die Diskografie.
Special
SHINING sind gerade mit dem elften Album am Start und demonstrieren ein weiteres Mal, wie spannend Black Metal der Neuzeit klingen kann. Vermutlich hat sich Niklas Kvarforth, als er das Projekt 1996 ins Leben gerufen hat, selbst nicht vorstellen können, was Jahre später daraus wird.
Der anfänglich sehr raue, ursprüngliche Black Metal ist seit dem wegweisenden fünften Album „V:Halmstad“ in eine gänzlich andere Richtung gedriftet: SHINING 2.0
Keines der nachfolgenden Alben war vorhersehbar. Die Veränderung hat die Hörerschaft gespalten: Old-School-Fans schütteln ihre Köpfe und wenden sich ab. Auf der anderen Seite haben SHINING mit der stilistischen Verschiebung Türen geöffnet und die Musik an eine neue Zielgruppe herangetragen, die wiederum mit dem Frühwerk von SHINING nichts anfangen kann.
Dies ist weder ein vollständiger, noch analytischer Diskographiecheck. Vielmehr lassen wir Kvarforth zu den – in seinen Augen, in einer Momentaufnahme – wichtigsten Veröffentlichungen zu Wort kommen. Unkommentiert. Der Überblick gestaltet sich sehr persönlich und offenbart Details, die bisher noch im Verborgenen lagen. Im Verlauf seiner Ausführungen erklärt sich zum Teil, warum für Ihn einige der Releases einen geringeren Stellenwert aufweisen und in seiner Abhandlung außen vor bleiben.
“II / Livets Ändhållplats”
„Das zweite Album schrieb ich das auf einer akustischen Nylonsaitengitarre und seither habe ich, mit wenigen Ausnahmen, so ziemlich alles auf einer Akustik- statt auf einer E-Gitarre geschrieben. Es ist einfach, Verzerrer zu benutzen und sich selbst vorzugaukeln, dass man ein tolles Riff geschrieben hat, obwohl es in Wirklichkeit mittelmäßiger Mist ist, der nur mit Effekten gut klingt. Ein akustisch erschaffenes Riff wird in jedem Fall fantastisch klingen, egal wie du es am Ende verwendest. Beim Schreiben dieses Albums habe ich auch den “Sound” der Band erschaffen, wobei ich mich stark von Arrangement-Techniken von Bands wie DEPECHE MODE, KENT und verschiedenen anderen nicht-metallischen Künstlern inspirieren ließ. Außerdem habe ich mich im Vergleich zum Debüt, das mir ehrlich gesagt nichts bedeutet, dafür entschieden, meine Texte auf Schwedisch zu schreiben. Obwohl man über die Produktion und die Performance diskutieren könnte, hat „SHINING II“ eine sehr lebendige Magie, auf die ich stolz bin, sie in einem so frühen Stadium unserer Karriere erreicht zu haben.“
“III / Angst – Självdestruktivitetens Emissarie”
„Hellhammer als Schlagzeuger zu bekommen, war an sich schon eine Leistung. Im Vergleich zu dem, was ich von der Zusammenarbeit mit Wedebrand (Ted „Impaler“ Wedebrand – Drums Anm. d. Ü.) gewohnt war, nahmen die Dinge nun eine bemerkenswerte Wendung, da ich jetzt einen Schlagzeuger hatte, der im Grunde alles spielen konnte, was ich von ihm forderte, und mehr. Wir haben einen Vertrag mit Avantgarde Music unterschrieben, die damals einen bemerkenswerten Job bei der Promotion des Albums machten. “SHINING III“ ist auch deshalb ein wichtiges Release für mich, weil ich immer wollte, dass die Gitarren eine sekundäre Rolle spielen, und die Arrangements stattdessen in erster Linie vom Bass geleitet werden. Tusk war ein wirklich guter Bassist, aber sein jüngerer Bruder (mit dem ich 1994 INCINERATE gegründet habe), Phil A. Cirone, ist nichts weniger als ein Genie. Leider wusste ich seinerzeit gar nicht, wie ich Hellhammers Techniken mit Phils Wahnsinn kombinieren sollte, dennoch ist “Angst” noch heute eines der dunkleren Alben, die wir aufgenommen haben.“
“IV / The Eerie Cold”
„Während Hellhammer bei “SHINING III” lediglich einen Session-Job hatte, war er bei den Aufnahmen zum nächsten Album bereits ein vollwertiges Mitglied und mit Phil konnte ich meine unorthodoxeren Ideen ausprobieren, da wir alle ohne Zeitdruck auf das gleiche Ziel hinarbeiteten. Zudem war John Doe (ex-CRAFT) als festes Mitglied hinzugekommen. Er hatte auf “Angst” schon Soli beigesteuert, aber erst jetzt konnte ich richtig beginnen, mit diesem letzten fehlenden Puzzleteil zu spielen – etwas, das ich auf den drei vorherigen Alben nie hatte einbauen können. Ich war nie Fan von Soli in der Musik, aber wenn jemand die Fähigkeit dazu besitzt, einen bluesigeren Touch einzubringen, begeistert mich das.“
“V / Halmstad”
„Ahhh, das wegweisende SHINING-Album. Als ich es schrieb, lebte ich gerade in Halmstad und obwohl Hellhammer einer der besten Schlagzeuger der Welt ist, war ich seinerzeit völlig besessen vom Stil, wie er von Ludwig Witt gespielt wurde. Seine Frau war zu der Zeit mit meiner Verlobten befreundet und die beiden beschlossen, dass wir zusammen Silvester feiern sollten, worauf ich mich nicht wirklich freute. Ludwig und ich kamen aber dabei ins Gespräch und er nahm meinen Vorschlag als eine echte Herausforderung an. Ich finde die Drums auf diesem Album so verdammt gut und das liegt weitestgehend darin begründet, dass Ludwig vorher nie wirklich Black Metal gehört hatte. Also hat er sich seine eigene Interpretation geschaffen, die mich auch heute, wenn ich das Album höre, noch immer beeindruckt. Da unser Produzent enorme Probleme in seinem Privatleben hatte und ständig unterwegs war, mussten wir das Album in sechs oder sieben verschiedenen Studios aufnehmen. Es ist zweifellos das beste SHINING-Album und ich denke, das ist zu einem großen Teil das Verdienst von Peter Huss, der auf “V” John Doe als Leadgitarristen ersetzte. Er hatte auch keine Ahnung von Black Metal und war ebenso wenig daran interessiert.
Ich bin dann [2006 ohne jegliche Ankündigung, unter nicht näher erklärten Umständen; Anm. d. Ü.] nach Norwegen ausgewandert und die Leute nahmen an, ich wäre tot. Peter hat das Album daraufhin selbst abgemischt und sich um ein paar entscheidende Details gekümmert. In gewisser Weise hat er also den Sound der Platte kreiert. Zwar bin ich leicht narzisstisch veranlagt, aber gerade Peters Sound macht “SHINING V” zu einem Meilenstein in der Geschichte des extremen Metals und ich glaube, dass es immer eines der Werke sein wird, die den Test der Zeit bestehen und das Potenzial zum Extreme-Metal-Klassiker in sich trägt. Es hat die Dinge wirklich verändert. Nicht nur für uns, sondern für den Depressive-Black-Metal-Sound insgesamt.“
“VIII / Redefining Darkness”
„Im Jahr 2010 traf ich eine der besten Entscheidungen meiner Karriere. Ich glaube, es war um Silvester herum. Zugedröhnt und betrunken wie ein Troll habe ich die Nummer von Andy La Rocque [Gitarrist von KING DIAMOND und Besitzer des Sonic Train Studios in Stockholm; Anm. d. Ü.] herausgesucht und sein Studio für zwei Monate gebucht. Zwei Monate sind übertrieben, aber Spinefarm bestand damals darauf, lächerliche Summen für ihre aktuellen Bands zu zahlen. Sie waren gerade von Universal Music aufgekauft worden und die Lieblingsband des neuen Spinefarm-Chefs war … SHINING. Das war das erste Mal, dass ich mit einem “echten” Produzenten gearbeitet habe und es endete damit, dass er in so vielerlei Hinsicht Einfluss auf die Band nahm, dass ich es nicht einmal ansatzweise beschreiben kann.
Andy hat mir beigebracht, mein Ego loszulassen und ein paar andere Dinge auszuprobieren, anstatt zu tun, was ich bis dahin immer getan hatte. Das hat mir eine völlig neue Welt eröffnet, weshalb “SHINING VIII“ ein sehr wichtiges Album für uns ist. Leider ist Spinefarm komplett auseinandergefallen und das Album wurde nicht einmal ordentlich vertrieben, was ziemlich scheiße ist, aber wir bringen das in Ordnung, indem wir „VIII” Ende des Jahres noch einmal über unser eigenes Label The Sinister Initiative (TSI) wiederveröffentlichen.
Ich selbst hatte lediglich die Nase voll von unserem damaligen Schlagzeuger [Richard „Rick“ Schill; Anm. d. Ü.], also fragte ich Ludwig, ob er zurückkommen wolle. Eigentlich hatte er keine Lust, hat es aber trotzdem getan, was ich ihm hoch anrechne. Er war damals schwer mit GRAND MAGUS beschäftigt, aber er tat es aus Nettigkeit und vielleicht aus Nostalgie.
Das einzig, wirklich Problematische zu dieser Zeit war mein schwerer Drogen- und Alkoholmissbrauch, mit dem ich immer schon kämpfe. Dabei bin ich mir sehr bewusst, wie gefährlich die Kombination aus Kokain, MDPV (Methylendioxypyrovaleron; Anm. d. Ü.) und Fernet Branca für jemanden mit meiner Diagnose [Bipolare Störung Anm. d. Ü.] ist.
Wie dem auch sei – “VIII / Redefining Darkness” war ein Punkt in meinem Leben, an dem ich begann zuzulassen, dass andere Leute mir Ideen präsentieren, anstatt mich diesem Input zu verweigern .“
“IX / Everyone, Everything, Everywhere, Ends”
„Damals hatten ich, Huss und Christian [Christian Larsson; Anm. d. Ü.] auf wundersame Weise einen Gitarristen gefunden – sein Stil, der eher in Richtung 1987er Guns N’ Roses ging, passte perfekt zu Peters Gary Moore-Verehrung. Dazu rekrutierten wir mit Raikku [Rainer Tuomikanto Anm.d. Ü.] einen verdammten Monster-Schlagzeuger. Wir waren viel auf Tour, bevor wir ins Studio gingen, was definitiv dazu beitrug, dass wir uns mehr wie eine Band fühlten als auf den zuvor veröffentlichten Alben. Wir entschieden uns, bei Season Of Mist zu unterschreiben, und dank Michael Berberians [Labelgründer und Besitzer von Season Of Mist; Anm. d. Ü.] extremen Enthusiasmus sowie dem Umstand, dass mein langjähriger Freund Gunnar Sauermann ein großer Fan von dem war, was wir taten, verlief die Promo-Kampagne in jeder erdenklichen Weise erfolgreich.
Mit “SHINING IX”, begannen wir endlich zu verstehen, wie wichtig es ist, live aufzutreten, und damit Dinge zu erreichen, die sonst nie möglich gewesen wären. Ich erinnere mich an das Album als einen der Höhepunkte bezogen auf meine eigene Performance und ich denke, es hat mich in eine etwas andere Richtung geführt. Eine Richtung die mich beginnen ließ, die Musik im Bewusstsein zu schreiben und zu arrangieren, um diese auch live aufzuführen.
Alles in allem fühlt sich das Album heute aus persönlichen Gründen sehr weit weg an, aber ich betrachte “SHINING IX“ als einen großen Schritt und wichtigen Sprung nach vorn.“
“X / Varg Utan Flock”
„Das zehnte Album zieht mich bis heute in seinen Bann. Ich hatte gerade Schweden verlassen und zog für die nächsten drei oder vier Jahre durch Spanien, Slowenien und Serbien, während ich gleichzeitig das Album schrieb. Diese Scheibe hat eine Dunkelheit, die ich nicht in Worte fassen kann, da ich sonst auf Themen eingehen müsste, die ich lieber nur mit einigen wenigen Auserwählten teilen möchte.
Es enthält auch eine Traurigkeit, die reflektiert, wie sich mein Leben angefühlt hat. Ich ertrank in Drogen, verlor buchstäblich alles, was ich hatte, und befand mich auf einer Abwärtsspirale, bei der – offen gestanden – sowohl meine Freunde als auch ich selbst erstaunt sind, dass ich sie überlebt habe.
Die Bandmitglieder hatten die Nase voll von meinem Scheiß, also kehrten sie SHINING, mit Ausnahme von Peter, den Rücken. Es kam zu einem Punkt, an dem ich nicht einmal mehr live singen konnte, also dachte ich, das war’s, jetzt ist es vorbei …
Aber während ich dies schreibe, wenden sich die Dinge ein weiters Mal. Jetzt müssen wir nur noch sehen, ob diese Wendung von Dauer ist oder ob die Veröffentlichung des neuen Albums nichts als ein gravierender Fehler ist.“
Das letzte Kapitel in der Geschichte von SHINING ist noch nicht geschrieben. Das elfte Album „Shining” wurde gerade veröffentlicht und spaltet (erwartungsgemäß) einmal mehr die Gemüter. Wie es mit der Band weitergeht und wann man sie einmal wieder live erleben darf, bleibt abzuwarten.
Dank geht an Niklas Kvarforth, dass er uns auf einen Trip durch die SHINING-Vergangenheit mitgenommen hat.
(Überarbeitung & Lektorat: Sabine Langner)