Weltschmerz
Unsere liebsten Doom-Perlen

Special

SLEEP – Dopesmoker (Rise Above / Tee Pee Records / Southern Lord, 1999 / 2003 / 2012)

Hier befindet sich das Artwork von SLEEPs "Dopesmoker".

460 Meilen trennen San José vom Death-Valley-Nationalpark. Wie muss es sich anfühlen, orientierungslos durch das Tal des Todes zu irren, jenen lebensfeindlichen Ort, an dem schon Temperaturen von weit über 50 Grad gemessen wurden? Tatsächlich existiert der Soundtrack zum drohenden Hitzetod bereits seit 1994 – über Jahre hinweg komponiert von drei Grünschnäbeln aus der westlich gelegenen Bay Area, die es mit der seligsprechenden Verweihräucherung des Hanfgewächses seit jeher etwas zu genau genommen hatten.

Was Al Cisneros, Matt Pike und Chris Hakius 1990 unter dem Namen SLEEP ins Leben rufen, versteht sich zunächst als SABBATH-lastiger Traditional-Doom-Act – einer von vielen. Dennoch gelingt es den drei Hobby-Weedians mit ihrem Zweitwerk „Sleep’s Holy Mountain“ Mitte der 1990er, die Aufmerksamkeit eines Majorlabels auf sich zu ziehen. Beflügelt vom vermeintlichen künstlerischen Ritterschlag und den Aerosolen der gläsernen Proberaumbong widmet sich das Trio fortan jenem überambitionierten Projekt, das alsbald nicht nur weit über das Bandkonstrukt hinauswachsen, sondern dieses eines Tages sogar zum Einsturz bringen sollte.

Doch was unter den Trümmern zurückbleibt, ist nicht weniger als ein Gebet. Wohl nicht gerade auf lyrischer Ebene – wenngleich die satirische Vermengung religiöser Motive und plumper Cannabis-Glorifizierung („Grow-Room is church temple of the new stoner breed“) durchaus zum Schmunzeln animieren mag. Musikalisch kommt das Werk dennoch einer kathartischen Erfahrung gleich: 64 Minuten, drei Mittzwanziger, ein Song. „Dopesmoker“.

Sonnenstich und Hitzetod: Die hässliche Fratze des Stoner-Dooms

Wer glaubt, echte Summer-Vibes auf der nächstbesten Ibiza-Tropical-Beach-Trance-Compilation zu finden, beweist nicht nur schlechten Geschmack, sondern negiert gleichzeitig die hässlichen Seiten der warmen Jahreszeit: Sonnenstich, Austrocknung, Fieberwahn. Aus alldem basteln SLEEP eine rauschartige akustische Nahtoderfahrung. Schleppendes Spiel, quälend lange Gitarreninterludien, scheußlich matter Klagegesang. Eine aussichtslose Situation. Wann bitte klang Psychedelia jemals so heavy?

Sollte es zum damaligen Zeitpunkt bereits Indizien für den sich später entwickelnden Szenekult um „Dopesmoker“ gegeben haben – die Vertreter von London Records schienen sie nicht erkannt zu haben. Nach einer ersten Sichtung des aufgenommenen Materials lehnte die Universal-Tochter jede Veröffentlichung in der ursprünglichen Form ab. Fortan brodelte es nicht mehr nur im Vaporizer, sondern auch zunehmend unter der Oberfläche. Schon während der Aufnahmen herrscht musikalische Uneinigkeit zwischen Hakius und Cisneros, letzterer hinterfragt schließlich die gesamte Veröffentlichung des Albums. Auf Wunsch des Labels kehren SLEEP allerdings noch einmal ins Studio zurück und legen den London-A&Rs das nun um zehn Minuten gekürzte Album unter dem Titel „Jerusalem“ erneut vor. Deren abermalige Ablehnung führt zum endgültigen Kollaps: Das Trio trennt sich. Und „Dopesmoker“ bleibt unveröffentlicht.

„Drop out of life with bong in hand“

Erst als sich 1999 Lee Dorians Rise-Above-Label des „Jerusalem“-Bootlegs annimmt, gewinnt der sich allmählich abzeichnende SLEEP-Kult an Aufschwung, bevor er schließlich im vollständigen „Dopesmoker“-Release 2003 und dem anschließenden Comeback gipfelt. Das heute szeneübergreifend bekannte Artwork von Arik Roper tut sein Übriges. Der New Yorker Grafikdesigner gibt den vielfach besungenen „Weedians“ ein Gesicht und schickt sie auf eine Odysee durch ebenjene staubtrockene Wüstenlandschaft, die SLEEP sieben Jahre zuvor lautmalerisch konstruierten.

Ob Zeilen wie „Proceed the weedian“ oder „Drop out of life with bong in hand“: Cisneros gegurgelte Vokalmantras stellen bis heute die vielleichten populärsten Bibelverse der Doom-Metal-Szene dar. Dabei liegt die gesangliche (wie wohl auch musikalische) Qualität von „Dopesmoker“ beispielsweise weit unter der von HIGH ON FIRE, dem späterem Hauptprojekt von Gitarrist Pikes. Dafür ist es aber ebendiese Unvollkommenheit, die von Hördurchlauf zu Hördurchlauf Qual und Delirium einer im Vollrausch zeternden US-Truppe widerspiegelt, die mit wenig Tempo und vielen Kräuterzigarettchen ein Stück Doom-Metal-Geschichte schrieb.

(Alex Klug)

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22.05.2017

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13 Kommentare zu Weltschmerz - Unsere liebsten Doom-Perlen

  1. Mikka sagt:

    Auf die Serie freue ich mich. Natürlich werden es auch Genres sein, die ich nicht auf dem Plan habe oder Alben, die ich noch nie angetestet habe – aber die Inspiration, dies nach dem Lesen doch zu tun, ist mir sehr willkommen.

    Bei Doom fallen mir noch ELECTRIC WIZARD, OPHIS und AHAB ein, die ich noch als gute Vertreter im Gedächtnis habe. Habe das Genre lange lange nicht mehr gehört. Vielleicht mal wieder einlegen.

    Und ‚Black Earth‘ von BOHREN AND THE CLUB OF GORE hat mich damals auch durch den jazzigen Einschlag umgehauen. Verdammt gute Musik zum Ausruhen!

  2. Doomo Regato sagt:

    Es wird natürlich für jeden die eine oder andere Band geben, die in der Liste schmerzlich vermisst wird.
    Für mich sind es ESOTERIC, die zum besten gehören, das es im Doom gibt und natürlich das erste CATHEDRAL Album!!!
    AHAB und FOREST OF SHADOWS dürfen auch nicht fehlen, ebenso PROCESSION.

  3. Sane sagt:

    Mir fehlen eindeutig die großartigen omega massif.
    Ein doom special ohne candlemass versteh ich auch nicht..
    Und snail fehlen!
    Ausserdem gehören da ja wohl auch kyuss rein, doom beschränkt sich nicht auf Beerdigungen und Langsamkeit.
    Also wie immer alles falsch 😉

  4. bRANdon sagt:

    Also eigentlich fehlen hier die deutschen UNDERTOW!
    Zugegebener Maßen nicht „NUR“ Doom….. ABER – warum in die Ferne schweifen wenn das Gute liegt so nah 😉

  5. Peter sagt:

    Die liebsten Doomperlen und kein Ahab? Kann ich nicht nachvollziehen, zumal gerade das letzte Album in Sachen Technik und Konzept Maßstäbe gesetzt hat.

  6. Bulli sagt:

    Dass ihr Band XYZ nicht drin habt, geschenkt. Aber ein Doom-Special ohne eine einzige halbwegs traditionelle Doom-Band? Lauter Grenzgänger und teilweise nicht mal das (da kann Rumpelmöller sagen, was er will).

    „Eigentlich hab ichs ja nicht so mit Doom.“ Kostudis trifft es auf den den Punkt.

    1. Marek Protzak sagt:

      Der nächste Teil „Unsere liebsten Doom-Perlen. Klassisch | Episch | Zu spät geboren“ kommt ja noch. Immer mal langsam.

      1. Bulli sagt:

        „Immer mal langsam.“

        Well played! Aber ja, Schande über mein Haupt, ein aufmerksamer Leser der Einleitung wäre auch selber darauf gekommen, dass da noch was kommt.

      2. Sane sagt:

        Im Tempo lasst ihr euch wohl vom doom inspirieren..
        Wann kommt denn hier der nächste Teil?

  7. Sane sagt:

    Schade dass es keine Antwort,geschweige denn einen weiteren Teil gibt.
    Auch wenn es vielleicht hauptsächlich Gemecker war gab es doch hier einen regen Austausch und das kann von meiner Seite gerne mehr auf metal.de werden.

    1. Alex Klug sagt:

      Ola! Sorry, vercheckt. Das wird noch etwas dauern, auf jeden Fall nach der Festivalsaison. Passt auch besser zur Jahreszeit. 😉 Danke fürs Lob!

      1. Sane sagt:

        Ja passt besser in den Herbst, ausserdem ja wohl auch wie Arsch auf Eimer dass das doom special ein wenig auf sich warten lässt 😉

      2. Sane sagt:

        Über welche Festivalsaison sprechen wir denn hier?
        Über die wirklich letzte Stones Tour?