Dominic Dupuis
Rock Vinyl - Die 700 legendärsten Plattencover
Special
In einer größtenteils digitalen Welt mit digitalen Musikformaten, digitalen Bilddaten und leider auch digitaler Musik interessiert sich doch wirklich kein Schwein mehr für etwas so entsetzlich dialoges wie Plattencover. Überhaupt, Platten, was soll das sein? Zu groß geratene Untersetzer für das Wodka-Energy-Glas? In einer (vielleicht nicht repräsentativen) Stichprobe stellte ich neulich inmitten einer Horde 14-Jähriger die Frage: Wer weiß, was ein Schallplattenspieler ist? Die Antwort, die der Wahrheit am nächsten kam, war: „Hat man das nicht früher anstatt von Ipods benutzt“? Wenn nun schon der Inhalt so antik ist, wie albern ist es dann, ein Buch über die Verpackung einer so veralteten Sache zu machen?
Gar nicht albern, denn Dominique Dupuis‘ rund 270 Seiten starkes Buchmonster richtet sich ja nicht an 14-Jährige, sondern höchstens noch an 40-Jährige, vor allem aber an diejenigen Musikliebhaber, die noch vor der Einführung der CD intensiv mit LP-Covern von Rockbands sozialisiert worden sind. Für diese Glückseligen gibt es eine nostalgische Reise durch rund 50 Jahre Rockgeschichte zu erleben, illustriert mit 700 Plattencovern – angefangen von den ersten BEATLES-Singles, den STONES und BOB DYLAN über das Auf und Ab durch Psychedelic und Progressive Rock der 60er und 70er, Hardrock, Punk, New Wave und Stadionrock der 80er bis zum Grunge und Metal der 90er Jahre und den großen Comebacks und Neuausrichtungen der letzten zehn Jahre.
Dabei ist Dupuis‘ Auswahl natürlich höchst subjektiv und trifft beispielsweise auch nicht zwingend meinen Geschmack. Vieles, was ich als Meisterwerk empfinden würde, findet leider keine Erwähnung, wohingegen formvollendete Hässlichkeiten Raum zu weiterer Verbreitung finden. Ein kleines Beispiel: Warum es „Born Again“ sein muss und nicht „Heaven And Hell“ oder gleich „Black Sabbath“, geht zumindest in meinen Kopf nicht rein. Was ein nichtssagendes Etwas wie SEPULTURAs „Roorback“-Coverbildchen hier zu suchen hat, weiß ich nicht. Trotzdem muss man Dupuis‘ zugute halten, eine recht repräsentative Auswahl aus buchstäblich zehntausenden von Gemälden, Zeichnungen, Collagen, Fotos und anderer grafischer Arbeit getroffen zu haben, und das bei einem so wahnsinnig breit gefächerten Stil wie dem Rock mit allen seinen Facetten.
Die bildliche Auswahl ist also gelungen, informativ und vielschichtig. Auf die begleitenden Texte trifft das leider nur bedingt zu. Einleitende Schilderungen und Anekdoten beleuchten zwar in der Regel anschaulich und emotional die jeweilige Charakteristik einer bestimmten Dekade oder musikalischen Strömung. Über die Idee hinter ausgewählten Covern, ihre Entstehung, ihre Erschaffer oder die heutige Sichtweise auf ihren Kultfaktor erfährt man leider nichts, und das ist schade. Natürlich hätte das den Fokus deutlich vom Grafischen hin zu mehr inhaltlicher Tiefe verschoben, was von der Idee eines hübschen Bildbandes zum Durchblättern bei einem Glas Wein wegführt. Trotzdem hätte ich beispielsweise gerne die Geschichte hinter THE CUREs „Three Imaginery Boys“ erfahren oder gewusst, wieso das „Weiße Album“ das weiße Album ist. Bedauerlich ist auch, dass die schiere Menge von 700 Covern dazu führt, dass nur einige in adäquater Dimension abgedruckt, die meisten aber leider auf die lächerliche Größe von 25 Quadratzentimetern zurechtgestutzt wurden. Das führt die gesamte Idee der Schönheit eines großformatigen Covers ad absurdum.
Trotz allem – wer sich gerne an die Plattensammlung von Mama und Papa oder die eigene, die er vor Jahren für den Unterhalt für die Kids versetzen musste, erinnern möchte, der findet in „Rock Vinyl“ einige nette Anreize. Wer die Möglichkeit hat, sollte aber lieber zum Schrank gehen und den antiken Krempel rauswuchten, den man sich nicht nur im originalen Großformat anschauen, sondern auch noch auf diesen komischen Pre-Ipod-Dingern anhören kann.
„Rock Vinyl“ ist im Heel Verlag erschienen und kostet 29.95 Euro.
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