Dio
Vier Kapitel einer Legende (Re-Releases)
Special
Vor knapp 10 Jahren starb Ronnie James Dio im Alter von 67 Jahren. Der Sänger konnte auf 53 Jahre Musikkarriere zurückblicken und hatte alle Irrungen und Wirrungen des Business mitgemacht. Rock’n Roll, Hard Rock und schließlich Heavy Metal waren die Genres, in denen sich der kleine Mann mit den langen Locken und der großen Stimme musikalisch verwirklichte.
Als Sänger von RAINBOW, der Band von DEEP PURPLE-Aussteiger Ritchie Blackmore, wird er in den späten 1970ern einem breiten Publikum bekannt, bevor er schließlich bei BLACK SABBATH in die übergroßen Fußstapfen von Ozzy Osbourne steigt. Ronnie James Dio versucht gar nicht erst, den manischen Frontmann zu kopieren, sondern setzt ganz eigene Ausrufezeichen, gibt mit „Heaven and Hell“, „Children of The Sea“ und „Sign of the Southern Cross“ unsterblichen Hymnen seine Stimme.
Schließlich passt es bei BLACK SABBATH aber nicht mehr und Dio erschafft DIO, seine ganz eigene Band. BLACK SABBATH-Schlagzeuger Vinny Appice überredet er, ihm zu seinem neuen Projekt zu folgen. Mit Jimmy Bain am Bass und Vivian Campell an der Gitarre ist das Quartett komplett, das den Klassiker „Holy Diver“ aufnimmt. Bis 1990 folgen vier weitere Alben, die stets von Fans und Kritikern gefeiert werden.
Doch dann steigt Ronnie noch einmal bei BLACK SABBATH ein, nimmt das Album „Dehumanizer“ auf, das 1992 erscheint. Ebenso schnell verlässt er Doom-Flaggschiff aber wieder. Mit dabei sind – mal wieder – Vinny Appice, aber auch neue musikalische Ideen. Das nächste DIO-Album erscheint 1993, trägt den Namen „Strange Highways“ und zeigt sich deutlich von „Dehumanizer“ beeinflusst.
DIO kehren in eine andere Welt zurück
Tonnenschwer und düster, aber auch unfassbar sperrig, wummert „Strange Highways“ aus den Boxen. Die beiden neuen Bandmitglieder, DOKKEN-Bassist Jeff Pilson und insbesondere WWII-Gitarrist Tracy G geben „Strange Highways“ ein vertracktes Grundgerüst, das so gar nicht zum unbeschwerten DIO-Sound der 1980er passt. Kritiker schätzen das Werk noch heute, doch die altgedienten Fans stehen mit Fragezeichen im Gesicht da. Die Modernisierungsmaßnahmen überzeugen auch nicht die nächste Generation, die zu dieser Zeit lieber zu NIRVANA oder PEARL JAM greift.
„Strange Highways“ floppt nach den damaligen Maßstäben. DIO, das ist vor allem die Ansicht der Labelbosse, sind einfach nicht mehr lukrativ genug und werden abgesägt. Nach „Strange Highways“ beginnen „Strange Days“, nicht nur für Ronnie und seine Band, sondern für die gesamte Metalszene. Es folgen Jahre, in denen ausgerechnet die vorwärtsgerichtete Rampensau namens Heavy Metal die uncoolste Musik des Planeten wird. Bands wie DIO machen aber weiter und veröffentlichen die häufig ziellose Lebenserhaltungsmaßnahmen, manchmal aber auch obskure Perlen sind.
Dieser Tage erscheinen die Alben „Angry Machines“ (1996), „Magica“ (2000), „Killing the Dragon“ (2002) und „Master of the Moon“ (2004) noch einmal neu, damit sich jeder Fan, der sie damals verpasst hat, ein eigenes Bild davon machen kann, in welche Kategorie diese letzten vier DIO-Alben gehören. Wir haben die Schätzchen für euch unter die Lupe genommen und geben euch vorab unsere Einschätzung mit.
Los geht es auf Seite 2 mit „Angry Machines“
„Angry Machines“ erscheint 1996 unter gänzlich anderen Voraussetzungen. Auf Ronnie James Dio lastet nicht mehr der Erwartungsdruck, was der Sänger nach seinem nochmaligen Ausstieg bei BLACK SABBATH wohl aus dem Hut zaubern wird. Nein, denn DIO, das muss man an dieser Stelle leider festhalten, sind, abgesehen von einigen wenigen Szenemedien, für die Musikpresse nicht mehr sonderlich interessant. Ein großes Label steht auch nicht mehr direkt hinter der Band, die aber immerhin mit Steamhammer/SPV einen guten Vertrieb für Europa an ihrer Seite hat.
Und musikalisch? Das LineUp hat sich nicht verändert und so überrascht es nicht, dass die Band an „Strange Highways“ anknüpft. Doch „Angry Machines“ ist etwas zugänglicher, nicht so vertrackt wie der Vorgänger. Die schweren Riffs, die Tracy G dieses Mal raushaut, dröhnen deutlich geradliniger aus den Boxen. Dennoch ist das Album kreativ geschrieben und überrascht mit einigen interessanten Details sowie viel Abwechslung. „Insitutional Man“ ist ein schwerer Stampfer in bester „Dehumanizer“-Manier, „Don’t Tell The Kids“ doomiger Hard Rock, „This Is Your Life“ schließlich eine gefühlvolle Piano-Ballade.
Ziellosigkeit in den wilden 1990ern
Jeder Song auf „Angry Machines“ hebt sich deutlich von den anderen Stücken ab, was den einzelnen Liedern sehr schnell einen gewissen Wiedererkennungswert verleiht. Die stets charakteristische Stimme von Ronnie James Dio ist es, die das Album zusammenhält. Umso bitterer ist es aber auch, wenn sich der Sänger klanglich jenen Grunge-Ikonen nähert, die 1996 eigentlich auch schon auf dem absteigenden Ast waren. Vor allem „Black“ und „Golden Rules“ werden durch dieses Vorhaben unhörbar. Jedes Mal, wenn Dio nasal und künstlich leidend ins Mikro jankt, fragt man sich, warum der Altmeister dies nicht neuen Platzhirschen wie Layne Stayley überlässt. Dass die musikalische Bezugnahme auf ALICE IN CHAINS aber gar nicht so eine verkehrte Idee gewesen ist, demonstriert „Stay out of my Mind“. Dieser Song vereint tatsächlich das beste beider Welten, ist irgendwie Doom, irgendwie Grunge, vor allem aber eine meditative Hymne, die zum Versinken einlädt.
„Angry Machines“ ist ein durchwachsenes Album mit einigen interessanten Momenten, wenigen Lichtblicken, aber auch irgendwie charmant. Mit fast 25 Jahren Abstand ist es in jedem Fall ein Zeitzeugnis für die Orientierungslosigkeit von verdienten Bands aus den 1980ern, die trotz aller Bemühungen nicht so richtig in die 1990er fanden. Dass diese musikalischen Annäherungsversuche im Falle von DIO aber nicht so peinlich waren, wie bei anderen Bands, spricht wiederum dafür, dass „Angry Machines“ so schlecht nicht sein kann.
Auf Seite 3 beginnt das neue Jahrtausend
Vier Jahre nach „Angry Machines“ sieht es so aus, als würde der Heavy Metal langsam wieder auf die Beine kommen. Bruce Dickinson und IRON MAIDEN finden wieder zusammen, ebenso wie Schmier und DESTRUCTION. In Deutschland war die Musikrichtung ohnehin nie ganz abgeschrieben und wird von einigen Local Heroes tapfer am Leben gehalten. So verwundert es nicht, dass „Magica“ bei Erscheinen auf Platz 40 der Charts landet, zwischen ECHT und BRIAN MCKNIGHT.
Dieses Mal setzt Ronnie James Dio aber auch auf altbewährte Sounds und Songstrukturen. „Magica“ ist traditioneller Metal, der sich aber vor allem an Kenner richtet, weniger an jene Teenager, die die Musik damals wiederentdecken. Denn „Magica“ ist ein Konzeptalbum, das weniger durch einzelne Hits, sondern eine durchgehende Qualität besticht. Zwar haben Songs wie „Lord of the Last Day“ oder „Turn to Stone“ durchaus das Potential, auch allein zu glänzen, wirken eingebettet in das komplette Album aber stimmiger.
Mit „Magica“ kehren DIO zu ihren Wurzeln zurück
Das LineUp der 1990er ist Geschichte. Mit Graig Coldy an der Gitarre und Jimmy Bain am Bass haben sich zwei alte Bekannte bei DIO eingefunden. Auch Vinny Appice ist gegangen, findet in Simon Wright aber einen würdigen Nachfolger. Vor allem Graig Coldy bringt sich ins Songwriting ein, was vor allem im Vergleich mit „Angry Machines“ hervorsticht. Orientierte Tracy G sich noch an musikalischen Trends, kehrt mit Graig Coldy auch der Sound der 1980er zurück zu DIO.
„Magica“ bleibt das ambitionierteste Werk von DIO. Rückblickend kann das Konzeptalbum als kreativer Befreiungsschlag gewertet werden. Zwar reicht es von der Hitdichte nicht an die Alben der 1980er heran, kann musikalisch aber durchgehend überzeugen und wird dank ausgefeilter Konzeption und Anordnung der Songs nie langweilig. Die Fantasy-Geschichte, die das Album erzählt, liegt übrigens als Hörbuch bei.
Auf Seite 4 ist die Welt wieder halbwegs in Ordnung
Im Jahr 2002 ist die Metal-Welt wieder halbwegs in Ordnung. Auch DIO nehmen weiter Fahrt auf und gehen wieder regelmäßig auf Tour. Zwar sind es vor allem die alten Hits des Frontmanns, die vom Publikum gefordert werden, aber es braucht neue Songs, um die Maschinerie am Laufen zu halten. Das Ergebnis heißt „Killing the Dragon“. Das neue Album bekommt sogar ein neues Musikvideo spendiert, in dem TENACIOUS D einen Gastauftritt haben.
Wieder hat sich das LineUp etwas geändert. Graig Coldy ist schon wieder raus, dafür steigt das ewige Talent Doug Aldrich ein. Der Saitenhexer steuert ein paar der besten Soli der Bandgeschichte bei und ergänzt sich perfekt mit Bassist Jimmy Bain. Gemeinsam schaffen die beiden Musiker die Grundlage für das rockigste aller DIO-Alben. Dass ausgerechnet die einzige Doom-Hymne des Albums den Titel „Rock & Roll“ trägt, ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, aber auch verständlich. Denn der Song ist als trotziges Totenlied, aber auch als Würdigung eines unsterblichen Genres zu verstehen.
Mit DIO ist die Welt in Ordnung
Auch ansonsten ist „Killing the Dragon“ eine musikalische Rückkehr in die 1980er Jahre, mehr noch als „Magica“. Während das Konzeptalbum sich um Zeitlosigkeit bemühte, ist „Killing the Dragon“ voller Reminiszenzen an alte DIO-Werke. Treibende Riffs, ein kraftvoller Sänger, unterstützende Keyboards – fast jeder der Songs hätte auch auf „Holy Diver“ oder „The Last in Line“ auftauchen können.
Die titelgebende Drachentötung ist also als wiederkehrender Akt der Kraft zu verstehen, wie auch die Lyrics des Titelsongs verdeutlichen. Während die moderne Welt zunehmend durchdreht und „small gods with electrical hearts“ unser Leben bestimmen, richtet sich die Musik von DIO, zeitlos und unschuldig, gegen all das Böse und Schlechte in unserem Leben.
Auf Seite 5 folgt das letzte Studioalbum
2004 erscheint mit „Master of the Moon“ das letzte Studioalbum von DIO. Zu dieser Zeit kommt es zu unzähligen Reunions alter Helden und Kämpfern aus der zweiten Reihe, was ein gesteigertes Interesse am Metal der 1980er nicht nur ausdrückt, sondern noch verstärkt. Davon profitiert auch Ronnie James Dio, der aber freilich nie ganz weg gewesen war.
An den Saiten wird noch einmal munter getauscht. Craig Coldy kehrt an die Gitarre zurück, Jeff Pilson an den Bass. Dieser Wechsel drückt sich natürlich auch in der Musik aus. „Master of the Moon“ ist nicht annähernd so unbeschwert und kämpferisch wie „Killing the Dragon“, sondern wieder stampfender Doom, der eine fast schon melancholische Stimmung ausdrückt.
Der Meistersänger zeigt sein ganzes Können
Wäre da nicht Dio selbst. Es mag eine Selbstverständlichkeit sein, die deswegen vielleicht nicht häufig genug in diesem Special erwähnt wurde, aber Ronnie James Dio ist nun einmal einer der besten Sänger, die jemals im Heavy Metal und Hard Rock aktiv waren. Jeder Song, dem er seine Stimme leiht, bekommt eine eigene Magie verliehen. Dass sich auf „Master of the Moon“ erstmals Spuren des Alters in den Gesang mischen, lässt sie nicht verschwinden.
Mehr als bei allen drei Vorgängern, die hier bisher besprochen wurden, halten sich die Instrumente dieses Mal zurück. Sie sind eher die Grundlage, die Leinwand, auf der Ronnie James Dio noch einmal sein gesamtes Können demonstriert. Es bleibt ein Album, in dem man sich verlieren möchte, so magisch, ausgefeilt und zugänglich ist es.
Auf Seite 6 endet eine Karriere, doch die Legende beginnt
„Master of the Moon“ bleibt das letzte Studioalbum von DIO, aber nicht das letzte von Ronnie James Dio. In der zweiten Hälfte der 2000er erfährt der Sänger noch einmal ganz großen Ruhm, der freilich auf seinen Erfolgen in den 1980ern gründet. Eine Generation von Spätgeborenen entdeckt den bescheidenen Mann mit der großen Stimme für sich und will nachholen, was sie verpasst haben. Auch junge Bands huldigen dem Meistersänger, wie zum Beispiel KILLSWITCH ENGAGE, die „Holy Diver“ covern.
DIO gehen noch einmal ausgiebig auf Tour, konzentrieren sich auf das Frühwerk der Band. Das Ergebnis ist das Album „Holy Diver Live“, auf dem die Band dabei zu hören ist, wie sie eben jenen Klassiker in seiner Ganzheit auf die Bühne bringt.
DIO vergehen, doch Ronnie James Dio wird unsterblich
Auch die alten Weggefährten klopfen noch einmal an. Tony Iommi will noch einmal mit Dio auf die Bühne, um die Klassiker aus dessen Zeit bei BLACK SABBATH wieder einmal live zu spielen. Als HEAVEN AND HELL gehen die Musiker sogar noch einmal gemeinsam ins Studio und schaffen mit „The Devil You Know“ ein beeindruckendes Spätwerk, das im Nachhinein auch Dios Vermächtnis wird.
Denn der Sänger stirbt nach einem kurzen Kampf gegen den Krebs im Mai des Jahres 2010. Heute, zehn Jahre später, erscheinen noch einmal die letzten vier Studioalben von DIO, neu abgemischt und mit einem neuen Artwork versehen. Sie dokumentieren nicht nur acht Jahre in der Karriere von Ronnie James Dio, sondern spiegeln auch die Geschichte des Heavy Metal in jener Zeit wider. Vollends zur Zeitreise werden sie durch die beiliegenden Live-Mitschnitte, welche einen Einblick in die jeweilige Tour geben. Wer die Alben noch nicht hat, sollte spätestens jetzt zugreifen – und sich dem magischen Traum, der Erinnerung an eine Musikerlegende hingeben, die in ihren Liedern unsterblich bleibt.