Digitalisierung
Gefahr oder Chance für Musiker?
Special
Die wunderbare neue digitale Welt?
Manch einer mag sich möglicherweise noch erinnern: Anfang Dezember 2020 flimmerte über die Timelines auf den (a)sozialen Plattformen etwas: der sogenannte „Wrapped Up 2020“-Feed von Spotify.
Einerseits eine nette Funktion, die auch sicher die ein oder andere Überraschung in den eigenen Hörgewohnheiten auftreiben konnte, andererseits auch ein Grund oder Gelegenheit, sich vielleicht einmal eingehender mit der Musikbranche – ohnehin schon von Corona vergangenes und dieses Jahr gebeutelt – speziell im Digitalen zu beschäftigen. Genauer den Nutznießern, die einerseits innovativ sind, andererseits Gefahr für die Künstler selbst sein können: Die digitalen Distributionsplattformen.
Auf Konsumentenseite hat man nun jederzeit Zugriff auf einen wahnsinnig großen Fundus an Musik. Ob im Hintergrund mit Freunden, während den Hausarbeiten, im Auto, auf Reisen, beim Sport – wo man früher noch unhandliche Walkmans, Discmans oder sonstiges mitschleppen musste, geht das heute bequem mit Mobiltelefon im Umfang von ganzen Plattensammlungen.
Gleichzeitig kann man sich personalisierte Playlists erstellen, die Empfehlungen werden immer besser, individualisierter und so weiter. Musik existiert als jederzeit verfügbares Konsumgut kostenlos mit Werbung unterbrochen oder für im Abomodell verhältnismäßig kleines Geld, gemessen an Auswahl und Verfügbarkeit. Das ist eigentlich eine sehr nützliche Sache.
Geiz ist (nicht) geil
Diese serviceorientierte Seite sieht man auch in anderen Branchen mehr und mehr, nicht zuletzt bei Filmen, Spielen und Literatur. Streamingservices wie Netflix oder Amazon Prime sind etwa Beispiele dafür. Oder besonders prominent auch die vergangenes Jahr getroffene Entscheidung von Warner Brothers, auf dem hauseigenen Dienst HBO Max lieber ihre aktuellen Kinofilme 2021 (unter anderem Dune, Matrix 4 und Wonder Woman 1984) auch gleich zu streamen, nachdem Corona Kinos einen Existenz-gefährdenden Schlag versetzt hat.
Das Kino wäre hier quasi das Analogon zu klassischen Plattenverkäufen. Im August vergangenen Jahres noch sorgte Spotify-CEO Daniel Ek mit der Aussage für Schlagzeilen, dass die Künstler sich schlicht eher als dauerhafte Dienstleister an ihre Fans verstehen sollten, wo es eben nicht reiche, alle drei bis vier Jahre ein neues Album auf den Markt zu bringen, um damit auf der (fiskalisch) sicheren Seite zu sein.
Das wurde von einigen Musikern wie etwa Mike Portnoy sehr scharf angegriffen. Denn was für den Konsumenten sicherlich nicht schlecht ist, wirft auf die ohnehin schon prekären Arbeitsverhältnisse vieler Künstler noch einen zwingenderen Blick angesichts des Umkrempelns der Musikbranche durch die Digitalisierung. Eins steht fest: Das Internet ist gekommen, um zu bleiben.
Die metal.de Playlist zu unserem diesjährigen Jubiläum „25 Jahre – 25 Alben – 25 Songs“ auf
Spotify: Innovative Plattform und Stein des Anstoßes gleichermaßen.
Es lohnt ein genauerer Blick
Denn die nun im Raum stehende, wichtigste Frage für die eigentlichen Erschaffer des „Contents“ (vermutlich mein Unwort des Jahres 2020) ist nun: Wo bleiben die Musiker finanziell im neuen, sich durchsetzenden Vertriebsmodell? Wie werden sie an der ungeheuren Marktmacht und den Rekordgewinnen, die Amazon, Apple Music, Spotify & Co einfahren, beteiligt?
Vereinfacht dargestellt, machen diese Plattformen funktionell im Kern nichts Neues, was Platte und CD vorher nicht auch schon geleistet haben. Die Distribution von Musik nämlich.
Und da lohnt sich durchaus ein tieferer Blick in die Beteiligung an Stream-Einnahmen. Wichtig ist natürlich der absolute Betrag per Stream, aber auch die (zahlenden) Abonnenten und auch die Abonnements der digitalen Plattform insgesamt, die natürlich die mögliche Konsumentengruppe vergrößern. Kurz gesagt: Die Masse macht es.
Das Perfide ist daran, dass derjenige Anbieter der (diskutierbar) angemessen vergütet, mit der billigeren Konkurrenz am Markt nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Microsofts GrooveMusic, was relativ schnell nach Launch wieder eingestellt wurde, ist dafür ein Beispiel.
Eine Aufstellung der Onlinehändler zeigt, dass etwa Apple Music und Amazon Prime fast doppelt so viel an ihre Künstler auszahlen wie Spotify (0,00675 US-Dollar pro Stream vs. 0,00348 US-Dollar pro Stream waren es noch letztes Jahr im Oktober). Nun ist die Marktverbreitung der beiden erstgenannten Plattformen allerdings sehr viel beschränkter. Das lässt natürlich Alternativen zu Spotify weniger attraktiv erscheinen, trotz höherer Vergütung.
Im Idealfall könnten also Bands, statt irgendwelcher Exklusivdeals mit den für sie besten Bedingungen auf einer bestimmten Plattform, eher auf eine möglichst breite Streuung setzen, was zusätzliche Arbeit bedeuten würde.
Was verdient ein Künstler an Streaming?
Ein Einkommen pauschal zu berechnen, gestaltet sich schwierig. Um einen durchschnittlichen Verdienst von um die 3000 € per Musiker/Künstler pro Monat zu generieren, müssen zwischen einer halben bis einer ganzen Million Streams (in besagtem Monat) abgelaufen sein, je nach Vergütung, Plattform, Anzahl von Hörern und so weiter.
Das hört sich zunächst mal nach einem doch grundsätzlich ordentlichen Verdienst und auch machbaren Zahlen an. Die Cellistin Zoe Keating hat etwa für das Jahr 2017 ihre Einnahmen über die verschiedenen digitalen Plattformen öffentlich gemacht und scheint davon ordentlich leben zu können.
Aber die Sache wird komplizierter: Erstens bestehen Bands ja meist aus mehreren Künstlern, die davon Lebensunterhalt, Miete und so weiter zahlen müssen, zweitens wollen Musikinstrumente, Aufnahmen, Touren, etc. ebenfalls bezahlt werden. Das Label in Form von Verträgen bekommt natürlich auch noch einen Teil ab. Aber zurück zum Streaming:
Das Vergütungsmodell von Spotify & Co. ist ein sogenanntes „Pro Rata“-Modell. Es existieren durchaus diskutable Alternativen und Modelle, um Musiker fairer zu vergüten. Dazu fehlt scheinbar allerdings noch ein Wille, diese auch umzusetzen. Eine pauschale Verurteilung von Streaming im Allgemeinen soll diese Kolumne im übrigen nicht sein, aber aufzeigen, dass bei heutigen Gegebenheiten ein faires Bezahlmodell, sowohl für Künstler als auch Konsumenten, deutlich anders aussehen kann, ja aussehen muss.
Auf die oben als Beispiel genannten Streamzahlen für ein normales Auskommen einer einzigen (!) Person kommen im Metal wenn überhaupt nur große Bands. Mit anderen Worten: Wer hat, dem wird gegeben (also verkürzt gesagt sorgen sehr viele Streams/Bekanntheit für ein einigermaßen gutes Auskommen durch Streaming), die kleinen, unbekannten Bands fallen so wieder hauptsächlich unter den Tisch.
Auch steckt neben der unfairen Vergütung ein höchst fragwürdiges Menschenbild, bei dem nach Produktivität über Wert der Künstler geurteilt wird (der somit einzig zur Einnahme-Maschine degradiert wird und nicht mehr gleichberechtigter Partner in diesem Vertrag ist), als auch ein äußerst fragwürdiges Kunstverständnis dahinter.
Alternative (Distributions-)Plattformen – Eine Lösung?
Die fehlende Lobby in der Veranstaltungswirtschaft, wo jeder Einzelkämpfer ist, zeigt sich auch wieder hier. Erste Graswurzelbewegungen beziehungsweise auch ganz normale Gewerkschaftsgruppen und Interessenverbände in diese Richtung gibt es ja allerdings bereits.
Etwa mit dem DTKV, IGVW oder auch ein einfach der Gewerkschaft für Kultur bei Ver.di. Trotzdem scheinen auch hier noch verschiedene Interessen ganz unterschiedlich gebündelt zu sein und zusätzlich sehen sich Musiker auch entweder nicht vernünftig vertreten oder berichten von Interessenkonflikten im persönlichen Austausch.
Ein wenig muss ich aber auch Kollege Gravenhorst in seiner aktuellen Kolumne Recht geben, dass die Musiker beziehungsweise Labels es selbst ein wenig verpennt haben, für ihre eigenen Rechte zu kämpfen. Es bräuchte mehr und auch noch besser konzipierte und ausgebaute, kurz auf die (finanziellen) Bedürfnisse der Musiker zugeschnittene, Plattformen. Wieso wurden etwa noch keine eigenen Lobbygruppen gegründet oder alternative Plattformen aufgebaut?
Eine Plattform, die grob in diese fairere Richtung geht, ist beispielsweise Bandcamp, da zum einen die Preise von den Künstlern selbst werden können, zum anderen man als Konsument – bis zu einem gewissen Punkt – auch in den Genuss freier Musik kommen kann, bis der Geldbeutel herhalten muss. Exklusiv-Content für Fanclubs oder ähnliches können ebenfalls hilfreich sein, sind aber als allumfassendes Modell für alle Künstler wohl nicht denkbar.
Auch wir als Konsumenten können unseren Beitrag leisten
Zum Schluss kann auch der Appell an uns als Musikfans und -Konsumenten nicht fehlen: Ich nutze wie wahrscheinlich jeder der Leser auch wahnsinnig gerne Spotify, ja auch Amazon, da ich die Bequemlichkeit und Leichtigkeit sehr schätze. Wir haben nun theoretisch den Hebel in der Hand, die Mechanismen gegen die Monopolisten einzusetzen.
Ich kann neue Empfehlungen über Spotify finden, dann aber vielleicht stattdessen auf Bandcamp konsumieren oder direkt das Album bei der Band ordern. Ich kann mir Wunschlisten auf Amazon zusammenstellen, anstelle dort aber zu bestellen lieber vorher telefonisch oder per Mail anfragen, ob mein lokaler Plattenhändler das Album auf Lager hat oder bestellen kann. Das erfordert zusätzlichen Einsatz und Nachdenken von uns. Aber ich glaube, das ist machbar und kann den Bands unter Umständen ein klein wenig, in dem uns möglichen Rahmen, helfen.
Für massive Änderungen in der digitalisierten Musikwirtschaft sind (staatliche) Einschränkungen und Regelungen sicher genauso unumgehbar wie utopisch. Es liegt also wahrscheinlich wieder einmal an den Musikern selbst, neue Vertriebswege und Einnahmequellen aufzumachen, kreative Umwege zu finden, anstatt auf Unterstützung zu hoffen.
Dabei können eigene Plattformen oder auch Angebote wie Streaming-Shows, Unterricht, exklusive Fanclubs und vieles mehr Bands sicherlich helfen, sind aber nur Krücke und nicht Dauerlösung. Für die Zukunft müssen neue Ideen und Maßnahmen in der digitalisierten Musiklandschaft dringend her. Sonst befürchte ich, dass uns ganz unabhängig von Corona düstere Zeiten in der Kulturlandschaft bevorstehen könnten.
Die Kolumne „St. Anger – Die Meinungsmache“ ist, wie der Name schon sagt, Meinung. Begründet, aber gefärbt, wertend und vielleicht provokativ – und jeder Artikel ist das Produkt eines kleinen Teils der Redaktion. Daher spiegelt der Inhalt des Artikels auch nicht unbedingt die Ansichten der gesamten Redaktion wider.