Die 10 ...
unterbewertetsten Gitarrenvirtuosen
Special
Klar, es gibt Hammett und Hendrix. Blackmore und Malmsteen, Laiho und Loomis – alles wegweisende Gitarristen in Rock- und Metalbands ihrer jeweiligen Zeit. Auch heute noch lassen sich viele ihrer Aufnahmen oder Kompositionen uneingeschränkt genussvoll konsumieren. Aber eben nicht immer. Kirk Hammett ist nur noch ein Schatten früherer Kreativität, Blackmore wurde von seinen eigenen Epigonen eingeholt, Laiho starb einen frühen und bedauerlichen Rock-‘n’-Roll-Tod. Außerdem unterschlägt der Metal- und Rockfan so leicht, dass es in dieser reichhaltigen Subkultur handverlesene 264802 junge und alte Gitarrist:innen gibt, deren Können, Fantasie oder Innovationswillen dem jungen Paganini in nichts nachstehen.
In dieser Ausgabe von “Die 10 …” stellen wir euch zehn notorisch unterschätze Wundergitarristen aus unserer Lieblingsgitarrenmusik vor. Der Autor dieser Zeilen ist selbst Gitarrist und sich der Tatsache bewusst, dass diese Liste hochgradig subjektiv ist. Daher – und weil es quasi unmöglich ist, auf Vollständigkeit zu achten, sodass Teil II dieses Specials im Hintergrund schon konzipiert wird – seid auch ihr aufgerufen, eure liebsten und am meisten unterschätzten Gitarrist:innen in den Kommentaren zu listen. Wir freuen uns!
Keine Lust, durch den ganzen Artikel zu klicken? Hier gibt’s Direktlinks:
Andy LaRocque (KING DIAMOND, ex-DEATH)
Tommy Vetterli (CORONER, ex-KREATOR)
André Olbrich (BLIND GUARDIAN)
Sami Yli-Sirniö (KREATOR, BARREN EARTH, WALTARI)
Max “Savage” Birbaum (LUNAR SHADOW, DRENNAN WHYTE)
Matthias Jabs (SCORPIONS)
Natürlich. Jabs ist quasi der Vater aller unterbewerteten Gitarristen, ist er allein im SCORPIONS-Kosmos umgeben von Michael Schenker, Uli Jon Roth und nicht zuletzt dem Elder Statesman Rudi Schenker. Während die ersten beiden zu den einflussreichsten Gitarristen der Rock- und Metalwelt überhaupt gehören, ist der ältere Schenker-Bruder der tonangebende Gitarrist bei den SCORPIONS und einer der ikonischsten Riffmaster auf der Welt.
Doch wäre es sicher nicht falsch zu behaupten, dass die Band seit Jabs’ Einstieg inmitten der “Lovedrive”-Sessions (1979) auch aufgrund der Lead-Gitarren sämtliche Blues-, Psychedelic- und Krautrock-Elemente ihres Sounds über Bord geworfen hat und sich mit Beginn der Achtziger als “richtige” Metalband präsentierte. Der Zenit der Kollaboration, die bis heute anhält, ist wohl das 1984er-Album “Love At First Sting”, das bereits auf dem ersten Song “Bad Boys Running Wild” von einem unglaublich lässigen Lick eingeleitet wird. Jabs ist in dieser Zeit ein relativ typischer Eighties-Solist, der die später domestizierten Roboter-Techniken (Arpeggio Sweeping, Tapping, String Skipping) noch nicht übermäßig bedient, sich aber durch unglaublich schnelles Alternate Picking auszeichnet. Eine Kunst, die in jüngerer Zeit stark aus der Mode gekommen ist. Sein Stil passte allerdings perfekt zu Schenkers stoisch-deutschen und ultra-präzisen Riffs – jede Note erfüllt ihren Sinn an der exakt richtigen Stelle.
Größter Solo-Moment: “No One Like You” (von: SCORPIONS – “Blackout”, 1982)
Größte Komposition: Matthias Jabs ist als Songwriter, vor allem während der klassischen SCORPIONS-Ära eher zurückhaltend. “Don’t Make No Promises (Your Body Can’t Keep)” von der “Animal Magnetism” (1980) ist immerhin ein netter Song auf diesem Klassiker. Wenn auch mit ziemlich gruseligem Text, aber dafür sind die Hannoveraner ja irgendwie bekannt.
Criss Oliva (SAVATAGE)
Unglaublich, was aus Criss Oliva hätte werden können, wenn er nicht 1993 von einem betrunkenen Geisterfahrer getötet worden wäre. Kids! Don’t! Drink! And! Fucking! Drive! Never! Der kleine Bruder des SAVATAGE-Sängers Jon Oliva war spieltechnisch locker auf dem Niveau eines Randy Rhoads oder Eddie Van Halen. Genau wie diese beiden besaß auch er einen unnachahmlichen Sound, der vor allem seinen Fingern, der Kombination aus Jackson-Gitarren mit Randall-Amps und dem Einsatz von Metall-Plektren geschuldet war.
Bei Criss Oliva fließen Feeling und Technik direkt ineinander. Sein Spiel ist weniger neoklassisch und theorielastig, sondern gleicht häufig emotionalen Ausbrüchen: Immer am Rande des Wahnsinns, immer ein wenig unvorhersehbar, doch niemals selbstverliebt oder gedankenverloren. Fast könnte man meinen, Criss spielte nicht, um sich selbst zu inszenieren, sondern um seiner Gitarre als Instrument ein Denkmal zu schaffen. Bei dieser spielerischen Klasse hätte ihm ein Engagement bei WHITESNAKE, DAVID LEE ROTH oder RATT zum Weltstar gemacht. Doch das hätte ihm vermutlich nicht gereicht, denn die besondere Magie seines Spiels liegt auch in seinen rhythmisch perfekten, sofort wiedererkennbaren Riffs, durch die er gemeinsam mit seinem Bruder Jon den typischen SAVATAGE-Sound erschaffen hat.
Größter Solo-Moment: “Hounds” (von: SAVATAGE – “Gutter Ballet”, 1989). “Legions” (von “Hall Of The Mountain King”, 1987) gibt es als Bonus-Tipp dazu.
Größte Komposition: “Hall Of The Mountain King” (von: SAVATAGE – “Hall Of The Mountain King”). So müssen Riffs klingen, verdammt!
Wer die Quintessenz von SAVATAGE mit dem genialen Gitarrenspiel von Criss sucht, sollte sich das 1995 postum erschienene Live-Album “Ghost In The Ruins”, welches als Tribut an ihn zu verstehen ist, anhören. Gänsehaut pur!
Andy LaRocque (KING DIAMOND, ex-DEATH)
Völlig unwahr, wie dieses Genie oftmals unterm Radar vieler Gitarrenfans läuft. Nicht nur, dass die Band wie auch der Musiker KING DIAMOND ohne sein Songwriting, seine Tontechnik-Skills und seine gute Seele heute wahrscheinlich nicht den Status hätte, den sie haben. Es ist vor allem Andy LaRocque zu verdanken, dass die Gitarrenarbeit ab dem zweiten KING-DIAMOND-Album “Abigail” neben dem Falsett-Gesang des KINGs selbst zum Markenzeichen und Unterscheidungsmerkmal von KINGs früherer Band MERCYFUL FATE wurde. Sein Stil zeichnet sich durch originelle Verwendung von unorthodoxen Skalen (chromatisch, phrygisch, mixolydisch) aus und ist an der charakteristischen Arbeit mit dem Vibrato-Hebel erkennbar, mit dem er eine Art Detune-Effekt erzeugt. Zudem hat der Musiker seit fast 40 Jahren einen fantastischen, voluminös-singenden Lead-Sound.
Andy LaRocque ist dabei ein Team-Player, der sich die Lead-Parts und Soli stets mit seinem jeweiligen Gitarrenpartner teilt. Auf den ersten beiden Alben geschah dies noch sehr gut mit ex-MERCYFUL-FATE-Klampfer Michael Denner. Die legendärste und spannendste Phase lag zwischen “Them” und “The Eye” (1988 – 1990), in der Pete Blakk als zweiter Gitarrist fungierte – der einzige, der LaRocque je ebenbürtig war. Ansonsten waren auch Herb Simonsen (1994 – 1998, gut vor allem auf “The Spider’s Lullabye”) und Glen Drover (1998 – 2000, sonst EIDOLON und später MEGADETH) keine schlechten Musiker, doch vor allem mit dem neuerlichen Einstieg Mike Weads im Jahre 2000 gab es wieder ein ebenbürtiges Gitarrenduo im Hause KING DIAMOND.
Andy LaRocque ist neben seiner Tätigkeit als Tontechniker auch ein gefragter Gastmusiker. Auf “Individual Thought Patterns” von DEATH durfte er sich ein ganzes Album lang gastweise mit Chuck Schuldiner duellieren, aber auch kleinere Beiträge, wie z. B. das kurze Solo in “Cold” von AT THE GATES ist vom “Slaughter Of The Soul”-Meilenstein nicht mehr wegzudenken.
Größter Solo-Moment: “Sleepless Nights” (Auf: KING DIAMOND – “Conspiracy”, 1989)
Größte Komposition: “A Mansion In Darkness” (Auf: KING DIAMOND – “Abigail”, 1987)
Lars Johansson (CANDLEMASS)
Bei CANDLEMASS denkt man zuerst an mächtige Riffs, die sich für immer im Kopf festsetzen. Und man denkt an den jeweiligen Sänger, welchen man auch immer bevorzugt. Selten wird erwähnt wie originell und unfassbar gut die Gitarrenarbeit auf nahezu jedem Album der Schweden war – egal, ob in den Achtzigern oder auf eher aktuellen Scheiben. Die Gitarrenarbeit auf “Death Magic Doom” ist jedenfalls genau so gut wie auf “Nightfall”.
Dabei ist Lasse Johansson kaum je als Songwriter bei CANDLEMASS zum Tragen gekommen. Deren kantige Riffs schüttelt sich seit jeher Bassist Leif Edling aus dem Ärmel. Johansson spielt sie allerdings mit besonderer Präzision und Treffsicherheit. Seine songdienlichen und zugleich virtuosen Soli sind oft Höhepunkte des jeweiligen Songs und verhelfen den ohnehin guten Kompositionen zur Perfektion.
Größter Solo-Moment: Ich entscheide mich bewusst nicht für einen Klassiker aus den Achtzigern, sondern für “Dancing In The Temple (Of The Mad Queen Bee)” (von “Psalms For The Dead”, 2012). Obwohl “Bewitched” natürlich auch geil ist.
Größte Komposition: Von den wenigen kompositorischen Beiträgen Johanssons überhaupt ist “Julie Laughs No More” (von “Chapter VI”, 1992) der einzige, die es mit einer Leif-Edling-Komposition aufnehmen kann.
Vito Bratta (WHITE LION)
In Insiderkreisen ist längst bekannt, dass der frühere WHITE-LION-Hauptsongwriter ein verkanntes Genie ist. Producer-Legende Michael Wagener (u. a. ACCEPT und tausende andere) oder Zakk Wylde priesen bereits die Talente des nunmehr 61-jährigen und auch Mike Tramp, Sänger der Föhnfrisuren-Metaller sagte, dass Bratta eigentlich größer als Steve Vai sein müsste. Dass dem nicht so ist, liegt an einer Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände.
Erst einmal war die Karriere von WHITE LION selbst nicht gerade von Glück verfolgt. Mit “When The Children Cry” haben die New Yorker zwar einen der größten MTV-Rock-Hits aller Zeiten im Gepäck; wie so oft blieb das meiste Geld allerdings bei Management, Plattenfirma und teuren Tour-Produktionen hängen. Nach dem vierten Album “Mane Attraction” von 1991 lösen sich WHITE LION frustriert auf, unter anderem auch, weil den Bandmitgliedern vom geldhungrigen Label kein einziger Moment der Ruhe gegönnt wird, sodass sich die vier Herren irgendwann nur noch in den auftoupierten Haaren liegen. Brattas Vater erkrankt in Folge schwer und muss fünf Jahre lang gepflegt werden. Ein Umstand, der ihn emotional und finanziell enorm belastet. Im Anschluss daran verletzt er sich das Handgelenk schwer und kann mehrere Jahre lang nicht richtig E-Gitarre spielen (Bratta beschäftigt sich in dieser Zeit allerdings ausführlich mit der klassischen Konzertgitarre). Vito zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück und taucht erst ab 2007 wieder gelegentlich auf. Eine Reunion mit Mike Tramp fand bisher allerdings nicht statt, obwohl das Interesse Tramps und der Öffentlichkeit riesengroß ist. Die Zurückhaltung ist erneut mit der Geldgier von Plattenfirmen und Management-Agenturen zu begründen
[Anm. d. Red.: Ja, unsere Redaktions-Lieblings-Kasper von CREMATORY mussten diesen Song auch noch verunstalten. Nix ist denen heilig.]
Vito Bratta vereint ALLE der bisher bei anderen in diesem Special aufgeführten Gitarristen vorzufindenden Qualitäten. Songdienlichkeit, technische Vielfalt, Feeling, Sound und Geschwindigkeit – seine Talente trugen erheblich zum Erfolg WHITE LIONs bei. Bratta hätte problemlos bei SAVATAGE, DOKKEN oder auch SCORPIONS einsteigen können und neue Hochphasen für die Bands eingeleitet. Doch in seinem Fall sollte buchstäblich das Schicksal andere Pläne haben. WHITE LION waren nicht so groß wie MÖTLEY CRÜE, RATT oder die eh und je unfassbar peinlichen POISON, aber sie hatten von all diesen Bands den besten Gitarristen.
Größter Solo-Moment: Hm… das großartige Gary-Moore-Feeling in “Lady Of The Valley” oder die Virtuosität in “Wait”, die sogar Eddie Van Halen auf seinem Zenit blass aussehen lässt?
Größte Komposition: “When The Children Cry” mag der größte Hit der Band sein, aber die Blaupause ihres perfekten Songs ist “Lonely Nights”.
Tommy Vetterli (aka. Tommy T. Baron, CORONER, ex-KREATOR)
Tommy Vetterli wird noch bei den Essener Thrash-Giganten KREATOR eine Rolle spielen, seine Karriere allerdings begann 1983 bei den notorisch ignorierten Schweizer Techno-Thrashern CORONER. Bereits auf deren fabelhaftem Debüt “R. I. P.” von 1987 soliert Vetterli als alleiniger Gitarrist des Trios wie ein junger Gott und setzt sich mit der Fingerbrecherübung “Nosferatu” ein frühes Denkmal. Auch, wenn er speziell auf diesem Album ein bisschen am Rock’n’Rolf-Syndrom leidet und ein gewisses Lick ca. 18 Mal auf der gesamten Platte verteilt. Macht nichts, denn CORONER haben nie eine wirklich schlechte Platte aufgenommen und sich bis zu ihrem bislang letzten Album “Grin” (1993) stets weiterentwickelt.
Die Richtung dieser Entwicklung nahm Vetterli in den Neunzigern mit zu KREATOR und prägte so deren experimentelle Scheiben “Outcast” und “Endorama”, wenngleich auf diesen Alben der markante Lead-Stil des Gitarristen weniger durchkam. Das grenzsprengende, sehr flüssige und unglaublich lässig wirkende Gitarrenspiel auf den frühen CORONER-Alben ist allerdings unvergleichlich, da sich seine Inspirationen wohl weniger aus Metal-, sondern Fusiongitarristen speiste. Vetterli spielt heute wieder mit CORONER sowie seinem Projekt 69 CHAMBERS und arbeitet ansonsten als Producer und Gitarrenlehrer.
Größter Solo-Moment: “Nosferatu” (von: CORONER – “R. I. P.”, 1987).
Größte Komposition: “Tunnel Of Pain” (Von: CORONER – “Mental Vortex”, 1991).
André Olbrich (BLIND GUARDIAN)
Nun, die Band selbst ist natürlich so unterbewertet wie Nudeln mit Tomatensauce, aber an dieser Stelle muss man eine Lanze für ihren Lead-Gitarristen und Chefkomponisten André Olbrich brechen. Warum? Machen wir einfach eine Liste:
- Jedes Solo ist ein auskomponierter und -orchestrierter Song im Song.
- Er ist so gut, dass er sich keine Duelle mit dem zweiten Gitarristen liefert. Er kämpft stattdessen gegen sich selbst oder den Gesang.
- Olbrich hat der Metalwelt gezeigt, wie man geschmackvoll ein Wah-Wah-Pedal einsetzen kann. Zur Erinnerung: Der gleiche Effekt, nur less tasty eingesetzt, macht alle METALLICA-Soli ab 1991 unsinnig bis unhörbar.
- Der Mann nervt niemanden mit seinem Ego und agiert auf der Bühne stets konzentriert und zurückhaltend.
- Gefühl und Phrasierung haben stets Vorrang gegenüber Geschwindigkeit und Technik.
- Seit “Tales From The Twilight World”, also seit 1991, also seitdem METALLICA anfingen, kacke zu werden, erkennt man ihn nach der ersten Note am Sound. Zufall?
Größter Solo-Moment: Da könnte man jetzt ewig diskutieren. Ich wähle “Theatre Of Pain” (von “Somewhere Far Beyond”, 1992) als Blaupause.
Größte Komposition: “Imaginations From The Other Side”. (Auf: BLIND GUARDIAN – “Imaginations From The Other Side”, 1995).
Sami Yli-Sirniö (KREATOR, WALTARI, BARREN EARTH)
KREATOR befanden sich Ende der Neunziger etwas in der kreativen Sackgasse und wollten nach dem experimentellen, stark von ex-CORONER-Gitarrist Tommy Vetterli geprägten “Endorama”-Scheibe zurück zum originalen Thrash-Sound und besetzten sich neu mit dem finnischen Gitarristen Sami Yli-Sirniö, damals 28 Jahre alt. Dieser hatte in den Neunzigern bereits bei WALTARI gespielt, einer Band, die sich denkbar weit weg vom raubeinigen KREATOR-Sound bewegt. Und dennoch funktionierte die Zusammenarbeit ab Phase eins. Das erste gemeinsame Album, “Violent Revolution” von 2001, brachte eine melodische Finesse in den KREATOR-Stil, die man vorher gar nicht für möglich gehalten hätte. Denn an Brutalität standen auch weitere Alben wie “Enemy Of God” (2005) und “Hordes Of Chaos” (2009) den alten Klassikern in nichts nach. Sami kann es sich sogar herausnehmen, dem Uralt-Klassiker “The Pestilence” (von “Pleasure To Kill”, 1986) eine völlig neue Gitarrenspur hinzuzufügen und den Song noch besser zu machen. Argh!
Dem Classic-Rock-Fan kommt es dabei zugute, dass er sich nie als reinen Thrash-Gitarristen inszenierte, sondern vermutlich jeden Stil glaubhaft spielen könnte, wie er mit weiteren WALTARI-Alben und der AMORPHIS-nahen Prog-Death-Band BARREN EARTH beweist. Da auch Yli-Sirniö bei KREATOR nicht als Songwriter im eigentlichen Sinne in Erscheinung tritt, kommt es ihm zu, die Riff- und Songideen von Mille Petrozza zu veredeln und ihnen den letzten Schliff zu geben. Eine Kollaboration, die hoffentlich nie enden wird.
Größter Solo-Moment: “Victory Will Come” (von: KREATOR – “Phantom Antichrist”).
Christian Lindell (PORTRAIT)
Lindells Gitarrenspiel wird extrem selten hervorgehoben, dabei ist der Mann ein unschlagbarer Allrounder. Christian sorgt im Hause PORTRAIT nicht nur für das Gros der Musik und alle Texte; er ist auch präziser Riff-Master und Solist zur gleichen Zeit. Ob als Teamplayer in Besetzungen mit Richard Lagergren (das Debüt und “Crimen Laesae Majestatis Divinae”), David Olofsson (“Crossroads”), als alleiniger Gitarrist auf dem fantastischen “Burn The World” oder jüngst auf “At One With None” mit Karl Gustafsson – Lindell soliert songdienlich und fantasievoll, hat ein Gespür für Melodien, die zwischen ungewöhnlich und vertraut klingen und zudem einen sehr markanten Gitarrensound, der eng an MERCYFUL FATEs “Don’t Break The Oath” angelehnt ist.
Mit PORTRAIT hat Christian Lindell seine eigene Nische im klassischen Heavy Metal geschaffen und das ist auch gut so. In den Achtzigern hätten sich allerdings gewiss so einige Bands die Finger nach einem Gitarristen wie ihm geleckt und auch heute wäre es nicht absurd, wenn er die eine oder andere Anfrage ablehen müsste, um sich auf seine Stammband zu konzentrieren. Erfreulich ist allerdings, dass diese momentan wieder ein stabiles Line-up zu haben scheint, denn bei aller Klasse des Meisters, funktionieren PORTRAIT am besten als Twin-Lead-Guitar-Band.
Größter Solo-Moment: Der Todesking (von “Crimen Laesae Majestatis Divinae”, 2011)
Größte Komposition: “Martyrs” (von “Burn The World”, 2017), weil es eine wundervolle Mischung aus SCORPIONS und ACCEPT darstellt.
Max “Savage” Birbaum (LUNAR SHADOW, DRENNAN WHYTE)
Max Birbaum ist der jüngste und bis dato unbekannteste Gitarrist in unserem Special. Mit LUNAR SHADOW fabriziert der blonde Wahl-Leipziger eigenwilligen, einfühlsamen Heavy Metal; mit bzw. als DRENNAN WHYTE fragilen Indie Rock. Mit dem zweiten LUNAR-SHADOW-Album “The Smokeless Fires” hat sich Savage Mäx allerdings ein mittelgroßes Denkmal geschaffen. Nicht allein das Songwriting dieser höchst eigensinnigen Epic-Metal-Platte ist überragend. Nein, die Gitarrenarbeit hätte Birbaum in den Achtzigern so manche lukrative Karrieretür öffnen können. Jede (!) OZZY-, DIO- oder DOKKEN-Scheibe wäre von dieser schieren Kreativität aufgewertet worden. Das äußerst flüssige, geradezu leichtfüßige Solospiel des gebürtigen Sauerländers findet einerseits häufig in atemberaubenden Geschwindigkeitsbereichen statt, orientiert sich andererseits auch stets am Song. Man hat nie das Gefühl, dass hier einfach nur Lehrbuch-Tonleitern hoch und runter geschrubbt werden.
Auch Max Birbaum hat ein Talent dafür, einen Song im Song zu erschaffen. Das Gitarrensolo ist bei aller Virtuosität niemals Selbstzweck, sondern oft der emotionale Marianengraben der vertrackten, geradezu klassisch aufgebauten Kompositionen, in denen endlich alles ausbricht. Dass man in Songs wie “Roses” oder “Laurelindórenan” den jeweiligen Solo-Part mitsingen kann, beweist nicht nur, wie wichtig und tragend das Solo für den jeweiligen Song ist. Es lässt umso unglaublicher erscheinen, dass der Großteil von Birbaums Soli on the spot improvisiert wird.
Größte Komposition: “Roses” (von “The Smokeless Fires”, 2019)
Größter-Solo-Moment: “Catch Fire” (von “The Smokeless Fires”, 2019)