Der Weg Einer Freiheit
Russland-Tourblog
Special
Teil 6
Wie die Ölsardinen erwachen wir auf einer Art Fünf-Mann-Bett in unserer Unterkunft in Samara. Wie jeden Morgen musste ich erst einmal realisieren, dass ich mich mitten in einem fremden Land befinde, doch der allgegenwärtige Staub auf den Straßen Russlands, der sich in unseren von Schwarzwaldluft verwöhnten Lungen ablagerte, machte es einem nicht schwer, sich bei jeder morgendlichen Husterei daran zu erinnern. Wir verließen die Wohnung über das mit Graffiti verzierte Treppenhaus und mussten am Bus angekommen feststellen, dass die Schlaglöcher der russischen Straßen den rechten Hinterreifen wohl endgültig in die Knie gezwungen hatten und ihm über Nacht die Luft ausgegangen war. Wir kauften zwei neue Reifen und begaben uns auf die Suche nach einer Werkstatt. Mit einem platten Hinterreifen rumpelte unser kleiner Panzer tapfer durch die chaotischen Straßen Samaras. Die „Werkstatt“, auf deren Hof wir nun parkten, bestand aus einem alten rostigen Zugwagon, aus dem zwei mies gelaunte Russen traten. Sie begannen sofort mit der Arbeit und wir beschlossen, uns für die Zeit des Reifenwechsels nach einem Frühstück umzusehen.
Nach kurzem Suchen fanden wir einen dieser typischen russischen Tante-Emma-Läden, die hier an jeder Ecke stehen. Das kleine, mit allerhand kuriosem Zeugs vollgestopfte Geschäft war geschwängert mit einem beißenden Fischgeruch. Rohes Fleisch lag auf einer nicht gekühlten Fleischtheke übereinander gestapelt – und wie überall gab es auch hier wieder ausschließlich die typischen 1,5-Liter-Bier-Plastikflaschen. Da ich kein Kyrillisch lesen, geschweige denn Russisch verstehen kann kaufte ich wild drauf los und ließ mich von meinem Gespür für Strange Local Food leiten. Mein Frühstück bestand, wie ich später erfuhr, aus Silotka, einer Art Fischsalat mit Roter Beete und Kohl. Ich hatte hinter der Etikett-losen Packung voll rotem Etwas keinen Fisch erwartet – und auf nüchternem Magen war die doch recht große Packung keine leichte Kost. Ich wollte es aber auch nicht wegwerfen, den Bus allerdings auch nicht mit Fisch vollstinken. Also zwang ich mir die ganze Portion hinunter. Wirklich glücklich war ich danach nicht und ich spülte mir den letzten Happen mit einem kräftigen Schluck einer Limonade hinunter, die ich im selben Laden gekauft hatte. Auch dieses Getränk war ein Risikokauf, denn auf dem Etikett waren nur Sahne und zwei Vanilleschoten abgebildet. Ich musste sie einfach kaufen. Die pappsüße Limonade schmeckte – ungelogen – einfach original wie Sahnebonbons. Und so war war es als hätte ich nur noch mehr Benzin ins Feuer gegossen und die Lachse, die ich eben verspeist hatte, dadurch zum Leben erweckt und sie wollten ihrem natürlichen Trieb, Stromaufwärts meine Speiseröhre hinauf zu schwimmen, nachkommen. Ich hatte fürs erste genug von Strange Local Food. Die Reifen waren in der Zwischenzeit gewechselt und wir setzten unsere Fahrt nach Ulyanovsk fort. Gegen den Brechreiz ankämpfend ließ ich mich von den Unebenheiten der Straße in ein kleines Vormittagsschläfchen schaukeln.
Dieses war allerdings nicht von langer Dauer. Auf der Autobahn wurden wir von einem anderen Auto extrem knapp überholt und geschnitten, sodass wir ausweichen mussten. Ein Deutscher Autofahrer hätte gehupt und sich kurz aufgeregt. Anders aber der Russe. Fluchend gab er nun Vollgas, überholte andere Autos links und rechts – und zwar solange, bis er sein Ziel noch viel asozialer mit einem langen Hupen überholt hatte. Dmitry auf dem Beifahrersitz ließ seinen Mittelfinger erst sinken, um mit Jury unter einer Piratenlache und Russischen Flüchen einzuschlagen. Alles egal. Ich liebe dieses Land. Nach der kurzen Aufregung schlief ich wieder ein.
Die Show in Ulyanovsk fand im Clubhaus eines Bikerclubs statt. Als wir ankamen und unser Equipment ausluden, empfingen uns grimmige Biker mit verschränkten Armen. Großgewachsene Kerle mit grobschlächtigen Gesichtern. Den „Hatchets Russia“-Patch, einen Totenkopf, hinter dem sich zwei Äxte kreuzten, hatte jeder von ihnen auf seine Lederkutte genäht. Kein wirklich warmer Empfang, doch wenn ich eins über die Russen gelernt habe, dann ist es, dass sie meist sind wie ihre Häuser: außen nicht wirklich einladend, doch im Inneren schön eingerichtet. Wie wir nun erfuhren handelte es sich, wieso auch immer, um eine geheime und illegale Show. Es standen immer abwechselnd ein paar Biker an der Tür, um durch eine kleine Schiebeluke hindurch die Gäste zu kontrollieren. Wir begannen sofort mit dem Soundcheck, den wir wie fast jeden Tag pantomimisch regeln mussten. Als die Vorband spielte, saßen wir im Backstage und aßen Reis mit Hähnchen. In Russland scheint es üblich zu sein, dass Vorbands weder Essen noch Gage bekommen. In einer Ecke des Backstage Raums lehnte eine riesige Axt und ich schlug Dmitry vor, sich für meinen Gastauftritt bei Drauggard in Arzamas, bei dem ich mit Schweißerbrille und Plastikmaschinengewehr bewaffnet einen Song mitkreischte, zu revanchieren.
Drauggard waren mit ihrem Gig fertig und wir betraten zum letzten mal auf dieser Tour die Bühne. Davor wurden wir jedoch von einer, in ein kurzes Lederröckchen gekleideten Dame angekündigt. Leider verstanden wir kein Wort. Die Euphorie des Publikums in dem prallgefüllten Clubhaus nahm ihren Höhepunkt, als Dmitry wie versprochen beim letzten Song „Zeichen“ die Axt ergriff und uns für die letzten Minuten, die wir auf einer Russischen Bühne verbringen sollten, mit seinem kehligen Gekreische unterstützte. Später sagte er uns, er habe meistens „Satan hates you“ oder „Putin is christ“ gesungen.
Kaum war der Schlussakkord verklungen betrat eine junge Russin die Bühne, strich meine noch verschwitzen und zerzausten Haare zur Seite und sagte in einem sehr schlechten deutsch „Djiarf ijch dich kyssen?“. Ich erhielt ein zittriges süßes Küsschen auf meine Backe und damit läutete sie die heftigste Publikums-Reaktion ein, die wir jemals erlebt hatten. Wir wurden förmlich zerrissen. Die Wörter „Friend Friend“ und „Foto Foto“ prasselten wie ein Echo immer wieder auf uns ein. Nachdem wirklich jeder aus dem Raum ein Foto mit jedem von uns gemacht oder unser Autogramm auf einer CD, LP oder irgendeinem Zettelchen stehen hatte, hatte sich die Lage etwas beruhigt. Vorerst. Ein Arm stieß durch die Menge, packte mich am Handgelenk und zog mich an die Bar wo mich ein Tablett voll mit Wodka und Cognac-Shots erwartete. Wie üblich wären diese bei uns locker als großzügige Doppelte durchgegangen. Das Tablett bezwungen, stolperte ich leicht beschwipst in den kleinen Backstage-Raum, in dem Sascha, Dmitry und Tobi von einer Horde Russen umzingelt waren. Die Flasche Wodka auf dem Tisch war bereits zu drei Vierteln geleert. Ich schloss mich ihnen an und wenige Zeit später wurde auch die zweite Flasche in kürzester Zeit unter lautem „Na zdorov’ye!“ vernichtet. Im Wodka-Rausch schenkte einer der Biker, so dankbar für den Gig, Sascha seinen Bikerring und ließ ihn kurz seine Kutte tragen. Als dann eine Flasche Cognac angebrochen wurde, wusste ich, dass ich diesen Raum verlassen musste, wenn ich den Abend irgendwie überleben wollte. Ich taumelte durch den dunklen Raum und sah durch meinen Tunnelblick hindurch, dass zwei Frauen im knappen Leder Dress begannen hatten, sich an Stangen auf dem Tresen zu räkeln. Immer wieder wurde ich in irgendeine Ecke des Clubs gezerrt und abgefüllt, dass kaum jemand Englisch sprach, störte ab einem gewissen Pegel keinen mehr.
Innerlich teuflisch lachend, tanzte ich mich weiter durch die eskalierende Meute, völlig vergessend, dass wir nach dem Gig nur eine Dreiviertelstunde Zeit hatten, um unseren Flieger nach Hause zu erwischen. In diesen 45 Minuten füllten uns die Russen allerdings dermaßen ab, dass wir uns nicht mehr an den Load-out erinnern konnten. Ich habe noch Bildfetzen im Kopf, wie wir vom Parkplatz wegfuhren, Leute unserem Bus hinterher rannten und aufgeregt gegen die Scheiben klopften. Nach einigen emotionalen Reflexionen der Tour fielen wir alle in einen tiefen Schlaf und kamen dank Alkohol-Time-Warp und ohne etwas von der Fahrt mitbekommen zu haben um etwa 1:30 in der Nacht am Flughafen in Samara an.
Wir verabschiedeten uns von den drei Draggard-Jungs, die uns in dieser kurzen Zeit doch sehr ans Herz gewachsen waren. Diese Reise endete schließlich, wie sie begonnen hatte – nur etwas betrunkener. Ein letztes Mal erhob sich die Sonne für uns über den kleiner werdenden Ebenen Russlands, als wollte sie uns Lebewohl sagen. Sechs Tage sind eine viel zu kurze Zeit, um durch ein derart eigentümliches Land zu reisen. Diese Tour war wie die unzähligen Wodka- und Cognac-Shots, die wir unsere Kehlen hinab leerten: kurz aber intensiv. Es war ein verrücktes Abenteuer, an das wir noch lange zurückdenken werden. Wir kamen um halb sieben am Morgen am Frankfurter Flughafen an, wo sich unsere Wege wieder trennten. Und so kehren wir heim, tauschten grau gegen grün, Abenteuer gegen Routine. Ich für meinen Teil habe dieses Volk kennen und lieben gelernt und werde einen Teil der russischen Seele für immer in meinem Herzen tragen. ???????!
Text: Giuliano (Bass)
Teil 5
Mein Wecker klingelte um halb zwölf und ich hatte noch ein bisschen Zeit, eine Dusche in der überaus geräumigen Badewannendusche in unserem Hostel in Tolyatti zu nehmen. Danach alle Sachen zusammengepackt, in dem etwas fragwürdig anmutenden und kurz vor dem Stopp extrem ruckelnden Aufzug runter ins Erdgeschoss des Plattenbaus und rein in unser rollendes Zuhause. Nach kurzer Fahrt um ein paar Häuserblocks hielten wir an einem Supermarkt und kauften uns ein Frühstück und ein paar Snacks für die Fahrt nach Samara. Dann ging es los, entlang teilweise noch zugefrorenen Ausläufern der Wolga zu unserer rechten und gerodeten, noch kohlenden Waldflächen zu unserer linken Seite. Wir erreichten eine Autobahn, auf der sich einige Baumaßnahmen befanden und so mussten wir oft mal eine Vollbremsung hinlegen, wenn mal wieder ein paar russische Bauarbeiter 100 Meter vor uns anfingen, die Straße quer zu vermessen oder die Fahrbahn ohne jegliche Vorwarnung auf eine halbe Spur verengt wurde.
Ein weiteres Mal hat uns Juri aber sicher ans Ziel gebracht und wir fanden uns in einer Wohnsiedlung aus heruntergekommenen Plattenbauten in Samara wieder – der östlichste Stopp auf unserer Tour, mehr als 3000 Kilometer und über einen Monat Fußstrecke von zu Hause entfernt, angenommen, man würde nonstop durchlaufen. Unsere heutige Schlafstätte war ein ca. 40 Quadratmeter großes Drei-Zimmer-Appartement, das uns 700 Rubel die Nacht kostete, umgerechnet ca. 15 Euro. Wir bequemten uns auf die Betten und Couches und schauten ein bisschen russisches Fernsehen, in dem Verkehrsunfälle und Verfolgunsjagden gezeigt wurden. In diesem Land ist es normal, sich auf dem Armaturenbrett Kameras zu installieren, von daher gibt es da massig Videomaterial. Dmitry kam in unser Zimmer und teilte uns mit, dass wir zum Club fahren müssen, den wir nach einer halben Stunde Fahrt durch die Innenstadt gegen 17 Uhr erreichten.
Der Load-In war wie immer schnell gemacht. Die Backline im „Podval“ beschränkte sich auf zwei kleine Gitarrenkombos, einen alten Röhren Bassamp und ein Schlagzeug mit viel zu wenig Beckenständern. Im Übrigen gibt es in Russland im Grunde das gleiche Stromnetz und Steckdosen wie in Deutschland, was lästige Adapter und Stromkonverter erspart. Trotzdem scheinen meine Effektgeräte bzw. Netzteile irgendein Problem mit dem Netz zu haben, wodurch ich weiterhin Stromschläge über Mikrofon und Gitarre abbekomme.
Wir bauten auf, checkten den Sound und machten uns draußen schnell nochmal auf die Suche nach einem Laden, um ein paar Flaschen Wasser einzukaufen. Nur ein paar Meter vom Club fand sich einer, wir traten ein und ein abartiger Gestank von Fisch und Gas strömte uns entgegen. Kein Wunder, da mitten im Laden ein großer abgesperrter Gastank neben der mit getrockneten Fischspezialitäten ausgelegten Theke stand. Wir öffneten den Kühlschrank und holten lauwarmes Wasser heraus, die Kühlschränke in den kleinen russischen Läden scheinen nie angeschlossen zu sein. An der Kasse versuchte uns die Verkäuferin zu erklären, dass sie uns das Wasser nicht verkaufen kann, da es sich nicht im Computer befindet, Bier jedoch funktioniert. Wir kaufen also Bier statt Wasser und Sascha konnte ein paar Wortfetzen der Verkäuferin übersetzen, dass es doch ein Unding sei, nach Russland zu kommen und nur Englisch sprechen zu wollen. Egal, bezahlt und zurück in den Club, wo uns auf dem Tisch im Backstage eine rötliche Suppe als Vorspeise und ein paniertes Schnitzel (oder sowas in der Art) mit fünf Kartoffelscheiben und kleinem Salat als Hauptspeise erwartete. Gut war’s und einen Kaffee gab es danach auch noch.
Kurz danach gingen auch schon die Türen auf und ich wurde an unserem Merchstand sehr nett von einem Fan begrüßt, der auch schon in Moskau war und offensichtlich so angetan war, dass er uns nochmal sehen musste, guter Typ! Nachdem die erste Band namens „Killdozer“ mit ihrem Auftritt durch war, spielten unsere Kumpanen von Drauggard eine abermals fette und sehr solide Show und nach kurzer Umbaupause waren wir an der Reihe. Der Club hatte sich mittlerweile gut gefüllt, ich startete das Intro und es ging unter lautstarkem Gebrülle aus der ersten Reihe los. Wir hatten einen durchweg klaren Sound auf der Bühne, was uns ein gutes Spielgefühl bescherte, und man merkte den Gesichtern der Meute eine äußerst zufriedene Genugtuung an. Der Funke sprang sofort über und wir feierten alle zusammen eine geile Show, nur wurde mir von Gig zu Gig klar, dass es im Prinzip keinen Sinn macht, irgendwelche Ansagen zu machen, da mich sowieso kein Mensch versteht. So hielt ich mich damit eher zurück und wir ballerten Song für Song raus. Beim letzten Song gab es wieder einige High-Fives und Händeeinschlagen mit sichtlich erfreuten Russen und wir gingen mit einem sehr guten Gefühl von der Bühne, um mit dem halben Club Fotos zu machen und Autogramme zu geben.
Als ich gerade meinen Rucksack zusammenpackte, kam ein junger Russe auf mich zu, der kurz vorher noch den halben Merchstand leergekauft hatte und wollte mir unbedingt etwas geben. Ich schaute in seine Hand und es war ein neun Jahre altes Original-Zippo-Feuerzeug aus Alaska, voll funktionsfähig und mit aus Knochen geschnitzten Verzierungen. Ich fragte, ob es sein Ernst sei, aber er wollte, dass ich es auf jeden Fall haben sollte, und so nahm ich sein Geschenk tausendfach bedankend an. Eine wirklich schöne Erinnerung an eine gute Zeit mit einem sehr freundlichen Völkchen. Nach ein paar Bier an der Bar, bauten wir die Bühne ab und plötzlich wurde das Licht ausgeschaltet, eine Leinwand heruntergefahren und „Fluch der Karibik“ (natürlich auf Russisch) angeschaut. Wir blieben noch eine gute halbe Stunde, versuchten das ein oder andere Wort mit dem Clubpersonal auszutauschen, bedankten uns für die Show und fuhren wieder in unser Appartement.
Dort fanden wir uns alle in der Miniküche ein, tranken noch ein paar Gläser Bier aus 2,5-Liter-Plastikflaschen, aßen dazu geräucherten Käse und unterhielten uns noch eine ganze Weile mit Dmitry, Yuri und Lorenz über Musik und die Welt. Das Bier und der Käse war leer, die Uhr zeigte viertel nach drei und es ging ab ins Bett für etwas mehr als fünf Stunden Schlaf.
Nikita (Gesang, Gitarre)
Teil 4
8:00 – Ich wache auf, merke, dass es keinen Sinn hat, und schlafe für weitere 2,5 Stunden wieder ein. 10:30 – Ich wache während der Einfahrt auf eine Tankstelle endgültig auf und realisiere, dass ich über acht Stunden durch“geschlafen“ habe. Aufgrund dessen, dass wir am Vorabend so derbe abgefüllt wurden, war der Schlaf auf dem zwölfstündigen Overnight-Travel von Arzamas nach Tolyatti eher als „Knock-out“ zu bezeichnen. Und das bei jedem von beiden Bands, außer bei unserem Fahrer Juri, der einfach mal voll die Kante ist. Leider kann ich mich, weil ich den Großteil von meinem Russisch, das ich als Kind sprach, vergessen habe, nur wenig mit ihm Unterhalten. Flying-V-Bässe und einen VW Bus mit über 700.000 Kilometern (runtergeschraubt) auf der Uhr zu besitzen, ist schon mehr als megageil! Dazu spielt er noch in ’ner Band, die sich Anhört wie DEATH, und zählt anscheinend zu den angesehenen Bassisten in Russland. lml
Weiter im Geschehen am gestrigen Sonntag. Wir kamen gegen Mittag in einer Wohngegend mit Plattenbauten soweit das Auge reicht an. Man muss hier anfügen, dass die Plattenbauten ähnlich wie in Deutschland aussehen, nur einfach doppelt so hoch und ca. 25 mal mehr abgefuckt. Aber alles, was hier abgefuckt ist, füllt den Topf mit Sympathie nur noch mehr. Ich fühle mich seit letztem Donnerstag wie in einem geilen Trash-Film gefangen.
Unser Hostel befand sich tatsächlich in einem der Plattenbauten – im 15. Stock! Um auch kurz den Begriff Hostel für Russland zu definieren: lediglich eine normale Drei-Zimmer-Wohnung mit Stockbetten wo es nur geht, sowie QR-Codes zu deren Facebookseiten. Die Aussicht war traumhaft, da sich in 100 Metern Luftlinie direkt ein riesiges, zugefrorenes Becken der Wolga, umrandet von Bergen, befand. Nach einer kurzen WLAN-Party und einer Dusche ging es dann los in die Location.
Die Location, der Hard Rock Pub, in dem vor kurzem auch Napalm Death waren, war ein riesiger Raum mit schlechter Beleuchtung und ca. 25 Bildschirmen, auf denen ein mindestens zehn Jahre altes Metallica Live-Video in Dauerschleife lief (Hetfield sah ungesund und fett aus, aber Trujillo war schon dabei). Die Hälfte des Raumes war mit Sitzecken sowie Tischen und Stühlen gefüllt, sodass wir von Anfang an erwarteten, dass die Leute auf jeden Fall beim Konzert sitzen werden, da das Rockcafé auch ein Full-Service-Restaurant war. Die Wände waren mit Bildern von Bands wie den Beatles, Queen, Stones, etc. tapeziert. Der Sound-Techniker mit gebrochenem Englisch war ein wirklich kompetenter junger Mann.
Vom Soundcheck bis zu unserer Show ging die Zeit an mir auf sehr merkwürdige Weise vorbei. Wir waren wieder in einem der verstörenden Supermärkte und auf einem Wochenmarkt, wo wir glaube ich als sehr exotisch betrachtet wurden, da die Mehrzahl der Bevölkerung in Trainingsanzügen rumläuft. Danach saßen wir bei Bier und Pizza in einer der Sitzecken bis wir an der Reihe waren.
Die Show:
An einer langen Sitzrunde fand ein Geburtstag von offensichtlichen Nicht-Metal-Hörern während einer Black-Metal-Show statt. Ab und zu standen ein paar Leute von der Runde auf und sahen sich unseren Gig von der ersten Reihe aus an. Ein paar Leute headbangten, ein paar tanzten. Es gab sehr viel Beifall und der bunte Haufen Publikum sah mal wieder sehr sehr interessant aus. Von Jogginghose, High-Heels, Abendgarderobe bis Springerstiefel war alles dabei. Auch während unserer Show liefen weiterhin Musikvideos. Vor allem Metallica. Wir haben uns sehr wohl gefühlt und mussten während der Show mal wieder sehr viel lachen, da einfach alles außerhalb der Vorstellung liegt, die man bei uns zu Hause von einer Metal Show hat.
Nach der Show:
Ich hatte ständig einen sehr witzigen Kerl mit Freunden an der Backe, der mir Guitar-Pro-Songs von seinem Handy vorgespielt hat und mich nach einer Bewertung von 1 bis 10 gefragt hat. Des Weiteren wird man nach 20 Sekunden Konversation sehr schnell nach seiner Meinung über Putin gefragt. Die Leute wollen auch Fotos mit unserem Equipment machen und einem ständig irgendetwas schenken. Feuerzeuge, Papier, Bier, alles.
Eigentlich wollten wir schnell abhauen, aber der oben genannte Frauengeburtstag hat uns quasi gezwungen, Kuchen zu essen und eine gute Menge Cognac zu trinken. Die Leute verstanden kein Wort Englisch oder Deutsch. Es hat ihnen so viel gegeben, dass wir Deutsche waren … warum auch immer … mit meinen Bruchstücken Russisch konnte ich uns dann nach zahlreichen Geburtstagsfotos am Drumset recht freundlich aus der Situation herauskomplimentieren. Beim Einladen hat uns ein cooler Typ mit einer extremen „Fuck The System“-Attitüde von der Vorband geholfen. Nach einer Fünf-Minuten-Fahrt zum Hostel konnten wir nach der Übernachtfahrt und dem Suff vom Vortag endlich wieder die Beine hochlegen.
Tschüss.
Sascha (Gitarre)
Teil 3
Nach dem Aufstehen kurz die Beine vertreten, ein paar Kleinigkeiten im Supermarkt neben dem Hostel gekauft und dann ging es auch schon weiter nach Arzamas, was nur 100 km von Nizhny Novgorod entfernt ist. Trotzdem benötigten wir für diese Strecke gute zwei Stunden, da die Straßen hier einfach nicht mehr als 70 km/h hergeben. Den Lastwagenfahrern scheinen die unzähligen Schlaglöcher aber nicht so viel auszumachen und so werden wir des Öfteren von russischen Monster-LKWs mit ihren 100 Sachen überholt. Nach der für diese Tour verhältnismäßig kurzen Fahrt kamen wir also am „Uran“ in Arzamas an und Jury parkte den Bus mitten auf der Kreuzung vor dem Club. Dmitry hatte uns schon vorgewarnt, dass es wohl die kleinste, engste und abgefuckteste Location der Tour sein wird, dass die Stadt aber über eine gute Szene verfügt und die Leute immer sehr dankbar sind, wenn ab und zu mal eine Band hier auftaucht. Der Konzertraum befand sich im ersten Stock eines kleinen runden Gebäudes und nebenan gab es einen russischen Tante-Emma-Laden inkl. Imbiss. Hinter dem Club empfingen uns vier Männer in Jogginganzug, die bei ca. fünf Grad und Sonnenschein Steaks grillten. Wir betraten den Club, die enge Treppe hoch und trafen auf den lokalen Techniker, der im Gegensatz zu dem in Nizhny Novgorod und Moskau nicht bekifft und grantig, sondern sehr nett und hilfsbereit war und sogar ein bisschen Englisch sprechen konnte.
Vor unserem Soundcheck gab es Suppe, Fleisch, Brot und frisch gegrilltes Steak von den netten Herren und es fanden sich schon die ersten Gäste ein, die sich Bier aus 2-Liter-Plastikflaschen mitgebracht haben und schon munter am Trinken waren. Während der ersten Band gab es bereits den einen oder anderen Wodka und Cognac für uns, den man hier in Verbindung mit Fisch, Kraut oder Birnen trinkt, damit der Alkohol nicht so brennt. Funktioniert sogar, nur stinkt man danach halt nach Fisch, schade. Zum Glück gab es weder saubere Toiletten, geschweige denn Duschen und nur ein versifftes Waschbecken mit eiskaltem Wasser. Trotzdem war uns dieser Ort und die Leute sofort sympathisch, wir wurden sehr herzlich empfangen und jeder hatte seinen Spaß. Im ca. fünf Quadratmeter großen Backstageraum fanden sich allerlei Utensilien, wie eine Schweißerbrille, ein Plastikmaschinengewehr, Gasmasken usw., die sich nach und nach unter die immer betrunkener werdenden Leute mischten. Es bot sich uns kurz vor unserem Auftritt ein sehr amüsantes Bild aus Bier und Wodka trinkenden Menschen von 14 bis schätzungsweise 60 Jahren, die Stimmung war schon fast am Überkochen. Nach einem kurzen Umbau bestiegen wir also die Bühne bzw. den kleinen Absatz am Raumende und ich startete das Intro. Was dann passierte, ist schwer in Worte zu fassen, aber ich denke das Bild sagt alles, haha!
Als Giuli beim letzten Song „Zeichen“ sein Hemd ins Publikum pfefferte und nun Oberkörperfrei und mit Schweißerbrille auf dem Kopf seinen Bass bediente, war alles zu spät. Das Maschinengewehr hat man mir um den Mikroständer gehängt und so spielten wir nach einer guten Stunde den letzten Ton an diesem Abend. Wir wurden sofort runter an die Bar gezerrt, wo es wieder weiter ging mit Wodka, Cognac und Fisch. Selbst die Barfrauen, die den gesamten Ausschank vorher noch im Laden nebenan eingekauft hatten, waren am Trinken und so ließen wir eines der verrücktesten und lustigsten Konzerte ordentlich ausklingen. Da aber gute zwölf Stunden Fahrt nach Tolyatti vor uns lagen, mussten wir es leider schon bald packen, beluden unseren Bus und Jury fuhr uns sicher durch die Nacht. Bei den russischen Straßen- und Alkoholverhältnissen wirklich nicht einfach, aber der Mann zieht das neben seiner Bassisten-Position bei Drauggard absolut diszipliniert durch und hat dafür unseren vollen Respekt! Wann ich eingeschlafen bin, weiß ich gar nicht mehr, nur dass ich mit einem nicht unerheblichen Kater wieder aufgewacht bin und der ganze Bus nach Fisch stank. Alles in allem war dieser Abend ein absolutes Highlight!
Text: Nikita (Gesang, Gitarre)
Teil 2
Ich öffnete meine Augen am frühen Morgen und sah einen wunderschönen Sonnenaufgang durch die stark verdreckten Scheiben unseres recht kalten Vans. Jura, Basser von Drauggard und gleichzeitig unser Fahrer, brauchte eine Pause und parkte den Bus auf dem Standstreifen oder besser gesagt auf dem verstaubten Feldweg direkt neben der Autobahn an einer Bushaltestelle mit Zebrastreifen! Ja, in Russland gibt’s Zebrastreifen auf der Autobahn! Mit einem Schmunzeln schlief ich wieder ein und wachte gegen 10 Uhr in Nizhny Novgorod vor einer Baracke auf, die wohl unser Hostel sein sollte. Ich freute mich auf ein gemütliches Bett und siehe da, Jura öffnete die Tür, alles war topmodern und typisch russisch kitschig dekoriert und wir wurden von einer netten jungen Russin empfangen, die sich als die Haushälterin entpuppte. Wir schliefen eine Weile, erholten uns von der Nachtfahrt, aßen eine Kleinigkeit und fuhren dann zur Location.
Das Schlagzeug … oh man, hahaha. ALLES kaputt! Die erste Tom, durchgerissen. Die 2. Tom mit Kratern im Fell und das Resofell fehlte komplett. Das Highlight war wohl das Resofell der Kick: mehrfach eingerissen und wieder geflickt, ein Traum. Zusätzlich fehlte mir immer noch meine Fußmaschine und meine Snare. Glücklicherweise lieh mir aber Lorenz sein Equipment. Cooler Typ mit lustigem südösterreicher Dialekt und ein sehr fähiger Schlagzeuger. Beim Soundcheck gab’s wieder ordentlich Stromschläge über die Mikrofone, was mich hinter dem Schlagzeug sehr amüsiert hat. Die Gitarrenamps waren diesmal recht gut, ein Mesa Triple Rectifier inkl. Box und ein Ibanez Röhrenamp. Sehr unfair wenn man sich meine Sowjet-Panzersperrenschießbude so anschaut. Nach dem Soundcheck gingen wir in einen Supermarkt, in dem ein paar wilde Vögel herumzwitscherten und kauften eine Flasche Wodka und ein paar Bier.
Drauggard und die erste Band haben gute Shows abgeliefert und dann ging es endlich an unseren Gig. Wow! Zu meiner Verwunderung kannten die Leute sogar ein paar Textzeilen und gingen richtig gut mit unserer Musik mit und ab und an haben uns ein paar Russen einen Wodka hingestreckt. Bei der Zugabe („Ruhe“) fiel dann meine Ersatzfußmaschine auseinander, also musste ich alles mit Rechts spielen bis das Bein brannte! Ganz nach russischer Tradition: ALLES EGAL! Nach der Show wurde ich auf einen Shot eingeladen … ein „Shot“ – ein verdammtes WASSERGLAS voll von diesem verdammt kompromisslosen, klaren russischen Wässerchen. Runter damit, noch eins, noch eins, NOCH EINS. Der Typ konnte kein Wort Englisch und so kommunizierten wir eben mit Wodka und Gebärden. Nach dem Load-out noch schnell Giuli von einem russischen Mädchen weggerissen, dann ging’s ins Auto, wo sich direkt vor uns ein paar Einheimische ordentlich auf die Mütze gegeben haben. Dann ab ins Hostel und dann die Überraschung!
Dmitrys Handy klingelte, russische Wörter flogen durch den Bus, klang mal wieder, als ob sie streiten würden. Nach dem Telefonat drehte er sich zu uns und sagte, dass unser Gepäck im Flughafen hier in Nizhny Novgorod angekommen sei! Jura, Giuli, Nikita und ich fuhren sofort los. Auf dem Parkplatz noch schnell ein paar Kicks mit Giuli ausgetauscht und dann ging’s rein und tatsächlich, in dieser Baracke von Flughafen, unsere Koffer! Giuli und ich waren überglücklich, unser Equipment wiederzuhaben und das feierten wir im Hostel mit ein paar von diesen „Shuuuuts“ wie die Russen zu sagen pflegen. Sascha, Niki und Lorenz waren schon mit dem durchweg jungen Hostelpersonal kräftig am feiern. Wir musizierten, Sascha sang sogar etwas gebrochen Russisch, unterlegt von einem dezenten iPad-Drum-App-Blast.
Gegen vier Uhr bin ich dann zufrieden in mein Bett gefallen, bereit für das nächste Abenteuer in Arzamas!
Text: Tobias (Schlagzeug)
Teil 1
Sitzen ein Deutscher, ein Russe, ein Türke und ein Italiener in einem Flugzeug. So beginnt entweder ein schlechter Witz, oder der erste Bericht unseres Vorhabens Russlandtour 2014. Um halb Acht in der Früh begann unsere Reise am Airport Frankfurt. Die übliche Gepäck-Check-in- und Sicherheitskontrollprozedur hinter uns gebracht, trafen wir im Duty-free Bereich des Flughafens auf einen Herren, der uns gratis Whiskey-Proben anbot und ließen uns die Gelegenheit, auf den Tourbeginn anzustoßen, nicht entgehen. So probierten wir uns durch sein Angebot verschiedener Sorten Jim Beam, begaben uns anschließend Richtung Gate und bestiegen nach kurzem Warten die Maschine. Es befanden sich nur circa vierzig Personen im Flugzeug und jeder von uns hatte eine ganze Sitzreihe, auf der er sich breitmachen konnte, für sich. Moskau scheint wohl kein allzu beliebtes Reiseziel zu sein. Nach den knapp drei Stunden Flug, die nicht entspannter hätten sein können, stießen wir durch die Wolkendecke und blickten zum ersten mal auf die endlosen Ebenen Russlands. Kahle Waldfetzen umgaben vereinzelte, trostlose Dörfchen und umso tiefer wir flogen, desto mehr Details offenbarten sich uns. Dachlose Scheunen, kaputte Häuserreihen, Straßen, die ins nichts führten, und allerhand anderes, was unser Bild von Russland bestätigte.
Die Maschine landete in Moskau. Als Kind bin ich oft von Zuhause abgehauen, weil ich Abenteuer erleben wollte, wie die Helden aus Büchern und Filmen. Dieser Gedanke schoss mir wie eine Stichflamme ins Gedächtnis als wir unsere ersten Schritte auf russischem Boden taten – so fern der Heimat, wie noch nie zuvor. Als wir dann unser Gepäck entgegennehmen wollten, mussten wir feststellen, dass die Lufthansa nicht nur Tobis Fußmaschine, Snare und Kulturbeutel, sondern auch mein komplettes Bassequipment irgendwo zwischen Frankfurt und Moskau verschlampt hatte. Unsere anfängliche Euphorie über das bevorstehende Abenteuer war stark gehemmt und wir begaben uns ohne Bass, Bassamp und Fußmaschine zu der Stelle, an der uns Drauggard, die Band mit denen wir diese Sechs-Tages-Tour fahren werden, treffen sollten.
Es ist kälter als erwartet und meine dünne Jeansjacke scheint wohl kein wirklicher Gegner für den russischen Wind zu sein. Nach kurzem Warten kreuzten dann DRAUGGARD auf. Der alte VW-Bus, in dem sie uns aufsammelten und der einmal weiß gewesen sein muss, glich in seinem Erscheinungsbild und den Tönen, die er von sich gab, eher einem Panzer. Die Jungs stiegen aus. Dimitry, Gitarrist, Sänger und Kopf der Band, stellte sich uns zuerst vor. Ich versuchte dem Bassisten zu erklären, was eben am Flughafen passiert war und wollte ihn gleichzeitig fragen ob, ich sein Equipment für diese Tour benutzen könnte. Doch dieser nuschelte nur kurz seinen Namen, den ich bis heute nicht 100%ig verstanden habe und grinste mich kurz mit seinen Goldzähnen an. Er spricht kein Wort Englisch. Der Schlagzeuger hingegen wohnt eigentlich in Wien und spielt dort bei Asmodeus. Wie er nach Russland zu DRAUGGARD kam hab ich auch noch nicht ganz begriffen – aber die drei scheinen unkomplizierte und sympathische Kerle zu sein.
Wir hatten noch massig Zeit und so beschlossen wir, noch ein wenig die Sehenswürdigkeiten anzusehen. Auf dem Weg in das Innere Moskaus kreuzten immer wieder am Straßenrand liegengebliebene Autos unseren Weg. Vorboten dessen, was uns noch auf den Straßen Russlands erwartete. Der Verkehr in Russland ist mit zwei Worten recht gut zusammenzufassen: ALLES EGAL. Sechsspurige Straßen ohne Markierungen, nicht einmal zwischen uns und dem Gegenverkehr Die Autos die so gut wie alle rostig und verschlammt waren und ein wenig an Mad Max erinnerten, drängten sich dicht auf den von Schlaglöchern übersäten Straßen. Wir vier kommen auf den russischen Fahrstil überhaupt nicht klar und versuchen in dem Chaos Moskaus ein System zu erkennen, dabei dachten wir in Paris schon, das Schlimmstmögliche erlebt zu haben. Diese recht sympathische „Alles egal“-Mentalität verdeutlichte sich, als die häufigste Antwort auf Fragen über Regeln und Verbote, die wir Dimitry stellen, entweder „Fuck them“ oder „but they don’t care“ lautete. Wir liefen anschließend durch die Innenstadt wo sich die dicht aneinander gequetschten Plattenbauten der Außenbezirke mit prunkvollen Prachtbauten mit typisch russischem Kitsch abwechselten. Russische Kirchen sind sehr bunt und ihre Kuppeln sehen aus wie Softeis. Nachdem wir den Kreml und den Roten Platz gesehen hatten, fuhren wir zur Location.
Da wir an sich nicht viel zu schleppen hatten und die Fluggesellschaft uns wie gesagt dort auch noch etwas Arbeit abgenommen hatte, war der Load-in recht schnell erledigt. Es war ein schöner kleiner Club, in den sich bestimmt 400 Menschen quetschen könnten. Wir mussten erneut feststellen, dass in Russland wohl alles ein wenig anders ist, als wir kein Wasser bekamen – und wir verbrachten die Zeit des Wartens damit, zu rätseln, ob sowas wie Catering für Bands in Russland überhaupt üblich ist. So saßen wir da, ohne Equipment und ohne Wasser oder Essen. Kaum jemand der anderen Bands sprach Englisch. Genau so wenig wie der Soundtech des Hauses, was alles extrem verkomplizierte. Nach dem Soundcheck, den wir halb pantomimisch, halb mit Dimitry als Dolmetscher hinter uns gebracht hatten, erfuhren wir, dass wir nun doch etwas zu beißen bekommen sollten und mit dem Veranstalten und den DRAUGGARD-Jungs etwas Essen gehen würden. Kurz nach dem losfahren überfuhr unser Fahrer einen Randstein. Mit einem lauten knacken bildete sich ein langer Riss längs über die Gesamte Windschutzscheibe des Busses. Ich erwartet irgendeine Reaktion des Fahrers und Besitzers des Busses doch in Russland scheint wie gesagt alles ein wenig egaler zu sein als bei uns.
Wie lange hatte ich versucht mir auszumalen, wie das russische Futter wohl so sein würde. Viel Kohl und eher farblos – doch ich freute mich darauf, die russische Esskultur kennenzulernen und mich eines besseren belehren zu lassen. Ich hatte wirklich keine hohen Ansprüche, aber als wir dann mehr oder weniger zu Mc Donald’s gehen mussten, war ich schon ein wenig enttäuscht. Dort boten sich uns die üblichen Szenen: Fette alte Weiber, die ihrem genau so fetten Nachwuchs das Burger- und Pommes-Gift in den Rachen stopften und ähnliches. Manche Dinge sind wohl doch überall gleich.
An diesem Abend sollten fünf Bands spielen. Die drei Vorbands hatten ihre Shows gespielt und Drauggard machten sich Gig-fertig. Ich wollte den Drummer der letzten Band, die vor DRAUGGARD spielte, sagen wie geil ich seinen Blast fand, doch dieser sprach wie die meisten kein Englisch und so drückte mir der russische Hüne einfach ein Glas Wodka und einen Keks in die Hand. Nettes Völkchen diese Russen. Der Sound den Drauggard dann ablieferten, war so kalt und rau wie das Land aus dem sie stammten selbst. Nun waren endlich wir an der Reihe.
Equipment verloren, Mc-Donald’s-Futter, kein Wasser, zudem noch Stromschläge, die Nikita und ich über unsere Mikrophone bekamen. All das wurde durch diesen Gig tausendfach wettgemacht. Selten habe ich mich auf der Bühne so wohl gefühlt. Die Russen sind völlig durchgedreht und feierten die Musik und uns, wie ich es mir nie hätten erträumen lassen. Teilweise sprangen sie auf die Bühnen und wir erlebten unsere ersten Stagedives. Aus vollem Hals schrien sie und der Raum war gespickt mit den Fäusten die sie in die Höhe rissen. Ein Musikerleben, vor allem auf Tour, kann seine anstrengenden Seiten haben – doch das Gefühl auf der Bühne zu stehen und das Herz der Leute auf irgendeine Weise zu berühren und ihre Emotionen zu spüren, sie alles um sich total vergessen und sich der Musik völlig hingeben lassen, dieses Gefühl ist es, was uns wiederum alle negativen Vorfälle vergessen lässt und uns immer wieder daran erinnert, dass das unser Weg ist und kein anderer. Die Euphorie des Publikums nahm für mich Ihren Höhepunkt als wir bei „Der Stille Fluss“ zu meinem Basssolo kamen und ich mich noch etwas weiter über meinen Monitor in die Menschen hinein lehnte. Zwei Russische Frauen mit Gesichtern wie aus Porzellan geschnitzt begannen meine Beine und Arme zu streicheln. Ich versuchte mich auf mein Solo zu konzentrieren doch als eine der Frauen sich dann an meinem Geschlechtsteil vergriff, verspielte ich mich in diesem Solo zum ersten Mal in drei Jahren. Ständige High Fives von Langhaarigen bärtigen Männern, die einen fast in die Menge gerissen hätten und immer wieder Streichelattacken der hübschen Russinnen und einfach diese Energie die vom Publikum ausging machten diesen Gig zu einer der intensivsten Live-Erfahrungen unserer Bandgeschichte.
Nach dem Gig kamen wir mit Bilder machen und Autogrammen geben kaum hinterher. Der Veranstalten machte jedoch massiv druck und musste den Laden räumen, eine After-Show-Party war also leider nicht drin. Wir packten das wenige, das wir dabei hatten, in den Bus und Fuhren die Ganze Nacht durch nach Nizhny Novgorod. Während der Fahrt schlief ich ein und als ich erwachte, standen wir irgendwo in der russischen Pampa, der Fahrer schlief nun auch. Und so verbrachten wir unsere Erste Nacht in diesem fremdartigen aber auf seine eigene Art wundervolle Land in unserem kleinen dreckigen Panzer.
Text: Giuliano (Bass)