Der Weg Einer Freiheit
Russland-Tourblog
Special
Teil 1
Sitzen ein Deutscher, ein Russe, ein Türke und ein Italiener in einem Flugzeug. So beginnt entweder ein schlechter Witz, oder der erste Bericht unseres Vorhabens Russlandtour 2014. Um halb Acht in der Früh begann unsere Reise am Airport Frankfurt. Die übliche Gepäck-Check-in- und Sicherheitskontrollprozedur hinter uns gebracht, trafen wir im Duty-free Bereich des Flughafens auf einen Herren, der uns gratis Whiskey-Proben anbot und ließen uns die Gelegenheit, auf den Tourbeginn anzustoßen, nicht entgehen. So probierten wir uns durch sein Angebot verschiedener Sorten Jim Beam, begaben uns anschließend Richtung Gate und bestiegen nach kurzem Warten die Maschine. Es befanden sich nur circa vierzig Personen im Flugzeug und jeder von uns hatte eine ganze Sitzreihe, auf der er sich breitmachen konnte, für sich. Moskau scheint wohl kein allzu beliebtes Reiseziel zu sein. Nach den knapp drei Stunden Flug, die nicht entspannter hätten sein können, stießen wir durch die Wolkendecke und blickten zum ersten mal auf die endlosen Ebenen Russlands. Kahle Waldfetzen umgaben vereinzelte, trostlose Dörfchen und umso tiefer wir flogen, desto mehr Details offenbarten sich uns. Dachlose Scheunen, kaputte Häuserreihen, Straßen, die ins nichts führten, und allerhand anderes, was unser Bild von Russland bestätigte.
Die Maschine landete in Moskau. Als Kind bin ich oft von Zuhause abgehauen, weil ich Abenteuer erleben wollte, wie die Helden aus Büchern und Filmen. Dieser Gedanke schoss mir wie eine Stichflamme ins Gedächtnis als wir unsere ersten Schritte auf russischem Boden taten – so fern der Heimat, wie noch nie zuvor. Als wir dann unser Gepäck entgegennehmen wollten, mussten wir feststellen, dass die Lufthansa nicht nur Tobis Fußmaschine, Snare und Kulturbeutel, sondern auch mein komplettes Bassequipment irgendwo zwischen Frankfurt und Moskau verschlampt hatte. Unsere anfängliche Euphorie über das bevorstehende Abenteuer war stark gehemmt und wir begaben uns ohne Bass, Bassamp und Fußmaschine zu der Stelle, an der uns Drauggard, die Band mit denen wir diese Sechs-Tages-Tour fahren werden, treffen sollten.
Es ist kälter als erwartet und meine dünne Jeansjacke scheint wohl kein wirklicher Gegner für den russischen Wind zu sein. Nach kurzem Warten kreuzten dann DRAUGGARD auf. Der alte VW-Bus, in dem sie uns aufsammelten und der einmal weiß gewesen sein muss, glich in seinem Erscheinungsbild und den Tönen, die er von sich gab, eher einem Panzer. Die Jungs stiegen aus. Dimitry, Gitarrist, Sänger und Kopf der Band, stellte sich uns zuerst vor. Ich versuchte dem Bassisten zu erklären, was eben am Flughafen passiert war und wollte ihn gleichzeitig fragen ob, ich sein Equipment für diese Tour benutzen könnte. Doch dieser nuschelte nur kurz seinen Namen, den ich bis heute nicht 100%ig verstanden habe und grinste mich kurz mit seinen Goldzähnen an. Er spricht kein Wort Englisch. Der Schlagzeuger hingegen wohnt eigentlich in Wien und spielt dort bei Asmodeus. Wie er nach Russland zu DRAUGGARD kam hab ich auch noch nicht ganz begriffen – aber die drei scheinen unkomplizierte und sympathische Kerle zu sein.
Wir hatten noch massig Zeit und so beschlossen wir, noch ein wenig die Sehenswürdigkeiten anzusehen. Auf dem Weg in das Innere Moskaus kreuzten immer wieder am Straßenrand liegengebliebene Autos unseren Weg. Vorboten dessen, was uns noch auf den Straßen Russlands erwartete. Der Verkehr in Russland ist mit zwei Worten recht gut zusammenzufassen: ALLES EGAL. Sechsspurige Straßen ohne Markierungen, nicht einmal zwischen uns und dem Gegenverkehr Die Autos die so gut wie alle rostig und verschlammt waren und ein wenig an Mad Max erinnerten, drängten sich dicht auf den von Schlaglöchern übersäten Straßen. Wir vier kommen auf den russischen Fahrstil überhaupt nicht klar und versuchen in dem Chaos Moskaus ein System zu erkennen, dabei dachten wir in Paris schon, das Schlimmstmögliche erlebt zu haben. Diese recht sympathische „Alles egal“-Mentalität verdeutlichte sich, als die häufigste Antwort auf Fragen über Regeln und Verbote, die wir Dimitry stellen, entweder „Fuck them“ oder „but they don’t care“ lautete. Wir liefen anschließend durch die Innenstadt wo sich die dicht aneinander gequetschten Plattenbauten der Außenbezirke mit prunkvollen Prachtbauten mit typisch russischem Kitsch abwechselten. Russische Kirchen sind sehr bunt und ihre Kuppeln sehen aus wie Softeis. Nachdem wir den Kreml und den Roten Platz gesehen hatten, fuhren wir zur Location.
Da wir an sich nicht viel zu schleppen hatten und die Fluggesellschaft uns wie gesagt dort auch noch etwas Arbeit abgenommen hatte, war der Load-in recht schnell erledigt. Es war ein schöner kleiner Club, in den sich bestimmt 400 Menschen quetschen könnten. Wir mussten erneut feststellen, dass in Russland wohl alles ein wenig anders ist, als wir kein Wasser bekamen – und wir verbrachten die Zeit des Wartens damit, zu rätseln, ob sowas wie Catering für Bands in Russland überhaupt üblich ist. So saßen wir da, ohne Equipment und ohne Wasser oder Essen. Kaum jemand der anderen Bands sprach Englisch. Genau so wenig wie der Soundtech des Hauses, was alles extrem verkomplizierte. Nach dem Soundcheck, den wir halb pantomimisch, halb mit Dimitry als Dolmetscher hinter uns gebracht hatten, erfuhren wir, dass wir nun doch etwas zu beißen bekommen sollten und mit dem Veranstalten und den DRAUGGARD-Jungs etwas Essen gehen würden. Kurz nach dem losfahren überfuhr unser Fahrer einen Randstein. Mit einem lauten knacken bildete sich ein langer Riss längs über die Gesamte Windschutzscheibe des Busses. Ich erwartet irgendeine Reaktion des Fahrers und Besitzers des Busses doch in Russland scheint wie gesagt alles ein wenig egaler zu sein als bei uns.
Wie lange hatte ich versucht mir auszumalen, wie das russische Futter wohl so sein würde. Viel Kohl und eher farblos – doch ich freute mich darauf, die russische Esskultur kennenzulernen und mich eines besseren belehren zu lassen. Ich hatte wirklich keine hohen Ansprüche, aber als wir dann mehr oder weniger zu Mc Donald’s gehen mussten, war ich schon ein wenig enttäuscht. Dort boten sich uns die üblichen Szenen: Fette alte Weiber, die ihrem genau so fetten Nachwuchs das Burger- und Pommes-Gift in den Rachen stopften und ähnliches. Manche Dinge sind wohl doch überall gleich.
An diesem Abend sollten fünf Bands spielen. Die drei Vorbands hatten ihre Shows gespielt und Drauggard machten sich Gig-fertig. Ich wollte den Drummer der letzten Band, die vor DRAUGGARD spielte, sagen wie geil ich seinen Blast fand, doch dieser sprach wie die meisten kein Englisch und so drückte mir der russische Hüne einfach ein Glas Wodka und einen Keks in die Hand. Nettes Völkchen diese Russen. Der Sound den Drauggard dann ablieferten, war so kalt und rau wie das Land aus dem sie stammten selbst. Nun waren endlich wir an der Reihe.
Equipment verloren, Mc-Donald’s-Futter, kein Wasser, zudem noch Stromschläge, die Nikita und ich über unsere Mikrophone bekamen. All das wurde durch diesen Gig tausendfach wettgemacht. Selten habe ich mich auf der Bühne so wohl gefühlt. Die Russen sind völlig durchgedreht und feierten die Musik und uns, wie ich es mir nie hätten erträumen lassen. Teilweise sprangen sie auf die Bühnen und wir erlebten unsere ersten Stagedives. Aus vollem Hals schrien sie und der Raum war gespickt mit den Fäusten die sie in die Höhe rissen. Ein Musikerleben, vor allem auf Tour, kann seine anstrengenden Seiten haben – doch das Gefühl auf der Bühne zu stehen und das Herz der Leute auf irgendeine Weise zu berühren und ihre Emotionen zu spüren, sie alles um sich total vergessen und sich der Musik völlig hingeben lassen, dieses Gefühl ist es, was uns wiederum alle negativen Vorfälle vergessen lässt und uns immer wieder daran erinnert, dass das unser Weg ist und kein anderer. Die Euphorie des Publikums nahm für mich Ihren Höhepunkt als wir bei „Der Stille Fluss“ zu meinem Basssolo kamen und ich mich noch etwas weiter über meinen Monitor in die Menschen hinein lehnte. Zwei Russische Frauen mit Gesichtern wie aus Porzellan geschnitzt begannen meine Beine und Arme zu streicheln. Ich versuchte mich auf mein Solo zu konzentrieren doch als eine der Frauen sich dann an meinem Geschlechtsteil vergriff, verspielte ich mich in diesem Solo zum ersten Mal in drei Jahren. Ständige High Fives von Langhaarigen bärtigen Männern, die einen fast in die Menge gerissen hätten und immer wieder Streichelattacken der hübschen Russinnen und einfach diese Energie die vom Publikum ausging machten diesen Gig zu einer der intensivsten Live-Erfahrungen unserer Bandgeschichte.
Nach dem Gig kamen wir mit Bilder machen und Autogrammen geben kaum hinterher. Der Veranstalten machte jedoch massiv druck und musste den Laden räumen, eine After-Show-Party war also leider nicht drin. Wir packten das wenige, das wir dabei hatten, in den Bus und Fuhren die Ganze Nacht durch nach Nizhny Novgorod. Während der Fahrt schlief ich ein und als ich erwachte, standen wir irgendwo in der russischen Pampa, der Fahrer schlief nun auch. Und so verbrachten wir unsere Erste Nacht in diesem fremdartigen aber auf seine eigene Art wundervolle Land in unserem kleinen dreckigen Panzer.
Text: Giuliano (Bass)
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Stile | Black Metal |
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Schöner Tourbericht bisher! Sehr interessant ist der Hunger der Fans nach der Musik. Hier ist man ja leider zu häufig allzu satt und kann nur noch schwer die Leidenschaft empfinden, die einen irgendwann mal zu dieser Musik gebracht hat – bin gespannt was es noch zu erzählen gibt.
Was für eine Tour!! Wann kommt der Film zur Tour in die Kinos??
Aber im Ernst: Super Bericht zu einem super spannenden Projekt. Wir brauchen mehr Pioniere wie euch, die mit ihrer schwarzen Kunst Basisarbeit leisten. Und der Wodka als Lohn sei euch gegönnt!
Haut rein, weiter so!
Danke für den super-interessanten und kurzweiligen Tourbericht. Ich musste schon ab und zu schmunzeln.