Der erste Schuss
Mit welchen Bands hat alles angefangen?

Special

Markus Endres – Helloween

Der erste Schuss

Wann und wie  bist du zum ersten Mal mit der Band in Berührung gekommen?
Meinen ersten Kontakt mit Heavy Metal allgemein hatte ich im frühen Kindesalter in der Katholischen Jugend, und dort in den Jugendfreizeiten. Die älteren Kinder und Gruppenleiter standen damals auf IRON MAIDEN, SLAYER und METALLICA, und hörten sich die Sachen in höllischer Lautstärke auf ihren Ghettoblastern an. Obwohl ich in einem Elternhaus mit durchaus rockigen Musikwurzeln aufwuchs, und sehr früh mit Bands wie SLADE, QUEEN, URIAH HEEP oder NAZARETH in Berührung kam, schockte mich dieser infernalische Lärm – denn Musik konnte ich darin (noch) nicht erkennen. Für mich war mit AC/DC das Ende der härtetechnischen Fahnenstange im spielzeuggespickten Kinderzimmer erreicht.

Einige Jahre später kam dann mein erster Kontakt mit HELLOWEEN, und für mich die Initialzündung als künftiger Heavy-Metal-Fan, auf ganz klassische Weise. Ein Klassenkollege spielte mir während der Unterrichtspause auf seinem Walkman das Lied „Future World“ von einer Band namens HELLOWEEN vor. Ich war vom ersten Hör weg begeistert. Diese Kinderliedmelodien! Dieser intensive, kreischend hohe Gesang! Diese treibende, mitreißende Energie! Das Lied stammt vom Jahrhundertalbum „Keeper Of The Seven Keys – Part One“, 1987. Ich verstand den Sinn des Textes überhaupt nicht, und wie ich überhaupt bei all dem Rauschen der Kassette – seit einigen Jahren verwendet man den englischen Begriff Tape, die Melodien richtig raushören konnte, ist mir bis heute ein Rätsel. Ich brauchte jedenfalls sofort HELLOWEEN, für mich. Also lieh ich mir die schon zigmal überspielte Kassette aus, um mir das darauf enthaltene Rauschen samt (Hintergrund-)Musik gleich auf mehrere Kassetten zu kopieren. Das Problem war nämlich, dass meine damalige Stereoanlage mit ausgesprochen großem Appetit Kassetten fraß bzw. regelmäßig für weniger gesunden Bandsalat sorgte. Und da ich natürlich kein Geld für vernünftige Qualität hatte, musste die billigen BASF Ferro Kassetten vom Aldi herhalten – nicht nur aus heutiger Sicht ein audiophiler Alptraum! Denn die Kombination billige Stereoanlage ohne Dolby B (von C oder S ganz zu schweigen!), billige Tapes, zigfach kopiert, sorgte für ein im wahrsten Sinne des Wortes berauschendes Klangerlebnis. Aber das war mir egal, HELLOWEEN waren meine neuen Helden. Ich liebte ihre Musik, wusste in der ersten Zeit nichts über die Band bis auf die Songtitel von diesem einen Album, und malte mir in der Fantasie so einiges aus. Bei „Future World“ sah ich vor meinem geistigen Auge bspw. bunte Fantasy-Rockmusiker im „Flash Gordon“ Umfeld.

Natürlich sparte ich mir Taschengeld zusammen, um mir „Keeper Of The Seven Keys – Part One“, also auch den zweiten Teil der Hamburger Melodic-Speed-Metal-Vorreiter auf Schallplatten zu kaufen. Der zweite Part zeigte sich dann stilistisch offener, abwechslungsreicher, und inzwischen konnte ich auch etwas Englisch, wodurch ich die lustigen Texte von „Rise And Fall“ und „Dr. Stein“ auch einigermaßen verstand. Einhergehend mit diesen beiden Platten wurde ich auch endlich auf die witzigen Comics, natürlich die überall präsenten Kürbisse, aufmerksam. Es war um mich vollends geschehen, ich liebte HELLOWEEN nun noch mehr, zumal ich zwischenzeitlich auch komplexere Stücke wie den 13-Minuten-Opus „Keeper Of The Seven Keys“ in ihrer Brillanz auffassen konnte. Und dann war natürlich auch das übelste Kassettenrauschen einem wohligen Lagerfeuerknacken vom Vinyl gewichen (die Schrott-Stereo-Anlage war ja noch dieselbe). Es war für mich klar – ab jetzt bin ich Metaller!

Warum?
Am Anfang war es diese wunderbar eingängige Kinderliedmelodie des Ohrwurms „Future World“, die mich in ihren Bann zog. In Verbindung mit dem klaren Gesang von Michael Kiske, der dann in den richtigen Momenten wunderbar hoch ins Mikrofon kreischte, der flotten Energie dieses Stücks und meiner eigenen noch kindlichen Fantasie, was ich mir so anhand des Songtitels vorstellte, faszinierten mich so sehr, dass ich alleine dieses eine Lied immer und immer wieder anhören musste. Also immer wieder das Band zurückspulen. Aber natürlich gefielen mir nach und nach auch die anderen Songs der beiden „Keeper Of The Seven Keys“-Alben. Das vehement nach vorne preschende „Twilight Of The Gods“ wirkte auf mich damals schon recht bedrohlich, genauso wie das dunkle „Halloween“, was natürlich einen unglaublichen Reiz auf mich ausübte. Heutzutage muss ich darüber schmunzeln, aber „Halloween“ wirkte auf mich tatsächlich „böse“! Und „A Tale That Wasn’t Right“ war einfach eine schöne Ballade mit Gänsehautfaktor, die bekomme ich heute noch jedes Mal bei dem Lied, und das nach fast 27 Jahren. Der zweite Teil gefiel mir dann fast noch besser, hier vor allem „Rise And Fall“, „Dr. Stein“, „I Want Out“ und natürlich das epische „Keeper Of The Seven Keys“.

Im Nachhinein betrachtet waren es gerade die virtuosen und majestätischen Gitarrenläufe und –Melodien von Kai Hansen und Michael Weikath, in Kombination mit der beeindruckenden Stimme des damals noch blutjungen Michael Kiske, den zahlreichen eingängigen Hooklines und Mitsingpassagen, aber gleichzeitig auch diese Geschwindigkeit und Power, und natürlich auch die gesunde Portion Pathos in den Songs, die mich packten und seither auch nicht mehr los ließen. Und mit ihren Cover-, Inlay- und T-Shirt-Motiven, hier gerade und natürlich die Comiczeichnungen, trafen HELLOWEEN den Nerv dieses Schülers, der fortan ständig und überall Kürbiss-Karrikaturen zeichnen musste. Und ganz besonders stolz mit seinem allerersten Metal-Shirt mit dem Cover von „Live In The UK“ zur Schule kam. Zumindest von der musikalischen als auch inhaltlichen Faszination haben die frühen HELLOWEEN für mich bis heute nichts an ihrem Zauber verloren.

Nach den „Keeper“-Platten folgte das starke Live-Album „Live In The UK“ mit einer besonders langen Version von – natürlich – „Future World“. HELLOWEEN waren für mich die Helden, ich würde ihnen einen Altar bauen, ihnen opfern, meine Seele verkaufen, na sagen wir zumindest alle folgenden Schallplatten kaufen und, sofern es mir meine Eltern erlauben, mal auf ein Konzert gehen. Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.

Schämst du dich heute dafür?
Kai Hansens Ausstieg, Rechtsstreit, deutsches Veröffentlichungsverbot, „Pink Bubbles Go Ape“, Urlaub versaut. Doch der Reihe nach!

Kai Hansen stieg aus, um in der Folge mit GAMMA RAY ungefähr da weiterzumachen, wo HELLOWEEN aufgehört hatten. Nur das wusste ich damals noch nicht. Was ich mitbekam war, dass HELLOWEEN wohl bei einer anderen Plattenfirma unterschrieben hatten, es jetzt aber Ärger mit der alten gäbe, was letztendlich dazu führte, dass das neue Album „Pink Bubbles Go Ape“ in Deutschland nicht veröffentlicht werden durfte. Egal, Jugendfreizeiten gibt es überall, dann machte ich eben Urlaub in Holland. Dort kauften wir uns also eine Kassette (wir wollten die Musik schließlich sofort anhören, was mit einer Schallplatte nicht möglich gewesen wäre), wobei das Cover schon mächtig abschreckte und gleich für den ersten Schock sorgte. Der zweite kam gleich anschließend beim ersten Hören auf dem Walkman hinterher, die Kürbisköpfe klangen deutlich poppiger, schlichter und kommerzieller, und das hatten wir ganz und gar nicht erwartet. Ich war so dermaßen enttäuscht, dass ich den Rest meines Urlaubs nur noch RUNNING WILD, von nun an meine neuen Helden, oder AC/DC „The Razors Edge“, ein Frustkauf vor Ort, anhörte. So oder so, der Urlaub war gelaufen, die Enttäuschung saß so tief, dass ich von HELLOWEEN nichts mehr erwartete. Ich schämte mich regelrecht, als HELLOWEEN-Fan in der Schule bekannt zu sein.

Im Rückblick ist „Pink Bubbles Go Ape“ überhaupt kein schlechtes Album, und mein damaliges Abwenden von der Band einfach nur kindisch. HELLOWEEN versuchten wohl, aus einer stilistischen Sackgasse auszubrechen, unbekümmerter an die Sache ranzugehen. Diese Entwicklung war für mich damals aber noch nicht nachvollziehbar, ich war noch nicht so weit. Wobei ich auch heute ausschließlich die ersten Alben von HELLOWEEN auflege, nicht nur aus Nostalgie, sondern weil sich darauf einfach für mich die besten, unsterblichen Hymnen befinden. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft übrigens „Dr. Stein“.

Welchen Song würdest du für den Einstieg empfehlen?

Tja, was soll ich sagen, macht es wie ich – hört euch „Future World“ an. Vielleicht besser auf CD anstatt auf einer schon zigmal bespielten BASF Ferro Kassette! Das Lied hat immer noch alles, was ein guter klassischer Metalsong braucht: Melodie, cooles Riffing, Drive, Power, Mitsingrefrain, IRON MAIDEN-Gedächtnis-Soli. „Scream it out: We all live, in Future World!“

 

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10.03.2014

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