Der erste Schuss
Mit welchen Bands hat alles angefangen?
Special
Wir sind uns sicher einig, dass Metal wie eine Droge ist. Wer einmal eingetaucht ist in den Sumpf aus harten Riffs, Blastbeats und rohem Geschreie, der kommt so schnell nicht wieder davon los und watet zwangsläufig immer tiefer im Schlamm. Es gibt aber auch so viel zu entdecken im metallischen Kosmos: Black Metal, Hard Rock, Power Metal, Speed Metal, Death Metal, Metalcore, Djent, Prog Metal… die Liste ist unendlich und im Labyrinth aus Subgrenres und Sparten innerhalb der Sparten führt eines zum anderen und plötzlich stellt man fest: Was einst eine Phase war, ist längst eine Lebenseinstellung geworden.
Aber was ist denn genau Metal, was ist wirklich hart und was ist wirklich trve? Diese Frage beantwortet ein blutjunger Neueinsteiger natürlich etwas anders, als ein langjähriger Anhänger der Szene. Aber wir kennen sie alle – diese typischen Bands (JURUP, GRETL OF FILZ und so…), die wie Rattenfänger einen Metal-Fan nach dem anderen einsammeln und für die harte Musik begeistern. Kaum einer hat nämlich mit BEHEMOTH oder CANNIBAL CORPSE den ersten Schuss gemacht, die typischen Anfänger-Bands sind dann doch eher andere. Die Redaktion von metal.de offenbart sich und beichtet: Welche – mehr oder weniger peinliche Bands- haben uns zum Metal gebracht? Was hat uns daran fasziniert und finden wir die Truppen heute noch gut? Viel Spaß mit unserem „Einstiegsdrogen-Special“
Stephan Möller – Rammstein
Dein erster Zusammenstoß mit der Band?
Es begab sich im Jahre 2001, da mein noch junges Teenager-Ich zu einer katholischen Jugendfahrt aufbrach. Bisher musikalisch vor allem durch Chartmucke, ein wenig deutschen Hip Hop und die Classic-Rock-Plattensammlung meines Vaters geprägt, in letzter Zeit jedoch stark in Richtung Punk tendierend, war Metal für mich das irgendwo verbotene, als Krach verschrieene, aber trotzdem (bzw. gerade deshalb) faszinierende Ding aus der Plattensammlung eines älteren Kumpels gewesen.
Und dann auf katholischer Jugendfahrt … ächz. Zum Glück war ein Kumpel aus meiner Klasse dabei, dessen großer Bruder Betreuer auf der Fahrt war. Und dieser hatte sich vor der Fahrt das gerade frisch veröffentlichte Album „Mutter“ zugelegt. Einen gemeinsamen Küchendienst später hing ich am Haken. Am vorletzten Tag der Fahrt stand ein Besuch in der nahegelegenen Kleinstadt an – wo es ab in den nächstbesten (und wahrscheinlich einzigen) Plattenladen vor Ort ging. Knapp 20 D-Mark habe ich noch im Geldbeutel, knapp 19 D-Mark kostet das Album – passt doch.
Erst Jahre später erinnere ich mich, dass ich schon viel früher ersten Kontakt mit RAMMSTEIN hatte … nämlich als deren Video zu „Engel“ gerade über sämtliche Kanäle dudelte. Damals interessierte mich das aber noch überhaupt nicht – ich war ja auch noch Kind, 1998 oder wann das war.
Was hat dich an der Band fasziniert?
Rückblickend fällt es mir gar nicht so leicht, das zu sagen. Aber ich nehme an, dass das vor allem mit der lyrischen/gesanglichen Seite zu tun hatte – dieser martialische Gesangsstil, die Texte, die zwar noch keiner von uns so richtig verstand, die aber auf jeden Fall provokativ waren und die Eltern geradezu aufregen mussten … das war geil. Wie gesagt, man muss bedenken, dass ich mich zu der Zeit gerade zu einem kleinen (Pseudo-)Punkerkind entwickelte – geil war, was Rebellion war. Oder so ähnlich. Letztlich haben RAMMSTEIN – und wenig später auch SLIPKNOT – Schlimmeres verhindert und mich den gewünschten Iro vergessen lassen – jetzt stand ’ne Matte auf dem Programm. (Und nur wenige Jahre später durfte ich sie dann auch wachsen lassen …)
Kann man die Band heute noch hören oder nur vor Scham rot anlaufen?
Beides nein: Ich schäme mich nicht dafür, dass ich mit RAMMSTEIN und „Mutter“ angefangen habe. Das mag nicht so trve sein wie IRON MAIDEN, SLAYER oder BURZUM, aber letztlich waren doch alle diese Bands vor allem deshalb Einstiegsdrogen für so viele Leute, weil sie in gewissen Kreisen zu einem gewissen Zeitpunkt en vogue waren. In der Zeit, in der ich empfänglich für Beeinflussung war, war das eben (u.a.) RAMMSTEIN. Trotzdem müsste heutzutage schon ein kleines Wunder geschehen, damit ich mir (freiwillig) nochmal was von Lindemann und Co. in den Player lege (im Gegensatz zu meiner anderen Einstiegsdroge, SLIPKNOT, übrigens).
Welchen Song der Band würdest du Metal-Rookies für den Einstieg empfehlen?
Bei mir waren’s „Sonne“ und „Mein Herz brennt“ – ich glaube, die kann man auch reinen Gewissens nutzen, um unbedarfte Mainstreamer von RAMMSTEIN zu überzeugen. (Sofern es heute überhaupt noch Mainstreamer gibt, die RAMMSTEIN nicht kennen.)
Persönliche Anekdote
Fällt mir gerade keine ein. Aber die Tatsache, dass eine katholische Jugendfahrt mein Dasein als Metalhead initiiert hat, sollte doch Anekdote genug sein, oder?
Christoph Meul – Paradise Lost
Im Sturm genommen
Ein Junge in der Morgendämmerung der Pubertät. Einer seiner Schulfreunde hatte sich von einem dritten Jungen eine CD ausgeliehen, die dieser wiederum von seinem Vater hatte, der von Beruf Kameramann war und offenbar häufiger aktuelle Platten von irgendwo gefilmten Künstlern in die Hände bekam. Der Schulfreund jedenfalls glühte beim nachmittäglichen Abhängen vor Begeisterung: „Das musst Du dir unbedingt anhören!“, sagte er und hatte im gleichen Atemzug auch schon die Start-Taste seiner Stereoanlage gedrückt. Und dann das! Es mag für gestandene Black- und Death-Metal-Hörer heutzutage lächerlich anmuten, aber das, was da aus den Lautsprechern kam – dieser herrlich emotionale und angeraut-aggressive Gesang, die Wucht und Schwere der Musik sowie ihre latent dunkle Aura – war etwas völlig anderes, als all die Grunge-, Alternative-Rock- und Pop-Punk-Bands, mit denen man als Heranwachsender in den frühen 1990er-Jahre allerorts in Berührung kam.
Der Blick auf das Faltposter-Booklet verriet es: PARADISE LOST heißen die also. Was für ein Name, welche Bildwelten vor dem inneren Auge! Und dann dieser Albumtitel: „Icon“ – hätte man einen zu diesem mächtigen Werk passenderen finden können? Besagtes mächtige Werk lässt sich etwas konkreter, und angesichts seiner unbeschreiblichen Magie reichlich unbeholfen, als spürbar beseelt vorgetragener Heavy Metal mit Doom-Einschlag, einer noch zu erahnenden todesmetallischen Vergangenheit und lebendig-bildreichen, vielseitig interpretierbaren Texten beschreiben. Das war überkochende Faszination, totale Offenbarung und damit Schlüsselerlebnis der musikalisch-metallischen Sozialisation, eine rasant wuchernde Verliebtheit auf den ersten Horcher. Sie führte dazu, dass die restliche Diskographie der Formation aus dem englischen Halifax zusammen mit besagtem Schulfreund relativ schnell entdeckt wurde – in der Prä-Weltnetz-Zeit war dies, sofern man nicht über einen geschmackssicheren großen Bruder oder ähnlich gute Quellen verfügte, tatsächlich nur über den Blindkauf im Plattenladen beziehungsweise beim Versandhändler möglich. Und mit dem so spannenden Erschließen des PARADISE LOST-Frühwerks ging ein Abtauchen in die wunderschöne Welt des extremen Metal einher …
Obwohl die doomige Schwere, die „Icon“ noch besaß, auf der 1995 folgenden, kommerziell äußerst erfolgreichen Platte „Draconian Times“ verschwunden war, besaß auch diese noch den alten Charme und konnte wieder vollends mitreißen. Die Zuneigung zum PARADISE LOST’schen Schaffen war zu diesem Zeitpunkt sowieso längst sturmfest verankert und thront beinahe zwanzig Jahre später als konkurrenzlos größte musikalische Liebe eines Lebens über allem, was davor oder danach kam.
Ungetrübte Liebe?
Zugegeben, PARADISE LOST hatten um die Jahrtausendwende herum ihre elektronisch-experimentelle respektive relativ poppige Phase mit Alben wie „One Second“, „Host“ und „Believe In Nothing“, die sich im Spannungsfeld zwischen melancholisch-dunklem Rock und – zumindest das 1999er-Werk „Host“ – gar Synthie-Pop-Rock bewegten. Aber zum einen sind diese gerne verschmähten Platten bei einem Hauch musikalischer Toleranz lange nicht so schlecht, wie sie gerne geschrieben und geredet werden, zum anderen sind die Briten spätestens mit den letzten beiden, ziemlich überzeugenden Scheiben „Faith Divides Us – Death Unites Us“ (2009) sowie „Tragic Idol“ (2012) glorreich zu ihrem Mittneunziger-Klang zurückkehrt. Und noch 2014 soll ein neues Album erscheinen – bei der deutlich erkennbaren Aufwärtsentwicklung der letzten Jahre, die definitiv ein prächtiger zweiter Frühling ist, ist die Hoffnung auf ein abermaliges Kleinod groß und berechtigt.
Teilhaben lassen
Was kann man an Anspieltipps nennen? Wirklich eine schwierig zu beantwortende Frage, denn PARADISE LOST haben auf 13 Alben verteilt so viele Hochkaräter platziert, dass sie damit spielend leicht ein vierstündiges Konzert füllen könnten – von den zahlreichen erstklassigen B-Seiten ganz zu schweigen. Versuchen wir uns daher auf zehn Empfehlungen zu beschränken: Vom Opus magnum „Icon“ sind natürlich die beiden großen Gassenhauer „Embers Fire“ und „True Belief“ zu empfehlen, aber auch grandiose Lieder aus der zweiten Reihe wie „Weeping Words“ oder „Colossal Rains“ verdienen hier unbedingt Erwähnung. Vom „Draconian Times“-Material besitzt vielleicht „Hallowed Land“ die größte Strahlkraft.
Wer sich für die Anfänge der fünf Briten im Death-Metal-Sumpf interessiert, kommt am besonders ruppigen „Our Saviour“ und dem sich unglaublich finster dahinschleppenden „Rotting Misery“ vom „Lost Paradise“-Debüt nicht vorbei. Vom das Death-Doom-Genre mitprägenden 1991er-Meilenstein „Gothic“ seien „Eternal“ und das großartige, erhabene „The Painless“ genannt. Und zu guter Letzt soll auch noch das treibend-hymnische „Pity The Sadness“ von der 1992er-Scheibe „Shades Of God“ ins Feld geführt werden, das dem prächtigen PARADISE LOST-Portfolio noch eine weitere Seite hinzufügt.
Natürlich kann man auch so vorgehen, dass man sich einfach jeweils ein beliebiges Lied von fünf verschiedenen PARADISE LOST-Alben anhört – dabei wird man der zahlreichen und mitunter so aufregend gegensätzlichen Facetten im PARADISE LOST-Kosmos schnell gewahr. Vielleicht gerade aufgrund dieser chamäleonartigen Wandlungsfähigkeit gehören PARADISE LOST zu den unterschätztesten Metal-Bands dieses Planeten.
Marek Protzak – Scorpions
Wann war dein Erstkontakt?
„Tüdelüh. Tüdelüüüdelüdelü.„ Kappen-Klaus, du Rattenfänger! Im Frühling 91 lief das Ding im Radio stündlich. Ich war 13, habe den Ohrwurm auf Kassette aufgenommen, auf eine zweite überspielt und dann eine BASF C-90 komplett damit vollgeknallt. Okay, leicht dramatisiert; es war wohl nur die A-Seite. Auf der anderen war eine Best-Of von CHRIS DE BURGH. Aber eine dreiviertel Stunde „Wind Of Change„ am Stück ist ja auch schon mal ne Ansage.
Apropos: Die Ansagen Meines auf der „World Wide Live„ hatten mich schon vorher gepackt: „You people really know how to paaaartyyy!„ Zusammen mit der Compilation „Best Of Rockers ‚n‚ Ballads„ stellte dieser reine Klassiker meinen Erstkontakt mit den SCORPIONS (im Weiteren kurz: SCORPS) dar. Hörbar riesige Menschenmassen feiern eine entfesselt aufspielende Band und es gibt Monsterriffs, Gänsehautmelodien und akustische La Olas galore.
Dann kam eben der „Wind Of Change„ und kurz darauf „Crazy World„; erstanden als vom Laster gefallene, naturgetreue Reproduktion auf Tape bei einem Straßenhändler im Urlaub am Balaton. Vier Mark, meine ich – und jeden verdammten Pfennig wert.
Was hat dich an der Band fasziniert?
Fünf wilde Männer in Leder mit krachenden und kreischenden Gitarren natürlich. Und die SCORPS-Pyramide.
Die historische Strahlkraft ihrer Musik, vor allem diejenige von „Wind Of Change„, konnte ich damals allerdings nur ansatzweise erfassen. Schließlich waren Klaus Meines gespitzte Lippen neben „The Hoff„ dafür verantwortlich, dass das Reich des Bösen vor knapp 20 Jahren ohne großes Murren das Knie vor dem guten Teil der Welt gesenkt hat.
Rückblickender Schämfaktor?
Kurze Zeit nach „Crazy World„ wurden die Ambitionen der Hannoveraner auf dem künstlerischen, ehrlicher: insgesamt dem ästhetischen Sektor rigoros beerdigt. Rudi „Rocktier„ Schenker, Herman „The German„ Rarebell, Matze Jabs und ihr Vorturner sicherten sich zwar endgültig die Rente, manövrierten sich indes durch Schmierlappen-Balladen galore, unglaubliche Fernseh-Dokus und modische Netzhautneckereien der Sonder(schul)klasse bemerkenswert zielstrebig ins künstlerische Gurkenglas. Kurz: Wer unter 40 ist und kulturell etwas auf sich hält, kann die Truppe ab Mitte der 90er unmöglich als tolerabel kennengelernt haben.
Daher ist es Chronistenpflicht, darauf hinzuweisen, dass die SCORPS zwar zeitlebens auch immer die Schnauzbartträger sich haben gerade machen lassen, dass sie jedoch nur in dieser Phase ihrer mittlerweile acht Dekaden andauernden Karriere ausschließlich RTL2 waren. Exemplarisch kann diese für Nachgeborene erstaunliche Tatsache an dem 78er Live-Dokument „Tokyo Tapes„ verdeutlicht werden. Dieses nämlich funktioniert auch außerhalb der Nackenmatte ganz vorzüglich. Noch mit Uli Jon Roth, dem ollen Stirnband-Hippie, an der nicht einzufangenden Leadgitarre, drehen die Hannoveraner hier richtig auf und zelebrieren schön schweißtreibende Gitarrenmusik, die noch vor ihrer 80er-Lackierung und erst recht der 90er-Hochglanz-Laminierung steht. Inklusive neuneinhalb Minuten „Fly To The Rainbow„, Elvis-Cover und partieller Vokalperformance auf japanisch. „Thank you very much for the good feeling in Tokyo!„ bedankt sich Meine irgendwann bei der steilgehenden Crowd, die man auch gut zu hören bekommt. Dito. Das Feeling geht beim Genuss dieses das Frühwerk ganz gut zusammenfassenden Frühwerks locker als gut durch.
Und auch das mal als Abschiedswerk vorgesehene „Sting In The Tail„ von 2010 kann verglichen mit seinen direkten Vorgängern schon wieder was.
Welchen Song der Band sollte man sich als Neuling zuerst reinziehen?
Das euphorische „Coming Home„ zu Beginn von „World Wide Live„, das bombastische Frühwerk „Fly To The Rainbow„ mit Uli Jon Roth am Gesang – und natürlich den Klassiker „Blackout„. Vielleicht auch noch das formidable Instrumental „Coast To Coast„.
Persönliche Anekdote
„Dein ganzes Leben kann sich ins Positive wandeln, wenn du bereit bist, dich an gewisse Gesetzmäßigkeiten des Universums zu halten. Das ist dir zu abgehoben? Also, um eine Sache mal von vornherein klarzustellen: Ich bin kein verrückter esoterischer Spinner, der den ganzen Tag mit seinen zotteligen Hippie-Freunden zusammensitzt, den Joint kreisen lässt und grünen Tee trinkt. Keine Sorge! Ich bin auch kein Philosoph, der dir ‚die Wahrheit‚ über das Leben verraten will, denn das kann ich ohnehin nicht. Aber ich kann dir einen Weg zeigen, wie du gesund, glücklich, erfolgreich, was-auch-immer werden kannst, wie deine sehnsüchtigsten Wünsche in Erfüllung gehen können und alles zusammen am Ende sogar noch verdammt viel Spaß macht. […] Du wirst dein eigener Superstar in deiner eigenen Superwelt werden – und um diese Welt zu finden, musst du dich noch nicht mal auf die Suche begeben. Sie ist längst in dir. Du darfst nur nicht die Geduld verlieren. Ohne Witz, das wird tierisch! […] Easy, Tiger.„
So steht es in „Rock Your Life„, der Autobiografie von Rudolf Schenker.
Umgehend bildeten vor meinem inneren Auge Wasserbauch-Kinder aus Biafra mit Flying V, Josef Ackermann mit überdimensionalem blondem Schnauzbart und Reiner Calmund auf glühenden Kohlen einen kunterbunten Strudel der Wonne, der mich spontan erbrechen ließ.
Verrückter, ignoranter, esoterischer Spinner. Das war es jetzt endgültig mit deiner Band und mir!
Doch dann fiel mir etwas später die „Live At Wacken„-DVD der SCORPS vor die Füße und alles ward wieder gut. Denn was macht Rudolf Schenker? Legt während eines Songes die Klampfe aus der Hand, geht von der Bühne, kommt barfuß wieder, macht für ein paar Minuten (!) einen Kopfstand, verlässt die Bühne und spielt den Song schließlich mit Schuhwerk einfach zu Ende Während der ersten zwölf Wiederholungen stellte ich mir noch Fragen, doch dann wurde mir irgendwann klar: Das ist einer der größten Rock-Momente aller Zeiten!
Ich war und bin wieder Fan.
Nadine Schmidt – Cradle Of Filth
Erster Schuss?:
Auslöser war der Song „Unbridled At Dusk„ vom 1993er Demo „Total Fucking Darkness„. Nachdem ich diesen Song bei einem Freund gehört hatte, bat ich ihn sofort mir die Musik auf eine bereits mehrfach überspielte MC zu kopieren. In diesem Alter war ich zwar alles andere, als „ungezügelt in der Abenddämmerung…“ sondern eher „ready for bed in der Abenddämmerung“, aber trotzdem umgehend fasziniert. Die miese Aufnahme und der unterirdische Demo-Sound hielten mich nicht davon ab, die knappen 25 Minuten immer und immer wieder zu hören. Rückblickend gesehen war der Keyboard-Einsatz unfassbar schlecht, besonders im Vergleich zu den bombastischen Arrangements, die die Briten heute auffahren. Aber der Bruch zwischen Schreien und (in meinen Ohren damals) weichen, harmonischen Tönen, nahm mich sofort gefangen. Der Gesang war hölzern auf böse und düster getrimmt und klang so dumpf, als würde man CRADLE OF FILTH heute vor und nicht im Konzertsaal hören. Als dann das erste vollwertige Album kam, gab es kein Halten mehr! „The Principle of Evil Made Flesh„ ließ mich zu kreativer Höchstform auflaufen – das Bandlogo wurde stundenlang akribisch abgezeichnet, wackelige Pentagramme auf jeden Fitzel Papier gekritzelt und mein Äußeres intensiv auf „dunkelschwarz„ getrimmt, wovon mein erwachsenes Umfeld natürlich hellauf begeistert waren. Mit den orchestralen Instrumentalstücken versuchte ich jeden von der Musik zu überzeugen, manches Mal sogar mit Erfolg bei Nicht-Metalfans. Nachdem die CD gefühlte fünftausend Mal gelaufen war, hatte ich Hunger auf mehr und der Weg für „For All Tid„ von DIMMU BORGIR und „Fear, Emptiness, Despair„ von NAPALM DEATH (das Cover war ansprechend, geschrien wurde auch und Genre-Zickereien gab es damals noch nicht…)war geebnet. Von da an führt eines zum anderen und die Leidenschaft zu Metal lässt mich bis heute nicht los.
Was hat dich an der Band fasziniert?
Eigentlich war es gar nicht so sehr die Optik, da diese mir beim Kontakt mit dem Demo „Total Fucking Darkness“ und ohne Internet auch noch nicht wirklich geläufig war, sondern tatsächlich die Musik. Bis heute ist es bemerkenswert welche verwinkelten Songstrukturen die Briten erschaffen, wie die Stücke ganz anders enden als sie begannen und wie Dani Filth es geschafft hat, dieses permanente, hohe Gekreische salonfähig zu machen. Ja – auch Rob Halford singt enorm hoch, doch im Vergleich mit Dani Filth ist dies schon fast als Bariton zu bezeichnen. Noch dazu war mir bis dato keine derart atmosphärische Musik untergekommmen und dies, obwohl ich in einem musikalisch überragend gut ausgestatteten Haushalt aufgewachsen bin. PINK FLOYD (das Blinken der Platte „Pulse„ verfolgt mich bis heute), IRON MAIDEN, SCORPIONS und DIRE STRAITS hätten mir ebenso den Weg gen Metal weisen können. Aber es waren CRADLE OF FILTH, die meinen Ehrgeiz zur Eroberung kitzelten und den Hörer bis heute keine musikalischen Happen für „im Vorbeigehen„ bieten, sondern Zeit und Aufmerksamkeit fordern. Für Fans, die später zu CRADLE OF FILTH gestoßen sind, dürfte auch das ständige Kokettieren mit Sexualität ein Anreiz gewesen sein. Barbusige, verblutete Frauen und diverse Stöhnanfälle als Intro, Outro oder auch einfach mal mitten im Song – sowas hat auf Pubertierende schon seinen Reiz und stimuliert Auge, Ohr und….na ja, andere Dinge eben auch noch.
Kann man die Band heute noch hören?
Es gab Zeiten, da war ich der Meinung, dass CRADLE OF FILTH nicht mehr der Rede wert sind. Glücklicherweise sind diese überwunden, das Durchhaltevermögen der Band ist unglaublich. Bei der Band von einem Must-know im Metalbereich zu sprechen, ist keinen Hauch übertrieben und, dass die Briten einen einzigartigen Sound haben, dürfte ebenfalls unbestritten sein. Wenn ich heute die alten Songs höre oder die alten DVDs schaue, bin ich stellenweise sogar überrascht wie gut das Songwriting schon im Anfangsstadium war. Über manchen Dani-Schrei muss ich natürlich mittlerweile herzhaft lachen, aber schämen muss man sich für CRADLE OF FILTH sicherlich nicht und bei der Wahl meiner ersten E-Gitarre, war von Anfang an intuitiv klar, dass es die PRS von Paul Allender sein muss (lila und nicht im hässlichen aktuellen „Ghost Burst„-Style!). Die Briten scheinen auch einigermaßen stolz zu sein auf ihren erfolgreichen Extreme-Metal-Export, kommt die Band doch sogar in einer meiner Lieblingsserien, der IT-Crowd, vor. Vor kurzem durfte die Band sogar expemplarisch für das Böse in der Lindenstraße stehen… Das Schaffen von CRADLE OF FILTH habe ich immer verfolgt und versuche weiterhin, so nah wie möglich an der Band dranzubleiben. Und kurz vor der Fertigstellung dieses Specials, kam auch noch die freudige Nachricht rein: Besagtes „Total Fucking Darkness-Demo“ wird wiederveröffentlich, wenn das mal kein Omen ist!
Und – ja, zugegeben – die Promo-Bilder zu „The Manticore And Other Horrors“ war schon eher so…man könnte sagen…wenn man es jetzt ganz krass ausdrücken würden…Muahahahaaaa, voll peinlich und ich habe Tränen gelacht, als ich es zum ersten Mal gesehen habe! Dani, weiß-blond ist definitiv nicht deine Farbe…
Welchen Song der Band würdest du Metal-Rookies für den Einstieg empfehlen?
Meine Initialzündung „Unbridled At Dusk„ wäre nicht mehr die erste Wahl, zumal die Band ja mittlerweile eine umfangreiche Diskografie vorweisen kann. „The Forest Whispers My Name„ ist ein Lied, das eigentliche alle auf Anhieb gut finden und zur Vorführung der Stärken von CRADLE OF FILTH gut geeignet ist. Noch dazu gibt es davon zwei Album-Versionen, nämlich auf „„The Principle of Evil Made Flesh„ und „Vempire„.
Persönliche Anekdote
Wegen eines CRADLE OF FILTH-Konzert habe ich im Vorraum /EC-Kartenbereich einer Sparkassen-Filiale übernachtet. Da wir uns keine Unterkunft leisten konnten, wurde die erste EC-Karte also bis auf‚s Maximum ausgenutzt. Neben der kostenlosen Übernachtung gab es einen Piepton für mehrere Tage, die ersten Nackenschmerzen vom Bangen und einige Spritzer Kunstblut auf den Klamotten.
Eckart Maronde – Megadeth und Pretty Maids: gefährlich und großartig
Erstkontakt mit der Band?
Wahrscheinlich waren es das Video zu MEGADETHs „Wake Up Dead„ und eine Kaufempfehlung zu deren brandneuem Album „So Far, So Good … So What!„ in der damals führenden Metal-Gazette (richtig: die Fernsehzeitschrift prisma), die in mir völlig neue Gedanken entfesselten: Es scheint da draußen Musik zu geben, die hemmungsloser und gefährlicher als Punkrock ist und geächteter als ein Iroträger.
Wir schreiben das Jahr 1988, und ich habe gerade meine ersten Punkrock-Konzerte absolviert (mit Pogo) und alles zwischen ABWÄRTS, DIE FROHLIX, DIE TOTEN HOSEN, DIE GOLDENEN ZITRONEN … ach, man hört sich halt durch, und alles ist ja auch aufregend und toll. Wahnsinn!
Dann das Video zu „Wake Up Dead„: Irre Fans, die eine in einem Käfig aufspielende und noch irrere Band (man beachte den psychopathisch-angewiderten Gesichtsausdruck von Dave Mustaine) anfeuern und schließlich die eigentlich solide Maschendrahtumfriedung einreißen. Und erst die Kurzkritik zu „So Far, So Good … So What!„, die die Härte der Musik und die Kompositionen lobt und die Texte vom nahenden Atomkrieg nicht unter den Teppich kehrt. Nicht zu vergessen der Bandname … geile Scheiße – wenn BON JOVI der Helmut Kohl der harten Musik waren, dann mussten MEGADETH mindestens Ayatollah Chomeini, Muammar al-Gaddafi und Saddam Hussein in Personalunion sein!
Also habe ich schnell einen Klassenkameraden aktiviert, der mir eine TDK SA 90 mit ebenjener „So Far, So Good … So What!„ und auf meinen Wunsch hin die B-Seite mit der EP von den PRETTY MAIDS (er hatte nur die) bespielt und die Restzeit sorgsam mit Punk-Songs aufgefüllt hat („das hörst Du doch sonst so„).
PRETTY MAIDS … die hatten dieses ultrascharfe Video zu „Future World„ mit dem schwarzen Trans Am, der zum Vollgasriff und zur leichtfüßig tänzelnden Keyboardlinie durch die Wüste heizt. Und dann wurde der Song häufiger mal in unserer Lieblingskneipe aufgelegt. Kurzum: Beide Seiten der Kassette liefen auf der heimischen Anlage (Schneider Power-Pack) in Dauerrotation, aber eigentlich war die Seite mit den amerikanischen Speed-/Thrash-Titanen die interessantere: Das war der Stoff, aus dem die Alpträume sind. Das war die vertonte Gefahr eines Atomschlags und das in Musik gegossene Dahinsiechen danach.
„I don‚t … want to set the wööörld ooon feiöööör dudeldidum – fiiiiiiiiiieeeeep booooooom!!!„
Wie brandgefährlich der Text zu „Wake Up Dead„ war, habe ich übrigens erst sehr viel später nachlesen können.
Interludium: Schnellcheck Punk versus MEGADETH:
• Dosenbier vs. Dosenbier (Unentschieden)
• Pogo vs. Zäuneeinreißen (Unentschieden)
• Iro vs. Matte von Dave Mustaine (knapper Vorteil Megadeth)
• Sid Vicious vs. Dave Ellefson (beziehungsweise tot vs. drupp – Vorteil Megadeth)
• musikalischer Dilettantismus vs. ellenlange Gitarrensoli (Vorteil Megadeth)
• „Biervampir„ vs. „Set The World Afire„ (Game, Set, Match: Megadeth)
Was kam danach? Natürlich das Video zu „In My Darkest Hour„, das eigentlich ein Ausschnitt aus der Dokumentation „The Decline of Western Civilization Part II: The Metal Years„ war, in der sich eine Reihe damals angesagter Bands und Musiker zum Affen machte bzw. zum Affen gemacht wurde. Einzig MEGADETH gaben sich seriös:
„I‚m in this business for the reason that MEGADETH is in this business, and that‚s because of integrity, attitude and music.„ (Dave Ellefson, Chefanalytiker)
„Diedudüdeldudüdeldudüdeldudüdeldudüdeldudüdeldudüdel„ (Jeff Young, Gitarrensolist)
„Don‚t!„ (Dave Mustaine – schon damals desillusioniert – auf die Frage, was er Kids mit auf den Weg gibt, die Rockstars werden möchten)
Live gesehen habe ich MEGADETH dann schließlich 1991 auf der „Rust In Peace„-Tour: Die Band in ihrer toxischsten Phase, aber auch auf ihrem kreativen Höhepunkt. Selbst wenn „So Far, So Good … So What!„ für mich nach wie vor das beste Album von MEGADETH ist. Die PRETTY MAIDS waren übrigens erst letztes Jahr konzerttechnisch dran – und deren EP ist selbstverständlich nach wie vor unerreicht.
Womit sich die Frage nach dem „rückblickenden Schämfaktor„ erübrigt: Selbstverständlich nicht. Ich finde, jeder Jugendliche sollte MEGADETH und PRETTY MAIDS hören. Am besten abgespielt von einer TDK SA 90. Die Welt wäre ein besserer Ort – denkt mal drüber nach.
Frederik Pankalla – Rhapsody
Wann war dein Erstkontakt?
Als ich 2002 zum Metal gekommen bin, ging die „Power Of The Dragonflame„ von RHAPSODY gerade durch alle Medien. Die Band hatte damals bereits mehrere Alben veröffentlicht und sich eine beachtliche Fanbase erspielt, dementsprechend gab es sie auch in jedem größeren Musikladen. Fußnote: Damals hat man CDs noch im Laden gekauft. Gut daran war, dass man vor Ort reinhören konnte, und der CD-Kauf so zu einem Ritual mit sakralen Zügen würde. Aber Alben, die nicht zum Bestand gehörten, mussten umständlich bestellt werden, was in einer Zeit vor Amazon und EMP.de längst nicht so viel Spaß gemacht hat, wie heute. Jede Metalband konnte sich daher freuen, in einem kleinstädtischen Elektromarkt ausgestellt zu werden.
Was hat dich an der Band fasziniert?
High-Speed und Orchester waren schon immer eine explosive Mischung gewesen. Als ich zum ersten Mal gehört habe, wie das epische Intro von „In Tenebris„ in das Opening-Riff von „Knightrider Of Doom„ überging, war ich für die Band bereits komplett verloren. Was umso kurioser war, da die frühen RHAPSODY längst noch nicht die Songwriter-Qualitäten hatten, wie man sie etwa von BLIND GUARDIAN-Veröffentlichungen dieser Zeit gewohnt war. Böse Zungen behaupten, dass RHAPSODY sich ihren Perfektionismus auf diesem Album exklusiv für den fantastischen Abschlusssong „Gargoyles – Angels Of Darkness„ aufgehoben hatten.
Rückblickender Schämfaktor?
Der orchestrale Metal hat sich in den letzten 10 Jahren extrem weiterentwickelt. Langhaarträger, die die „Wishmaster„ von NIGHTWISH damals als „extrem klassisch„ empfanden, entstammten einer Zeit, in der man die grobkörnige Playstation-Grafik von FIFA 2000 noch als fotorealistisch empfand. Das soll aber keine Entschuldigung sein. Wie konnte uns damals nicht auffallen, dass Fabio Lione den schlimmsten italienischen Akzent der ganzen Toskana hatte? Warum klang der Erzähler so, als hätte er beim Sprechen grundsätzlich Klöße im Mund? Und welcher Mensch empfand es jemals als gute Idee, MANOWAR-Anleihen in den einen Bandsound hineinzuarbeiten? Dazu kam: RHAPSODY war immer schon eine Band gewesen, die man nie stolz den Freunden vorgespielt hatte. Dafür enthielt der Sound zu viele peinliche Elemente, die man nur heimlich gut finden konnte. Insbesondere die auf diesem Album erstmals aufgetretenen Rondo-Veneziano-Anklänge. Für Hauspartys musste das RHAPSODY-Regal daher mit JUDAS PRIEST-Platten nicht älter als „Painkiller„ abgedeckt werden.
Welchen Song der Band würdest du Metal-Rookies für den Einstieg empfehlen?
RHAPSODY haben sich durch aktuelle Veröffentlichungen wie „From Chaos To Eternity„ oder „Ascending To Infinity„ längst Denkmäler gesetzt, die ihre alten Alben muffig und unperfekt klingen lassen. Aber auch in dem Frühwerk finden sich großartige Songs. Allen voran der erwähnte 20-Minüter „Gargoyles – Angels Of Darkness„. Wer damit nichts anfangen kann, muss weiter JUDAS PRIEST hören.
Markus Endres – Helloween
Wann und wie bist du zum ersten Mal mit der Band in Berührung gekommen?
Meinen ersten Kontakt mit Heavy Metal allgemein hatte ich im frühen Kindesalter in der Katholischen Jugend, und dort in den Jugendfreizeiten. Die älteren Kinder und Gruppenleiter standen damals auf IRON MAIDEN, SLAYER und METALLICA, und hörten sich die Sachen in höllischer Lautstärke auf ihren Ghettoblastern an. Obwohl ich in einem Elternhaus mit durchaus rockigen Musikwurzeln aufwuchs, und sehr früh mit Bands wie SLADE, QUEEN, URIAH HEEP oder NAZARETH in Berührung kam, schockte mich dieser infernalische Lärm – denn Musik konnte ich darin (noch) nicht erkennen. Für mich war mit AC/DC das Ende der härtetechnischen Fahnenstange im spielzeuggespickten Kinderzimmer erreicht.
Einige Jahre später kam dann mein erster Kontakt mit HELLOWEEN, und für mich die Initialzündung als künftiger Heavy-Metal-Fan, auf ganz klassische Weise. Ein Klassenkollege spielte mir während der Unterrichtspause auf seinem Walkman das Lied „Future World“ von einer Band namens HELLOWEEN vor. Ich war vom ersten Hör weg begeistert. Diese Kinderliedmelodien! Dieser intensive, kreischend hohe Gesang! Diese treibende, mitreißende Energie! Das Lied stammt vom Jahrhundertalbum „Keeper Of The Seven Keys – Part One“, 1987. Ich verstand den Sinn des Textes überhaupt nicht, und wie ich überhaupt bei all dem Rauschen der Kassette – seit einigen Jahren verwendet man den englischen Begriff Tape, die Melodien richtig raushören konnte, ist mir bis heute ein Rätsel. Ich brauchte jedenfalls sofort HELLOWEEN, für mich. Also lieh ich mir die schon zigmal überspielte Kassette aus, um mir das darauf enthaltene Rauschen samt (Hintergrund-)Musik gleich auf mehrere Kassetten zu kopieren. Das Problem war nämlich, dass meine damalige Stereoanlage mit ausgesprochen großem Appetit Kassetten fraß bzw. regelmäßig für weniger gesunden Bandsalat sorgte. Und da ich natürlich kein Geld für vernünftige Qualität hatte, musste die billigen BASF Ferro Kassetten vom Aldi herhalten – nicht nur aus heutiger Sicht ein audiophiler Alptraum! Denn die Kombination billige Stereoanlage ohne Dolby B (von C oder S ganz zu schweigen!), billige Tapes, zigfach kopiert, sorgte für ein im wahrsten Sinne des Wortes berauschendes Klangerlebnis. Aber das war mir egal, HELLOWEEN waren meine neuen Helden. Ich liebte ihre Musik, wusste in der ersten Zeit nichts über die Band bis auf die Songtitel von diesem einen Album, und malte mir in der Fantasie so einiges aus. Bei „Future World“ sah ich vor meinem geistigen Auge bspw. bunte Fantasy-Rockmusiker im „Flash Gordon“ Umfeld.
Natürlich sparte ich mir Taschengeld zusammen, um mir „Keeper Of The Seven Keys – Part One“, also auch den zweiten Teil der Hamburger Melodic-Speed-Metal-Vorreiter auf Schallplatten zu kaufen. Der zweite Part zeigte sich dann stilistisch offener, abwechslungsreicher, und inzwischen konnte ich auch etwas Englisch, wodurch ich die lustigen Texte von „Rise And Fall“ und „Dr. Stein“ auch einigermaßen verstand. Einhergehend mit diesen beiden Platten wurde ich auch endlich auf die witzigen Comics, natürlich die überall präsenten Kürbisse, aufmerksam. Es war um mich vollends geschehen, ich liebte HELLOWEEN nun noch mehr, zumal ich zwischenzeitlich auch komplexere Stücke wie den 13-Minuten-Opus „Keeper Of The Seven Keys“ in ihrer Brillanz auffassen konnte. Und dann war natürlich auch das übelste Kassettenrauschen einem wohligen Lagerfeuerknacken vom Vinyl gewichen (die Schrott-Stereo-Anlage war ja noch dieselbe). Es war für mich klar – ab jetzt bin ich Metaller!
Warum?
Am Anfang war es diese wunderbar eingängige Kinderliedmelodie des Ohrwurms „Future World“, die mich in ihren Bann zog. In Verbindung mit dem klaren Gesang von Michael Kiske, der dann in den richtigen Momenten wunderbar hoch ins Mikrofon kreischte, der flotten Energie dieses Stücks und meiner eigenen noch kindlichen Fantasie, was ich mir so anhand des Songtitels vorstellte, faszinierten mich so sehr, dass ich alleine dieses eine Lied immer und immer wieder anhören musste. Also immer wieder das Band zurückspulen. Aber natürlich gefielen mir nach und nach auch die anderen Songs der beiden „Keeper Of The Seven Keys“-Alben. Das vehement nach vorne preschende „Twilight Of The Gods“ wirkte auf mich damals schon recht bedrohlich, genauso wie das dunkle „Halloween“, was natürlich einen unglaublichen Reiz auf mich ausübte. Heutzutage muss ich darüber schmunzeln, aber „Halloween“ wirkte auf mich tatsächlich „böse“! Und „A Tale That Wasn’t Right“ war einfach eine schöne Ballade mit Gänsehautfaktor, die bekomme ich heute noch jedes Mal bei dem Lied, und das nach fast 27 Jahren. Der zweite Teil gefiel mir dann fast noch besser, hier vor allem „Rise And Fall“, „Dr. Stein“, „I Want Out“ und natürlich das epische „Keeper Of The Seven Keys“.
Im Nachhinein betrachtet waren es gerade die virtuosen und majestätischen Gitarrenläufe und –Melodien von Kai Hansen und Michael Weikath, in Kombination mit der beeindruckenden Stimme des damals noch blutjungen Michael Kiske, den zahlreichen eingängigen Hooklines und Mitsingpassagen, aber gleichzeitig auch diese Geschwindigkeit und Power, und natürlich auch die gesunde Portion Pathos in den Songs, die mich packten und seither auch nicht mehr los ließen. Und mit ihren Cover-, Inlay- und T-Shirt-Motiven, hier gerade und natürlich die Comiczeichnungen, trafen HELLOWEEN den Nerv dieses Schülers, der fortan ständig und überall Kürbiss-Karrikaturen zeichnen musste. Und ganz besonders stolz mit seinem allerersten Metal-Shirt mit dem Cover von „Live In The UK“ zur Schule kam. Zumindest von der musikalischen als auch inhaltlichen Faszination haben die frühen HELLOWEEN für mich bis heute nichts an ihrem Zauber verloren.
Nach den „Keeper“-Platten folgte das starke Live-Album „Live In The UK“ mit einer besonders langen Version von – natürlich – „Future World“. HELLOWEEN waren für mich die Helden, ich würde ihnen einen Altar bauen, ihnen opfern, meine Seele verkaufen, na sagen wir zumindest alle folgenden Schallplatten kaufen und, sofern es mir meine Eltern erlauben, mal auf ein Konzert gehen. Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.
Schämst du dich heute dafür?
Kai Hansens Ausstieg, Rechtsstreit, deutsches Veröffentlichungsverbot, „Pink Bubbles Go Ape“, Urlaub versaut. Doch der Reihe nach!
Kai Hansen stieg aus, um in der Folge mit GAMMA RAY ungefähr da weiterzumachen, wo HELLOWEEN aufgehört hatten. Nur das wusste ich damals noch nicht. Was ich mitbekam war, dass HELLOWEEN wohl bei einer anderen Plattenfirma unterschrieben hatten, es jetzt aber Ärger mit der alten gäbe, was letztendlich dazu führte, dass das neue Album „Pink Bubbles Go Ape“ in Deutschland nicht veröffentlicht werden durfte. Egal, Jugendfreizeiten gibt es überall, dann machte ich eben Urlaub in Holland. Dort kauften wir uns also eine Kassette (wir wollten die Musik schließlich sofort anhören, was mit einer Schallplatte nicht möglich gewesen wäre), wobei das Cover schon mächtig abschreckte und gleich für den ersten Schock sorgte. Der zweite kam gleich anschließend beim ersten Hören auf dem Walkman hinterher, die Kürbisköpfe klangen deutlich poppiger, schlichter und kommerzieller, und das hatten wir ganz und gar nicht erwartet. Ich war so dermaßen enttäuscht, dass ich den Rest meines Urlaubs nur noch RUNNING WILD, von nun an meine neuen Helden, oder AC/DC „The Razors Edge“, ein Frustkauf vor Ort, anhörte. So oder so, der Urlaub war gelaufen, die Enttäuschung saß so tief, dass ich von HELLOWEEN nichts mehr erwartete. Ich schämte mich regelrecht, als HELLOWEEN-Fan in der Schule bekannt zu sein.
Im Rückblick ist „Pink Bubbles Go Ape“ überhaupt kein schlechtes Album, und mein damaliges Abwenden von der Band einfach nur kindisch. HELLOWEEN versuchten wohl, aus einer stilistischen Sackgasse auszubrechen, unbekümmerter an die Sache ranzugehen. Diese Entwicklung war für mich damals aber noch nicht nachvollziehbar, ich war noch nicht so weit. Wobei ich auch heute ausschließlich die ersten Alben von HELLOWEEN auflege, nicht nur aus Nostalgie, sondern weil sich darauf einfach für mich die besten, unsterblichen Hymnen befinden. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft übrigens „Dr. Stein“.
Welchen Song würdest du für den Einstieg empfehlen?
Tja, was soll ich sagen, macht es wie ich – hört euch „Future World“ an. Vielleicht besser auf CD anstatt auf einer schon zigmal bespielten BASF Ferro Kassette! Das Lied hat immer noch alles, was ein guter klassischer Metalsong braucht: Melodie, cooles Riffing, Drive, Power, Mitsingrefrain, IRON MAIDEN-Gedächtnis-Soli. „Scream it out: We all live, in Future World!“
Heiko Eschenbach – J.B.O.
Wann war dein erstes Mal?
Was haben wir gelacht! Als 1995 J.B.O. ihr Debütalbum „Explizite Lyrik„ veröffentlichten, war im heimatlichen Frankenland über Nacht eine neue Kultband geboren. Angeführt von ihrem wegweisenden Hit „Ein guter Tag zum Sterben„ gab es keinen Weg mehr, um der stets in rosa gekleideten Band aus Erlangen aus dem Weg zu gehen. Im Text zur eingängigen Rock-Hymne verarbeiteten die vier fortan zur Standardausstattung gehörenden Musiker geschmackvoll alltägliche Slapstick-Situationen und waren für Heerscharen (nicht nur) fränkischer Teenager plötzlich die neue Frustbewältigung. Der Rest des Albums bestand aus Cover-Versionen mehr oder weniger bekannter Rock- und Metal-Songs. Während man als 13-Jähriger den pubertär-exhibitionistischen Klamauk von „Walk With An Erection„ cool fand, waren die kultigen Versionen von Enter Sandman („Schlaf Kindlein Schlaf„), „König von Deutschland„ und „Carry On„ (wurde kurzerhand zur Bandhymne „J.B.O.„) auch völlig ohne die naive Teenager-Herangehensweise ernstzunehmenden Nummern, die ein bisschen Spaß in den tristen Alltag zurückbrachten. Die Originale hat man sich irgendwann zu Gemüte geführt, Bands entdeckt, die schon lange Geschichte geschrieben haben, und somit waren J.B.O. nicht nur für mich, sondern auch für viele Altersgenossen eine Band, die uns die Tür zum Metal mit aufgestoßen hat.
Und heute so?
Aus heutiger Sicht mag das alles ein bisschen nach Fremdschämen aussehen, und musikalisch ist die Band schon lange in der Belanglosigkeit angekommen. Wir aber hatten für zwei, drei Sommer (das Nachfolgewerk „Laut!„ war ebenfalls nicht von schlechten Eltern) unseren Spaß, haben gefeiert, gelacht, gesungen und geheadbangt, und so mancher Schul-, Noten- und Adolszenz-Frust wurde mit Hilfe unserer treuen Weggefährten in rosa bekämpft. Und dass die Originale, an denen sich Vito, Hannes, Schmitti und Holmer damals bedienten, irgendwie alle ganz besonders Toll waren, konnten wir uns auch gerne eingestehen, wenn wir erstmal auf sie gestoßen waren. Für mich steht fest: Mitte der 90er gab es in Nordbayern keinen Jugendlichen, der J.B.O. nicht irgendwie geil fand, und die Zahl derer, die am Ende aufgrund ihrer Faszination für diese Band dem Metal verfallen waren, ist sicher jenseits des Zählbaren. Ob sinnlose Blödelei oder nicht: Für die Prägung einer (wenn auch regional begrenzten) Generation gebührt der Band auch heute noch der allergrößte Respekt.
Michael Stalling – Europe
Erstkontakt
We’re leaving together, but still it’s farewell – and maybe we’ll come back to Earth, who can tell?
Mein erster Kontakt mit EUROPE war im Jahr 1986, als ich als achtjähriger Pöks zum ersten Mal den Song „The Final Countdown“ hörte – wenn ich mich recht erinnere, war das in Ronny’s Pop Show oder Formel 1.
Faszination
Tell me the story, tell me the legend, tell me the tales of war – tell me just one time, what it was like before.
Der Song schlug mich sofort in seinen Bann, das Zusammenspiel aus den Fanfaren, dem Keyboard-Riff, der Optik der Band und natürlich Joey Tempests unglaubliche Stimme sowie John Norums grossartiges Gitarrenspiel veränderten meine Sicht auf Musik für immer!
Flugs wurde das Album gekauft, und zwar als Tape – welches auch knapp 20 Jahre später noch einen Ehrenplatz hat! Mensch, was war das für ein geniales Album: Songs für die Ewigkeit wie die drei Megahits „The Final Countdown“, „Rock The Night“ und „Carrie“ flankiert von u.a. „Danger On The Track“, „Ninja“, „Love Chaser“ – All Killer, No Filler! Joeys göttlicher Gesang, die Eingängigkeit und die packenden Refrains, hach ja. Liebe auf den ersten Blick sozusagen!
Natürlich wurden vom nächsten Taschengeld auch gleich die beiden Vorgänger „Europe“ und „Wings Of Tomorrow“ gekauft, vor allem letzteres ist per se eigentlich noch besser als „The Final Countdown“, kann aber dieses pure und allüberwältigende Erstes-Mal-Gefühl im Endeffekt nicht toppen.
Schämfaktor heute
Nachdem mich EUROPE mit „The Final Countdown“ auf ewig in die Gefilde des Hard Rock und Metal geführt hatten, entdeckte ich natürlich auch andere Bands und Stile. EUROPE selbst konnten mich mit „Out Of This World“ noch einigermassen überzeugen – als 1991 dann aber mit „Prisoners Of Paradise“ das letzte (und bislang mit Abstand schwächste der Bandgeschichte) Album vor dem Split erschien, hatte ich mich schon längst mit einem „Rebel Yell“ anderen Bands wie RAGE AGAINST THE MACHINE oder NIRVANA zugewandt und fand die Schweden dann doch eher peinlich da viel zu schnulzig und glattgebügelt.
Die Alben verschwanden irgendwo im Keller und waren vergessen bis ich 2004 nach Schweden umzog – just als mit der Best-Of-Doppel-CD „Rock The Night“ der Weg für das Comeback-Album „Start From The Dark“ gebahnt wurde.
Und da Geschichte sich ja bekanntlich gerne mal wiederholt, und „Start From The Dark“ eine richtig gut abgehende Scheibe war bzw. ist, hatte mich der EUROPE-Virus ein zweites Mal infiziert!
Als ich die Band dann im Dezember 2012 endlich das erste Mal live sehen durfte, fühlte ich mich wieder wie der achtjährige Pöks – die Kraft der Songs (nicht nur der alten), die Spielfreude der Band und überhaupt die ganze Atmosphäre des Gigs: einfach nur geil!
EUROPE bieten auch heute noch allerfeinste Unterhaltung im Hard Rock-Sektor, und schämen braucht man sich als Fan nun wirklich nicht.
Tipp für Einsteiger
Die jeweils ersten drei Alben der beiden Phasen der Band (also von 1983 – 1986 & 2004 – 2009) sind uneingeschränkt empfehlenswert, auch die o.a. Compilation „Rock The Night: The Very Best Of Europe“ ist ein hervorragender Ansatzpunkt. Wer eine gute Mischung aus alten und neuen Songs sucht, dem sei das aktuelle Live-Album „Live At Sweden Rock“ ans Herz gelegt.
Persönliche Anekdote
Mit acht Jahren hatte ich noch kein Englisch in der Grundschule – und da schreibt man halt so, wie man es spricht, nicht wahr? Also spielt nochmal den letzten Countdown, JURUP!
Sven Lattemann – Blind Guardian oder: Alte Liebe rostet nicht, sie setzt höchstens ein bisschen Staub an
Wie fing alles an?
Der erste Kontakt mit BLIND GUARDIAN (und damit in jeglicher Hinsicht mit Heavy Metal) datiert aus dem Jahr 1994, als Hintergrundmusik zu den ersten Pen & Paper-Rollenspielrunden. Gelegentlich lief die „Somewhere Far Beyond„, die damals noch aktuelle Scheibe der Krefelder Fantasy Metaller – neben diversen Filmsoundtracks – zu Pizza, Cola (für Bier waren wir noch zu jung) und durchzockten Nächten. In den CD-Player hatte die „Somewhere Far Beyond„ es geschafft, weil das Cover „so geil„ (O-Ton) aussah: Eine Heldentruppe rund um ein… leuchtendes Ding-Sphären-Welt-Artefakt (ja, was eigentlich genau?) sitzend. Da in Ermangelung von Probe-Anhörmöglichkeiten, kritischen CD-Reviews oder anderen Empfehlungen ein Albumcover öfter mal als Kaufargument herhalten musste, war dieses Cover-Kunstwerk Anreiz genug, der Scheibe ein Chance zu geben – die sie dann ja auch nachhaltig genutzt hat (neben diversen Volltreffern schaffte es durch diese optische „Qualitätsprüfung„ leider auch eine Menge überflüssiges Zeug in mein CD-Regal…).
Die „Somewhere Far Beyond„ war jedoch allerdings noch nicht fesselnd genug, denn zunächst stand bei den Würfelsitzungen tatsächlich das Spielen im Vordergrund, was sich jedoch schlagartig ändern sollte, als 1995 die „Imaginations From The Other Side„ auf den Markt kam. Die neun Songs der Scheibe waren einfach vom ersten bis zum letzten Track perfekt: Allem voran die Stimmungkanone „The Script For My Requiem„ und der mitreißende Titeltrack. Jeder der Songs ist ein kleines Abenteuer für sich, voller Ideen und einem feinen Gespür für große Geschichten, und so wurde dann auch „And The Story Ends„ zum Abschluss einer jeden unserer Runde gespielt – bevor wir uns bei Sonnenaufgang theatralisch und freudestrahlend nach Hause begaben.
Dieses Opus Magnum der sympathischen Speed-Trash-Orchester-Metaller war die metallische Stunde Null – ab dann ging es mit voller Kraft vorwärts: Es folgten MANOWAR (aber das wird wohl woanders besprochen…), THERION und RAGE. Neue Entdeckungen mussten dann natürlich regelmäßig diskutiert werden, worunter nach und nach der Spielfortschritt entsprechend litt. Aber das war dann auch egal: Das sauer ersparte Geld ging zunehmend für Tonträger anstatt für Regelbücher drauf und als die ersten Konzerte interessant wurden (das waren dann tatsächlich MANOWAR…) kamen auch lange Haare und durchgehend schwarze Klamotten mit Bandshirt dazu.
Klassische Fantasy-Literatur war noch sehr überschaubar populär und eher ein Nischenprodukt, Anhänger von Power Metal-Bands im spätjugendlichen Alter eine besondere Gruppe für sich und auf dem Schulhof kritisch beäugt, und die T-Shirts waren in aller erster Linie bunt, blutrünstig und immer mindestens Größe XL.
Und warum gerade diese Band, was faszinierte dich?
Während die „Somewhere Far Beyond“ noch, wie sich später zeigen sollte, als „Übergangsalbum“ zwischen der Frühphase und der späteren, stilistisch komplexeren Phase von BLIND GUARDIAN war, zeigte die „Imaginations…“ schon wo die Reise in Sachen Arrangement und Songdichte hingeht. Die eher düstere Stimmung des Albums, die über alle Zweifel erhabene Produktion und vor allem die beiden Ohrwürmer „Born In A Mourning Hall“ und „I´m Alive“ sorgten dafür, dass die Scheibe wochenlang im Repeat-Modus lief. Besonders ist auch die Kompaktheit dieser Scheibe: Keine Lückenfüller, fünfzig Minuten ohne Brüche oder Aussetzer, da will man gleich ein Heer aufstellen und Mordor erobern. Dabei ist auch die musikalische Leistung der Krefelder wirklich beachtenswert: Trotz aller Verspieltheit und tollen Soli kommen doch alle neun Tracks stets auf den Punkt.
Getoppt wurde das Ganze dann später allerdings noch von dem Überwerk „Nightfall in Middle-Earth“, das den epischen Ansatz der Band absolut auf die Spitze trieb.
Jede dieser beiden Scheiben ist eine faszinierende und zeitlose Reise in eine Welt voller Sagen und Magie – besonders bedeutsam in einer Phase, wo opulente Hollywood-Fantasyfilme noch Zukunftsmusik waren und es nur eine überschaubare Menge an hochwertiger Literatur gab. Damit waren BLIND GUARDIAN wirklich ein Tor zu einer anderen Welt.
Und? Heute schämst du dich aber dafür, oder?
Tja, aufgrund der vorherigen Zeilen ist der Schämfaktor wohl heutzutage nicht so hoch, aber mittlerweile muss man dann doch Abstriche bei dem Gesamtwerk von BLIND GUARDIAN machen. Nach einer zwischenzeitlichen Sinnkrise und Abkehr von der Band, insbesondere nach dem damals enttäuschenden „A Night at The Opera„, kommt die „Imginations…„ und insbesondere deren Nachfolger „Nightfall in Middle-Earth„ auch heute immer noch sehr regelmäßig zum Einsatz. Die aufgemotzte Version aus der „A Travelers Guide To Space And Time„-Box klingt ordentlich zeitgemäß und bietet auch Neueinsteigern beste Unterhaltung. Die neueren Werke der Truppe „A Twist In The Myst„ und „At The Edge Of Time„ sind zwar durchaus charmant, reichen allerdings nicht an die beiden oben erwähnten Klassiker heran – auch, wenn es wieder eindeutig in die richtige Richtung geht. Aber vielleicht ist die Magie einfach ein bisschen verflogen…
Den höchsten Schämfaktor haben rückblickend vielleicht höchstens die grenzwertigen T-Shirt-Designs und der überepische Ansatz der Truppe (den manche Spötter auch als kitschig bezeichnen). Außen vor lasse ich auch mal die mehr als durchwachsenen Ablegerscheiben von Jon Schaffer und Hansi Kürsch unter dem Deckmantel „DEMONS & WIZARDS„, die man sich als Fan damals natürlich kaufen musste, die aber kaum einen echten Mehrwert haben.
Welchen Song sollten Neueinsteiger antesten?
In aller erster Linie zwei Klassiker: „Imaginations From The Other Side“ von dem gleichnamigen Album und „Into The Storm“ von der „Nightfall In Middle Earth“. Beide Songs stehen für die besonderen Merkmale von BLIND GUARDIANs bester Zeit: episch-choraler Gesang, eine treibende Gitarrenarbeit und eingängige Melodien, die zu keiner Zeit langweilig werden – und zum Mitsingen unter der Dusche sind beide Tracks ebenfalls bestens geeignet. Nicht zu vergessen, dass die beiden Alben um die Songs herum auch absolut zum Einstieg zu empfehlen sind.
Der vielleicht bekannteste Track „The Bard´s Song – In The Forest“ von der „Somewhre Far Beyond“ zündet bei mir zwar eher weniger, versprüht aber dennoch durch seine schöne Mitsing- und Lagerfeueratmosphäre eine ordentliche Fantasystimmung – und gehört zudem zum Standardrepertoire auf Livekonzerten der blinden Wächter. Um mit BLIND GUARDIAN warm zu werden eignet sich die Nummer aber sehr gut.
Ein kleiner Schwank zum Abschluss…
Die erste und bis dato unangefochten beste Gelegenheit BLIND GUARDIAN live zu sehen ergab sich für mich auch leider nicht auf der „Nightfall In Middle-Earth“-Tour, sondern erst ein bisschen später, auf dem W:O:A 1998. Ein Hansi Kürsch in bester Stimmung, die Band in unglaublicher Spiellaune, ein denkwürdiges Konzert und aufgrund des damaligen Line-Ups ein zudem ein absoluter Traum für jeden Fantasy-Metaller, da neben BLIND GUARDIAN, ICED EARTH und SAVATAGE auch PRIMAL FEAR und VIRGIN STEEL am Start waren. Alles Gute für eine aufkeimende Liebe also – allerdings führte das in meinem jugendlichen Leichtsinn dazu, solche Bands wie DEVIN TOWNSEND, VOIVOD und SENTENCED ausfallen zu lassen, aus heutiger Sicht ein Todsünde, die mich immer noch schlecht schlafen lässt.
Und welche Bands haben euch zum Metal gebracht? Schreibt es uns die Kommentare!