Der erste Schuss
Mit welchen Bands hat alles angefangen?

Special

Der erste Schuss

Marek Protzak – Scorpions

Wann war dein Erstkontakt?
Tüdelüh. Tüdelüüüdelüdelü. Kappen-Klaus, du Rattenfänger! Im Frühling 91 lief das Ding im Radio stündlich. Ich war 13, habe den Ohrwurm auf Kassette aufgenommen, auf eine zweite überspielt und dann eine BASF C-90 komplett damit vollgeknallt. Okay, leicht dramatisiert; es war wohl nur die A-Seite. Auf der anderen war eine Best-Of von CHRIS DE BURGH. Aber eine dreiviertel Stunde Wind Of Change am Stück ist ja auch schon mal ne Ansage.
Apropos: Die Ansagen Meines auf der World Wide Live hatten mich schon vorher gepackt: You people really know how to paaaartyyy! Zusammen mit der Compilation Best Of Rockers n Ballads stellte dieser reine Klassiker meinen Erstkontakt mit den SCORPIONS (im Weiteren kurz: SCORPS) dar. Hörbar riesige Menschenmassen feiern eine entfesselt aufspielende Band und es gibt Monsterriffs, Gänsehautmelodien und akustische La Olas galore.
Dann kam eben der Wind Of Change und kurz darauf Crazy World; erstanden als vom Laster gefallene, naturgetreue Reproduktion auf Tape bei einem Straßenhändler im Urlaub am Balaton. Vier Mark, meine ich – und jeden verdammten Pfennig wert.

Was hat dich an der Band fasziniert?

Fünf wilde Männer in Leder mit krachenden und kreischenden Gitarren natürlich. Und die SCORPS-Pyramide.
Die historische Strahlkraft ihrer Musik, vor allem diejenige von Wind Of Change, konnte ich damals allerdings nur ansatzweise erfassen. Schließlich waren Klaus Meines gespitzte Lippen neben The Hoff dafür verantwortlich, dass das Reich des Bösen vor knapp 20 Jahren ohne großes Murren das Knie vor dem guten Teil der Welt gesenkt hat.

Rückblickender Schämfaktor?
Kurze Zeit nach Crazy World wurden die Ambitionen der Hannoveraner auf dem künstlerischen, ehrlicher: insgesamt dem ästhetischen Sektor rigoros beerdigt. Rudi Rocktier Schenker, Herman The German Rarebell, Matze Jabs und ihr Vorturner sicherten sich zwar endgültig die Rente, manövrierten sich indes durch Schmierlappen-Balladen galore, unglaubliche Fernseh-Dokus und modische Netzhautneckereien der Sonder(schul)klasse bemerkenswert zielstrebig ins künstlerische Gurkenglas. Kurz: Wer unter 40 ist und kulturell etwas auf sich hält, kann die Truppe ab Mitte der 90er unmöglich als tolerabel kennengelernt haben.

Daher ist es Chronistenpflicht, darauf hinzuweisen, dass die SCORPS zwar zeitlebens auch immer die Schnauzbartträger sich haben gerade machen lassen, dass sie jedoch nur in dieser Phase ihrer mittlerweile acht Dekaden andauernden Karriere ausschließlich RTL2 waren. Exemplarisch kann diese für Nachgeborene erstaunliche Tatsache an dem 78er Live-Dokument Tokyo Tapes verdeutlicht werden. Dieses nämlich funktioniert auch außerhalb der Nackenmatte ganz vorzüglich. Noch mit Uli Jon Roth, dem ollen Stirnband-Hippie, an der nicht einzufangenden Leadgitarre, drehen die Hannoveraner hier richtig auf und zelebrieren schön schweißtreibende Gitarrenmusik, die noch vor ihrer 80er-Lackierung und erst recht der 90er-Hochglanz-Laminierung steht. Inklusive neuneinhalb Minuten Fly To The Rainbow, Elvis-Cover und partieller Vokalperformance auf japanisch. Thank you very much for the good feeling in Tokyo! bedankt sich Meine irgendwann bei der steilgehenden Crowd, die man auch gut zu hören bekommt. Dito. Das Feeling geht beim Genuss dieses das Frühwerk ganz gut zusammenfassenden Frühwerks locker als gut durch.

Und auch das mal als Abschiedswerk vorgesehene Sting In The Tail von 2010 kann verglichen mit seinen direkten Vorgängern schon wieder was.

Welchen Song der Band sollte man sich als Neuling zuerst reinziehen?

Das euphorische Coming Home zu Beginn von World Wide Live, das bombastische Frühwerk Fly To The Rainbow mit Uli Jon Roth am Gesang – und natürlich den Klassiker Blackout. Vielleicht auch noch das formidable Instrumental Coast To Coast.

Persönliche Anekdote
Dein ganzes Leben kann sich ins Positive wandeln, wenn du bereit bist, dich an gewisse Gesetzmäßigkeiten des Universums zu halten. Das ist dir zu abgehoben? Also, um eine Sache mal von vornherein klarzustellen: Ich bin kein verrückter esoterischer Spinner, der den ganzen Tag mit seinen zotteligen Hippie-Freunden zusammensitzt, den Joint kreisen lässt und grünen Tee trinkt. Keine Sorge! Ich bin auch kein Philosoph, der dir die Wahrheit über das Leben verraten will, denn das kann ich ohnehin nicht. Aber ich kann dir einen Weg zeigen, wie du gesund, glücklich, erfolgreich, was-auch-immer werden kannst, wie deine sehnsüchtigsten Wünsche in Erfüllung gehen können und alles zusammen am Ende sogar noch verdammt viel Spaß macht. […] Du wirst dein eigener Superstar in deiner eigenen Superwelt werden – und um diese Welt zu finden, musst du dich noch nicht mal auf die Suche begeben. Sie ist längst in dir. Du darfst nur nicht die Geduld verlieren. Ohne Witz, das wird tierisch! […] Easy, Tiger.

So steht es in Rock Your Life, der Autobiografie von Rudolf Schenker.

Umgehend bildeten vor meinem inneren Auge Wasserbauch-Kinder aus Biafra mit Flying V, Josef Ackermann mit überdimensionalem blondem Schnauzbart und Reiner Calmund auf glühenden Kohlen einen kunterbunten Strudel der Wonne, der mich spontan erbrechen ließ.

Verrückter, ignoranter, esoterischer Spinner. Das war es jetzt endgültig mit deiner Band und mir!

Doch dann fiel mir etwas später die Live At Wacken-DVD der SCORPS vor die Füße und alles ward wieder gut. Denn was macht Rudolf Schenker? Legt während eines Songes die Klampfe aus der Hand, geht von der Bühne, kommt barfuß wieder, macht für ein paar Minuten (!) einen Kopfstand, verlässt die Bühne und spielt den Song schließlich mit Schuhwerk einfach zu Ende Während der ersten zwölf Wiederholungen stellte ich mir noch Fragen, doch dann wurde mir irgendwann klar: Das ist einer der größten Rock-Momente aller Zeiten!

Ich war und bin wieder Fan.

Der erste Schuss

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10.03.2014

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