Der erste Schuss
Mit welchen Bands hat alles angefangen?

Special

Der erste Schuss

Sven Lattemann – Blind Guardian oder: Alte Liebe rostet nicht, sie setzt höchstens ein bisschen Staub an

Wie fing alles an?
Der erste Kontakt mit BLIND GUARDIAN (und damit in jeglicher Hinsicht mit Heavy Metal) datiert aus dem Jahr 1994, als Hintergrundmusik zu den ersten Pen & Paper-Rollenspielrunden. Gelegentlich lief die Somewhere Far Beyond, die damals noch aktuelle Scheibe der Krefelder Fantasy Metaller – neben diversen Filmsoundtracks – zu Pizza, Cola (für Bier waren wir noch zu jung) und durchzockten Nächten. In den CD-Player hatte die Somewhere Far Beyond es geschafft, weil das Cover so geil (O-Ton) aussah: Eine Heldentruppe rund um ein leuchtendes Ding-Sphären-Welt-Artefakt (ja, was eigentlich genau?) sitzend. Da in Ermangelung von Probe-Anhörmöglichkeiten, kritischen CD-Reviews oder anderen Empfehlungen ein Albumcover öfter mal als Kaufargument herhalten musste, war dieses Cover-Kunstwerk Anreiz genug, der Scheibe ein Chance zu geben – die sie dann ja auch nachhaltig genutzt hat (neben diversen Volltreffern schaffte es durch diese optische Qualitätsprüfung leider auch eine Menge überflüssiges Zeug in mein CD-Regal).

Der erste Schuss

Die Somewhere Far Beyond war jedoch allerdings noch nicht fesselnd genug, denn zunächst stand bei den Würfelsitzungen tatsächlich das Spielen im Vordergrund, was sich jedoch schlagartig ändern sollte, als 1995 die Imaginations From The Other Side auf den Markt kam. Die neun Songs der Scheibe waren einfach vom ersten bis zum letzten Track perfekt: Allem voran die Stimmungkanone The Script For My Requiem und der mitreißende Titeltrack. Jeder der Songs ist ein kleines Abenteuer für sich, voller Ideen und einem feinen Gespür für große Geschichten, und so wurde dann auch And The Story Ends zum Abschluss einer jeden unserer Runde gespielt – bevor wir uns bei Sonnenaufgang theatralisch und freudestrahlend nach Hause begaben.

Dieses Opus Magnum der sympathischen Speed-Trash-Orchester-Metaller war die metallische Stunde Null – ab dann ging es mit voller Kraft vorwärts: Es folgten MANOWAR (aber das wird wohl woanders besprochen…), THERION und RAGE. Neue Entdeckungen mussten dann natürlich regelmäßig diskutiert werden, worunter nach und nach der Spielfortschritt entsprechend litt. Aber das war dann auch egal: Das sauer ersparte Geld ging zunehmend für Tonträger anstatt für Regelbücher drauf und als die ersten Konzerte interessant wurden (das waren dann tatsächlich MANOWAR…) kamen auch lange Haare und durchgehend schwarze Klamotten mit Bandshirt dazu.

Klassische Fantasy-Literatur war noch sehr überschaubar populär und eher ein Nischenprodukt, Anhänger von Power Metal-Bands im spätjugendlichen Alter eine besondere Gruppe für sich und auf dem Schulhof kritisch beäugt, und die T-Shirts waren in aller erster Linie bunt, blutrünstig und immer mindestens Größe XL.

Und warum gerade diese Band, was faszinierte dich?
Während die „Somewhere Far Beyond“ noch, wie sich später zeigen sollte, als „Übergangsalbum“ zwischen der Frühphase und der späteren, stilistisch komplexeren Phase von BLIND GUARDIAN war, zeigte die „Imaginations…“ schon wo die Reise in Sachen Arrangement und Songdichte hingeht. Die eher düstere Stimmung des Albums, die über alle Zweifel erhabene Produktion und vor allem die beiden Ohrwürmer „Born In A Mourning Hall“ und „I´m Alive“ sorgten dafür, dass die Scheibe wochenlang im Repeat-Modus lief. Besonders ist auch die Kompaktheit dieser Scheibe: Keine Lückenfüller, fünfzig Minuten ohne Brüche oder Aussetzer, da will man gleich ein Heer aufstellen und Mordor erobern. Dabei ist auch die musikalische Leistung der Krefelder wirklich beachtenswert: Trotz aller Verspieltheit und tollen Soli kommen doch alle neun Tracks stets auf den Punkt.

Getoppt wurde das Ganze dann später allerdings noch von dem Überwerk „Nightfall in Middle-Earth“, das den epischen Ansatz der Band absolut auf die Spitze trieb.

Jede dieser beiden Scheiben ist eine faszinierende und zeitlose Reise in eine Welt voller Sagen und Magie – besonders bedeutsam in einer Phase, wo opulente Hollywood-Fantasyfilme noch Zukunftsmusik waren und es nur eine überschaubare Menge an hochwertiger Literatur gab. Damit waren BLIND GUARDIAN wirklich ein Tor zu einer anderen Welt.

Und? Heute schämst du dich aber dafür, oder?
Tja, aufgrund der vorherigen Zeilen ist der Schämfaktor wohl heutzutage nicht so hoch, aber mittlerweile muss man dann doch Abstriche bei dem Gesamtwerk von BLIND GUARDIAN machen. Nach einer zwischenzeitlichen Sinnkrise und Abkehr von der Band, insbesondere nach dem damals enttäuschenden A Night at The Opera, kommt die Imginations und insbesondere deren Nachfolger Nightfall in Middle-Earth auch heute immer noch sehr regelmäßig zum Einsatz. Die aufgemotzte Version aus der A Travelers Guide To Space And Time-Box klingt ordentlich zeitgemäß und bietet auch Neueinsteigern beste Unterhaltung. Die neueren Werke der Truppe A Twist In The Myst und At The Edge Of Time sind zwar durchaus charmant, reichen allerdings nicht an die beiden oben erwähnten Klassiker heran – auch, wenn es wieder eindeutig in die richtige Richtung geht. Aber vielleicht ist die Magie einfach ein bisschen verflogen

Den höchsten Schämfaktor haben rückblickend vielleicht höchstens die grenzwertigen T-Shirt-Designs und der überepische Ansatz der Truppe (den manche Spötter auch als kitschig bezeichnen). Außen vor lasse ich auch mal die mehr als durchwachsenen Ablegerscheiben von Jon Schaffer und Hansi Kürsch unter dem Deckmantel DEMONS & WIZARDS, die man sich als Fan damals natürlich kaufen musste, die aber kaum einen echten Mehrwert haben.

Welchen Song sollten Neueinsteiger antesten?

In aller erster Linie zwei Klassiker: „Imaginations From The Other Side“ von dem gleichnamigen Album und „Into The Storm“ von der „Nightfall In Middle Earth“. Beide Songs stehen für die besonderen Merkmale von BLIND GUARDIANs bester Zeit: episch-choraler Gesang, eine treibende Gitarrenarbeit und eingängige Melodien, die zu keiner Zeit langweilig werden – und zum Mitsingen unter der Dusche sind beide Tracks ebenfalls bestens geeignet. Nicht zu vergessen, dass die beiden Alben um die Songs herum auch absolut zum Einstieg zu empfehlen sind.
Der vielleicht bekannteste Track „The Bard´s Song – In The Forest“ von der „Somewhre Far Beyond“ zündet bei mir zwar eher weniger, versprüht aber dennoch durch seine schöne Mitsing- und Lagerfeueratmosphäre eine ordentliche Fantasystimmung – und gehört zudem zum Standardrepertoire auf Livekonzerten der blinden Wächter. Um mit BLIND GUARDIAN warm zu werden eignet sich die Nummer aber sehr gut.

Ein kleiner Schwank zum Abschluss…
Die erste und bis dato unangefochten beste Gelegenheit BLIND GUARDIAN live zu sehen ergab sich für mich auch leider nicht auf der „Nightfall In Middle-Earth“-Tour, sondern erst ein bisschen später, auf dem W:O:A 1998. Ein Hansi Kürsch in bester Stimmung, die Band in unglaublicher Spiellaune, ein denkwürdiges Konzert und aufgrund des damaligen Line-Ups ein zudem ein absoluter Traum für jeden Fantasy-Metaller, da neben BLIND GUARDIAN, ICED EARTH und SAVATAGE auch PRIMAL FEAR und VIRGIN STEEL am Start waren. Alles Gute für eine aufkeimende Liebe also – allerdings führte das in meinem jugendlichen Leichtsinn dazu, solche Bands wie DEVIN TOWNSEND, VOIVOD und SENTENCED ausfallen zu lassen, aus heutiger Sicht ein Todsünde, die mich immer noch schlecht schlafen lässt.

Der erste Schuss

Und welche Bands haben euch zum Metal gebracht? Schreibt es uns die Kommentare!

Seiten in diesem Artikel

1234567891011
10.03.2014

Interessante Alben finden

Auf der Suche nach neuer Mucke? Durchsuche unser Review-Archiv mit aktuell 37295 Reviews und lass Dich inspirieren!

Nach Wertung filtern ▼︎
Punkten
Nach Genres filtern ►︎
  • Black Metal
  • Death Metal
  • Doom Metal
  • Gothic / Darkwave
  • Gothic Metal / Mittelalter
  • Hardcore / Grindcore
  • Heavy Metal
  • Industrial / Electronic
  • Modern Metal
  • Off Topic
  • Pagan / Viking Metal
  • Post-Rock/Metal
  • Progressive Rock/Metal
  • Punk
  • Rock
  • Sonstige
  • Thrash Metal

Kommentare