Dead
30. Todestag: Zwischen Nachruf und Mythos

Special

Mittlerweile ist wohl jeder mit der Geschichte vertraut, wie Per Yngve Ohlin zu MAYHEMs Sänger wurde. Gekreuzigte Mäuse und im Wald vergrabene Klamotten gehören genauso zu diesem Mythos, wie die rohen Live-Konzerte rund um die Tour durch Ost-Deutschland. Das sich hinter den abartigen Gewohnheiten der Musiker auch ganz normale Menschen verbargen, wird bei der Studie des Begleitbuches von Abo Alsleben ”Mayhem Live In Leipzig” deutlich.

Letztlich gewinnt man mit den später veröffentlichten Live-Mitschnitten einen halbwegs guten Eindruck vom Beitrag ”Pelles” und seinem häufig zitierten Charisma auf der Bühne. Die Setlists auf den vier offiziell erhältlichen Alben sind nahezu identisch, der Klang wurde jeweils nicht oder nur in geringem Maße nachbearbeitet, was einen authentischen Hörgenuss verspricht.

Live in Jessheim, 03.02.1990

Zu diesem Konzert existieren neben dem nachgereichten Bootleg, verwaschene Videos auf gewissen Social-Media-Kanälen. Dort kann man sich an der ungefilterten Naivität der damaligen MAYHEM erfreuen. Nervenaufreibende Line-Checks und nicht enden wollende Aufwärmphasen zwischen den Songs stehen einerseits für die fehlende Professionalität der Musiker. Auf der anderen Seite orientiert sich Ohlins Gesang noch dicht an der Vorlage Maniacs.

Live in Sarpsborg, 28.02.1990

Unter Waschküchen-Sound firmieren sich die acht Stücke dieses Mal unter dem Banner einer nahezu fehlerfreien Performance. Die wirklich abgrundtief gemeine Anmoderation ”When It´s cold and when it´s dark, the Freezing Moon can obsess you” hinterlässt erste Spuren. Vor dem geistigen Auge erscheint ein blutverschmierter Dead, dessen blonde Mähne unkontrolliert auf und ab geworfen wird, während sich die Dunkelheit bedrohlich über einen senkt. Das liegt aber auch an dem Bootleg, auf dem die Songs erstmals veröffentlicht wurden, dessen pietätloses Cover Necrobutcher noch heute vergrämt. Darauf zu sehen ist der Leichnam von Per Yngve Ohlin, wie er von Euronymous aufgefunden und fotografiert wurde.

Live in Zeitz, 24.11.1990

Vor der Show grummelt Dead bösartige Flüche ins Mikro, während das Stimmgewirr des Publikums verhaltene Reaktionen zeigt. Das klingt heute wirklich finster. Die Spannung bis zum ersten Akkord von ”Deathcrush” steigert sich ins Unerträgliche. Der Sound ist wuchtig, der Sänger leider kaum noch zu hören. Aber das Intro allein macht ein Hören zur Pflicht. Außerdem wird das Set ausnahmsweise mit ”Pagan Fears” beendet. Insgesamt bleibt der Klang verhältnismäßig geradlinig.

Live in Leipzig, 26.11.1990

Warum ausgerechnet dieses Konzert als die Gallionsfigur der Live-Mitschnitte fungiert, lässt sich nicht immer nachvollziehen. Zwar wird gerade die Stimmung im Publikum sehr gut eingefangen, der oft sehr übersteuerte Gesang zischt aber zu sehr durch die Boxen um noch als dreckig durchzugehen. Auch wirken die Akteure an diesem Abend im Eiskeller alles andere als tight, was bei der Lautstärke des Mixes nur allzu oft hindurch schimmert.

Speziell die ersten drei Songs verlangen vom Hörer Durchhaltevermögen. Natürlich schneidet Ohlins bissige Mixtur aus Kreischen und fast flehendem Meckern tiefe Wunden in die Gehörgänge und nur auf ”Live In Leipzig” setzt sich das so richtig durch. Als Zeitzeugnis stellt das Album einen unverzichtbaren Meilenstein in der Chronologie der Band dar.

Mayhem - Live in Leipzig

Mayhem – Live in Leipzig

Legendär sind die Passagen, als man den Mitgliedern dabei lauschen kann, wie sie sich völlig unschuldig auf Norwegisch unterhalten. Sekunden später hebt Dead zu einem infernalischen ”Come on Leipzig” an, bevor ”Pure Fuckin´Armageddon” das Ende eines entrückten Live-Sets einläutet. Noch einmal knattert es aus den Boxen, das Gitarren-Solo ist so dermaßen daneben, dass einem der Punk quasi mit dem Presslufthammer eingetrichtert wird. Die Zerre besitzt eine so ätzende Frequenz, dass die Ohren klingeln. Herrlich!

Geprobt und teilweise gelebt hatten MAYHEM in den Anfangsjahren der 1990er auf einem Landsitz, wo auch diverse Mitschnitte der Sessions entstanden, die mittlerweile als ”Out From The Dark” und ”The Henhouse Recordings” erhältlich sind. Beide Veröffentlichungen bieten einen unterirdischen Sound, so wie man es von selbstgefertigten Bandraum-Aufnahmen eben erwarten muss. Auf diversen Fan-Foren ist zwar immer wieder die Rede davon, dass sich die Atmosphäre der Songs und das jeweilige Können der Band-Mitglieder auf den Mitschnitten wunderbar entdecken lassen. Durch die nüchternen Gläser der Objektivität betrachtet, fällt das Urteil zu den beiden Demos aber nicht ganz so feudal aus.

Out From The Dark

Immerhin lässt sich das sieben Lieder umfassende Werk ohne wirkliche Anstrengung durchhören und tatsächlich kann der passionierte MAYHEM-Aficiando and den richtigen Stellen den Leuchtstift zücken und die besten Dead-Momente herauspicken um Vergleiche zu den, um seine Schaffensperiode herum singenden Maniac und Attila Csihar zu ziehen.

The Henhouse Recordings

Die besten Momente auf dem nachträglich kredenzten Demo finden sich zwischen den jeweiligen Tracks. Von einem komödiantischen Flair beseelt, näselt Per Yngve Ohlin teilweise aus dem Zusammenhang gerissenes wie ”Satanas” gleich zu Beginn im Sing-Sang. Ein missionarisches ”Malleus Maleficarum” leitet ”Deathcrush” ein. Aber auch ein unbekanntes Stück findet sich inmitten des heillosen Klang-Wirr-Warrs und macht den Erwerb des Demos für Komplettisten quasi zur Pflichtaufgabe.

Mayhem - The Henhouse Recordings

Mayhem – The Henhouse Recordings

Für all diejenigen, die einen nachvollziehbaren Eindruck von Ohlins Gesang und der damit unweigerlich einhergehenden Aura erhalten wollen, ist die Kompilation ”Projections Of A Stained Mind” zu erwähnen, auf dem sich MAYHEM unter anderem mit den später so gehassten, Schweden-Deathern wie ENTOMBED, DISMEMBER und UNLEASHED verdingen durften und immerhin zwei Songs beisteuerten. So erhält man die Chance auf studiotaugliche Beiträge zu ”Carnage” und ”Freezing Moon”, beide hervorragend umgesetzt.

Die gesamte Serie der gennannten Live-Alben und Demo-Aufnahmen ist auf Peaceville Records erschienen und bietet je nach Fan-Status einige Optionen. Wenn man ein wenig in MAYHEMs Dead-Ära hineinschnuppern möchte, ist man mit ”Out From The Dark”, ”Projections Of A Stained Mind” und ”Live In Sarpsborg” gut bedient. Wer mehr will, kann sich an einem opulenten Box-Set mit allen Titeln auf Picture-Vinyl und umfangreichem Fotobuch erfreuen.

(ODI)

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08.04.2021

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4 Kommentare zu Dead - 30. Todestag: Zwischen Nachruf und Mythos

  1. nili68 sagt:

    > Mit seinem Gesangsstil und seinem Bühnenauftritt drückte er den gerade entstehenden Death- und Black-Metal-Szenen Skandinaviens seinen Stempel auf.Neben dem Image war es eben auch die Qualität seiner Kunst, die sich durchsetzte.<

    *ÄHEM* *räusper* *hust*

  2. nili68 sagt:

    Das entspricht zwar nicht dem, was ich geschrieben habe, aber die Kommentarfunktion ist wohl Mayhem-Fan..

  3. rickyspanish sagt:

    *ÄHEM* rückwärts: MEHÄ*
    Ist reine Geschmackssache (wie alles), ich kann der OUT FROM THE DARK durchaus etwas abgewinnen.

  4. rickyspanish sagt:

    Und MORBID, so verkehrt klingt das nicht (auch, wie immer, Geschmackssache).