Dead
30. Todestag: Zwischen Nachruf und Mythos

Special

Per Yngve Ohlin, genannt Pelle, berichtete zu seinen Lebzeiten von einem Nahtoderlebnis in seiner Kindheit. Wie genau es dazu kam, ist umstritten. Entweder geschah dies durch einen Unfall oder nach einer Prügelei. Sicher ist, dass dieser Moment Pelles Leben prägte. Die Faszination des Todes bestimmte sein gesamtes künstlerisches Handeln als Musiker und Zeichner. Den Künstlernamen “Dead” zu wählen, lag deswegen für ihn auf der Hand.

Geboren wurde Pelle am 16.01.1969 im schwedischen Stockholm. Im Alter von 22 Jahren starb er durch Suizid in Norwegen, wo er die letzten Jahre seines Lebens als Sänger der Band MAYHEM verbrachte. Zu seinem 30. Todestag haben wir noch einmal das Schaffen des Künstlers betrachtet und wollen an sein Wirken erinnern.

Morbide Geschichten aus zweiter Hand?

Auch wenn Dead zu Lebzeiten innerhalb des Metal-Undergrounds eine gewisse Bekanntheit erlangte, wurde er erst nach seinem Tod berühmt. Dabei ist zu beobachten, dass seine Geschichte, sein Leben und auch sein Tod sehr bald von anderen in ihrem Sinne erzählt wurde.

Dazu gehört auch, dass Deads Persönlichkeit in großen Teilen nur aus zweiter Hand überliefert ist. Zeitgenossen beschreiben ihn als lethargisch und melancholisch, in einigen Momenten aber auch abenteuerlustig und einen verschrobenen Humor demonstrierend. Das Sammeln toter Tiere, das Vergraben der eigenen Kleidung, damit die Kluft auf der Bühne nach Graberde riecht und der Hang zur Selbstverletzung treten im Rückblick in den Vordergrund, zeichnen insgesamt aber vermutlich nur einen Teil des Bildes.

In diesem Artikel soll es deswegen vorrangig um die Musik gehen, auch wenn gegen Ende auf Deads Nachwirken eingegangen wird. Küchenpsychologie und Legendenbildung gibt es, bezogen auf den Künstler Dead, an anderen Stellen bereits zu genüge.

MORBID (1985-1988)

MAYHEM (1988-1991)

Das Nachleben (ab 1991)

In den Rückspiegel blickten Marc Thorbrügge (MT), Stefan Wolfsbrunn (SW) und Oliver Di Iorio (ODI), Artikelbild: Ausschnitt des Covers von „Live in Leipzig“, bearbeitet von Alex Klug.

Hinweis: Ob sich Per Yngve Ohlin Zeit seines Lebens in psychiatrischer Behandlung befand, ob oder unter welcher psychischen Krankheit er litt, ist unbekannt. Dass er durch Suizid sein Leben beendete, ist hingegen unumstritten. Solltest du unter Selbstmordgedanken leiden oder jemand den du kennst, kannst du dir bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Du erreichst sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei.

(MT)

“Morbid are into: other dimensions, the dark side of magic, guts, animal sex, killing dandys, satanism and Anton Lavey”
Brief von Dead an Metalion (Slayer Magazine)

December Moon

Für Dead war die Sache ganz klar. “We are a BLACKMETALBAND.” So jedenfalls stellte er sich und seine Band MORBID bei Metalion vom Slayer Magazin in einem Brief vor. Auch wenn die “December Moon”-Demo nicht grundsätzlich dem entspricht, was heutzutage als Black Metal katalogisiert wird, sind die Einflüsse auf alle erdenklichen Genres des extremen Metals mannigfaltig. Und das in beide Richtungen. MORBID haben VENOM, BATHORY, den frühen Ruhrpott-Thrash, schwedischen Death Metal im Proto-Stadium und harschen Speed Metal inhaliert und mit den düsteren Visionen und Ansichten ihres Sängers verbunden. Die Attitüde der Demo ist noch heute legendär und nicht weniger als stilprägend für die gesamte schwarze Szene.

Diese Bedeutung der Demo, welche ihrerzeit eher unterschätzt wurde, beziehungsweise unbekannt geblieben ist, ist also ungebrochen. Die Faszination der Spurensuche und gleichzeitig Relevanz des Materials zeigt sich in einer unüberschaubaren Anzahl von Bootlegs und Wiederveröffentlichungen mit dem Demo- und Livematerial der Band.

Morbid – Year Of The Goat

Am bekanntesten dürfte die MORBID/MAYHEM-Split “A Tribute To The Black Emperors” (Bootleg, 1994) sein. Enthalten ist natürlich “December Moon” als Beitrag von MORBID. Ebenso relevant ist “Ancient Morbidity” (2010), welche als Beilage zum Slayer Magazin #20 erschien und frühe Demoaufnahmen und eine Live-Version enthält. Century Media leistete ein Jahr später mit der fantastischen Compilation “Year Of The Goat” (2011) die wohl beste Zusammenstellung auf dreifachem Vinyl nebst ausführlichen Liner Notes. Auch hier enthalten, es ist leicht zu erraten, als Herzstück und Höhepunkt “December Moon”. Diese Aufzählung ließe sich wochenlang fortführen.

Pioniere im Schatten

Was ist nun das besondere an der Demo? “December Moon” überrascht zunächst einmal musikalisch mit zahlreichen Breaks, Riffs und Tempowechseln, welche zum einen die bereits zu diesem Zeitpunkt beeindruckenden technischen Fähigkeiten der Band illustriert und zum anderen die beinahe pedantische Detailversessenheit von MORBID und Dead. Kein Wunder, dass MORBID als musikalischer Inkubator für Bands wie MAYHEM, ENTOMBED und NIHILIST diente.

Leider ist der Sound von “December Moon” nicht ideal und es ist überliefert, dass auch die Band die ersten Rohmixe dem finalen Ergebnis vorzog. Der Respekt vor Styrbjörn Wahlquist (HEAVY LOAD), der die Aufnahmen im Thunderload Studio leitete, ließ die Band jedoch von Kritik absehen, sodass der Klang von “December Moon” aus Sicht von MORBID und auch heutigen Hörern bestenfalls als Kompromiss verstanden werden kann.

Sound, Technik und musikalische Einflüsse. Dies sind alles Dinge aus dieser Welt. Sie können unter dem Mikroskop der rückblickenden Analyse und historischen Betrachtung erklärt und eingeordnet werden. Nicht einzuordnen, weil metaphysisch, ist hingegen das Besondere und gleichzeitig Charakteristische der “December Moon”-Demo: Der außerweltliche Beitrag von Dead als Sänger. Der Stil von Dead ist nicht wirklich zu beschreiben, den schönsten Versuch fanden wir tatsächlich in der Kommentarspalte von Youtube:

“Dead was 18 when he recorded this. He sounds like a 10,000 year old demon […].”
Makurrado Shi, 2021.

Es würde wenig wundern, wenn Attila Csihar für seine Arbeit zu “De Mysteriis Dom. Sathanas” (1994) gelegentlich bei “December Moon” gespickt hätte. Und so schließt sich der Kreis, denn sowohl sein Leben, als auch sein künstlerisches Schaffen, sollten, einmal den Händen entrissen, den Heavy Metal für immer verändern.

(SW)

Mittlerweile ist wohl jeder mit der Geschichte vertraut, wie Per Yngve Ohlin zu MAYHEMs Sänger wurde. Gekreuzigte Mäuse und im Wald vergrabene Klamotten gehören genauso zu diesem Mythos, wie die rohen Live-Konzerte rund um die Tour durch Ost-Deutschland. Das sich hinter den abartigen Gewohnheiten der Musiker auch ganz normale Menschen verbargen, wird bei der Studie des Begleitbuches von Abo Alsleben ”Mayhem Live In Leipzig” deutlich.

Letztlich gewinnt man mit den später veröffentlichten Live-Mitschnitten einen halbwegs guten Eindruck vom Beitrag ”Pelles” und seinem häufig zitierten Charisma auf der Bühne. Die Setlists auf den vier offiziell erhältlichen Alben sind nahezu identisch, der Klang wurde jeweils nicht oder nur in geringem Maße nachbearbeitet, was einen authentischen Hörgenuss verspricht.

Live in Jessheim, 03.02.1990

Zu diesem Konzert existieren neben dem nachgereichten Bootleg, verwaschene Videos auf gewissen Social-Media-Kanälen. Dort kann man sich an der ungefilterten Naivität der damaligen MAYHEM erfreuen. Nervenaufreibende Line-Checks und nicht enden wollende Aufwärmphasen zwischen den Songs stehen einerseits für die fehlende Professionalität der Musiker. Auf der anderen Seite orientiert sich Ohlins Gesang noch dicht an der Vorlage Maniacs.

Live in Sarpsborg, 28.02.1990

Unter Waschküchen-Sound firmieren sich die acht Stücke dieses Mal unter dem Banner einer nahezu fehlerfreien Performance. Die wirklich abgrundtief gemeine Anmoderation ”When It´s cold and when it´s dark, the Freezing Moon can obsess you” hinterlässt erste Spuren. Vor dem geistigen Auge erscheint ein blutverschmierter Dead, dessen blonde Mähne unkontrolliert auf und ab geworfen wird, während sich die Dunkelheit bedrohlich über einen senkt. Das liegt aber auch an dem Bootleg, auf dem die Songs erstmals veröffentlicht wurden, dessen pietätloses Cover Necrobutcher noch heute vergrämt. Darauf zu sehen ist der Leichnam von Per Yngve Ohlin, wie er von Euronymous aufgefunden und fotografiert wurde.

Live in Zeitz, 24.11.1990

Vor der Show grummelt Dead bösartige Flüche ins Mikro, während das Stimmgewirr des Publikums verhaltene Reaktionen zeigt. Das klingt heute wirklich finster. Die Spannung bis zum ersten Akkord von ”Deathcrush” steigert sich ins Unerträgliche. Der Sound ist wuchtig, der Sänger leider kaum noch zu hören. Aber das Intro allein macht ein Hören zur Pflicht. Außerdem wird das Set ausnahmsweise mit ”Pagan Fears” beendet. Insgesamt bleibt der Klang verhältnismäßig geradlinig.

Live in Leipzig, 26.11.1990

Warum ausgerechnet dieses Konzert als die Gallionsfigur der Live-Mitschnitte fungiert, lässt sich nicht immer nachvollziehen. Zwar wird gerade die Stimmung im Publikum sehr gut eingefangen, der oft sehr übersteuerte Gesang zischt aber zu sehr durch die Boxen um noch als dreckig durchzugehen. Auch wirken die Akteure an diesem Abend im Eiskeller alles andere als tight, was bei der Lautstärke des Mixes nur allzu oft hindurch schimmert.

Speziell die ersten drei Songs verlangen vom Hörer Durchhaltevermögen. Natürlich schneidet Ohlins bissige Mixtur aus Kreischen und fast flehendem Meckern tiefe Wunden in die Gehörgänge und nur auf ”Live In Leipzig” setzt sich das so richtig durch. Als Zeitzeugnis stellt das Album einen unverzichtbaren Meilenstein in der Chronologie der Band dar.

Mayhem – Live in Leipzig

Legendär sind die Passagen, als man den Mitgliedern dabei lauschen kann, wie sie sich völlig unschuldig auf Norwegisch unterhalten. Sekunden später hebt Dead zu einem infernalischen ”Come on Leipzig” an, bevor ”Pure Fuckin´Armageddon” das Ende eines entrückten Live-Sets einläutet. Noch einmal knattert es aus den Boxen, das Gitarren-Solo ist so dermaßen daneben, dass einem der Punk quasi mit dem Presslufthammer eingetrichtert wird. Die Zerre besitzt eine so ätzende Frequenz, dass die Ohren klingeln. Herrlich!

Geprobt und teilweise gelebt hatten MAYHEM in den Anfangsjahren der 1990er auf einem Landsitz, wo auch diverse Mitschnitte der Sessions entstanden, die mittlerweile als ”Out From The Dark” und ”The Henhouse Recordings” erhältlich sind. Beide Veröffentlichungen bieten einen unterirdischen Sound, so wie man es von selbstgefertigten Bandraum-Aufnahmen eben erwarten muss. Auf diversen Fan-Foren ist zwar immer wieder die Rede davon, dass sich die Atmosphäre der Songs und das jeweilige Können der Band-Mitglieder auf den Mitschnitten wunderbar entdecken lassen. Durch die nüchternen Gläser der Objektivität betrachtet, fällt das Urteil zu den beiden Demos aber nicht ganz so feudal aus.

Out From The Dark

Immerhin lässt sich das sieben Lieder umfassende Werk ohne wirkliche Anstrengung durchhören und tatsächlich kann der passionierte MAYHEM-Aficiando and den richtigen Stellen den Leuchtstift zücken und die besten Dead-Momente herauspicken um Vergleiche zu den, um seine Schaffensperiode herum singenden Maniac und Attila Csihar zu ziehen.

The Henhouse Recordings

Die besten Momente auf dem nachträglich kredenzten Demo finden sich zwischen den jeweiligen Tracks. Von einem komödiantischen Flair beseelt, näselt Per Yngve Ohlin teilweise aus dem Zusammenhang gerissenes wie ”Satanas” gleich zu Beginn im Sing-Sang. Ein missionarisches ”Malleus Maleficarum” leitet ”Deathcrush” ein. Aber auch ein unbekanntes Stück findet sich inmitten des heillosen Klang-Wirr-Warrs und macht den Erwerb des Demos für Komplettisten quasi zur Pflichtaufgabe.

Mayhem – The Henhouse Recordings

Für all diejenigen, die einen nachvollziehbaren Eindruck von Ohlins Gesang und der damit unweigerlich einhergehenden Aura erhalten wollen, ist die Kompilation ”Projections Of A Stained Mind” zu erwähnen, auf dem sich MAYHEM unter anderem mit den später so gehassten, Schweden-Deathern wie ENTOMBED, DISMEMBER und UNLEASHED verdingen durften und immerhin zwei Songs beisteuerten. So erhält man die Chance auf studiotaugliche Beiträge zu ”Carnage” und ”Freezing Moon”, beide hervorragend umgesetzt.

Die gesamte Serie der gennannten Live-Alben und Demo-Aufnahmen ist auf Peaceville Records erschienen und bietet je nach Fan-Status einige Optionen. Wenn man ein wenig in MAYHEMs Dead-Ära hineinschnuppern möchte, ist man mit ”Out From The Dark”, ”Projections Of A Stained Mind” und ”Live In Sarpsborg” gut bedient. Wer mehr will, kann sich an einem opulenten Box-Set mit allen Titeln auf Picture-Vinyl und umfangreichem Fotobuch erfreuen.

(ODI)

Kaum ein Sänger, nicht nur in der Metal-Szene, sondern auch in der gesamten Musikwelt, wurde nach seinem Tod so sehr ausgeschlachtet wie Dead. Diese Formulierung ist sicher nicht pietätvoll, beschreibt die Vorgänge aber leider zutreffend. Nach Deads Tod fand MAYHEM-Gitarrist Euronymous die Leiche, machte Fotos, manipulierte dazu offensichtlich den Fundort und klaubte nach eigener Aussage einige Schädelsplitter auf. Gemeinsam mit der Geschichte, dass Dead sich aus Verzweiflung über die zu soft gewordene Metal-Szene das Leben nahm, schickte er die Knochen mitsamt den Fotos um die Erde. Ein Foto des Leichnams fand besondere Verbreitung, da es als Cover eines Bootlegs herhalten musste.

Bilder und Geschichten, die um die Welt gehen

Pelles Tod wurde von Euronymous als Marketing-Gelegenheit begriffen, die erfolgreich genutzt wurde und bis heute nachwirkt. Das Image des misanthropischen und kompromisslosen, alles “untrue” verachtende Black-Metal-Fanatikers, das Euronymous um den toten MAYHEM-Sänger spann, prägte als Vorbild (und Klischee) lange Zeit die Innen- und Außenwahrnehmung der Szene und ist noch immer nicht ganz verschwunden.

Dead (CC BY-SA 4.0)

In den vergangenen 30 Jahren weichte dieses starre Bild immer mehr auf. Dennoch bleibt es weiterhin verzerrt und auch geheimnisvoll, lässt Spielraum für die eigene Rezeption. Das Internet ist voll von den verschiedensten Ansätzen, die Persönlichkeit von Dead zu entschlüsseln oder doch zumindest nach den eigenen Vorlieben zu deuten. Es finden sich Foren-Beiträge, die Dead wie oben beschrieben huldigen, Tumblr-Blogs in denen Fanart im Manga-Stil geteilt wird, oder Youtube-Videos, in denen der Geist des Sängers beschworen werden soll.

Das Konterfei des Sängers ziert zahllose offizielle und inoffizielle Veröffentlichungen, die stets begehrt und schnell vergriffen sind. Jeder greifbare Sound-Schnipsel ist inzwischen verwertet worden, jede Interview-Zeile exegetisch gelesen worden. Die Merch-Maschinerie brummt, könnte man anmerken.

Was bleibt?

Wichtiger ist jedoch die Feststellung, dass Dead nicht nur aufgrund der Vermarktung seiner Person immer noch relevant ist. Mit seinem Gesangsstil und seinem Bühnenauftritt drückte er den gerade entstehenden Death- und Black-Metal-Szenen Skandinaviens seinen Stempel auf. Neben dem Image war es eben auch die Qualität seiner Kunst, die sich durchsetzte.

Auch 30 Jahre nach seinem Tod fasziniert Dead noch immer. Dadurch werden zwangsläufig Klischees aufgewärmt, Artikel wie dieser geschrieben und Platten nachgepresst. Der Grund dafür sollten aber nicht die Umstände seines Todes oder mutmaßliche Motives seines Selbstmordes sein, sondern seine Taten zu Lebzeiten. Entsprechend schließen wir mit einem passenden Zitat des Buchautoren und Weggefährten Daniel Ekeroth aus seinen Anmerkungen zur MORBID-Compilation “Year Of The Goat”:

“Though much moronic and vile speculation, abuse and assumptions has surrounded the whereabouts of his suicide, it shouldn’t be seen as anything else as a personal tragedy and a bitter loss for us all.”

(MT)

08.04.2021
Exit mobile version