Cripper
Die Tourstory zum Baltikum-Abenteuer
Special
14.10.2017, Riga, Lettland
Gerade haben wir uns in der festen Absicht, gegen 9 bis 10 Uhr wieder aufzustehen, um die Stadt zu erkunden und einen Happen zu essen, die Decke über den Kopf gezogen, da werden wir bereits geweckt. Es ist 12 Uhr. Zum Leidwesen aller ist es jetzt schon äußerst knapp mit dem Frühstück – und es soll noch schlimmer kommen: Es gab vergangene Nacht ein Missverständnis, weshalb die Abfahrt nicht 13:30 Uhr sondern bereits 12:30 Uhr ist … und wir müssen noch einladen. Hektik bricht aus, aber schlussendlich sitzen wir pünktlich, mit knurrendem Magen und leichtem Kater im Van: „Auf geht’s, wir finden schon was zu essen.“ So die allgemeine Meinung. Denkste! Unserem heutigen Glück folgend landen wir zum Tanken an einem Automaten ohne angeschlossenem Laden.
Einziger Stopp auf der Fahrt, die uns erneut durch die wunderschöne Landschaft Estlands führt. Ausgedehnte Birken-Wälder, ein Blick aufs Meer und noch mehr Wald und Wiese lassen uns das Loch im Bauch für einige Stunden vergessen. Apropos vergessen: Christians MANTAR-Shirt dürfte noch im Tapper vor sich hingammeln, er hat es nämlich vergessen. Hinzu gesellt sich die übliche Fahrtroutine: Dumme Sprüche, ein paar Anekdoten und Diskussionen über die letzten Shows. Dabei stellt sich heraus, dass sich nicht alle Bandmitglieder mit „Running High“ auf der Bühne wohl fühlen, weshalb „Damocles“ in die Setlist rutscht. Immerhin sorgt Dennis für etwas Unterhaltung, als er bei laufender Fahrt den Gaskocher für den ersten Kaffee des Tages anwirft. Gegen 17 Uhr ist der Klubs Meln? Piektdiena erreicht. Ein unscheinbares Gebäude, irgendwo versteckt hinter anderen Häusern und kaum als Location zu identifizieren. „Aber endlich Essen“, so die Hoffnung. Pustekuchen! Catering gibt es hier und heute gar nicht, und auch sonst ist die Stimmung gedämpft. Irgendwas stimmt nicht. Keiner grüßt oder redet mit uns. Auf die Frage, ob mit dem Soundcheck begonnen werden kann, kommt ein mürrisches „jaja“. Einen Finger krumm macht dennoch niemand aus der lokalen Crew. Im Backstage herrscht Ratlosigkeit, scheinbar sind auch ein paar weniger freundliche Worte in Landessprache in Richtung von Kalle gefallen. Frust macht sich breit.
Fronterin Britta ist zwar ebenso wenig angetan, sucht das Heil aber in der Offensive und stellt die Mitarbeiter zur Rede. Es kommt heraus, dass es wohl ein Missverständnis bei der Planung gab, sodass die Club-Mitarbeiter erst kurzfristig einbestellt und wenig amüsiert von der zusätzlichen Schicht sind. Trotzdem sind sich alle einig, dass so etwas nicht an der gastierenden Band ausgelassen werden darf, aber Britta bringt es auf den Punkt: „Ist die Stimmung im Club schlecht, überträgt sich das auf uns, und wir liefern keine gute Show ab. Aber diese hat jeder einzelne Besucher, der auch noch Geld dafür bezahlt, verdient!“ Richtig! Und immerhin ist jetzt alles geklärt, und das tägliche Stelldichein läuft an.
Die Zeit nutzen Mara, ihr Ehemann Dmitry und ich, um etwas zu beißen im lokalen Supermarkt zu besorgen. Neben Brot und Aufschnitt empfiehlt das einheimische Pärchen einige regionale Salate in bunten Farben, die ebenfalls im Einkaufswagen landen. Um 19 Uhr sind wir zurück, und es gibt endlich das langersehnte Frühstück – prompt steigt die Stimmung. Im wirklich charmanten Konzertsaal tummeln sich bereits einige Gäste. Apropos charmant: Mit Tarnnetzen an der Decke und einem hölzernen Podest mit Sitzgelegenheiten ist der Klubs Meln? Piektdiena definitiv einen Besuch wert.
Auf der Bühne stehen derweil IRON WINGS, die den Abend eröffnen dürfen. Das Trio aus Riga spielt eine Mischung aus Old-School Heavy und Alternative Metal und ist mit jugendlicher Spielfreude dabei. Der große Wurf ist das nicht und gerade der Gesang offenbart einige Wackler in den klargesungenen Passagen, aber Potential ist erkennbar. STAGNANT PROJECT sind die Nächsten und offerieren Extreme Metal mit einigen Electro-Beats vom Laptop. Die Band wirkt eingespielter und insgesamt tighter als der Opener … nur beim Publikum zündet nichts. Verhalten schauen sich einzelne Besucher das Bühnengeschehen an, und trotz aller Animationsversuche seitens Sänger und Gitarristen Raul Gonzales Umberto Rapidez lässt sich das Publikum nicht umstimmen. Schade, wenngleich die Songs noch sehr chaotisch wirken und die eingestreuten Zappel-Techno-Beats eher anstrengend, ist das Material einigermaßen originell und hätte heute mehr Zuspruch verdient.
Kurz rätseln Björn und ich am Merch-Stand, ob das lettische Publikum eventuell generell reserviert ist; das soll es ja geben. Doch wie sich zeigt, liegen wir damit weit daneben. Nachdem Britta kurz vor der Show noch eine Runde dreht und sowohl die eigene als auch die Club-Crew zur Motivation abklatscht, geht es wieder einmal mit „Pressure“ direkt in die Vollen, und siehe da, es läuft. Immer mehr Menschen wagen sich vor die Bühne, und es wird explosiv. Schon bei „Jackhammer“ wird gebangt, gesprungen und mitgefeiert. Als Mara in ihrer Heimatstadt bei „Mother“ die Bühne erklimmt, brandet großer Jubel auf – Heimspiel für die Gastsängerin, und das kosten alle Beteiligten aus. Selbiges wiederholt sich beim Schlussakt „7““ und es wirkt, als könnte es kaum noch besser werden. Der Applaus ebbt nicht ab und der hauseigene Lichttechniker, einer von besagten Miesmuscheln vom Anfang, ist der Erste, der lautstark „one more song“ skandiert – und die Menge folgt. Sichtlich erleichtert und glücklich ob des Zuspruchs erklimmen CRIPPER erneut die Bretter und entlassen das Publikum und auch uns in Form von „Hyëna“ und „FAQU“ inklusive ausgestreckter Mittelfinger in den wohlverdienten Feierabend. Die obligatorischen Fotos mit den anwesenden Fans, ein paar nette Worte, und schon beginnt der Abbau.
Die letzten Tage stecken spürbar in den Knochen, und so wird das Feierabendbier auf der Fahrt zu Maras und Dmitrys Heim verputzt. Dort angekommen, sehen wir uns mit zwei riesigen Hunden konfrontiert, die es Britta besonders angetan haben. Nach kurzer Kuscheleinheit steht allerdings die Schlafeinteilung auf dem Programm. Während Kalle, Britta und Mara samt Dmitry zu dessen Eltern aufbrechen, richten wir uns für die Nacht vor Ort ein. Lommer bekommt den Küchenfußboden, und der Rest versucht sich, skeptisch von der Katze unserer Gastgeber beäugt, im spartanisch eingerichteten Wohnzimmer einzurichten. Erneut sind es wenige Stunden Schlaf, denn pünktlich um acht gilt es den Van vollzuladen und den abenteuerlich langen Rückweg anzutreten.
Am nächsten Morgen ist niemandem so richtig nach Blödsinn zumute, und so wird sich weit weniger motiviert als zuvor in das vertraute Gefährt gequetscht. Schnell ein paar Brote auf der Rückbank zubereitet, und ab geht es auf die 16-stündige Rückfahrt, die sich noch verlängern soll. Etwas aufgetaut lassen wir gemeinsam die vergangenen vier Tage Revue passieren, tauschen Highlights aus, und die Band ist sich völlig einig: Der Wahnsinn von 3.741 gefahrenen Kilometern in vier Tagen hat sich gelohnt! Nicht finanziell, denn die Gagen bleiben im Vergleich deutlich unter gewohntem Niveau, und auch die Versorgung in den Clubs ist nicht mit hiesigen Standards zu vergleichen, doch die Erlebnisse und die Erfahrung kann CRIPPER niemand nehmen … genauso wenig die zahlreich hinzugewonnenen Fans, die den ganzen Trip jeden Abend honorierten.
Einen Dämpfer hat unser Rückweg aber noch zu bieten. Während wir uns „Deadpool“ auf dem Laptop ansehen, läuft Christian plötzlich bleich an und ist kaum noch ansprechbar. Besorgt halten wir an, glücklicherweise scheint der Schwächeanfall nur kurzzeitig zu sein, denn der Bandspaßvogel ist wenig später schon wieder auf der Höhe. Ein Schelm wer denkt, es könnte an der merkwürdigen Erdbeer/Limette/Minz-Chemiekeule liegen, die wir uns, als Getränk getarnt, gegeben haben. Um Mitternacht setzt mich die Band schließlich zu Hause ab, bevor sie die restlichen drei Stunden nach Hannover in Angriff nimmt. Zum Abschied blicke ich in sehr müde aber glückliche Gesichter und nach der obligatorischen Verabschiedung geht es endlich ins heimische Bett.
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Stile | Groove Metal, Thrash Metal |
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