Crematory
CREMATORY schlagen verbal wild und ungezielt um sich

Special

Da haben sich CREMATORY mit ihrem wilden Beitrag auf Facebook ja wirklich einen Bärendienst erwiesen (wir berichteten). Erst die mögliche Auflösung und eine Tourabsage in den Raum stellen, dann ein bisschen zurückrudern und letztlich will man nur „mal ehrlich“ gewesen sein – was andere sich ja nicht trauen.

Zunächst: Es ist völlig legitim, als Band zu versuchen, seine Anhängerschaft in einer vermeintlich schwierigen Situation zu mobilisieren und um Unterstützung zu bitten. Nichts schlimmes dran – Solidarität innerhalb einer Szene zu erhoffen (und diese auch zu erfahren) ist eine tolle Sache. Natürlich will niemand vor leeren Hallen spielen, auf seiner kreativen Arbeit sitzenbleiben oder letztlich sogar auf finanziellen Verlusten hängenbleiben. Die finanzielle Situation, in der Bands oftmals stecken (und von CREMATORY kann man noch nicht einmal unbedingt als „klein“ sprechen), ist mindestens schwierig. Und kein Metal-Fan wünscht sich wirklich, dass es Bands schlecht geht, die mit Herzblut bei der Sache sind und die einer gesunden Szene guttun – wie man musikalisch zu CREMATORY steht, ist insofern für diesen Vorgang irrelevant. Was nicht irrelevant ist, ist neben dem anprangernden Grundton, der in dem Statement mitschwingt, der gewählte Adressatenkreis und die letztlich beabsichtigte Wirkung.

Ziel verfehlt – und die Falschen getroffen

Da wird munter in alle Richtungen gekeilt, und am härtesten trifft man dabei die eigenen Anhänger. So unverhohlen mit dem Ende einer Band zu drohen, denn so muss man das plakative Anreißen des Beitrags ja verstehen – „Das Ende von CREMATORY? Ist „Oblivion“ das letztes Studio-Album und im Mai die letzte Tour?“ – dürfte dem gewünschten Ziel, eben dies zu verhindern, nicht unbedingt förderlich sein. Natürlich spricht da eine Menge Frust und auch Wut aus dem Verfasser. Aber diese Gefühlsgemengelage ungefiltert über die eigenen Fans und Sympathisanten auszuschütten, das wird letztlich mehr Schaden anrichten, als Nutzen bringen. Dies zeigen auch die überwiegend negativen Reaktionen auf dieses Statement. Wäre ich Fan der Band (oder wenigstens regelmäßiger Konsument und „Unterstützer“), wäre es durchaus verständlich, wenn man sich durch „Dies wird aber nur möglich sein, wenn ihr endlich mal den Arsch hochbekommt und Tickets für die Konzerte kauft,[…]“, so Markus Jüllich (Schlagzeug), angegriffen fühlt. Hier macht der Ton die Musik – und das ganze „Kriegt euren Arsch hoch“ ist nicht plakativ, sondern knapp vorbei an einer persönlichen Beleidigung. Diejenigen nämlich, die über den Facebook-Auftritt angesprochen werden, sind am ehesten diejenigen, die dafür stehen, dass die Band überhaupt Beachtung findet, und sind somit nicht der richtige Adressatenkreis für dieses Statement.

CREMATORY – Begegnung mit einer veränderten Welt

Aber da steckt ja noch mehr drin. Viel problematischer ist doch, dass man sich hier als Band in einem Umfeld bewegt, das schwieriger geworden ist: Der Verkauf einfacher Tonträger geht tendenziell zurück, eine ganze Generation Musikfans wächst mit Streaming- und Online-Angeboten auf. In zehn Jahren werden physische Alben wohl nur noch Liebhaberstücke sein – und diese Liebhaber finden sich viel im Umfeld der Rock- und Metalszenen. Diese Digitalisierung und Veränderung der Konsumgewohnheiten ist Fakt und eine Entwicklung, die auch in der Metal-Szene nicht aufgehalten werden wird, sondern den Musikmarkt ebenso umkrempelt wie die gesamte „restliche“ Welt – vom Buch bis zum Einzelhandel. In diesem Umfeld zu bestehen wird mit einer treuen Fanschar, die bereit ist, ihr hartverdientes Geld zu investieren und eine Band bedingungslos und ohne Budgetgrenzen durch den Erwerb von Special-Editions zu supporten, sicherlich leichter. Aber zu erwarten, dass Fans eine Band ohne Wenn und Aber durch dieses System tragen – „Das Resultat ist, dass die Band nicht genügend Geld zur Verfügung hat, um das nächste Studioalbum in vernünftiger Qualität vorzufinanzieren.“, so Jüllich – und schließlich die Erwartung aufzumachen, dass eine angemessene finanzielle Reaktion auf das als Band geleistete Investment folgt, wird nicht funktionieren. Eine eindeutige Beziehung zwischen den schlechten CD-Verkäufen von CREMATORY und Streamingdiensten herzustellen – Jüllich: „Das Allerschlimmste sind Streamings bei Itunes, Spotify, Deezer, Napster und den ganzen anderen Scheiß, […]“ – ist nicht nachvollziehbar, und eine Nuance Selbstreflektion, wie eine solche Situation sonst noch entstehen könnte, ist nicht zu erkennen.

Da sind eher kreative Lösungen gefragt, denn holzschnittartig und querbeet alles zu verdammen – die Welt dreht sich eben weiter, und auch die Metal-Szene muss sich damit auseinandersetzen. Auch CREMATORY, die Teil dieses Systems sind und sich über ihre Vertriebswege selbstgewählt daran beteiligen. Davon ab: Es profitieren Bands von dieser Entwicklung, die es vielleicht auf einem anderen Weg, beispielsweise ohne Bandcamp-Präsentation und Unterstützung durch einschlägige Blogs, eben nicht geschafft hätten und mit den veränderten Gegebenheiten auch ganz gut umgehen können.

Erschwerend kommt zugegebenermaßen natürlich hinzu, dass der Markt an Konzerten und anderen Veranstaltungen – von der Metal-Party bis zur Winter-Festival-Kreuzfahrt – recht rege bespielt ist. Das Angebot ist einfach groß, auch weil viele Bands Einnahmen aus Live-Auftritten generieren müssen oder (Achtung!) gern live spielen wollen und die Gelegenheit dazu bekommen. Da muss man schon ein paar Eisen im Feuer haben (oder METALLICA sein), um ausreichend Zugkraft zu entwickeln und eine Konzerthalle ausreichend voll zu machen. Ob das CREMATORY auch auffahren kann? Zweifelhaft.

Die Zeit lässt sich eben nicht zurück drehen

Besonders herausfordernd ist aber folgendes Statement: „Das darf und kann einfach nicht so weitergehen! Das geht uns mit CREMATORY nicht alleine so, nur wir haben die Eier und sagen jetzt was Sache ist, damit die Leute endlich wachgerüttelt werden und die Wertigkeit der Musik und der Künstler honorieren und würdigen, […]“. Menschmensch, das ist schon ein Brett. Würdige ich die Musik nicht, wenn ich sie nicht physisch kaufe? Muss, wenn ein Angebot da ist, auch automatisch die Nachfrage da sein? Ist mir selbst die Problematik vielleicht nicht bewusst? Oh doch. Als Musikfan aber, der mit einem begrenzten monatlichen Einkommen sein Hobby finanzieren muss – oder besser: darf, denn immerhin ist noch Geld für Platten und Konzerte am Ende des Monats nach Essen, Miete und Kleidung übrig -, ist es meine persönliche Entscheidung, wie ich meine Ressourcen, Zeit und Geld, verteile. Und bei dem riesigen Angebot an tollen Neuveröffentlichungen und Konzerten (von Festivals gar nicht zu reden) muss ich eine wohlüberlegte Auswahl treffen. Dass damit auch Bands, die ich möglicherweise für unterstützenswert halte, hinten runter fallen können, lässt sich nicht vermeiden. Und natürlich greife ich auf die von den Labels angebotenen Möglichkeiten zurück, höre ein Album im Stream an, bevor ich es beim Händler meines Vertrauens erwerbe. Oder ich klicke auch mal auf Spotify, wenn ich im Auto sitze. Hat sich dadurch mein Gesamtbudget für Musik verändert, das ich monatlich investiere? Eher nicht. Sind meine Wahlmöglichkeiten größer geworden? Mit Sicherheit. Hat sich mein persönliches Spektrum erweitert? Aber ja. Und dennoch sind trotz all dieser Möglichkeiten Metal-Fans bei der Unterstützung „ihrer“ Bands durch den Erwerb von Tonträgern ganz weit vorne, möchte ich meinen.

Crematory – Wave Gotik Treffen 2016

Aber einen grundsätzlichen Anspruch abzuleiten, dass meine besondere Band ja gefälligst unterstützt gehört, nur weil ich womöglich lange im Geschäft bin und Spaß dabei habe, was ich tue, das ist schon ziemlich herablassend. Denn auch die Frage, wie viel man an persönlichem Vermögen oder Zeit oder wasauchimmer in eine Band investiert, bleibt jedem Musik-Fan selbst überlassen und ist letztlich auch von der Qualität der gebotenen Gegenleistung abhängig.

Somit schießen CREMATORY mit ihrem „kontroversen“ Aufruf weit über das diffuse Ziel hinaus und richten ordentlich Flurschaden an. Obwohl in der Sache zumindest ein Funken Wahrheit steckt – denn perfekt ist auch die schöne neue Streaming-Download-Digital-Welt und die Beteiligung der Künstler an ihren Segnungen sicherlich nicht.

 


Die Kolumne „St. Anger – Die Meinungsmache“ ist, wie der Name schon sagt, Meinung. Begründet, aber gefärbt, wertend und vielleicht provokativ – und jeder Artikel ist das Produkt eines kleinen Teils der Redaktion. Daher spiegelt der Inhalt des Artikels auch nicht unbedingt die Ansichten der gesamten Redaktion wider.

Quelle: https://www.facebook.com/CREMATORY/
11.03.2018

Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!

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