Cradle of Filth
Das meint die Redaktion zu "Darkly, Darkly, Venus Aversa"
Special
Zwei Jahre nach „Godspeed On The Devil’s Thunder“ lässt auch das neue Album der Briten kaum Zweifel zu: Mit „Darkly, Darkly, Venus Aversa“ haben CRADLE OF FILTH erneut ein Meisterwerk geschaffen, welches tatsächlich so schnell und brutal ist, wie es Dani Filth höchst persönlich angekündigt hatte. Davon sind auch unsere Redakteure Heiko, Eckart, Sickman und Stendahl überzeugt.
Boshafte Weiblichkeit
Das alte Thema über die Polarisierung von CRADLE OF FILTH soll hier nicht erneut bis ins kleinste Detail ausdiskutiert werden. Die kommerziell erfolgreichste britische Metal-Band nach IRON MAIDEN hat ihre Fangemeinde, und sie hat sie, so möchte man meinen, nicht umsonst. Gewachsen ist sie, parallel mit der musikalischen Hinwendung zum schillernden Düster-Bombast. Der märchenartige Extreme-Gothic-Metal von Dani Filth und seiner Gefolgschaft ist unverwechselbar und bei aller für viele schwer wiegende Erkenntnis, dass die Zeiten von „Dusk And Her Embrace“ seit einigen Jahren vorbei sind, das südenglische Gruselkabinett ist längst gegen sämtliche elitären Anfeindungen gefeit.
„Godspeed On The Devil’s Thunder“, das letzte Album der Band, ist auch aus heutiger Sicht für mich immer noch eines der Highlights der Band-History, ein düsteres, schwermütiges Konzeptalbum, das mit seiner konsequenten und alle Phasen der Band abdeckenden Umsetzung sämtliche stärken der Briten bündelte. „Darkly, Darkly, Venus Aversa“ bewirbt sich mit den Genrekollegen von DIMMU BORGIR um den dämlichsten Albumtitel des Jahres, offeriert ansonsten aber erneut einen überzeugenden, wenn auch etwas anderen Ansatz als der Vorgänger. Die Story um den real existierenden Serienmörder Gilles De Rais machte die 2008er Scheibe zu einem sehr männlichen, bösen und gewaltsamen Akt, „Darkly…“ klingt, so hat es auch Dani schon passend beschrieben, weiblicher. Lilith ist der Inbegriff der bösen Weiblichkeit, die in zahlreichen theologischen Werken auftaucht und mit ihrer Boshaftigkeit nicht nur die Männerwelt in Atem hält. Ihre Schönheit und Dominanz, der trügende Schein einer nur nach außen hin ergebenen Persönlichkeit, die ihre positiven Eigenschaften als Waffe einsetzt, um Selbstbewusstsein und Macht zu erlangen, ist entsprechend ihres Charakters zu einem Symbol für die Emanzipation geworden, für die Gleichstellung von Mann und Frau, die in den meisten religiösen Abhandlungen das ungefähre Gegenteil von selbstverständlich war.
Musikalisch lässt das neue Album mitunter Erinnerungen an „Cruelty And The Beast“ wach werden, da die hin und wieder eingestreuten weiblichen Sprech- und Gesangsparts eine ähnliche Stimmung erzeugen. Dies gilt insbesondere für die zweite Hälfte, die mit „Beyond Eleventh Hour“, „Lilith Immaculate“ und dem etwas an „The Foetus Of A New Day Kicking“ angelehnten und entsprechend eingängig-melodischen „Forgive Me Father (I Have Sinned)“ den typischen CRADLE OF FILTH-Bombast erst so richtig auslebt. Zuvor gibt es zahlreiche und teilweise überraschend schnelle Dark-Metal-Songs, deren natürlich unvermeidliche klassische Elemente eher unterstützend eingesetzt werden. Das Intro ist diesmal unerwartet kurz und schmiegt sich als düstere Overtüre übergangslos an den Opener „The Cult Of Venus Aversa“. Dieser lässt Fans der Band nicht im Regen stehen: Die erzeugte Atmosphäre, die Gitarren, Danis Gekreische und die stilprägenden Elemente sorgen für das wohltuende Gefühl, von der Band das zu bekommen, was man erwartet. Zwischenzeitlich wird es auch mal groovig, wie beim „Persecution Song“, bei dem man das Gefühl hat, dass „Thornography“ ein, zwei Punkte mehr eingefahren hätte, wenn es das symphonische Element des Bandsounds nicht so sehr außen vor gelassen hätte. „Darkly Darkly Venus Aversa“ wirkt gestraffter als das übermächtige „Godspeed“, ist insgesamt vielleicht das Album, das die (heute noch vorhandenen) Band-Trademarks am homogensten vereint – und kann insgesamt dennoch nicht mit den ganz großen Highlights mithalten. Weder mit „Godspeed“, dafür fehlt dem Album der Ideenreichtum, auch nicht mit „Midian“, das zu seiner Zeit etwas Neues war, und – logisch – die stilistische Ähnlichkeit zu den kultig verehrten Frühwerken ist nur noch sporadisch vorhanden. Dennoch, Qualität gibt es genug, und es ist weder enttäuschend noch zu grob selbstzitierend, was die Band hier abliefert, es ist verlässlich und kompositorisch hochwertig.
CRADLE OF FILTH-Jünger dürfen also, pünktlich zu Halloween, wieder in die liebgewonnene Welt eintauchen, das, was die Band kreiert, schafft nur sie in dieser Form. Auch bei „Darkly…“ macht es Spaß, sich zu gruseln, auch hier hat man als Anhänger der Band ein schlagfertiges Argument, warum CRADLE eben doch keine unbegabten ehemaligen Black Metaller sind.
For all mirrors lead to HER palace…
Heiko: 8 / 10
Überraschend und sympathisch
Fast ist man ja geneigt zu sagen: Schon wieder ein neues CRADLE-Album? Andererseits wäre dies das Eingestehen von Weltfremdheit, denn CRADLE OF FILTH veröffentlichen IMMER alle zwei Jahre ein neues Album, egal was passiert. Oder so ähnlich. Immerhin bleibt in diesen zwei Jahren immer genügend Zeit, das Line-Up neu zu ordnen, neue Ideen zu sammeln und ein neues Album ein wenig anders klingen zu lassen als seinen Vorgänger. Kurzum: „Darkly, Darkly, Venus Aversa“ ist ein Stück anders als „Godspeed On The Devil’s Thunder“, wobei die Unterschiede aber nicht gravierend ausfallen.
Das Wichtigste aber vorneweg: Der Stil des vorab veröffentlichten „Forgive Me Father (I Have Sinned)“ ist keineswegs repräsentativ für das Album: Vielmehr ist es düster, vollmundig, nicht ganz einfach zu erschließen. Das steht ein wenig im Kontrast zu der Tatsache, dass „Darkly, Darkly, Venus Aversa“ entschlackt daherkommt: „Nur“ elf Tracks und keine eigenständigen Keyboard-Interludien, allerdings auch keine offensichtlichen Hits (ausgenommen besagtes „Forgive Me Father“). Trotzdem macht die Scheibe recht viel Spaß: Auch wenn CRADLE OF FILTH ihren Stil jedes Mal aufs neue durchexerzieren, wirken die elf Songs so, als könnte man mit jedem neuen Hördurchgang doch noch etwas Neues entdecken. „Darkly, Darkly, Venus Aversa“ ist gewiss nicht das beste Album der Briten, aber in seiner Unaufgeregtheit überraschend und irgendwie sympathisch.
Eckart: 7 / 10
Perfekt ausgependelt zwischen Bombast und dem Hammer
Hoppla, gleich die ersten Töne nach dem Intro machen deutlich, dass CRADLE OF FILTH keineswegs vorhaben, denselben Weg zu gehen wie ihre wohl größte (und aus meiner Sicht unverständlicherweise auch erfolgreichere) Konkurrenz DIMMU BORGIR. Auch im weiteren Verlauf des Albums schalten die Engländer um Frontman Dani Filth nicht zurück und haben offenbar auch nicht im Sinn gehabt, ihre Musik einer breiteren Masse zugänglicher zu machen als bisher; gut so!
Symphonische Elemente kommen auch auf „Darkly, Darkly, Venus Aversa“ zum Einsatz, jedoch besitzen sie einen anderen Stellenwert als bei ihren norwegischen Kollegen. CRADLE OF FILTH nutzen das Orchester um ihre Songs zu unterstützen, während DIMMU BORGIR die Streicher ihre Melodien inzwischen regelrecht dominieren lassen. Nun, verlassen wir die Vergleiche zwischen den beiden Bands und widmen uns vollends dem Album.
CRADLE OF FILTH blasten, sägen, kreischen und hämmern so frisch und unverblümt, dass es eine wahre Freude ist, eine Band ihres Ranges zu hören, die sich nicht verbiegen lässt und einfach das macht, was ihre (alten) Fans hören wollen. Black Metal ist immer noch gegenwärtig, auch wenn man hier natürlich nicht von der reinen Lehre sprechen darf, sondern durchaus offen sein und auch Death Metal als Stilmittel benennen muss. Egal, wo diese Musik nun tatsächlich stilistisch anzusiedeln ist, denn die Hauptsache ist, dass sie funktioniert und qualitativ stimmt und das tut sie. So wie auf „Darkly, Darkly, Venus Aversa“ finde ich persönlich CRADLE OF FILTH in ihrer Eigenart unschlagbar. Alle anderen Bands, die derselben Marschroute folgen, müssen sich zwingend an ihnen messen lassen. Klasse Scheibe!
Sickman: 8 / 10
Perücken, Wendeltreppen, schwarze Spiegel
CRADLE OF FILTH haben zwar ihren eigenen Stil und verwenden stets ähnliche Stilelemente und Arrangements. ABER sie sind schon immer wieder auch Experimenten nicht abgeneigt gewesen. Mit „Godspeed On The Devils Thunder“ wurden sie wieder straighter, wandten sich ab von allzu großspurigen Ansprüchen, fegten wieder mit den an frühe MAIDEN erinnernden Leads durch ihre Labyrinthe. „Darkly, Darkly Venus Aversa“ nun setzt dort an. Selbstredend musiziert ein klassischer Background, ohne jedoch diese schwelgend-überbordende Filmmusikatmosphäre zu kreieren wie es etwa bei den Brüdern aus Norwegen soeben vorgemacht wurde. Der Vordergrund wird bestimmt durch Danis Vocals, welche nicht mehr so kreischen wie einst, was mir gefällt; sein Gefauche reicht für die Vampirjagd.
Das Album eröffnet mit vier sehr schnellen und harten Songs so aggressiv wie nie. Weder werden Melodien im Dutzend in die Songs gestreut noch wird Gothic-Bombast eingeflochten. Das gefällt mir sehr. Auch die rockiger anmutende Gitarrenfraktion , welche feine Soli einflicht (z.B. „Harlot On A Pedestal“) und griffiges Riffing brettern, verweisen darauf, dass CRADLE zwar Klassik integrieren, der metallische Anteil jedoch dominieren soll. Im Laufe des Album hören wir bisweilen auch Lillith, allerdings zumeist (Ausnahme „Lillith Immaculate“ und „Forgive Me Father I Have Sinned“) beiläufig als Eröffnung oder Ergänzung der von Dani wie gehabt inbrünstig-hektisch vorgetragenen Dramen von Überlänge.
Wir hören vorsichtige Chöre im Hintergrund, welche eine unheilschwangere Atmosphäre kreieren. Hier haben wir eine Band, die durchaus kitschig anmutende Elemente in ihre Songs einbaut, ohne dass Selbige überborden, eben nur als lässiges Stilmittel, das von Härte konterkariert wird, und nicht dieses Angebiedere, wie es uns vor allem bei deutschen Metal Bands so gerne begegnet, Zucker auf Sahne auf Quarkkringel, weil es eben an nötiger Substanz und Qualität fehlt.
An diesem Orte jedoch nicht, denn wir befinden uns im viktorianischen England. CRADLE kommen nicht zur Ruhe, John Alucard ist unterwegs, Van Helsing ebenso, wer wird das Rennen machen? Mir gefällt das Album wieder einmal gut, es wird oft gehört werden können, da es komplexe Songstrukturen, wilde Breaks, muntere Bridges und so einiges an dunklem Kristall enthält. Man muss die intriganten Briten einfach hervorheben, daher 9 Punkte.
Stendahl: 9 / 10