Burzum
Gibt es ein Leben nach dem Knast?
Special
Dass von BURZUM dieser Tage ein neues Album erscheint, hat sicher jeder schon gehört, der an dem norwegischen Projekt auch nur das geringste Interesse hat. Bleibt die Frage zu beantworten, was von Varg Vikernes‘ musikalischem Talent nach all den Jahren hinter schwedischen Gardinen noch übrig ist. Und eventuell viel wichtiger: Darf man an der Antwort auf diese Frage überhaupt interessiert sein? Beides wollen wir im Folgenden ergründen.
Knut Hamsun erhielt 1920 den Nobelpreis für Literatur. Während der dreißiger Jahre wurde er nicht müde, Hitler zu bewundern, und später unterstützte er öffentlich das Marionettenregime von Vidkun Quisling. Dennoch kann man heutzutage „Segen der Erde“, das Hauptwerk des Norwegers, lesen, ohne deswegen als politischer Gesinnungsgenosse von Hamsun zu gelten. Erstens deshalb, weil der Künstler Hamsun dem politischen Menschen Hamsun in seinen Büchern wenig bis keinen Platz einräumt, und zweitens, weil die politischen Irrungen Hamsuns die Öffentlichkeit erst erreichten, nachdem der Schriftsteller Feder und Tinte an den Nagel gehängt hatte.
Ähnliches konnte man bis vor Kurzem von BURZUM behaupten: Die Musik lag irgendwo in den Morgennebeln des norwegischen Black Metals, da ist es doch relativ egal, was Varg Quisling Vikernes hinter Gittern von sich gibt. Auch wurde der Politiker Vikernes wohl erst durch die Langeweile, die Eintönigkeit und die Realitäten des Knastdaseins aktiviert. Den Texten der BURZUM-Alben jedenfalls kann man nicht ernsthaft politische Inhalte unterstellen; die waren mitunter trivial („When night falls / She cloaks the world / In impenetrable darkness“), gelegentlich auch mal recht poetisch (besonders auf „Hvis Lyset Tar Oss“), aber keine weltanschauliche Propaganda. Dieser hat sich Vikernes im großen Stil erst in seinem 1997 erschienenen Buch „Vargsmål“ zugewandt, nachdem BURZUM als Metalprojekt vorerst gestorben war. Diese recht klare Rollenverteilung (BURZUM = gut, Varg = böse) samt zeitlicher Trennung war einfach und übersichtlich, und deshalb wäre es schön gewesen, wenn Vikernes wenigstens dieses Versprechen mal hätte halten können: Sich auf seine Farm zurückzuziehen und seine Zeit der Familie zu widmen. Doch die Versprechungen und Interviewaussagen des Count G. waren noch nie besonders verlässlich, und außerdem kann er als ewiger Unruhestifter wohl auch gar nicht anders: Am 8.3. erscheint ein neues BURZUM-Album, um die Anhänger zu verzücken, die Gegner zur Weißglut zu treiben und die Skeptiker vor die Frage zu stellen: Was nun?
Diese müssen auch wir für uns beantworten, denn während BURZUM der jungen zweiten Welle des Black Metal lebenswichtige musikalische Impulse gegeben hat, ist der Mörder und Brandstifter Varg Vikernes mehr oder weniger allein dafür verantwortlich, dass Black Metal seinerzeit in Norwegen und dem Rest der Welt dermaßen explodiert ist. Ohne den Mord und die Schlagzeilen wäre Black Metal niemals so populär geworden. Oder anders ausgedrückt: Ohne Varg Vikernes wären DIMMU BORGIR heute möglicherweise nicht bei Nuclear Blast unter Vertrag. Ohne Varg Vikernes hätten viele, die diese Zeilen lesen, nie etwas von Black Metal gehört. Ein neues BURZUM-Album kann man als Metal-Magazin also nicht einfach totschweigen. Was uns vor ein Dilemma stellt: Was tun, wenn „Belus“ tatsächlich das schwarzmetallische Nonplusultra ist? Kann man das Werk eines Künstlers in den Himmel loben, der die angebliche jüdische Weltverschwörung auch anno 2010 für das dringendste Problem der Gegenwart hält, selbst wenn er nach eigener Aussage kein „Nazi“ mehr ist?
Nun, letztendlich kann es nicht Aufgabe eines Musikmagazins sein, seine Leser zu bevormunden. Unsere Verantwortung, wenn man ein so hochgestochenes Wort denn benutzen will, liegt darin, unsere Leser mit vielseitigen und umfassenden Informationen zu versorgen. Alles Andere überlassen wir gerne den Propagandaabteilungen wie auch immer ausgerichteter politischer Organisationen. Und seien wir doch mal ehrlich: Niemand wird durch diese Zeilen das erste Mal davon hören, dass BURZUM wieder unter den Lebenden weilt. Neuigkeiten dieser Größenordnung verschwinden nur durch unser Schweigen nicht aus der Welt. Noch bevor man den ersten Ton von „Belus“ gehört hat, ist also klar, dass man das Album unmöglich objektiv beurteilen kann. Auf BURZUM lastet eine unglaubliche historische Bürde. Dennoch wollen wir versuchen, „Belus“ halbwegs unvoreingenommen und nüchtern unter die Lupe zu nehmen – ohne Verteufelungen, ohne blinde Götzenanbetung.
Anfangen sollten wir vielleicht damit, was „Belus“ alles nicht ist. Auf keinen Fall etwa ist das Album bahnbrechend oder wegweisend. Das ist für BURZUM-Verhältnisse etwas ganz Neues, denn die bisherigen Metal-Scheiben waren alle mehr oder weniger stilprägend. Auch zwingende Hits für die Ewigkeit hat das Teil nicht unbedingt zu bieten, Übersongs der Marke „My Journey to the Stars“, „Lost Wisdom“ oder „Det Som En Gang Var“ sucht man vergebens. Vorbei sind nicht zuletzt die Zeiten, als Varg Vikernes noch wie ein Besessener geschrien hat. Leidenschaftliche Ausbrüche wie beispielsweise das Finale von „Inn I Slottet Fra Drømmen“ gehören wohl für immer der Vergangenheit an.
Was also ist „Belus“ dann?
Ein überraschend gutes Stück Black Metal. Aber das heißt ja nicht viel, reflektiert es doch in erster Linie die Erwartungen des Hörers. Deswegen muss man deutlicher sagen: „Belus“ ist ein richtig gutes Album geworden. Gibt man der Scheibe etwas Zeit, verfliegt die anfänglich Ernüchterung allmählich und man stellt fest: Das hier ist wirklich BURZUM, es klingt nach BURZUM und fühlt sich vor allen Dingen wie BURZUM an. „Belus“ – und dafür werden alte Freunde BURZUMschen Schaffens dankbar sein – lässt das BURZUM-Erbe intakt.
Völlig gewandelt hat sich allerdings die Art, wie BURZUM wirkt. Früher war ein neues BURZUM-Album etwas tatsächlich Neues, „Belus“ dagegen ist wie ein alter Bekannter, den man sofort wiedererkennt, den man aber in den Jahren etwas aus den Augen verloren hat und mit dem man deshalb erstmal warm werden muss. Dann aber kommen die Erinnerungen hoch. „Belus“ ist, um es ganz kurz zusammenzufassen, ein verdammt nostalgisches Album. Zugeständnisse an die Neuzeit gibt es keine, es ist fast, als wäre Vikernes nie im Knast gewesen. Das unterstreicht auch die Tatsache, dass es unmöglich ist, die einzelnen Lieder zeitlich zuzuordnen, obwohl die ältesten Sachen schon Anfang der Neunziger entstanden sein sollen und das neueste Material tatsächlich frisch ist. Stilistisch ist die Scheibe am ehesten eine Fortführung von „Filosofem“, wenngleich man sich produktionstechnisch deutlich mehr Mühe gegeben hat. Beim ersten Durchlauf fallen vor Allem zwei Stücke auf, „Belus‘ Død“, das verdammt nah an „Jesu Død“ angelehnt ist, und „Sverddans“, welches wie das thrashige Gegenstück zum eher punkigen „War“ daherkommt und mit diesem um den Titel der schlechtesten BURZUM-Komposition überhaupt ringt.
Dass BURZUM eine halbe Ewigkeit auf Eis lag, merkt man am ehesten daran, dass die Scheibe viel gesetzter wirkt, als man das von Varg Vikernes gewohnt ist. Es sind nicht mehr Flammen der Leidenschaft, die einem da entgegenschlagen, das Lodern ist einer stillen Glut gewichen. Doch erloschen ist diese Glut noch lange nicht und sorgt so für jede Menge Wärme, wie am besten wohl das ziemlich großartige „Glemselens Elv“ beweist. Dieses verträumte Endlosstück sorgt mit seinem halb gesungenen Sprechgesang für genau jene hypnotische Stimmung, die für BURZUM so charakteristisch ist. Diese simplen Gitarrenmelodien gehen direkt unter die Haut – genau das versuchen Tausende von Epigonen seit mehr als 15 Jahren. Wenn man mit BURZUMs Musik jemals etwas anfangen konnte, so kommt man nicht umhin einzugestehen: Es ist schön, dass diese Aufnahmen veröffentlicht werden – ganz egal, was Varg Vikernes für ein Mensch ist. Schön ist auch, dass Politik im Werke BURZUMs nach wie vor nichts zu suchen hat. Die Texte lesen sich in der deutschen Übersetzung zwar überraschend schrecklich, aber eine politische Botschaft findet man in ihnen nur mit viel Fantasie und noch mehr böser Absicht.
Obwohl Varg Vikernes an dieser Hysterie bei der Interpretation seiner Worte natürlich nicht ganz unschuldig ist: Wer über Jahre hinweg in diversen Interviews und Artikeln alles Mögliche erzählt, der darf sich nicht wundern, wenn plötzlich auch in völlig harmlos gemeinte Dinge alles Mögliche reininterpretiert wird. Eine beinahe amüsante Anekdote ist hierbei der Aufschrei, den der ursprünglich geplante Albumtitel „Den Hvite Guden“ (Der Weiße Gott) auslöste, der – es handelt sich schließlich um BURZUM – natürlich nur rassistisch gemeint sein konnte, auch wenn es lediglich um Baldur geht. Ironischerweise gab es um den Namen des extra für die neue Scheibe gegründeten Labels Byelobog Productions keinerlei Diskussionen. Byelobog besteht aus den Worten byelo (= weiß) und bog (= Gott).
„Belus“ ist in seiner Gesamtheit sicher kein „Hvis Lyset Tar Oss“, aber derlei Göttergaben kriegt selbst Varg Vikernes nicht jeden Tag hin. Immerhin jedoch ist die Scheibe durchaus auf dem Niveau von „Filosofem“ anzusiedeln (auch wenn diese Einschätzung geschmacksbedingt etwas schwanken wird), und das ist nach all den Jahren und all den dummen Sprüchen von arischen Keyboards ja durchaus ein kleines Wunder. Natürlich wird das Album keinen Gegner überzeugen, aber das war auch nicht zu erwarten, schon allein deshalb, weil die erbittertsten Widersacher für gemeinhin mit Black Metal nicht viel anfangen können. Ein Werk für Leute also, die BURZUM kennen und zu schätzen wissen und somit so ziemlich genau das, was Vikernes versprochen hat: „Will my music be any good? My guess is that if You like BURZUM You like BURZUM. If You don’t You don’t. I do try to change all the time, but most of the time I fail, and many appreciate that. Others don’t.“
Varg Vikernes ist – das kann man kaum schönreden – mit den Jahren nicht bedeutend vernünftiger geworden und wird nicht müde, in Interviews groben Unsinn zu erzählen. Dennoch ist er ein zweifellos einflussreicher und für die große Mehrheit der Black-Metal-Anhänger auch äußerst begabter Musiker. Das kann man genauso wenig wegdiskutieren wie seine rassistischen Äußerungen. Wahrscheinlich muss man einfach akzeptieren, dass Künstler mitunter auch kräftig einen an der Waffel haben können. Man denke nur an Stockhausen, der die Anschläge vom 11. September als das „größte Kunstwerk, was es je gegeben hat“ bezeichnet hat. Natürlich heißt das nicht, dass jeder in der Lage sein muss, „Belus“ zu genießen. Geschweige denn, dass man den Künstler finanziell unterstützen muss. Man kann, allen außermusikalischen Aktivitäten des Protagonisten zum Trotz, aber ganz nüchtern festhalten, dass „Belus“ ein gutes Album ist. Wie mit dieser Tatsache umzugehen ist, können (und wollen) wir allerdings niemandem vorschreiben.
[Verfasst von Erik. Kritisch, konstruktiv und kreativ unterstützt durch: Beta, Falk, Christoph, Neur0, Jens, Alboin.]
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