Britney Spears
Ein sadomasochistisches Leben.
Special
Pop
Label/Kontakt: Musicrama
1 Song (03:25)
Webseite: www.britneyspears.com
Von mehr oder weniger nihilistischen Proleten als „geile, dreckige Schlampe“ missverstanden, setzt sich Britney mit ’I’m A Slave 4 U’ nicht etwa selbst ein Denkmal, sondern nimmt den potentiell desorientierten Rezipienten vielmehr an die Hand, um ihn in völlig neue, noch nie zuvor erfahrbare, antiepigonale Sphären zu leiten („To another time and place“). Unterstützt wird sie von einem atemberaubenden Beat-Korsett, dessen basslastige Enge den Körper förmlich zum Ort der Befreiung zwingt. Unvermittelt findet man sich also dank den Neptunes auf einer Tanzfläche an der Realisierung der Primäre-und-sekundäre-Geschlechtsmerkmale-für-die-Zukunft-shaken-Vision aus „Matrix: Reloaded“ beteiligt. Der Club bebt und der Underground lebt, wenn sich Merzbow, Mozart und Michael Jackson in den Arm nehmen, um den Freedom-Mosh zu entfachen. Dass es dabei eine Frau ist – das Mädchen wird erwachsen und klagt an („Always saying little girl don’t step into the club. Well I’m just tryin‘ to find out why cause dancing’s what I love.“) -, die hier in Heilsbringer-Funktion die frohe Botschaft verkündet, macht die Sache nur noch revolutionärer. So erschafft Britney aus Pop und Destruktion den Thron für das Neue und befreit sich ganz nebenbei von überholten tautologischen Folgerungen der Marke „Blond und minderbemittelt“. Transzendiert werden die Quellen des Alten, um zur Schaffung eines neuen, geschlechterübergreifenden Verständnisses durch parallele Rollenakzeptanz und –ignoranz, als Vorstufe zum Aufbruch ins gemeinsame Bewusstsein, beizutragen („Leaving behind my name, my age“).
Unterstützt wird das Brit-Babe auf ihrer Mission vom kongenialen Bilderrausch. In diesem zeigt sich die Protagonistin in einem die körperliche Hülle eng umspannenden, rosafarbenen Oberteil, welches Betonung der Mutter-Merkmale und Friedenssymbolik raffiniert verbindet. Das ansonsten bewusst schmutzig gehaltene Video lehnt sich in seiner subversiven Ästhetik dabei nicht nur an das Industrial-Genre an, sondern findet seine Wurzeln letztlich in der Historie der Trümmerfrauen, welche nach dem Ende des 2. Weltkrieges einmal mehr den Etappentriumph des Weiblichen abseits einer pseudoautonomen Sexualbetonung, die in Wirklichkeit viel zu oft mit männlichen Idealvorstellungen konform geht, feierten. Britney ist sich bewusst, dass die moderne, attraktive Frau eine Gefangene ihres eigenen Körpers ist („I won’t deny it, I’m not trying to hide it“). Die verzweifelte Erkenntnis darüber, dass die extropianische Transformation zum erhabenen Überwesen auch für Illuminierte in weiter Ferne zu schweben scheint, manifestiert sich in der Folge in der titelgebenden Textlinie „I’m a slave for you“. Selbige Zeile, die oberflächlich hintergründig betrachtet einen Aufschrei des Feminismus darstellt, wird von Brit mit einer Mischung aus universalem Weltschmerz, persönlicher Qual und roboterhaft-resignierter Androgynität intoniert. Diesem Vortrag schließen sich jeweils mehrere verzweifelte Keuch-Laute an, in welchen die geschundenen Frauenseelen einen letzten Widerhall erleben – das letzte Aufstöhnen einer Frau also, die sich scheinbar in ihr Schicksal ergibt, nur um im gleichen Augenblick ihre Stimme und ihren Körper als Waffe zu entdecken. Angriffslustig gibt sie sich, wenn sie wiederholt „Get it, get it!“ fordert. Leugnung von Macht („I cannot control it“) wird so beinahe zur freudigen Selbsterfahrung. Wer die rhythmisch pulsierenden Bewegungen ihres zum Phallus mutierten Leibes betrachtet, der spürt instinktiv, wie nahe sich Kampf und Sexualität nicht nur in diesem Moment sind. Sperma und Muttermilch als Eitersaft der Schöpfung gehen Hand in Hand mit dem Blut der im Namen des Fortschritts Gefallenen. Doch diesmal gewinnen alle. Wie einen Bumerang richtet Britney die weibliche Sexualität einer von Männern dominierten Welt entgegen – nicht um sie zu vernichten, wie manch voreiliger Unterdrücker meinen mag, sondern um einander auf gleicher Ebene zu begegnen und die Möglichkeit zur Kommunikation zu eröffnen.
’I’m A Slave 4 U’ (man beachte den orwellesken Neuschreib!) ist folglich Unterwerfungsgeste und Befreiung zugleich. Sado und Maso bedingen einander, können nur gemeinsam in eine hoffnungsvolle Zukunft blicken. Denn Hoffnung bedeutet Leben und nur das Leben ermöglicht Zukunft. Und was uns einst wie Populäravantgarde erschien, wird vielleicht schon bald zur universalen Wahrheit erkoren. Jedweder Relativierungsversuch verbietet sich in diesem Fall aus purer Ehrfurcht. Ja, Britney, so darfst du auch ohne roten Ganzkörperanzug unsere Sklavin sein. Du verlottertes Luder!
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