Bring Me The Horizon
Das meint die Redaktion zu "Sempiternal"
Special
„Sempiternal“ ist einfach ein atemberaubendes Album. Die Produktion ist sauber, druckvoll, aber niemals klinisch rein (was ist das für ein genialer Snare-Sound!), das Artwork ist schlicht und schön, die Lyrics sind um ein Vielfaches besser, als man es von BRING ME THE HORIZON gewohnt ist. „Sleepwalker“ ist einer der besten Songs der letzten Jahre, und Sykes‘ hinzugewonnener Klargesang, der bereits im Opener „Can You Feel My Heart“ angerissen wird und in „And The Snakes Start To Sing“ seinen Höhepunkt erreicht, verleiht der Scheibe eine glanzvolle Atmosphäre, die man woanders so nicht findet. Eine Gänsehaut jagt die nächste – oft bin ich den Tränen nah. „Seen It All Before“ ist derart emotional und heftig zugleich, dass man sich hier und dort fragen muss, woher BRING ME THE HORIZON eigentlich diese geballte Energie nehmen.
Keiner der Vorgänger reicht nur ansatzweise an das heran, was man nun in einer Dreiviertelstunde geboten bekommt. Wer schon immer wissen wollte, wie eine Kombination aus FROM AUTUMN TO ASHES und jüngeren LINKIN PARK klingt, sprintet jetzt ganz schnell in den Saturn nebenan oder tippt Amazon in seine Adressleiste ein – iTunes reicht uns nicht; von dieser Platte brauchen wir unser persönliches Original. Und wenn du meinst, dieses Meisterwerk ist sein Geld nicht wert? Well, to that I say you’re a cunt.
(Michael vom Feld | 9/10 Punkte)
Es gab eine Zeit, da kam ich in einem Teil meines privaten Umfelds um BRING ME THE HORIZON T-Shirts nicht herum. Ich für meinen Teil konnte mit den Briten aber nie so recht etwas anfangen, was auch heißt, ich bin mit ihrer Diskographie nicht soweit vertraut wie einige meiner Kollegen. Aber irgendwie überwog bei „Sempiternal“ doch die Neugier, schließlich hat mir ein Teil der Herrschaften hier schon ARCHITECTS aufs Auge gedrückt und die haben mich wirklich süchtig gemacht.
Gut, das wird mit „Sempiternal“ nicht passieren, auch wenn das Album besser ist, als ich je erwartet habe. Allein mit „And The Snakes Start To Sing“ gibt es zumindest überraschenderweise einen richtig, richtig starken Song, der Rest pendelt sich irgendwo zwischen sehr gut und ziemlich mäßig ein. Generell liegt die Stärke von BRING ME THE HORIZON im Zusammenspiel aus elektronischen Elementen mit teils richtig geilen Hooks und einem wirklich starken Sänger. Dem gegenüber stehen aber die härteren Passagen, die mir tatsächlich eigentlich nur auf den Keks gehen. Irgendwo zwischen überbrodelnder Core-Energie und übermotiviert aufgesetzer moderner Agression, die schon beim Nu Metal auf Dauer anstrengend war. Ja, Songs wie „Anti-Visit“ können mir nur ein müdes Schulterzucken entlocken und das trotz durchaus vorhandener Eingängigkeit.
Für mich bleiben BRING ME THE HORIZON immer noch eher eine Randerscheinung mit teils coolen Songs, aber auch einer Menge Material, das mich überhaupt nicht anfixt. Teils zu aufgesetzt hart, teils zu krass auf den nächsten großen Refrain aus, da ist alles was sie dazwischen fabrizieren deutlich ansprechender. Klar ist „Sempiternal“ ein ordentlich abwechlungsreiches und übermäßig fett produziertes Album geworden, das Fan-Herzen höher schlagen, aber meines eben doch eher kalt lässt. Ganz nett, aber irgendwo doch nicht das große Getöse, das beständig um die Band gemacht wird, wert.
(Jan Wischkowski | 6/10 Punkte)
Viel gesagt werden muss zu BRING ME THE HORIZON ja nicht mehr. Die Sheffielder Band um Sänger Oliver Sykes zählt mittlerweile unumstritten zur Speerspitze junger, britischer Metal-Bands. Der riesige Hype um die Truppe sorgt seit jeher für Kontroversen. Dennoch muss man anerkennen, dass die Band, die optisch alle Klischees der standardisierten Deathcore-Boygroup erfüllt, sich musikalisch immer wieder geschickt vom Einheitsbrei eben dieser Bewegung absetzt. Ich persönlich konnte den ersten beiden Werken der Gruppe nie viel abgewinnen, was sich mit dem Drittling „There Is A Hell, Believe Me I’ve Seen It. There Is A Heaven, Let’s Keep It A Secret“ jedoch änderte. Auf den neuesten Output, der auf den Namen „Sempiternal” hört, war ich also besonders gespannt.
Der Opener „Can You Feel My Heart“ ist bereits eine große Überraschung, gibt es doch im Gegensatz zum Vorgänger statt einem Deathcore-Wutbrocken direkt eine ordentliche Synthie-Breitseite. Natürlich haben BMTH auch in der Vergangenheit elektronische Elemente verwendet, so deutlich haben diese aber bisher nie die Federführung in einem Song übernommen. Richtungsweisend für das ganze Album? Ja – und nicht nur in dieser Hinsicht. Direkt nach dem Auftakt wird die Aggressivität merklich heruntergeschraubt und die Strophe präsentiert sich zurückgenommen und atmosphärisch. Sykes zeigt sich textlich von einer ungewohnt sentimentalen, beinahe selbstreflektiven Seite – die einstigen Krawallbrüder sind erwachsen geworden!
Die jugendliche Partylaune ist nun endgültig einer ruhigeren, nachdenklicheren Perspektive gewichen. Die Kompositionen gehen nicht mehr so rasant nach vorne wie noch auf dem Erstling, dafür beweisen die Briten ein gutes Gespür für epischere, breitere Refrains. Elektronische Elemente sind dabei so stark wie nie in den Sound eingebunden, der vermehrte Einsatz von Chören und cleanem Gesang tun ihr übriges. Sykes‘ Stimme wirkt dabei variabler als je zuvor. Fans der ersten Stunde müssen sich dennoch keine Sorgen um ihre Vorzeige-Deathcore-Kapelle machen. Natürlich gibt es auch nach wie vor brutale Ausbrüche, Moshpart und Breakdowns, diese werden jedoch gezielt dosiert und nicht mehr in blinder Raserei eingesetzt und treffen dafür umso böser.
Ein starkes Album von BRING ME THE HORIZON also, leider aber nicht ohne Fehl und Tadel. Neben tollen Songs wie „Sleepwalking“ oder „Shadow Moses“ befindet sich auf der Scheibe leider auch der ein oder andere Durchhänger. So gibt es also am Ende „nur“ starke sieben Punkte.
(Tim Helms | 7/10 Punkte)
Bei BRING ME THE HORIZON habe ich mich stets ein wenig geschämt. Nicht etwa für den in der „Fachpresse“ dauerhaft diskutierten Frontmann Oli Sykes, nicht für dessen Emo-Frisur, nicht für seinen Auftritt bei MTV-Cribs, nicht für seine zur Schau gestellten Beziehungen zu irgendwelchen blondierten Mädels, nicht für seine PETA-Aktivitäten, nicht für seine Drop-Dead-Unterhemden und auch nicht für sein peinliches Rap-Projekt WOMB 2 DA TOMB oder irgendeinen anderen Scheiß, der im Prinzip so uninteressant ist wie die Kaffeefahrtberichte meiner Oma.
Nein, ich war stets beschämt, dass sich die Metalszene, die sowieso so weit von einer homogenen Masse entfernt ist wie keine andere, beim Thema BRING ME THE HORIZON stets von ihrer unschönsten, intolerantesten Seite zeigte. Und mit steigendem Erfolg nahmen die Ausmaße des Neids und des Hasses, der den fünf Jungs entgegenschlug, Dimensionen an, die in der Vergangenheit von regelmäßigen verbalen Aussetzern auf Konzerten über illustres Becherwerfen bis hin zu tätlichen Angriffen reichten, und immer wieder rückten die oben genannten Themen in den Fokus, die leider so rein gar nichts mit der Musik der Engländer zu tun hatten. Dabei ist spätestens seit „Suicide Season“ klar: BRING ME THE HORIZON gehören zu den innovativsten, kreativsten und interessantesten Vertretern des modernen Metals. Was Jona Weinhofen und Sykes in den letzten Jahren aus dieser einst lumpigen Deathcore-Kapelle gemacht haben, überrascht und begeistert bei jedem Output. Und so ist es auch kein Wunder, dass „Sempiternal“, das vierte Studioalbum, mal wieder ganz oben mitspielt.
Kommt der Opener „Can You Feel My Heart“ gänzlich ungewohnt weil sehr elektrolastig daher, catchen einen Brecher wie „The House Of Wolves“ oder das durch die Chöre wuchtig wirkende „Empire“ von der ersten Minute an. Abwechslung wird wie immer groß geschrieben, seien es die etwas ruhigeren, mit dezenten Post-Core-Elementen versehenen Tracks wie „Sleepwalking“ oder „Seen It All Before“, knallharte Songs wie das angepisste „Anti-Vist“, oder die waschechte, aber zu keiner Sekunde verweichlicht wirkende Ballade „And The Snakes Start To Sing“, die im Refrain gerne mal Gänsehaut verursacht: Langweilig wird einem hier nie. Was sich in der Vergangenheit oft angedeutet hat, ist nun endgültig Realität geworden: Oli Sykes hat eine wunderbare, klare Singstimme, und die setzt er dieses Mal auch gekonnt ein. Sein Spektrum, das von Wimmern über bitterböse Shouts und Growls bis eben zum vollmundigen Gesang reicht, unterstützt die emotionale Achterbahnfahrt auf „Sempiternal“ sehr treffend, genauso wie die guten Riffs und die immer wieder einsetzenden Elektro-Samples, die wie zum Beispiel in „Crooked Young“ die Stimmung unterstreichen, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Der Abschluss dieses nahezu perfekten Werkes gibt dann einen ungewohnten Einblick in die Seele des Fronters – „Hospital For Souls“ ist mit seinen Interview-Ausschnitten und sehr persönlichen Texten zweifelsohne so etwas wie eine Selbstoffenbarung, die zum Nachdenken anregt.
Nach diesen 45 Minuten ist klar: „Sempiternal“ wird mit seinen Neuerungen, seiner oftmals sanfteren Gangart und den vermehrten klaren Gesangslinien an viele Ecken anstoßen. Trotzdem ist es für meinen Geschmack der bisher größte Wurf der Band, denn ohne einen einzigen Durchhänger, mit massig Refrains und überraschenden Momenten und einer Wahnsinns-Emotion fesselt das Album von der ersten bis zur letzten Minute. Das ist moderner Metal wie er klingen sollte, und der Erfolg, der sich mit dieser Scheibe zweifelsohne einstellen wird, sei den Jungs wieder einmal gegönnt. Hut ab!
(Fabian Just | 9/10 Punkte)