Black Sabbath
Die Tony-Martin-Jahre: Special zum Boxset "Anno Domini 1989 – 1995"
Special
Die neun Jahre in der Geschichte von BLACK SABBATH, in denen Tony Martin der Band als Sänger vorstand, sind die wahrscheinlich unterbewertetste Ära einer Rock- oder Metal-Band in ihrer nicht-klassischen Besetzung. Viele Jahre waren diese Alben sogar offiziell gar nicht mehr erhältlich und wurden in jeglichem Format in einschlägigen Portalen für fünfzig Euro aufwärts gehandelt. Anstalten, die Alben gebührend wiederzuveröffentlichen, gab es lange keine, was vor allem Tony Martin stets ärgerte. Lange hatte man fast den Eindruck, diese Phase der Bandgeschichte würde bewusst verheimlicht werden.
Diese Schande wollen BMG jetzt in vorbildlicher Wiese ausgleichen und haben vier der fünf Martin-Alben ein Boxset spendiert, das kaum Wünsche offen lässt. Das gutklassige “The Eternal Idol”-Album von 1987, welches Martin ungeplant und kurzfristig einsang, ist übrigens nicht Teil der Box, weil die Rechte dafür bei Warner und nicht bei BMG liegen.
Kurzer Rock-‘n’-Roll-historischer Rückgriff
Kontextualisieren wir ein wenig: In den Achtzigern war das größte Problem von BLACK SABBATH mangelnde personelle Konsistenz. Vor allem die Position eines geeigneten Sängers zu füllen, gestaltete sich nach dem Abschied Ronnie James Dios problematisch. Ian Gillan von DEEP PURPLE passte in der Theorie besser als in der Praxis und ging nach “Born Again” (1983) wieder. Glenn Hughes machte auf dem Quasi-Iommi-Soloalbum “Seventh Star” (1986) einen guten Job, allerdings gebührte dem Material nie genug Wertschätzung, da es sich für viele zu stark vom typischen Sabbath-Sound entfernt hatte. “The Eternal Idol” – ein grundsolides Hard-Rock-Album im Zeitgeist – wurde ursprünglich von Ray Gillen (BADLANDS) eingesungen, der die Band wegen Unstimmigkeiten mit dem Management schnell wieder verlässt und somit von Tony Martin ersetzt wird. Die chaotischen Umstände – die kurzlebige Besetzung bestand ansonsten aus Bob Daisly und Eric Singer – sind allerdings hörbar.
BLACK SABBATH mit “Headless Cross” im dritten Frühling
Es entpuppt sich als Segen für Tony Iommi, dass Martin sich bei BLACK SABBATH als geeigneter Frontmann beweisen möchte und deshalb trotz ungestümer Zeiten in der Band bleibt. Der Erfinder des Metal-Riffs braucht in dieser Zeit dringend Konstanten in der Band, die ihn unterstützen. Eine solche findet er auch in Drummer Cozy Powell, der mit ihm und Keyboarder Geoff Nicholls gemeinsam das Gros der Musik schreibt. Da die Band zu der Zeit noch keinen festen Bassisten findet, springt der technisch versierte Jazz-Bassist Laurence Cottle im Hintergrund ein.
Unter diesen Umständen bringen BLACK SABBATH 1989 mit “Headless Cross” ihr bestes Album seit Jahren heraus. Musikalisch zwischen “Heaven & Hell” und leichten Zügen von “Seventh Star” angesiedelt, ausgewogen balanciert zwischen schleppender Düsternis und typischer Achtziger-Bombast-Produktion, bietet “Headless Cross” von vorne bis hinten nichts als Hits. Der ikonische Titeltrack, melodische Ohrwürmer wie “Devil & Daughter”, “Kill In The Spirit World” oder “Black Moon” oder atmosphärische Doomer à la “When Death Calls” und “Nightwing” zählen zu den besten Songs der Band überhaupt. Tony Martin singt wie ein Gott aus der Unterwelt und beweist, dass er der technisch versierteste Sänger der Band war, auch wenn er das Charisma von Ozzy oder Dio natürlich schwer erreichen kann.
10/10
BLACK SABBATH goes Vikings: “Tyr”
Da “Headless Cross” ein voller Erfolg ist, die Band verstärkt um den ehemaligen WHITESNAKE-Bassisten Neil Murray auf Tour zu Höchstformen aufläuft und Tony Martin von allen Seiten attestiert wird, sowohl die Dio- als auch die Ozzy-Songs auf seine Weise gekonnt zu interpretieren, begeben sich BLACK SABBATH hochmotiviert schon im Frühjahr 1990 wieder ins Studio um das in Teamarbeit entstandene “Tyr” aufzunehmen. Nachdem sie bezüglich des Vorgängers das Gefühl hatten, Okkultismus und Horror hinreichend verarbeitet zu haben, beschlossen sie, anderen Aspekten der Folklore auf dem Album Platz zu geben. Wikinger und BLACK SABBATH? Ein Ausflug, der funktioniert.
Das SKYCLAD-artige Artwork nimmt vorweg, dass “Tyr” eine der ungewöhnlichsten Alben der Band ist – aber ähnlich wie “Headless Cross” eines ihrer besten. SABBATH gefallen sich als melodische Heavy-Metal-Band im Stile der späten Achtziger und bedienen weder die doomige noch die kommerzielle Seite der Band übermäßig. Stattdessen sind “Anno Mundi (The Vision)”, “Jerusalem” und “Valhalla” lupenreiner Epic Metal, der sich noch gehörig auf Bands wie CANDLEMASS, SORCERER oder CRYPT SERMON auswirken sollte. Der Ohrwurm “The Law Maker” ist der vermutlich einzige Double-Bass-Song der Band überhaupt. Einigermaßen doomig wird es nur bei “The Sabbath Stones”. Die Kommerz-Anbiederung “Feels Good To Me” ist die einzige kleine Schwäche, dieses abermals fantastisch gesungenen, erstaunlich stimmigen Albums. Vollkommen unterbewertete Platte!
9/10
BLACK SABBATH auf Kurs der Neunziger: “Cross Purposes”
Anfang der Neunziger kommt es zu einer kurzen Reunion der “Mob Rules”-Besetzung mit Dio, aus der die ’92er-Platte “Dehumanizer” hervorgeht. Nachdem die Besetzung zerbricht, bleibt Ur-Basist Geezer Butler an Iommis Seite, der wiederum Tony Martin zurückholt. An den Drums sorgt der ehemalige RAINBOW- und BLUE-ÖYSTER-CULT-Drummer Bobby Rondinelli für frischen Wind. Die interessante Konstellation führt 1994 zu “Cross Purposes”.
Durch Geezer Butlers Rückkehr zur Band klingen BLACK SABBATH einerseits wieder mehr nach den groovenden Siebzigern, andererseits schielt die Band ähnlich wie DIO in den mittleren Neunzigern auch latent in Richtung der damaligen Grunge- und Alternative-Trends. Hätte es zwar nicht unbedingt gebraucht, andererseits macht die Band ihre Sache bemerkenswert gut und führt Tradition und Zeitgeist frech zusammen. Speziell die A-Seite bietet mit beispielsweise “I Witness”, “Cross Of Thorns” und “Immaculate Deception” viel interessantes Material. Unterm Strich fehlen dem Album ein wenig die Ohrwürmer, aber die Band bleibt glaubwürdig und zeigt ihre Relevanz in schwierigen Zeiten.
7/10
BLACK SABBATH und verbotenes Terrain: “Forbidden”
Obwohl “Cross Purposes” zu einer Hälfte wieder deutlich traditioneller und doomiger klingt, bleiben BLACK SABBATH auch auf Betreiben ihres Labels beim Zeitgeist. Diese finden die Idee nämlich total töfte, das neue Album “Forbidden” von BODY-COUNT-Gitarrist Ernie C. produzieren zu lassen. AEROSMITH hatten durch das RUN-D.M.C.-Cover von “Walk This Way” einen neuerlichen Popularitätsschub. Rap Rock bzw. Rap Metal galt als nächster großer Zug, auf den auch die Legende aus Birmingham aufspringen sollte. Vorher allerdings kehren Cozy Powell und Neil Murray in die Band zurück.
Die vom Label oktroyierte Wahl des Produzenten glückt leider nicht wirklich. Obwohl SABBATH betonen, dass Ernie ein netter und höflicher Kerl war, versuchte er beispielsweise Powell zu einem Hip-Hop-lastigeren Style zu überzeugen – und man “erklärt einem Cozy Powell nicht, wie man Schlagzeug spielt”, um mal Mr. Iommi selbst zu zitieren. Grundsätzlich wurde die Rap-Rock-Kante sowohl damals als auch heute deutlich zu sehr aufgebauscht, denn so richtig betrifft der Einfluss nur den Opener “The Illusion Of Power”, bei dem BODY-COUNT-Rapper Ice-T einen Gastauftritt hat. Größer ist das Problem, dass BLACK SABBATH 1995 der Saft ausgegangen ist und es an markanten Killer-Riffs ebenso fehlt wie an Gelegenheiten für Martin, seine Stimme richtig zur Geltung zu bringen. Mit “Get A Grip”, “I Won’t Cry For You”, “Guilty As Hell” oder “Sick And Tired” besitzt “Forbidden” zwar einige ganz gute Nummern. Echte Hits fehlen aber und die Platte hört sich streckenweise so langatmig wie die Band unmotiviert an. Der für das Boxset angefertigte Remix gleicht aber immerhin die ursprüngliche, viel zu trockene Produktion wieder aus.
6/10
Die Box: “Anno Domini 1989 – 1995”
Das Boxset haben BMG wie es sich gehört in einer CD- und Vinyl-Version anfertigen lassen. Zwar sind die vier Schallplatten auf schwarzem 180g-Vinyl abgesehen vom regulären Cover Artwork relativ schmucklos, der vorbildlichen Gestaltung tut das aber keinen Abbruch. Ein schweres, dickes Booklet-Buch enthält zu jedem Album ausführliche O-Töne und Hintergrundinfos, sowie alle Songtexte, viele rare Fotos und die Credits aller Alben. Zusätzlich wurde das Programmheft der “Headless Cross”-Tour sowie das seinerzeit der LP beiliegende Poster reproduziert. Die Box ist aus wertigem, dicken Karton gefertigt und sehr stabil.
Alle Alben wurden remastered. “Forbidden”, mit dem die Band selbst nie ganz zufrieden war, sogar von Tony Iommi neu gemischt. Das Album ist noch immer kein audiophiles Highlight, klingt aber inzwischen deutlich lebendiger als das Original. Für Fans der Tony-Martin-Ära bzw. der Achtziger-SABBATH ist diese Zusammenstellung gefundenes Fressen und abendfüllende Unterhaltung in der Rock’n’-Roll-Historie. Praktisch wäre es natürlich noch, wenn die Alben als Rereleases auch einzeln wieder verfügbar wären. Insgesamt ist “Anno Domini 1989 – 1995” eine fabelhafte Angelegenheit, die mit durchschnittlich 85€ in der CD- und 120€ in der Vinyl-Version zu einem fairen Preis verkauft wird. Hoffentlich wird der Besetzung und dem massiv unterbewerteten Sänger nun wieder mehr Wertschätzung zuteil.