Island
Black-Metal-Special

Special

Klar kennen wir alle die alten Helden, die Black Metal geboren, gebrochen, redefiniert und zu dem gemacht haben, was es heute ist: Aus einem der vormals konservativsten Metal-Genres hat sich mittlerweile ein Strauß so vieler unterschiedlicher Stile gebildet, der einfach nur noch paradox zu nennen ist: Von VENOM und BATHORY als kultiger Anfang über die „zweite Welle“, die vornehmlich von Norwegen mit Bands wie EMPEROR, ULVER, DARKTHRONE  und vielen mehr geprägt wurde, bis zur heutigen sehr weit gefächerten Szene.

Die beinhaltet Post-Black Metal von Bands wie AGALLOCH oder DEAFHEAVEN, atmosphärisch und naturverbunden wie bei PANOPTICON oder WOLVES IN THE THRONE ROOM, und die ganzen orthodoxen Mantelträger und Weihrauchschwenker wie SCHAMMASCH, BATUSHKA oder NIGHTBRINGER.

Doch mir geht es vor allem um die meiner bescheidenen Meinung nach momentan spannendsten Szenen im Black Metal in Europa: Osteuropa (allen voran Polen), Frankreich und Island. Im Gegensatz zu anderen (auch guten) Bands anderer Länder haben diese gefühlt eine große, vernetzte Szene, gewisse Alleinstellungsmerkmale im Sound und größtenteils hochqualitative Bands am Start. Skandinavien hat logischerweise mit Bands aus Schweden, Finnland und Norwegen, die auch immer noch großartige Musik hervorbringen, ebenfalls Gewicht, kann aber nicht dieselbe Innovationskraft oder Eigenständigkeit aufweisen, die es noch in den 90ern und frühen 2000ern gehabt hat. Die Musikinnovation spielt längst wo anders.

Im ersten Teil des Specials möchte ich mich Island widmen.
Die nächsten Teile werden dann Frankreich und Polen beinhalten.

 Island – Schöne Wildnis oder ödes Loch?

Nicht erst seit dem „berühmt“ gewordenen isländischen Fußball-Kommentator ist die abgelegene Insel für seine dunkle Musikszene bekannt. Fast schon ein Wunder, dass unter all den Einwohnern – die zusammen zahlenmäßig vielleicht auf eine Großstadt in Deutschland kommen –   sich überhaupt auf einer Fläche von Bulgarien genug Metal-Nasen gegenseitig finden und gemeinsam beschließen können, dem Gehörnten musikalisch zu huldigen.

Neben ein wenig Vulkangestein und Islandpferden gibt es allerdings wahrscheinlich auch nicht wahnsinnig viel, womit man sich sonst so die Zeit vertreiben kann. Trotz der von Touristen-Prospekten offerierten schönen Naturpanoramen, die Geysire, die wilde Natur oder Einheimische bei Festen zeigen, der reichhaltigen Folklore und nicht zuletzt durch GAME OF THRONES als beliebte Kulisse für Filmprojekte, die für Island werben, haben die Musiker teilweise ein ganz anderes Bild von Island.

Vor allem die Finanzkrise scheint Eindruck hinterlassen zu haben. Hohe Arbeitslosigkeit, zerfallene Straßen in den Örtchen, Jugendliche ohne Perspektive oder in knochenharten und undankbaren Jobs wie Fischerei oder Schlachterei, wo man gezwungenermaßen tagtäglich mit dem Tod konfrontiert ist.
Bandnamen wie AUƉN (Einöde, Düsternis) und MANNVEIRA (etwa als „Virus Mensch“ übersetzt) werden also nicht von ungefähr kommen.

Die Dunkelheit, die Einöde, nicht „raus“ zu kommen für die meisten von diesem Fleckchen Erde, mag durchaus (seelische) Spuren hinterlassen. Dass sich so nihilistische Gedanken und Gegenkulturen zur sehr traditionsbewussten isländischen Gesellschaft aufbauten, wird einleuchtend. Ähnlich grenzt man sich als selbstbewusste Szene auch gegenüber anderen härteren Musikrichtungen wie Hardcore Punk oder Death Metal ab, die in früheren Jahren auf Island ebenfalls statt fanden und sehr viel beliebter waren, mittlerweile aber wieder eher ein Schattendasein fristen. Wie auch die isländische Black Metal Szene eigentlich noch, trotz sprunghaft gestiegener Bekanntheit.

Aufgrund der geringen Bevölkerungszahl ist die Szene zwar klein, aber gut organisiert und eingeschworen. Zweit- und Drittprojekte sind keine Seltenheit, es wird bei befreundeten Bands aufgenommen, live ausgeholfen und gemeinsam erfolgreiche Touren oder Festivals organisiert, so wie das Oration oder Eistnaflug als Beispiele. Island ist ein Land der Extreme – relativ groß für seine kleine Einwohnerzahl, gleichzeitig rau, schroff und öde… jemand bezeichnete es in GOT-Sprech als „Land of Fire and Ice“.

Manch einer mag sich bei diesen Worten an den Rülpser vom Eyjafjallajökull 2010 erinnern, der haufenweise schwarze Asche in die Luft schleuderte und den europäischen Flugverkehr je nach Ort um mehr als eine Woche lahmlegte. Auch diese Seite Islands schleicht sich als Inspiration mit in das Bühnenbild, etwa als Farbe fürs Corpsepaint aus Vulkanasche bei MISÞYRMING. Auch der Dualismus aus Feuer und Eis – sowohl in nordischer Mythologie beheimatet als auch auf der Insel selber im Naturell – wird als Inspiration für die Bands gedient haben, sei es in Lyrics, Artwork oder musikalischer Progression.

 

Ulfsmessa beim Roadburn 2016

Die ersten Anfänge…

Historisch gesehen war es vor dem Release von „Flesh Cathedral“ 2012 von SVARTIDAUƉI auf Terratur Possessions recht ruhig um die extreme Metal-Szene in Island, auch wenn sie zu dem Zeitpunkt natürlich schon bestand. Oft wird dabei nicht bedacht, dass es isländische Black-Metal-Bands auch vorher schon gab, aber diese schafften es meist nicht zu größerer Bekanntheit, weil sie sich nach einem Demo oder einer Performance bereits aufgelöst hatten. Dementsprechend wenig Außenwirkung herrschte vor.

Einige Ex-Mitglieder dieser frühen Bands lärmen heute in anderen Projekten rum: POTENTIAM und MYRK waren zwei solcher Projekte, von denen heute nur noch hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird, da mit der Zeit die Mythen um diese frühen, „ersten“ Black Metal Bands in Island wuchsen. So soll sich der Sänger von MYRK während Konzerten seine Arme aufgeschlitzt und Salz in die Wunden gestreut haben und die frühen Konzerte sollen auch viele Fans blutig verlassen haben.

Im Untergrund sprach sich nach Erscheinen von „Flesh Cathedral“ auch international schnell herum, dass der dissonante und leicht „strange“ wirkende Black Metal aus Island der neue heiße Scheiß ist. Gute Produktion? Klirrend kalte Melodien? Eher weniger, dafür umso mehr unkonventionelle, langgezogene Songstrukturen, beinahe psychedelische und noisige beziehungsweise ambient-mäßige Passagen und jede Menge Weirdness über schiefe Riffs und Takte.

Diese Art von Black Metal war sehr viel schwerer greifbar als die skandinavischen Vorbilder, aber nichts desto weniger packte sie einen im Unterbewusstsein und ließ nicht so schnell wieder los. Weniger Frontalangriff, mehr schleichende Krankheit. SVARTIDAUƉI schafften es auch als erste isländische Black-Metal-Band zwei Jahre zuvor 2010 im Ausland in Norwegen (Nidrosian Black Mass) zu spielen und nicht nur vor einer Handvoll Eingeweihter zu Hause. Auch andere, heute sehr gefragte Bands im Untergrund wie SINMARA, MISÞYRMING oder NAƉRA berufen sich noch heute auf SVARTIDAUƉI als Inspiration.

Anders als es aber von außen aussieht, ist die Szene trotz beinahe schon inzestuöser Verhältnisse nicht so geschlossen wie sie scheint. Die Musiker machen Scherze über ihre Mitglieder, die sich in zig anderen Projekten „prostituieren“. Sinngemäß: „Killst du den einzigen Drummer auf Island, kann keine Band mehr Black Metal spielen.“

Die eher weniger martialisch und mystisch auftretenden AUƉN etwa haben einen kleinen Status als Exoten inne. Viele Bands scheinen nicht besonders gut auf sie zu sprechen zu sein und sie als moderne Band, die auf den Zug augesprungen ist, abzutun, ohne die Werte hinter Black Metal zu teilen. Zu viel Melodie, zu wenig Ernst bei der Sache. Laut TI von MISÞYRMING gehört das „Theater“ aber einfach dazu.

„Theater“, das kann im Rahmen der „Ulfsmessa“, einer Art Happening welches auf dem auf dem Eistnaflug Festival begann, schon mal bedeuten, eine eigentliche Kunsthalle anzumieten, die Wände mit Blut zu besprenkeln, Erde überall auf dem Boden auszulegen und Kadaver einzugraben und dort mehrstündig mit Mitgliedern aus anderen Bands in bizarrer Atmosphäre zu spielen. Wo die eine Band anfängt und aufhört, die Songs sich ändern, bekommt man gar nicht mehr mit. Trance ist dort angesagt, Lösen vom profanen Irdischen.

Die Verbindung zum Tod in künstlerischer Hinsicht wird hier also ähnlich ernst genommen wie in den Anfängen der skandinavischen Black-Metal-Szene beziehungsweise hier noch hochgehalten. Es macht deutlich, dass man zu dieser Szene gehört. Image und Ausdruck zählen hier eher anstatt Beherrschung der eigenen Instrumente.
Laut Sturla, Frontmann von SVARTIDAUƉI, sollte man sogar zumindest Probleme mit der Gesellschaft oder dem Gesetz bekommen haben, bevor man sich Black Metal auf die Fahnen schreiben darf. Sicherlich einer der Hardliner in der Szene.

Auch in Island wird es nachts kalt… gut wenn die Kollegen dann an genug Holz gedacht haben… noch besser wenn jemand zufällig Stockbrot mit hat. From Svartmalmur © Verði ijós

Gleichzeitig zeigen Bands wie KONTINUUM mit ihren Gothic-Roots, aber auch eine Band wie SÓLSTAFÍR, die sich ähnlich wie PRIMORDIAL von strengen, traditionellen Anfängen im Black Metal zu etwas vollkommen Eigenständigem und sehr viel „Softerem“ entwickelt hat, wie vielseitig die Szene dann doch ist. Gleichzeitig behalten sich die Bands aber hervorragendes Songwriting und dieses gewisse Feeling aus dem Black Metal, die Melancholie, das Frostige, das Verzweifelte, aber auch Kämpferische, die leicht raue Kante in ihrer Musik.

WORMLUST testet die Psychedelik im Rahmen eines modernen Black-Metal-Sounds aus, sowohl in Musik als auch Cover-Gestaltung. Alleiniges Mitglied ist Hafsteinn Viðar Lyngdal, ebenfalls als Fotograf und ehemaliges Mitglied der schon beinahe sagenumwobenen Band MYRK bekannt. Er ist somit gleichzeitig beinahe ein Urgestein und Erneuerer der Szene. Mittlerweile hat er weniger mit Musik zu tun und begleitet lieber Bands beim Blöd-Posieren in der isländischen Landschaft, um ein paar neue Touristen zur Safari anzulocken, ähhh in seinem Bildband über die Szene abzubilden natürlich.

Die Zukunft?

Interessant sind in geringem Umfang  die „äußeren“ Einflüsse auf die isländische Szene zu sehen. Der Ire Stephen Lockhart etwa: Nach Besuchen von Island seit 2007, die auch der Black-Metal-Szene galten, verabschiedete er sich von seiner Heimat und lärmt nun in mehreren Bands rum. Nichts besonderes würde man denken, allerdings ist er ziemlich vital für den isländischen Black Metal geworden. Nämlich als Leiter des „Studio Emissary“, in dem mittlerweile die meisten isländischen Bands ihre Alben produziert haben.

Das Studio ist mehr oder weniger sein altes Heim, 20 Minuten von Reykjavík entfernt in der Ödnis. Auch als „Ghost House“ bezeichnet, wegen gewisser Geschichten, die sich um die vorherige Verwendung rankten, aber scheinbar auch als Kulisse für so manch feucht-fröhliche Recording-Session diente. Gleichzeitig war er derjenige, der das Oration als erstes Festival mit ausländischen Black-Metal-Bands aufgezogen und mitorganisiert hat und zu Anfang integraler Bestandteil in SINMARA war. SLIDHR sind ebenfalls ein Brainchild von ihm, eine ehemals irische Band, nun auch in Island beheimatet.

Wenn man auch bedenkt, dass Vánagandr als DIY-Homelabel zum Tape-Vertrieb der eigenen Veröffentlichungen von MISÞYRMING gegründet wurde und die Bands mittlerweile international touren, steht es um die Zukunft des isländischen Black Metals eigentlich gar nicht schlecht. Von kleinen, primitiven Anfängen hat man sich mittlerweile ein respektables Netzwerk geschaffen. Man selbst bleibt aber bescheiden und möchte sich weder als neuen Hype verstehen noch als Eintagsfliege. Die Musik sei so gut weil die Bands sich nicht anbiederten, sich nicht verstellten, hört man Tómas und Dagur  von MISÞYRMING  sagen. Wahrnehmungen von außen interessierten sie nicht. Auch gut gemeinte (oder arschkriechende?) Komplimente von Musikjournalisten die etwa den DIY-Vertrieb Vánagandr als das neue Helvete (norwegisches Kultlabel) zu bezeichnen lehnt man sarkastisch ab: „Wir wollen nur gute isländische Black-Metal-Musik veröffentlichen, Kirchenbrände stehen bei uns in nächster Zeit eher nicht an“, lässt sich von diesen vernehmen.

Man nimmt durchaus mit Stolz seine eigene Kunst als eigenständig war und bis auf einen Sturla, der manchmal äußerst wirres Zeug in Interviews ablässt, ist der Rest der Szene weniger an Nationalem interessiert: „There comes a time when one needs to step away from the idea of prescribed national and cultural identity if personal growth is to occur“. So Stephen Lockhart, der Exil-Ire auf die Frage, ob die Musik auf Island, geformt von der Kultur und den Menschen, besonders ist, genauso auf die Frage, inwiefern die Menschen auf Island ihn und seine Musik beeinflusst haben. Wer hätte auf solche progressiven Ansichten bei sonst eher traditionalistischen Black-Metallern gehofft? Mit neuen Alben von u.A. SINMARA, SVARTIDAUƉI und MISÞYRMING die anstehen, kann man der Szene nur weiteren Erfolg wünschen und sich auf neue Musik freuen.


Quellen und weitere Lektüre:

10 noteworthy Black Metal Bands from Iceland

Grapevine Iceland Black Metal Special

Icelandic Black Metal Photobook by  WORMLUST Frontman

Icelandic Photoreport of the Black Metal Scene

Terrorizer Icelandic Black Metal Special

Interviews:

Misþyrming Interview

Bardo Methodology SLIDHR Interview

Bardo Methdology REBIRTH OF NEFAST Interview

WORMLUST Interview

Nökkvi Gylfson Interview

Svartidaudi Interview


Zu den besten Bands aus Island im Schwarzmetall-Umfeld geht es hier.

 

03.10.2018
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