Avantasia
Der große Diskografie-Check

Special

AVANTASIA sind ein Phänomen: Ursprünglich war die auf zwei Alben angelegte Metal-Oper als einmalige Sache gedacht, doch EDGUY-Sänger Tobias Sammet konnte die Finger nicht von seinem Projekt lassen. Das führte so weit, dass EDGUY nach ihrem 25. Geburtstag 2017 von der Bildfläche verschwanden (Grund waren Differenzen innerhalb der Band) und Sammet AVANTASIA seitdem hauptberuflich weiterführt. Der Erfolg gibt ihm Recht: Ausverkaufte Hallen, Stamm-Headliner beim Wacken Open Air und weltweite Tourneen sind nur Teile des Erfolgsportfolios.

Es gibt auch kritische Stimmen, die Sammet vorwerfen, sein kompositorisches Geschick hätte sich in den vergangenen 25 Jahren nicht verändert und es bräuchte keine zehn Alben einer Band, die nur aus einem festen Mitglied besteht. Ersteres ist Gegenstand zur Diskussion, zweiteres stimmt nicht (mehr): Sascha Paeth und Miro Rodenberg sind dauerhafte Mitglieder von AVANTASIA und begleiten Sammet an Gitarre, Keyboard und Orchestrationen. EDGUY-Kollege Felix Bohnke spielt das Schlagzeug.

Falls es da draußen tatsächlich Leute gibt, die schon immer mal in die Welt von AVANTASIA eintauchen wollten und nicht wissen, wo sie anfangen sollen, schaffen wir Abhilfe: Vorhang auf für unseren Diskografie-Check!

The Metal Opera
The Metal Opera Part II
The Scarecrow
The Wicked Symphony
Angel Of Babylon
The Mystery Of Time
Ghostlights
Moonglow
A Paranormal Evening With The Moonflower Society
Here Be Dragons

The Metal Opera (2001)

Das Genre der Metal-Oper hat AVANTASIA gegründet und das liegt an den ersten beiden Alben der Gruppe. „The Metal Opera“ ist unter allen Fans ein Klassiker und das Album, das alle zitieren, wenn Tobias Sammet sich mal wieder erdreistet, nicht dieselbe Platte wie vor 24 Jahren erneut aufzunehmen..

Dass das Debüt bis heute so einen hohen Stellenwert besitzt, kommt nicht von irgendwo her: „Reach Out For The Light“, „Serpents In Paradise“, die Bandhymne „Avantasia“, „Sign Of The Cross“ und das unterschätzte „The Tower“ sind nur einige Gründe, warum „The Metal Opera“ Klassikerstatus hat. In der zweiten Reihe machen Tracks wie „The Glory Of Rome“ eine exzellente Figur.

Auf die damals noch zusammenhängende Fantasygeschichte gehen wir hier nicht ein – deren Zusammenfassung lässt sich online nachlesen – doch die Sänger und Sängerinnen, die Tobias Sammet für seine Welt versammelt hat, sind beachtlich: Michael Kiske (HELLOWEEN), David DeFeis (VIRGIN STEELE), Sharon Den Adel (WITHIN TEMPTATION), Rob Rock, Oliver Hartmann, André Matos (ANGRA, SHAMAN), Kai Hansen (HELLOWEEN, GAMMA RAY) und Timo Tolkki (ex-STRATOVARIUS) geben sich die Ehre. Es ist das erste Mal seit „Keeper Of The Seven Keys Part II“, dass Kiske und Hansen auf demselben Album zu hören sind..

Tobias Sammet ist zur Veröffentlichung von „The Metal Opera“ gerade einmal 24 Jahre alt und hat mit dem Album eine Menge erreicht, das sich keiner hätte träumen lassen.

Sammlungswürdig: „The Metal Opera“ ist ein Stück Metal-Geschichte und gehört in jede gut sortierte Heavy-Metal-Sammlung.

Anspieltipps: Siehe Text, insbesondere „Reach Out For The Light“, „Avantasia“ und „Sign Of The Cross“.

Avantasia - The Metal Opera Part II

The Metal Opera Part II (2002)

Der zweite Teil der „Metal Opera“-Alben steht oft im Schatten seines übermächtigen Bruders. Die Besetzung ist gleich geblieben, nur Bob Catley (MAGNUM) ist statt Timo Tolkki dabei. Da die beiden Alben parallel entstanden, klingen sie wie aus einem Guss. Mit „The Seven Angels“ eröffnet das erste große AVANTASIA-Epos und einer der besten Tracks der Band das Album und lässt alle anderen Tracks etwas blass wirken. Doch man sollte beide Alben hintereinander hören, um die Welt, in die Tobias Sammet uns damals entführen wollte, bestmöglich zu genießen.

„The Metal Opera Part II“ bietet gestandene Musiker, grandiose Sänger und einen furiosen Überhit – nur das Finale „Into The Unknown“ ist weniger bombastisch als erwartet. Dennoch: Wer A sagt, muss auch B sagen oder in diesem Falle: Wer „Part I“ hört, muss auch „Part II“ hören.

Sammlungswürdig: Teil 1 und 2 gehören zusammen, also ja.

Anspieltipps: „The Seven Angels“! Zudem „The Looking Glass“ und „Chalice Of Agony“.

The Scarecrow (2008)

„The Scarecrow“ ist das, was man in der Filmindustrie ein „Soft Reboot“ nennen würde. Tobias Sammet belebt seine Metal-Oper mit neuer Besetzung wieder. Mit Sascha Paeth und Miro Rodenberg beginnt hier seine langjährige Zusammenarbeit mit zwei seiner treuesten Wegbegleiter.

Heutzutage ist der Titelsong aus keiner AVANTASIA-Setlist mehr wegzudenken, aber damals dachte noch keiner darüber nach, mit AVANTASIA regelmäßig auf die Bühne zu gehen. Der Gig auf dem Wacken Open Air 2008 sollte einer von ausgewählten, einmaligen Auftritten sein. Was daraus geworden ist, sehen wir heute.

Abseits der übermächtigen Titelnummer befinden sich auf „The Scarecrow“ fast ausschließlich Hits und moderne Klassiker: „Twisted Mind“ mit viel zu kurzem Auftritt von Roy Khan (CONCEPTION), „The Toy Master“ mit einem grandiosen Alice Cooper in der Hauptrolle und die beiden Stadionrock-Hits „Carry Me Over“ und „Lost In Space“ – „The Scarecrow“ ist der Anfang einer beispiellosen Karriere und bekommt bald eine fette Neuauflage.

Sammlungswürdig: Auf jeden Fall

Anspieltipps: Twisted Mind, The Scarecrow, The Toy Master, Lost In Space

The Wicked Symphony (2010)

Nur zwei Jahre nach „The Scarecrow“ überrascht Tobias Sammet uns gleich mit zwei weiteren Alben, die gleichzeitig erscheinen. „The Wicked Symphony“ erscheint auf den ersten Blick wie ein Aufguss seines Vorgängers in Sachen Optik und Songaufbau, doch das ist nur oberflächlich. Ja, der Titeltrack ist ebenfalls eine epische, lange Nummer und das Cover zeigt erneut einen skelettierten Zylinderträger, aber das war’s dann auch.

Gastsänger und -sängerinnen sind wieder reichlich am Start und neben bekannten Kollegen wie Jørn Lande schafft es Sammet, Klaus Meine (SCORPIONS) für ein Duett auf der Single „Dying For An Angel“ ranzuholen. Doch auch „Scales Of Justice“ mit dem großartigen Tim „Ripper“ Owens ist ein richtiger Banger. In zweiter Reihe stehen heute weniger beachtete Nummern wie „Runaway Train“, doch „The Wicked Symphony“ ist insgesamt ein würdiger Nachfolger und die logische Fortsetzung des Soft-Reboots.

Sammlungswürdig: Ja, eines der essenziellen Werke.

Anspieltipps: The Wicked Symphony, Scales Of Justice, Dying For An Angel, Runaway Train

Angel Of Babylon (2010)

„Angel Of Babylon“ ist das weniger beachtete Werk des Doppelschlags – ein Kreuz, das viele zweite CDs eines Mehrfachreleases zu tragen haben. Dabei sollte man die Scheibe nicht unterschätzen: Die Hitdichte ist mindestens genauso hoch wie auf „The Wicked Symphony“ – wenn nicht höher – und die Gäste nicht weniger prominent..

„Angel Of Babylon“ ist symphonischer, was an den vielen Sängerinnen liegt. Cloudy Yang, die auch schon bei EDGUY und KAMELOT Vocals beisteuerte, liefert auf „Symphony Of Life“ die Performance ihres Lebens ab. Doch auch Michael Kiske, Jon Oliva und Bob Catley glänzen mit ihren Auftritten.

Leider finden sich von „Angel Of Babylon“ heute nicht mehr viele Songs in der Live-Setlist, da es keinen herausstechenden Singlehit hat. In seiner Gesamtheit ist die Scheibe nicht schwächer als sein Zwilling.

Sammlungswürdig: Der Geheimtipp von AVANTASIA.

Anspieltipps: Stargazers, Rat Race, Symphony Of Life, Promised Land, Journey To Arcadia

The Mystery Of Time (2013)

„The Mystery Of Time“ ist ein Exot in der AVANTASIA-Diskografie: Es wählte mit dem wunderschönen Rodney-Matthews-Cover optisch einen neuen Ansatz und auch musikalisch besann es sich mehr auf seine Rock- als auf seine Power-Metal-Wurzeln. Bei den Gastsängern versammelten sich alte Bekannte wie Bob Catley und Michael Kiske und neue Langzeitfreundschaften wie mit Ronnie Atkins (PRETTY MAIDS) oder Eric Martin (MR. BIG) fanden hier ihren Anfang.

Das Album ist von allen AVANTASIA-Werken das am schwersten Zugängliche. Es finden sich keine leichten Ohrwürmer darauf und man muss tief in die Welt eintauchen. Eine Besonderheit ist das Gastsolo von Arjen Lucassen auf „The Watchmakers‘ Dream“, das die lange Zeit vorherrschenden Gerüchte einer Rivalität zwischen AVANTASIA und AYREON beendete.

„The Mystery Of Time“ ist leicht und sperrig zugleich, schwer zu fassen und einfach zu greifen: Ein Album der Gegensätze.

Sammlungswürdig: Spannend, aber am ehesten verzichtbar.

Anspieltipps: Spectres, Saviour In The Clockwork

Ghostlights (2016)

„Ghostlights“ ist vielleicht das AVANTASIA-Album mit den meisten Ohrwürmern. Wer hat bei Stücken wie „Mystery Of A Blood Red Rose“, „Let The Storm Descend Upon You“, „Draconian Love“ oder „Master Of The Pendulum“ nicht sofort den Refrain im Kopf?

„Mystery Of A Blood Red Rose“ war zudem ein deutscher Beitrag zum Eurovision-Song-Contest-Vorentscheid, aber wie in den meisten Fällen hatte das Lied, das Tobias Sammet eigentlich für MEAT LOAFs Stimme geschrieben hat, keine Chance. Schade eigentlich, denn die Single kann einiges und bleibt schon nach einmaligem Hören lange im Kopf.

Neben den üblichen Verdächtigen stehen auf „Ghostlights“ Dee Snider (TWISTED SISTER), Sharon Den Adel (WITHIN TEMPTATION) und Marco Hietala am Mikrofon. Insbesondere der Ex-NIGHTWISH-Sänger überzeugt mit seiner Performance auf „Master Of The Pendulum“ und verwandelt die Uptempo-Nummer zu einem der stärksten AVANTASIA-Songs.

Sammlungswürdig: Ja.

Anspieltipps: Mystery Of A Blood Red Rose, Ghostlights, Draconian Love, Master Of The Pendulum

Moonglow (2019)

In der Retrospektive wird „Moonglow“ von seinem Nachfolger überschattet. Ja, der Titelsong ist bis heute eine echt fiese Ohrwurm-Nummer, aber ansonsten haben sich nicht viele Songs ins Langzeitgedächtnis gefressen. Hier klingt vieles wie „schonmal gehört“, auch die Performances von Mille Petrozza (KREATOR) und Hansi Kürsch (BLIND GUARDIAN) rücken nicht so sehr in den Fokus, wie sie es könnten. Gerade Mille, der auf „Mysteria“ von EDGUY einen super Job macht, wird hier verheizt.

Das klingt fieser als es ist, aber wo die anderen AVANTASIA-Alben alle lässig zwischen 8 und 10 Punkten rangieren, ist „Moonglow“ zusammen mit „The Mystery Of Time“ ein Kandidat für stabile 7 Punkte. Ex-Kollege Fabian Bernhardt wäre entrüstet, er gab dem Album damals die volle Punktzahl, doch so scheiden sich die Geister. Letzten Endes siegt der persönliche Geschmack.

Sammlungswürdig: Erst in zweiter Reihe.

Anspieltipps: Moonglow, The Raven Child

A Paranormal Evening With The Moonflower Society (2022)

Tobias Sammet bezeichnet „A Paranormal Evening With The Moonflower Society“ nicht direkt als „Moonglow 2“, aber die Parallelen sind bereits am Cover erkennbar. Im Direktvergleich wirkt das Album so, als hätte man auf „Moonglow“ noch eine Schippe draufgesetzt. Neben Dauergästen wie Ronnie Atkins, Michael Kiske und Bob Catley brillieren hier die Neuzugänge: Floor Jansen (NIGHTWISH) macht auf „Kill The Pain Away“ einen grandiosen Job und Ralf Scheepers (PRIMAL FEAR) schreit auf „The Wicked Rule The Night“ alles zusammen.

Der Name des Albums klingt wie ein Buchtitel, und genauso wirkt es – wie eine Sammlung von elf unabhängigen Geschichten. „A Paranormal Evening With The Moonflower Society“ ist zudem das erste Album seit „The Mystery Of Time“, das keine Welttournee begleitet hat. Lediglich ausgewählte Einzelkonzerte und Festivals gab es als Support – auch bedingt durch die Pandemie.

Sammlungswürdig: Von den beiden „Moon“-Alben das hier zuerst.

Anspieltipps: Kill The Pain Away, Arabesque

Here Be Dragons (2025)

30 Jahre hat sich Tobias Sammet einem Album mit Drachen im Titel verweigert, doch nun ist es soweit: „Here Be Dragons“ ist zwar kein Konzeptalbum über die feuerspeienden Fabelwesen geworden, doch es ziert ein fetter Vertreter davon das erneut von Rodney Matthews, der auch viele MAGNUM-Alben optisch veredelte, gestaltete Cover.

Es ist das erste AVANTASIA-Album ohne festgelegtes Konzept. Die Songs stehen für sich und decken die komplette Bandbreite von 25 Jahren AVANTASIA ab. Dadurch entsteht das Gefühl von einem Best-Of-Album mit neuen Liedern. Besonders erwähnenswert ist der Bonustrack „Return To The Opera“, der augenzwinkernd mit all den Wünschen nach einem dritten ‚The Metal Opera‘-Teil spielt.

Doch auch bei den Gästen hat sich Tobias Sammet erneut kreativ ausgetobt: Bob Catley singt auf „Bring On The Night“ einen wunderschönen MAGNUM-Tribut, Tommy Karevik (KAMELOT) verdunkelt „The Witch“ und Adrienne Cowan, die schon lange live dabei ist, hat auf „Avalon“ ihren ersten Studioauftritt.

Sammlungswürdig: Ja und auch ein guter Einstieg.

Anspieltipps: The Moorlands At Twilight, The Witch, Bring On The Night, Return To The Opera

Quelle: Avantasia-Studioalben
15.03.2025

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

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