At The Gates
Das meint die Redaktion zu "At War With Reality"
Special
Nach fast 20 Jahren ohne neues Material melden sich AT THE GATES dieser Tage mit „At War With Reality“ zurück. Aber auch wenn Kollege Peter Mildner in seiner Review den neusten Streich der Schweden lobt, wie sehen das die anderen Kollegen in der Redaktion? Diese Frage sollen die folgenden Meinungen beantworten.
AT THE GATES sind zurück, und die Befürchtungen im Vorfeld waren gleichzeitig begründet und unbegründet. „At War With Reality“ ist kein bloßer Abklatsch vergangener Großtaten – es ist aber für mich auch kein weiteres Meisterwerk. Kollege Peter hat sicherlich Recht, wenn er in seiner Review zum Album schreibt, das neue Album der Schweden sei ein „Amalgam“ aus allem, was AT THE GATES in ihrer ersten Karriere geschaffen hätten. Die ersten beiden Alben sind auf „At War With Reality“ genauso hörbar wie „Terminal Spirit Disease“ und – in Momenten – „Slaughter Of The Soul“.
Trotzdem finde ich nach etlichen Hördurchgängen (ja, ich habe versucht, mir das Album schönzuhören) nicht die spritzige Genialität, die alle früheren AT THE GATES-Werke durchzogen hat. Klar, auch diese ist in verschiedenen Momenten vorhanden – in „Death And The Labyrinth“, im Titelsong, in „Heroes And Tombs“. Damit ist „At War With Reality“ ganz sicher alles andere als ein schlechtes Album … von AT THE GATES hätte ich – trotz aller Befürchtungen – trotzdem mehr erwartet. Auf deren neuem Album ist genau das passiert, was viele ihrer Epigonen letztlich vom Original unterschieden hat: Man hat zwischendurch das Gefühl, Füllmaterial zu hören, es ist nicht jeder Song und jedes Riff, jedes Lead und jeder Gesangspart eine Offenbarung. Damit ist „At War With Reality“ natürlich trotzdem ein ordentliches Melodic-Death-Metal-Album. Es ist aber kein Meisterwerk.
(6/10 Punkte, Stephan Möller)
„At War With Reality“ bietet eigentlich alles, was ich mir von einer Melodic Death Metal-Platte erhoffe: Emotionale Riffs, die dem Hörer die Tränen in die Augen treiben, da sie hemmungslos, brutal und gleichzeitig unfassbar anrührend sind. Ein Tomas Lindberg, der so irre kreischt, dass er sich fast überschlägt – es würde mich nicht wundern, wenn er irgendwann aus meiner Anlage kommt, mich am Schlafittchen packt und mir höchstpersönlich, mit wild aufgerissenen Augen und sabbernd vor Eifer seine Message in die Visage geifert. Er klingt so dermaßen authentisch und nah, dass ich beinahe seinen heißen Atem spüren kann. Wer sagt, dass Tomas Lindberg nicht singen könnte, der bittet auch Barney von NAPALM DEATH um etwas Zurückhaltung und den Corpsegrinder um etwas deutlichere Aussprache.
„The Circular Ruins“ wird zum Ende hin derart tragisch und mitreißend, dass man sich am liebsten vor Ergriffenheit heulend auf die Knie werfen, vor Schmerz winden und selbst verletzten möchte. Gleiches gilt für den majestätischen Schlusstreffer „The Night Eternal“ oder das vielschichtige “ The Book Of Sand (The Abomination)“. Ausschließlich Huldigung gibt es auch für das Schlagzeugspiel von Adrian Erlandsson. Er drischt jeden Song nach vorne, setzte Feinheiten, hämmert den Hörer weich, gibt Druck und kann jede Situation nicht nur meistern, sondern sogar lässig zum Optimum trommeln. Was für ein Kerl! AT THE GATES wiegen ihren Sound noch immer gleichermaßen mit Thrash und Black Metal-Anteilen auf, keine Band beherrscht diesen Mix so perfekt wie die Schweden. „At War With Reality“ ist sicherlich kein hingerotztes Produkt, sondern durchdacht und liebevoll detailliert ausgearbeitet. Und doch fällt mein Resulatat relativ verhalten aus. Eine Empfehlung ist „At War With Reality“ sicherlich, aber mit der Zeit glitzern nicht mehr alle Songs, vieles nutzt sich schnell ab und zurück bleiben weniger als eine Handvoll Kracher und ein Rest von sehr guten bis guten Songs. Das nichtssagende Cover und die Tatsache, dass manche Stücke kein richtiges Ende haben, sondern einfach leise werden, führt ebenfalls zu Punktabzug.
Melodic Death Metal hat uns damals den Thrash Metal gerettet, und nun versucht der Pop uns den Melodic Death Metal zu klauen – aber AT THE GATES halten dagegen, und zwar sehr ordentlich, besonders im Vergleich mit den anderen Wegbereitern! Our fire must be the light! IN wer? DARK wie?
(8/10, Nadine Schmidt)
Viel wurde im Vorfeld gezetert, gehofft und spekuliert, „At War With Reality“ damit zu einem der meistdiskutierten Metal-Alben des Jahres 2014. Aber wieso eigentlich? Hat jemand ernsthaft geglaubt, dass AT THE GATES es bei Ihrer Rückkehr-Platte groß anders handhaben würden als CARCASS im vergangenen Jahr? Wie „Surgical Steel“ ist auch „At War With Reality“ ein relativ glattes Nummer-sicher-Album geworden, das die Welt nicht gebraucht hätte – hier großteils im Fahrwasser des von den geschmacklosen Massen gefeierten „Slaughter Of The Soul“.
Nein, Freunde der AT THE GATES-Frühphase inklusive des epochalen Schwedentod-Meilensteins „The Red In The Sky Is Ours“ mit seinen komplexen, mitunter fast ins Chaos stürzenden Strukturen und den Violinen-Farbtupfern werden hier sicher nicht auf ihre Kosten kommen. Die Titel auf „At War With Reality“ sind bei schmeichelnden Melodien und leider immer recht gleichbleibendem, gemäßigtem Aggressionsniveau leicht konsumierbar, oft zu durchkonstruiert und im Vergleich untereinander zu profillos. Offenbar war es nicht von Vorteil, dass die Schweden laut eigener Aussage gut eineinhalb Jahre intensiv an der Scheibe gefeilt haben. Wo sind die unerwarteten Wege und Biegungen, die man auf den Frühwerken finden konnte? Wo sind die wütenden Ausbrüche und wo die hysterischen Schreie, die Tomas Lindberg 1992 auf Band bannte? Nicht, dass er anno 2014 eine schlechte Leistung abliefern würde, aber der früher durchschimmernde Wahnsinn ist wie schon auf „Slaughter Of The Soul“ hinter einer deutlich gesetzteren, beinahe austauschbaren Darbietung nicht mehr auszumachen.
Die dezent vehementeren Stücke wie „The Conspiracy Of The Blind“ und „Upon Pillars Of Dust“ oder auch „Heroes And Tombs“, „The Book Of Sand (The Abomination)“ und „The Night Eternal“ mit ihren atmosphärischen Einschüben – etwa mittels Geflüster und zarten Akustikgitarren – mögen ja einigermaßen schmissig beziehungsweise reizvoll sein. Aber sie sind weit, weit davon entfernt, solche Hochgefühle auszulösen, wie alte Göttergaben à la „Windows“ es vermochten. Der Geist der Anfänge, geboren aus jugendlicher Wild- und Unbekümmertheit, lässt sich eben auch von AT THE GATES nicht mehr heraufbeschwören. Das gelingt so gut wie niemandem und wäre daher leicht zu verschmerzen, wenn denn wenigstens die zentrale Frage weichen würde: Wo sind all die Ideen, die sich in fast zwei Jahrzehnten doch eigentlich hätten aufgestaut haben müssen? Alle schon anderweitig verbraten?
Auch wenn AT THE GATES in den vergangenen Monaten betont haben, „At War With Reality“ ohne die Beachtung irgendwelcher Erwartungshaltungen, ohne jegliches Kalkül, quasi aus dem Bauch heraus geschaffen zu haben, so klingt der Großteil der dreiviertelstündigen Platte dennoch gegenteilig. So, als habe man versucht, ein zahmes Konsensalbum für den Metalcore-affinen Nebenbei-(Death-)Metal-Hörer zu schaffen. Schade, dass einstige Innovatoren das nötig haben und nun endgültig gefällig geworden sind. Ach, hättet ihr das Risiko doch nicht gescheut …
(5/10 Punkte, Christoph Meul)
AT THE GATES sind ein seltenes Phänomen – mit nur einem einzigen Album (alles vor „Slaughter Of The Soul“ kann man getrost ignorieren) haben sie vor mehr als einem Jahrzehnt ein komplettes Genre für immer verändert. Doch dann kam die Trennung und die gefühlt ewige Funkstille. Als ich die Band dann bei der Reunion-Show auf dem Wacken Open Air sehen durfte, war klar – da kommt noch was! Und nun ist es tatsächlich passiert. Und verdammt noch mal, das neue Album ist GROSSARTIG! Jede meiner Hoffnungen wurde auf den zwölf Songs plus Intro erfüllt, jede Erwartung bestätigt. Die selten über fünf Minuten laufenden Stücke sind mal wieder die Essenz der Band, knüpfen nahtlos an das Vorgängeralbum an und ergänzen es durch eine allgegenwärtig-dunkle Stimmung und eine vielschichtige, fantastische Produktion, die die Schweden so gut klingen lässt wie noch nie.
Den Königen der Hooks ist es erneut gelungen, Ohrwurm an Ohrwurm zu reihen. Das Gespür von Larsson und Björler für eingängige Sechssaiter-Melodien ist phänomenal. In ihrer Simplizität liegt auch ihre Genialität – nichts wirkt hier überladen oder konstruiert. Jeder einzelne Song ist genau so, wie er sein sollte. Treibend, verzweifelt und melodisch wird der Hörer von einem Klimax zum nächsten gejagt. Das geschmackvolle Riffing immer wieder von leitenden Melodien ergänzt, hier und da sind leicht angeproggte Momente eingebaut („The Conspiracy Of The Blind“). Das Album braucht definitiv ein paar Durchläufe, um sich im Kopf festzusetzen, dann bleibt es aber auch für immer dort. Und über allem thront ein brillanter Lindberg, an dem die Zeit scheinbar komplett spurlos vorbei gegangen ist. Okay, statt „fear“ sind seine neuen Lieblingsvokabeln nun „parasites“ und „eternal“, ansonsten klingt er noch genau so geil wie auf „Slaughter Of The Soul“. Man kann es wirklich kaum erwarten, sich dazu live den Kopf vom Körper abzuschrauben.
Genug der Worte – „At War With Reality“ ist ein neuer Meilenstein des Death Metals.
(10/10 Punkte, Eugen Lyubavskyy)
Sicherlich sind AT THE GATES eine Band, die immer an ihren früheren Großtaten gemessen wird. Als seinerzeit „Slaughter Of The Soul“ veröffentlicht wurde, dackelte ich allerdings noch brav in die Grundschule. Folglich habe ich mit dem, was damals im Melodic Death Metal offensichtlich „State of the Art“ war, nicht sonderlich viel am Hut. Oder anders gesagt: Ich unterhalte zu den Schweden keine wirklich enge, emotionale Bindung, weswegen ich einen recht nüchternen Blick auf ein Album wie „At War With Reality“ werfen kann.
Wenn ich die Scheibe höre, dann höre ich eine Platte mit einem außergewöhnlich guten Sound mit einer interessanten, knackigen Gitarrenarbeit und – vor allem – mit guten Songs. Bemerkenswert finde ich dabei vor allem, dass AT THE GATES ihre Kompositionen nicht ausschließlich auf Melodie getrimmt haben (wie es ja im Melodic Death durchaus oft der Fall ist), sondern den Tracks eine durchgängig düstere Stimmung innewohnt, die dennoch bestens mit den eingängigen Momenten funktioniert und über die gesamte Albumdistanz präsent ist. „The Conspiracy Of The Blind“, „Upon Pillars Of Dust“ oder den Titeltrack halte ich diesbezüglich für absolute Kracher, „Eater Of Gods“ ist womöglich einer der besten Songs, die ich je in diesem Segment gehört habe. „The Head Of The Hydra“ ist wiederum etwas weniger spannend, dennoch werden wohl viele andere Truppen davon träumen, Songs dieser Güteklasse abzuliefern.
Letztlich erreichen aber nicht alle Stücke auf „At War With Reality“ diese Qualität. „Order From Chaos“ mit seinem verhaltenen Beginn und unspektakulären Ende packt mich ebenso wenig wie das eigentlich griffige, aber melodisch ein wenig hausbackene „The Circular Ruins“. Das größte Problem der Scheibe ist für mich jedoch der Gesang: Herr Lindberg brüllt über die gesamte Spielzeit auf einem Ton herum und wird dabei noch mit so unglaublich viel Hall und Delay zugekleistert, dass den Vocals jegliche Natürlichkeit verloren geht. Mag sein, dass der Mann mit seinem kehligen Gebrüll für den Sound dieser Band steht – ich persönlich erwarte da aber einfach mehr. Abgesehen davon steht am Ende aber eine insgesamt gute Platte, die unterm Strich mit einer Handvoll großartiger Songs, dabei aber auch mit etwas Füllmasse daherkommt.
(7/10 Punkte, Anton Kostudis)
Endlich! Ich konnte „At War With Reality“ kaum erwarten und musste mich ziemlich in Zaum halten, um nicht allzu große Hoffnungen in etwas zu setzen, was sich dann letzten Endes als ein Comeback schlechterer Güte erweist. Im Hinblick darauf, dass vor allem jüngste Erscheinungen mehr oder weniger alle meiner Melo Death-Hoffnungen mit einem Tritt in die Tonne eliminiert haben, hat jedoch unter anderem der letztjährige BANG YOUR HEAD-Auftritt trotzdem dafür gesorgt, dass ich Großes erwartet habe – und mir fällt ein Stein vom Herzen: Nicht nur können AT THE GATES meinen Erwartungen ohne den geringsten Zweifel gerecht werden, ich bin sogar noch begeisterter, als zunächst erhofft.
Zwar fiel es mir die ersten Minuten etwas schwer, dem neuen stimmlichen Gewand, das sich nun über die Jahre bei Tomas Lindberg entwickelt hat, gleich volle Begeisterung zu schenken, aber das war Gewöhnungssache und wurde andererseits durch die fabelhaften Arrangements und melodischen Leads sowie das perfekte Gehämmer ohnehin schnell ein Selbstläufer. Mein absoluter Lieblingstrack ist „The Night Eternal“ – düster, drückend, leidend, treibend, melodisch – aber eigentlich ist es egal, welcher Titel läuft, das Album ist durch die Bank großes Kino! Ich fühle mich wie ein Kind mit einem riesigen brutal glitzernden Lutscher, und „At War With Reality“ gehört bereits jetzt schon zu meinen Dauerbrennern 2014!
(9/10 Punkte, Tamara Deibler)