At Dawn They Sleep
Besprechung des ersten Romans von Christian Krumm
Special
Menschen, die sich mit einer Antriebsmischung aus schöpferischem Anspruch und reinem Interesse hinsetzen und ihre Gedanken zu Papier bringen, verdienen Respekt. Christian Krumm ist im Bereich des geschriebenen Wortes Wiederholungstäter, hat sich diesmal aber für die narrative Weise in belletristischer Form entschieden. Ein Debüt. Schon im Jahr nach seiner Promotion, also 2010, wurde das Werk „Kumpels In Kutten. Heavy Metal Im Ruhrgebiet“ nach Co-Arbeit veröffentlicht. Zwei Jahre später folgte „Century Media. Do It yourself – Die Geschichte Eines Labels“. Der Mann ist eifrig. Nun folgt ein Roman. Eine Geschichte für Metaller, so etwas in der Art war auf irgendeiner Plattform zu lesen. Dem kann widersprochen werden: „At Dawn They Sleep“ ist weder eine Huldigung, noch eine Beleuchtung der Szene. Der Plot kann auch nicht als Metal-Geschichte durchgehen – das musikalische Genre dient hier als Rahmen, in dessen Mitte Christian Krumm eine Story mit ganz normalen und recht speziellen Menschen gezeichnet hat, mit schüchternen, wagemutigen, ernsten und ironischen Charakteren, mit Ausreißern und Geläuterten, Selbstgefälligen und Verletzten. Summa summarum: mit Leuten wie Du, dem Typ da hinten und der Frau aus dem zweiten Stock, generisch statt metallisch, lebensweich, nicht stahlhart. Irgendwie schade. So verwundert es auch nicht, dass Kategorisierungen überwiegend ausbleiben. Welche Art des Metals spielen die im Buch thematisierten DAWN OF DEVASTATION eigentlich? Trotzdem sind das nicht die großen Probleme, die „At Dawn They Sleep“ zu einem mäßigen Roman machen. Doch der Reihe nach. Darum geht es:
Alioscha ist ein Schreiberling, der sich an einem für ihn fremden Thema versucht und einen Bericht zu einem Metal-Konzert verfasst. Blut geleckt, könnte man sagen. Noch ist er mit Eva zusammen, doch die Ambitionen und Entwicklungsgedanken driften auseinander. Es geht um typische Beziehungshürden (beim besten Willen nicht zum letzten Mal). Alioscha knüpft neue Kontakte und lernt auch Maria kennen, die ihm den Weg in die Szene ebnet. Als er zum schreibenden Part der Metal-Band DAWN OF DEVASTATION um den forschen Sänger Tyler mutiert, erinnert das an den Film „Almost Famous – Fast berühmt“ von Cameron Crowe. Alioscha lässt sich die Haare wachsen, trinkt mehr Bier, lernt viele Menschen kennen, kurzum: Sein Leben verändert sich auf so gewaltige Weise wie die Riffs dieser neuen Musik zuweilen aus den Boxen knallen. Dass eine Geschichte Wendepunkte benötigt, versteht sich von selbst, doch Christian Krumm thematisiert diesen Aspekt sogar, indem er Dürrenmatt lose zitiert. Um nichts vorwegzunehmen, soll der Inhaltsfaden an dieser Stelle abreißen, nur so viel: Eine erhebliche Zeit lang geschieht kaum etwas Spannendes.
Der erwähnte metallische Rahmen wird durch Liedzeilen gefestigt, die jedem Kapitel plus Nennung der entsprechenden Band vorangestellt wurden. Zudem hat sich Krumm bei der Wahl des Titels vortrefflich an die alte Schule gehalten. Da bekommt man direkt Lust, SLAYER und insbesondere das Frühwerk „Hell Awaits“ aufzulegen, auf dem „At Dawn They Sleep“ zu hören ist. Fast 30 Jahre später gibt es den gleichen Titel auch zu lesen, ein vergleichbarer Aha-Effekt, wie er sich nach Slayer’scher Zeitrechnung ganz sicher bei etlichen Metalheads eingestellt hat, bleibt aber aus. Doch beginnen wir mit dem Positiven. Christian Krumm versteht es, die Szenen durch punktuelle Detailbeschreibungen zu erhellen. Das ist angenehm, weil es die Geschichte greifbar macht. Da auch die Figurenzeichnung einigermaßen funktioniert, ist man als Leser recht schnell mitten im Geschehen. Die allgemeine Szenerie ist aus dem Leben gegriffen und dagegen spricht auch nichts. In einer Zeit, in der überwiegend Mischbildungen aus Adonis und Vampir die feuchten Träume jungfräulicher Leserinnen (und Leser) nähren, ist das normale Leben beinahe originell. Nichts gegen phantastische Geschichten, doch es ist inzwischen schon als Pluspunkt zu bewerten, wenn Autor XY nicht auf den Zug aufspringt; mal abgesehen von der Passage, als vom „Sänger von Vampires Diary“ gesprochen wird. Von einem wie Christian Krumm war das zwar nicht zu erwarten, die Andeutungen im Buch (immer wenn in die Ich-Perspektive gewechselt wird) weisen im Verbund mit dem Titel aber munter in diese Richtung. Letztlich verzichtet der Roman jedoch auf das „über“ und bleibt natürlich, auch wenn manche Erlebnisse für Alioscha vermutlich surreal im Sinne von wundersam/rätselhaft sind. Auf diese Weise ist „At Dawn They Sleep“ zu Beginn auch noch interessant. Wenn der Protagonist immer mehr in die Szene eintaucht, Neues erfährt und erlebt, das der metallische Leser bereits kennt. Das macht eine Zeit lang Spaß und hat einen gewissen Unterhaltungswert. Hier und da schleichen sich zwar ein paar Stereotype ein (natürlich muss die Katze einer Metallerin Satan heißen und der Typ, der von Joey DeMaio spricht, spitzbärtig sein), die – wie es Klischees zum Teil so an sich haben – durchaus auch im realen Leben zu beobachten sind, als vermeintliches Alleinstellungsmerkmal jedoch albern wirken. Im Ganzen hält sich das glücklicherweise in Grenzen.
Das größte Problem ist der Soap-Charakter. Es ist schon ein Wagnis, wenn man eine Geschichte überbevölkert und in „At Dawn They Sleep“ wimmelt es nur so von mehr oder weniger wichtigen Figuren. Wie gesagt, die Zeichnung ist überwiegend gelungen, den Überblick kann man irgendwann dennoch verlieren. Dass er die Jungs und Mädels bis über die erste Romanhälfte hinaus in ein Liebesgeplänkel par excellence verwickelt, nervt allerdings. Also, so richtig! Steven will was von Jasmin, die aber nicht, also treibt es Alioscha mit ihr, das sieht Maria aber nicht gern, die sich von Wolf und Tyler um den Finger wickeln lässt, der mal was mit Pandora hatte und Charline ist ja auch noch da und mitunter rattig und, und, und. Wer will das seitenweise lesen? Nahezu zwei Drittel Beziehungs-Hickhack und ein Drittel Drama – angesichts der Überschaubarkeit von lediglich 240 Buchseiten ein mittelschweres Desaster. Ohne die expliziten Sex-Darstellungen und die harten Drogen wäre das Zielalter ein wesentlich niedrigeres.
Nachdem die Wer-mit-wem-Fragen geklärt sind, laufen die Dinge ziemlich aus dem Ruder (die Wendepunkte, die irgendwann in einen großen Wendepunkt münden). Der Querulant wird zum waschechten Bösewicht, die Hauptfigur zunächst zur tragischen Gestalt. Nebenplots (Maria) werden erleuchtet. Menschen treffen Entscheidungen, mit denen man zuvor nicht gerechnet hatte. Andere Menschen entpuppen sich. Abgründe tun sich auf und der Absturz leitet einen Aufstieg ein (Henning). Dann folgt ein ellenlanges Moralisieren und Philosophieren, das leider mehr anstrengend als erquickend ist. Und ganz zum Schluss, wer hätte es gedacht, gibt es wieder komplett neue Partnerschaften und eine verschollene Figur kehrt auf die Bühne zurück, um mit dem sich entblößenden Ich-Erzähler anzubandeln. Puh! Nein, auch der Showdown kann kaum noch etwas herausreißen und die eben genannte Neukonstellation bekannter Figuren lässt maximal müde schmunzeln.
Vereinzelte Abschnitte machen Laune. So wird die Festivaldarstellung kurz vorm Ende bei Lesern, die sich in alldem wiederfinden, Zustimmung und vor allem Sehnsucht entfachen. Auch das illustre Beisammensein im Proberaum erkennen einige wieder. Doch auch nicht-metallische Schilderungen überzeugen: die Tauwetter-Symbolik in den Gedanken von Eva, der Vergleich von Eifersucht mit einem Detektiv, der ungefragt seine Arbeit aufnimmt, und trotz erneuter Klischeenähe sogar die Gegenüberstellungen der von der Außenwelt oft als exotisch betrachteten Metaller, die sich bei genauerem Hinsehen als Bankangestellte im SLAYER-Shirt entlarven. Doch das sind Nuancen in einem stilistisch eher simpel gehaltenen Roman (bis auf abgespeckte Teilsätze und einzelne Wörter als elliptische Besonderheiten). Es ist geradezu auffällig, wie wenig Vergleiche und andere Stilmittel Christian Krumm verwendet, die einer Geschichte einen gewissen literarisch-unterhaltsamen Mehrwert verleihen. Das ändert sich nach hinten heraus zwar etwas, bleibt übergreifend betrachtet aber im unteren Bereich. Nicht, dass man sich falsch versteht: Hiermit ist keine großspurige Schreibweise gemeint, die mit Fach- und Fremdwörtern und unzähligen Metaphern um sich wirft, um den Leser eher zu erschlagen als zu erfreuen. Als Auflockerung zu rein erzählerischen Parts kann das Lesevergnügen so aber gesteigert werden. Allein auf den Lesefluss bezogen ist „At Dawn They Sleep“ jedoch gut geschrieben. Abgesehen von den unzähligen Rechtschreibfehlern, dem inhaltlichen Irrtum in der Werkstatt, als Wolf erst an der Werkbank lehnt und kurz darauf wie von Zauberhand geführt unterm Auto liegt, und den fehlenden Leerstellen. Vielleicht stand das abschließende Lektorat ja noch aus. Kaum entschuldigend ist hingegen folgender Fehler: Tom Arya. Der dann aber doch wieder stellvertretend für die allgemeine Ausrichtung ist. „At Dawn They Sleep“ ist kein Metal-Roman und kein Roman für Metaller. Es ist ein Roman für alle, die Spaß an schlicht gehaltener Literatur haben, die sich den Themen des realen Lebens annimmt und diese mal hier, mal da dramaturgisch überspitzt. Besonders spannend, interessant und unterhaltsam ist das Ergebnis in der Summe nur leider nicht. Respektabler Durchschnitt.