Arch Enemy
Listening Session zu "Khaos Legions" und exklusiver Showcase
Special
Wenn man vier Jahre lang kein neues Material bietet, ist es vielleicht ganz gut, erstmal im Kleinen die Stimmungslage der Fans anzutesten. Da passt es natürlich hervorragend, wenn man sowieso in Deutschland weilt, um das neue Album zu promoten, und direkt in einem Aufwasch eine Clubshow spielen kann. Kurzum: ARCH ENEMY haben Mitte März mit „Khaos Legions“ ihr neues, mittlerweile achtes Album fertig – zumindest fast – , präsentieren es der in der Provinz der versammelten Journaille und spielen am Vorabend einen exklusiven Aufwärmgig. Ort des Geschehens: Wermelskirchen, Autonomes Jugendzentrum (AJZ), mitten im Bergischen Land.
Teil 1: Die Show
Das AJZ Wermelskirchen ist schon eine Wundertüte: Von außen sieht es eher aus wie ein normales Wohnhaus, wenngleich es mit seinem roten Anstrich und dem über die gesamte Stirnseite gezogenen Logo „AJZ Bahndamm“ nichts Falsches verspricht: Hier regiert die Autonomie. Die größte Überraschung befindet sich aber im Innern: Hat man sich durch den Eingangsbereich zum großzügigen Bar- und Billardbereich durchgeschlagen, stellt sich unweigerlich die Frage, wo hier noch Platz für einen Konzertsaal sein soll. Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd: Er liegt quer im Haus, was erklärt, warum für den ARCH-ENEMY-Gig überhaupt nur 150 Karten angeboten wurden.
Für die anwesenden Fans bedeutet diese Limitierung wiederum eine ungeahnte Intensität: Eng ist es nicht nur vor der Bühne, sondern generell im gesamten Raum. Hier nicht mit der Musik mitzugehen, ist nahezu unmöglich – das jedenfalls zeigen bereits die einleitenden Töne des Gigs, den der deutsch-schwedische Fünfer mit „Revolution Begins“ (gibt es einen passenderen Titel?) startet, bevor es mit „Yesterday Is Dead And Gone“ einen neuen Song zu hören gibt. Übrigens der melodischste Song auf dem gesamten Album – soviel sei vorab schon verraten.
Übrigens ist der Gig für Fronterin Angela Gossow quasi ein Heimspiel, wie sie in einer Ansage verrät: In ihrer wildbewegten Jugend war sie nach eigener Aussage häufig hier zu Gast. Spätestens jetzt weiß Mutter Gossow also über alles Bescheid, denn sie befindet sich an diesem Abend genauso im Publikum wie Angelas Bruder Benny. Und der hat ordentlich Spaß in der ersten Reihe – mit der Musik und beim Stagediven.
Mit „No Gods, No Masters“ gibt es noch einen weiteren neuen Song zu hören, bevor das rund einstündige Set mit „We Will Rise“ und „Nemesis“ ausklingt. Sehr zur Zufriedenheit der Band, die einen erstaunlich guten Sound hinbekommt und endlich die neuen Songs spielen kann, wie Bassist Sharlee D’Angelo am nächsten Tag verrät. Aber auch für die Fans, die zwar einen kurzen, dafür aber intensiven Gig erleben.
Setlist
Tear Down The Walls (Intro)
Revolution Begins
Yesterday Is Dead And Gone
Ravenous
My Apocalypse
No Gods, No Masters
Dark Insanity
I Will Live Again
Dead Eyes See No Future
Dead Bury Their Dead
We Will Rise
Nemesis
Teil 2: Die Session
Dienstag, 15. März, der Morgen nach dem Gig. Während sich langsam, aber sicher Band und Journalisten im Autonomen Jugendzentrums einfinden, läuft im Thekenbereich der Fernseher bereits auf Hochtouren, wo nonstop über die Atomkatastrophe in Japan berichtet wird. Das Unglück hat für ARCH ENEMY übrigens unmittelbare Auswirkungen, denn eigentlich sollte die Band noch vor Veröffentlichung von „Khaos Legions“ in den Fernen Osten aufbrechen. Und nun müssen die Auftritte aus naheliegenden Gründen abgesagt werden. Was die Band recht nüchtern kommentiert, denn aktuell hat sie mit dem Feinschliff am Album noch mehr als genug Arbeit an der Backe. Daher gibt es bei der folgenden Listening Session auch noch keins der drei enthaltenen Instrumentals zu hören – denn dafür jetteten die Mitglieder direkt im Anschluss zu Andy Sneap nach London. Somit gibt es für Euch hier die Eindrücke der elf vollwertigen Tracks:
Yesterday Is Dead And Gone
beginnt mit pumpenden Gitarren und einem flotten Doublebass-Rhythmus, zu dem Frontfrau Angela wie gewohnt aggressiv einsetzt. Verstörende Gitarrenleads strukturieren den Song, bevor ein harmonischer Refrain erklingt.
Bloodstained Cross
startet wesentlich hektischer, Angela Gossow setzt einen Schrei ab, und dann tackert das Schlagzeug im Intercity-Tempo davon. Nach der ersten Strophe gibt es ein Chaos-Lead, dann eine Bridge, und plötzlich wird der Song sanfter. Das Stück ist stark von Stimmungswechseln geprägt, und das schließt eine gefühlvolle Solopassage mit ein.
Under Black Flags We March
Ein pumpender Bass, ein langsamer, schwerer Rhythmus mit Toms, dazu düstere, tonnenschwere Riffage: Den Chorus beginnt Angela Gossow mit einem „With our fists up in the air“, und tatsächlich lädt der Song zum Fäusterecken ein. Was nicht fehlen darf: Gefühlvolle Harmony-Leads von den Amott-Brüdern – dafür verzichten sie sogar auf Soloausflüge. Insgesamt ein düsterer Song, ganz im Gegensatz zu…
No Gods, No Masters
das mit einem gemäßigten Rockrhythmus startet, der von einer melancholischen Gitarrenmelodie ergänzt wird, bevor Angela über gezupften Gitarren einsetzt. Insgesamt ein gemäßigter, eingängiger Song mit melancholischem Unterton, erst wenn Angela singt: „What doesn’t kill us / makes us stronger“ wird er etwas wütender. Welch ein Kontrast dazu:
City Of The Dead
prescht mit einem flotten Rhythmus und einem psychotischen Lead vor, das nach jeder Strophe wiederholt wird. Zwischendurch gibt es ein melodiöses Leads, und das prägt den Song ungemein. Zur Abwechslung lassen die Amott-Brüder in einem Break noch den Neoklassiker raus.
Through The Eyes Of A Raven
beginnt straight mit einem schweren Endlosriff, bevor Riffs und Rhythmus variieren. Prägnant ist das Hauptthema, bei dem Angela Gossow die Zeile „In The Eyes Of A Raven“ ziemlich fies akzentuiert. Mit einem Gitarrensolo von Michael Amott setzt ein vertrackterer Rhythmus ein, während sein Bruder seinen Part auf dem Eingangsthema intoniert. Schließlich klingt der Song bei sanft gezupften Akustikgitarren aus.
Cruelty Without Beauty
Zunächst ein mitreißender Rockrhythmus, dann stakkatoartige Vocals, schließlich ein psychotisches Gitarrenriff: Der Song ist recht einfach aufgebaut (trotz neoklassischem Gitarrenlead) und geprägt von seinem bedrohlichen Charakter. Beim ersten Durchgang klingt das noch etwas undurchdringlich.
Cult Of Chaos
klingt so, wie es der Titel erahnen lässt, und hier klingt zunächst das Erbe von CARCASS durch: Fast schon punkige Geschwindigkeit, Doublebass, im Chorus sogar Blasten. Nach dem Refrain geht es kurzzeitig gemäßigt und melodisch weiter, doch nur kurz darauf fegt der Gitarrensturm auch darüber wieder hinweg. Bis auf Chorus und das genannte Break einer der härtesten Songs auf dem Album.
Thorns In My Flesh
Welch ein Beginn: Wäre nicht die aggressive Stimme von Angela Gossow könnte „Thorns In My Flesh“ zunächst durchaus als kultiger Metal-Song durchgehen. So gibt es das bekannte Wechselspiel aus kranken Vocals, ultraharmonischen Gitarrenmelodien im Chorus und Chaos-Leads. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb: Der Song kann was.
Vengeance Is Mine
beginnt mit einem „Painkiller“-Gedächtnisfill, bis sich daraus ein ultraflotter Thrasher schält; passend zum Chorus wird der Takt etwas gedrosselt, dazu gibt es Harmonyguitars, die von dezenten Keys unterlegt sind. Zum Ende prägt ein heftiger Moshpart den Song: Keine Frage – der heftigste Track bislang.
Secrets
Beginnt mit Gitarrenmelodie, doch nur, um denn Hörer mit einem hakeligen Rhythmus auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen: „I’ve got a secret / I just can’t tell / I have created / My own hell“. Daher wundert die etwas undurchdringliche Melodieführung nicht weiter, das neoklassische Break, der „Hangar 18“-Gedächtnispart…
Insgesamt schaffen es ARCH ENEMY, auf dem Album wieder eine ungesunde Mischung aus knallharten Geschichten und melodischen Parts zu brauen. Einige Teile und Songs gehen schon beim ersten Hören gut ins Ohr, andere hingegen wirken noch etwas undurchdringlich – gerade weil die Songs in der Mehrzahl nicht offensichtlich straight aufgebaut sind. Ob sie zünden, wird erst die Zukunft zeigen. Klar ist hingegen, dass ARCH ENEMY mit „Khaos Legions“ offensichtlich alle Fangruppen ansprechen: Für jeden ist etwas dabei. „Khaos Legions“ erscheint am 30. Mai via Century Media Records in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
(Fotos: Dario Dumancic)