Andy Classen
Ich selbst könnte mir nicht vorstellen, so auf der Stelle zu treten wie Maiden oder AC/DC es tun.

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Mittlerweile dürfte Andy Classen eigentlich jedem, der sich in der Hartwurstszene etwas auskennt, ein Begriff sein. Machte er früher als Teil der deutschen Thrasher Holy Moses von sich Reden, kennt man ihn heute eher durch sein Stage One Studio, in dem er Bands wie Ryker’s, Dew-Scented, Die Apokalyptischen Reiter, Disbelief oder Final Breath produziert hat. Als ich anlässlich des Studioreports über das neue Album letztgenannter Truppe im beschaulichen Bühne in Nordrhein-Westfalen weilte, ließ ich es mir natürlich nicht nehmen, dem Mann, der jede CD zu einem enormen Kraftpaket veredelt, mein Diktiergerät für ein, wie ich finde, äußerst interessantes Gespräch unter die Nase zu halten. Hierzu ließen wir uns in seiner sehr stilvoll fernöstlich eingerichteten Wohnung über dem Studio nieder.

Andy Classen

Als erstes mal die Standardfrage: Wie, wann und warum hast du angefangen zu produzieren?

Das kam durch Holy Moses und die eigenen Banderfahrungen, die ich dadurch gemacht habe. Wenn du einen Plattenvertrag hast, kommst du ja zwangsläufig ab und an mal ins Studio. Ich merkte, dass mich dieses Gebiet interessiert. Es kamen die ersten Vier- bzw- Acht-Spur-Rekorder, um Songs zu schreiben und so bin ich quasi da rein gerutscht. Dann hatten wir zeitweise noch eine kleine Plattenfirma, für die wir dieses Studio hier eingerichtet haben. So kam ich zum Produzieren. Zuerst labeleigene Bands von West Virginia Records und später, als das Label dann nicht mehr existent war, habe ich das Studio einfach übernommen und weiter gemacht.

Du kennst beide Seiten, die Seite des Musikmachenden und Komponisten und die Seite des diese Produkte Verwertenden und Ausschmückenden, des Produzenten. Welche ist dir, auch wenn du jetzt hauptberuflich der Produzent bist, lieber?

Die gehören eigentlich beide untrennbar zusammen. Wenn ich unten sitze, habe ich auch immer ein Auge darauf, ob ich irgendwelche Ideen mit einbringen oder ob man an den Arrangements was ändern kann. Produzieren ist kein reiner Tontechnikerjob, bei dem man macht, was die Musiker von einem wollen, sondern man bringt schon seine eigenen Vorstellungen mit ein. Wenn ich es könnte, würde ich natürlich Tag und Nacht da unten sitzen und eigenes Zeug zusammen brutzeln, aber man muss ja auch von etwas leben.

Du bist hauptsächlich durch deine Metalproduktionen bekannt geworden. Machst du auch stilfremde Sachen nebenher?

Selten. Ich persönlich habe einen ziemlichen Hang zu härterem Techno. Das würde mich auf jeden Fall reizen. Ab und zu verirren sich natürlich auch mal lokale Bands hierher mit der Bitte, dass man ihnen doch mal etwas aufnehmen sollte. Das sind dann meistens Rockbands, progressive Sachen oder der örtliche Bläserverein. Ansonsten fühle ich mich aber im Metal schon ziemlich wohl. Das ist mein Spezialgebiet, womit ich etwas anfangen kann. Und so, wie ich es mache, mögen es die Leute.

Gehe ich recht in der Annahme, dass der örtliche Bläserverein das Skurilste war, was du bisher produziert hast?

(lachend) Ja, das war auf jeden Fall das Skurilste, was sich bisher in mein Studio verirrt hat. In Kombination mit dem örtlichen Kirchenchor war das schon heavy. Das würde ich auch nicht ständig machen wollen. Da sind mir dann doch die Kollegen aus der Death/Thrash/Black Metal-Ecke wesentlich sympathischer.

Gibt es Sachen, die du gerne mal produzieren würdest, wozu du aber noch nie die Chance hattest?

Ja, Techno wie gesagt. Damit würde ich mich gerne mal auseinandersetzen. Besonders weil ich oft denke, dass hier und da doch wunderbar ein paar Gitarren und ein paar Vocals reinpassen würden. An Bands hätte ich gerne mal S.O.D. gehabt. Oder Slayer, die ich auch sehr geil finde. Für eine Band, die so lange am Start ist, sind auch bei den neuen Sachen immer wieder Dinge dabei, wo man merkt, dass diese Jungs immer noch etwas zu sagen haben und neue Wege gehen. „God Hates Us All“ tritt meiner Meinung nach immer noch mächtig Arsch. Slayer werden nicht langweilig, weil sie es nicht machen wie Iron Maiden und auf Nummer Sicher gehen. Ich selbst könnte mir auch nicht vorstellen, so auf der Stelle zu treten, wie Maiden oder AC/DC es tun. Das würde mich nicht mehr reizen. So haben mich z.B. auch Holy Moses nach einer gewissen Zeit nicht mehr gekickt, weil keine Experimente, die natürlich ein Risiko bergen, mehr zugelassen waren. Dann wird mir schnell langweilig. Leider muss ich sagen, dass das Musikmachen für mich selbst zu kurz kommt. Ich bin bald wieder so weit, dass ich mal alle Ideen rauslassen muss, die sich in letzter Zeit so angesammelt haben.

Wie viele Produktionen verlassen im Jahr ungefähr das Stage One Studio?

So 14 bis 15. Das schwankt immer. Manchmal sind Sachen dabei, die nur drei oder vier Tage dauern, weil ich zwischendurch auch gerne immer mal wieder mit einer Demo-Band arbeite. Ich möchte nicht ständig unter diesem Druck stehen, dass ein besseres Nachfolgealbum von einem bereits erfolgreichen Vorgänger abgeliefert werden muss. Dieser Stress lastet z.T. auch auf mir. Deswegen die eingeschobenen Demosachen. Aber so bin ich z.B. an Ryker’s rangekommen. Das war von unserem damaligen Schlagzeuger eine Combo, die etwas starten wollte. Man sieht also, dass manchmal aus diesen Demogeschichten eine Angelegenheit wird, in der man eine Band recht lange begleitet.

Die Demosachen dienen auch dazu, dass du dich und deinen Sound frisch hältst und er nicht zur Massenware verkommt. Was machst du noch, um das zu vermeiden?

Urlaub. Es ist mir sehr wichtig, dass ich ab und zu wirklich total abschalten kann, um aus diesem Studiotrott raus zu kommen, der sonst unausweichlich wäre. Du gewöhnst dir deine Arbeitsweise an, es besteht die Gefahr, dass du immer mit den gleichen Samples arbeitest und dass sich alles festfährt. Wenn man mal sechs Wochen Urlaub macht und weg ist, sei es nun in Asien oder sonst wo, ist danach der Kopf wieder frei. Wenn ich dann wieder zurück bin, merke ich, dass ich mit manchen Sachen wirklich wieder von vorne anfange und total offen für neue Ideen bin. So kann man die neueren Produktionen, sprich den Trend, immer ein wenig in seinen Sound übernehmen. Von dem, was anderen Leuten einfällt, kann man viel lernen.

Woher ziehst du generell deine Inspirationen? Nur durch die Produktionen deiner Kollegen oder auch durchs alltägliche Leben?

Auf der reinen Soundseite schon nur durch andere Produktionen und musikalische Sachen. Wenn ich so durch die Welt laufe, kommen mir eher Ideen, was ich an meiner Arbeitsweise ändern könnte. Oder man bemerkt, dass man ja ein Schlagzeug auch mal als Stereogruppe komprimieren könnte und so Sachen. Soundinspirationen kommen dann eher durch so Scheiben wie das Machine Head-Debüt, wo man echt gedacht hat: „Wow, hier ist aber jemandem wieder mal ein Schritt nach vorne gelungen!“ Diese Sachen muss man aufgreifen und in die eigene Arbeit mit einbeziehen. Sonst tritt man schnell auf der Stelle und die eigenen Sachen klingen altbacken.

Hast du immer dieselbe Arbeitsweise oder ist sie von Band zu Band verschieden?

Da muss man sich schon auf die Kollegen Musiker einstellen. Grundsätzlich bleibt eigentlich nur die Reihenfolge dieselbe. Erst kommt z.B. das Schlagzeug mit einer Pilotgitarre. Solche Abläufe bleiben, aber man hat es wie gesagt mit Musikern zu tun. Da ist keiner wie der andere.

Deswegen wird es aber auch nicht langweilig, oder?

Das stimmt. Man baut zu den meisten Bands immer eine Beziehung auf, weil sie regelmäßig wiederkommen. So entstehen Freundschaften, man freut sich, wenn sie wieder bei einem aufnehmen, und man fährt auch auf ein paar Konzerte mit.

Inwieweit ist man als Produzent auch Bandpsychologe?

Während der Studiozeit auf jeden Fall hundertprozentig. Die Laune, die eine Band während der Produktion hat, schlägt sich im Endprodukt nieder. Man hört, ob die Jungs Spaß im Studio hatten oder nicht. Deswegen muss die Musik jetzt nicht giftig klingen, aber wo kommen denn solche Worte wie „Spielfreude“ oder „Frische“ her? Das liegt immer an der Stimmung im Studio. Also ist es auch irgendwo meine Aufgabe, selbige im Lot zu halten.

Wie weit kannst du als Produzent in die künstlerischen Belange der Band eingreifen?

Die künstlerischen Angelegenheiten muss immer die Band absegnen. Wenn es innerhalb von ihr mal Pattsituationen gibt, dann bin ich derjenige, der die Richtung vorgibt. Ansonsten wird über unterschiedliche Vorstellungen einfach geredet und verschiedene Sachen ausprobiert.

Nach welchen Kriterien wählst du aus, wen du produzierst?

In erster Linie natürlich nach der Musik. Kann ich eine Beziehung zu ihr aufbauen oder nicht? Habe ich eigene Ideen, um das Gehörte zu verbessern? Wenn man sich dann mit der Band unterhält, merkt man ja, ob man auf einer Wellenlänge liegt und ob ihnen die Art gefällt, wie ich produziere. Wenn eine Band herkäme und sagen würde, dass sie mit mir arbeiten wolle, aber auf eine ganz andere Weise, als ich arbeite, ginge das nicht. Die Chemie muss stimmen und alle müssen das gleiche wollen.

Was ist deine eigene Lieblingsproduktion?

Hmm…schwere Frage. Da würde ich jetzt die neue Disbelief und die beiden Dew-Scented-Scheiben nennen.

Dew-Scented ist ein gutes Stichwort. Wie habt ihr es gepackt, die Intensität von „Inwards“ auf „Impact“ noch zu überbieten? Ich hatte vorher gezweifelt, ob es möglich sein würde.

Ja, das bleibt mir als ein überaus hartes Stück Arbeit in Erinnerung. Das war z.B. eine dieser Produktionen, wo ein Riesendruck auf allen Beteiligten lastete. Wir mussten „Inwards“ ja quasi einen drauf setzen. Wir haben genug geschwitzt. Das kann ich dir versichern. Aber wir haben es auch geschafft.

Wie oft bist du seit „Inwards“ mit den Worten angesprochen worden „Hey Andy, wir hätten gern genau diesen Sound!“?

Das passiert sehr oft. Aber ich bin darüber nicht unglücklich, weil Dew-Scented für den Zulauf zum Studio hier einiges getan haben. Es gibt einige Produktionen, nach denen öfters mal gefragt wird. Das Schöne dabei ist, dass kein Resultat, dass hier aus dem Studio rauskommt, mit irgendeinem anderen aus der Stage One-Vergangenheit identisch ist. Sicherlich habe ich meine Handschrift, die man heraushören kann, aber die Musik macht den Sound. Ich wechsele oft die Gitarren-Amps und das Equipment und versuche so, jeder Band ihren eigenen Raum zu geben. Selbst wenn man es probieren würde, jetzt z.B. Final Breath genauso klingen zu lassen wie Dew-Scented, würde es nicht funktionieren.

Mit welchem Technikequipment arbeitest du bzw. lässt du sie Bands arbeiten?

Ich arbeite seit 4 ½ Jahren hauptsächlich mit Pro-Tools und einem großen analogen Mischpult. An Aufnahmeausrüstung habe ich ein eigenes Schlagzeug hier, ein Premier Signature, das oft zum Einsatz kommt, weil es ziemlich gut ist. Ansonsten ist alles ziemlich offen. Sicher habe ich meine favorisierten Amps, die ich gerne im Studio sehe, und es gibt welche, die ich weniger mag. Dafür sind dann eigene Sachen, zwei alte Marshalls, vorhanden, die immer benutzt werden, wenn nichts Besseres da ist. Am liebsten ist es mir aber, wenn die Band ihr eigenes Equipment anschleppt, um Authentizität mit in den Sound zu bringen. Sonst besteht die Gefahr, dass man sich festfährt und jede Platte gleich klingt.

Siehe Tägtgrens Abyss Studio.

Zum Beispiel! Peter hat gute Arbeiten gemacht, ist aber irgendwann stehen geblieben. Vielleicht macht er auch einfach nur zu wenig Urlaub. Lange Arbeitsphasen, wo sich Band an Band reiht und man zwischendurch vielleicht gerade mal zwei Tage frei hat, kann man nicht jahrelang durchziehen.

Leidest Du als Produzent auch unter der Downloadproblematik?

Nein, ich bin nur selten an der GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigunsgrechte, Anm. d. Verf.) beteiligt. Ich stehe dem Netz aber nicht nur deswegen in den Grundzügen positiv gegenüber. So haben kleine Bands ohne Deal auch die Möglichkeit, ihr Material bekannt zu machen. Das war vorher nicht so.

Wie siehst du selbst als erfahrener Hase die Zukunft der Branche?

Die Zeiten, in denen ich dachte, dass es mit dem Metal vorbei sei, sind vorbei. Man hat vielleicht Ende der 80er vermutet, dass sich das alles noch zehn Jahre hält. Aber mittlerweile ist diese Musikrichtung so etabliert und an ihr ein so breites Publikum beteiligt, dass sie sich halten wird.

Was würdest du jungen Leuten raten, die in diesem Falle genauso denken wie du, nämlich, dass der Metal nicht tot zu kriegen ist, und deswegen selbst als Produzent Teil der Szene werden wollen? Wie sollten sie das angehen, mal abgesehen davon, dass fast alle Leute, die in der Musikbranche arbeiten, Quereinsteiger sind?

Das ist nicht einfach, denn es gibt sehr viele Leute, die genau das vor Augen haben. Man kann Sachen machen wie SAE, also Audio Engineering, wenn man Ahnung von der Technik hat. Aber die bringt man ja meist mit, wenn man dieses Ziel anstrebt. Man muss natürlich einen Hang zur Musik haben und in dem Bereich, den man produzieren will, vorher als Künstler tätig gewesen sein. Sonst kann ich z.B. einem Gitarristen nicht vermitteln, dass ich vielleicht gerade eine bessere Riffidee im Kopf habe, wenn ich keine Gitarre spielen kann. Aber wie du schon richtig gesagt hast, man rutscht als Quereinsteiger halt so rein. Es gibt superviele Musiker, die SAE machen und so beginnen. Das Problem ist nämlich, dass ein Einstieg über Praktika oder so nicht funktioniert. Die meisten Metalstudios sind Ein- oder Zwei-Mann-Betriebe, wo kein Geld für einen Azubi oder Praktikanten vorhanden ist. Das einzige, was einfacher ist als früher, ist die Tatsache, dass man sich nicht mehr für irre viel Geld ein Studio zusammen kaufen muss, sondern einem der PC schon große Möglichkeiten zum Lernen offenbart.

Abschließende Frage: Was ist es, was dein Studio einzigartig macht?

Ich!

Ich bedanke mich für das Gespräch! 🙂

05.03.2004

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