Body Count
Allianz der Gegenkulturen: Ice-T und Body Count
Special
Nachdem ihnen bereits für ihr 2017er-Album „Bloodlust“ die Redaktionsherzen zuflogen, scheinen BODY COUNT auch mit ihrem neuen Album „Carnivore“ den inoffiziellen Titel „Beliebteste Crossover-Band in der metal.de-Redaktion“ halten zu können. Ein superber zweiter Platz in einer bockstarken Soundcheck-Runde und eine nicht weniger positive Plattenbesprechung stehen für sich. Anlass genug, sich einmal ausführlich der Genese dieser beispielhaften Handreichung der extremsten Westküsten-Genres der 90er Jahre zu widmen.
Als Tracy Lauren Marrow, besser bekannt als ICE-T, 1990 die Band BODY COUNT gründete, konnte er bereits auf fast ein Jahrzehnt als Gangster-Rapper zurückblicken. 1988 war ihm mit dem Platin-Album „Power“ endgültig der große kommerzielle Durchbruch gelungen. 1989 folgte ein weiteres Gold-Release. Warum also plötzlich Gitarrenmusik? Lassen wir den Meister selbst sprechen:
„BODY COUNT is a band I put together, just to let one of my best friends Ernie C play his guitar. He’s always been playing guitar, we all went to Crenshaw High School together in South Central Los Angeles and I had the idea: Let’s make a metal band. Let’s make a rock band! Cause I had been to Europe and I’d noticed the kids would mosh off of hip-hop. So we put the band together and I used the three bands that were my favourites at the time to set the tone. We used the impending doom of a band like BLACK SABBATH, who pretty much invented metal, the punk sensibility of somebody like SUICIDAL [TENDENCIES], who basically put that gang banger style from Venice, California, into the game, and the speed and the precision of SLAYER, one of my favourite groups and always will be.“
„BODY COUNT ist eine Band, die ich ursprünglich nur deshalb gegründet habe, damit Ernie C, einer meiner besten Freunde, seine Gitarre spielen konnte. Schon als wir zusammen auf die Crenshaw High School im Süden von Los Angeles gegangen sind, hat er ständig Gitarre gespielt. Und dann hatte ich die Idee, eine Rock- beziehungsweise eine Metal-Band zu gründen. Ich war in Europa gewesen, wo die Kids zu Hip-Hop moshten. Also formierten wir die Band und richteten unsere Sound nach den drei Bands aus, die ich zu dieser Zeit am meisten feierte. Wir verwendeten das Bedrohliche von BLACK SABBATH, die den Metal ja sozusagen erfunden hatten, den Punk-Vibe einer Band wie SUICIDAL TENDENCIES, die als erstes diesen Gang-Banger-Style aus Venice, Kalifornien, ins Game gebracht hatten, und die Geschwindigkeit und Präzision von SLAYER, die immer eine meiner Lieblingsbands sein werden.“
– BODY COUNT – Raining In Blood / Postmortem 2017″
Über die Jahre und Alben hinweg, haben BODY COUNT ihren Vorbildern immer wieder mit Cover-Versionen gehuldigt. Gleichzeitig hält ICE-T seine Rap-Wurzeln in allen Ehren, indem er sich in regelmäßigen Abständen selbst zitiert. Die Verflechtungen zwischen den Innovatoren und Interpreten aus vier Dekaden zeichnen ein faszinierendes Bild davon, wie sich Genres gegenseitig beeinflussen und bereichern können. Eine Abhandlung in vier Kapiteln.
Die Rap-Wurzeln – Part I – „Colors“ (1988, 1997, 2020)
1988 steuerte ICE-T mit „Colors“ den Titeltrack zum gleichnamigen Film bei. Es geht um Gangs und Gewalt, Hoffnungslosigkeit und Attitüde in den Vorstädten von LA.
Also genau das Sujet, an dessen Style sich jener ROBB FLYNN (MACHINE HEAD) der späten Neunzigerjahre orientierte. Folgerichtig veröffentlichten MACHINE HEAD 1997 auf der Höhe ihres Nu-Metal-Films eine Cover-Version von „Colors“, die als Bonus-Track auf „The More Things Change“ erschien.
Die bis dato härteste Version von „Colors“ ist brandaktuell und kommt von ICE-T selbst. Auf „Carnivore“ fügt sie sich wunderbar ein. In diesem Sinne: „The gangs of LA will never die – just multiply.“ Gleiches gilt für derartig zeitlose Rap-Songs.
Die Rap-Wurzeln – Part II – „99 Problems“ (1993, 2004, 2014)
„So if you’re having girl problems I feel bad for you son. I got 99 problems and a bitch ain’t one“ geht als unsterbliches und ziemlich misogynes Rap-Zitat auf ICE-T selbst zurück. Wobei: „I got a bitch who’s a man, ‘cause they’re bitches too“ sollte helfen, wenn ihr euch das nächste Mal schützend vor Gangster-Rap stellt. Ein bisschen egalitär ist das Ganze ja doch – und leider sehr unterhaltsam.
JAY-Zs Variante kommt deutlich weniger explizit daher und hat es zu weitaus größerer Popularität geschafft. Dem Beat merkt man die 10 Jahre Vorsprung natürlich auch an.
Deswegen haben sich BODY COUNT der ganzen Sache dann 2014 nochmal angenommen. „Hit me!“
Die Hardcore-Einflüsse
Wer den „Gang-Banger-Style“ (siehe oben) ins Genre holt, der hat so etwas wie eine natürliche Rap-Verwandtschaft. Wer ist wirklich krank, in einer kranken Gesellschaft? Fragen wir SUICIDAL TENDENCIES:
Man kann sich vorstellen, dass ICE und die Gang ihre helle Freude am überdrehten Anarcho-Humor und dem aggressiven Skater-Vibe des Originals gehabt haben dürften. Also erfuhr das Intro ein lebensnahes Update (X-Box versus soziale Interaktion mit der Frau als naheliegender Trigger für extremste häusliche Gewalt) und ab dafür:
„Institutionalized“ stellt atmosphärisch und lyrisch ein zentrales Crossover-Bindeglied dar und dürfte kaum je besser gecovert worden sein.
Die Metal-Urväter
Es braucht nur drei Tom-Schläge, und wirklich jeder weiß Bescheid. SLAYER haben den extremen Metal geprägt wie wohl wenige andere Bands. Und nicht nur den.
SLAYER verehren ist eine Sache. SLAYER covern eine ganz andere. SLAYER gerecht werden eine Leistung. Für ihre Version von „Raining Blood“ haben BODY COUNT also völlig zurecht nichts als Liebe verdient.