Ahab
"The Giant" Listening Session

Special

Ahab

Es ist ein Samstagnachmittag Anfang März, die Sonne beschert uns einen der ersten richtigen Frühlingstage des Jahres und die Stuttgarter Innenstadt ist voll shoppenden Volks und flanierender Spaziergänger, die die Wärme und das Licht des Tages genießen. Ganz zentral, nur zwei Ecken vom Treiben der Fußgängerzone entfernt, liegt das Kap Tormentoso, eine gemütliche alternative Bar im Herzen der Stadt, in der auch Konzerte stattfinden, öfter auch Lärmiges.

Seinen Namen hat der Laden vom Kap der Guten Hoffnung, das der portugiesische Seefahrer Bartolomeu Diaz auf einer Umfahrung der Südspitze Afrikas im 15. Jahrhundert „Kap Tormentoso“ taufte – das Kap der Stürme. Nautische Geschichte mitten im Herzen des Schwabenlandes. Das Interieur könnte kaum stimmiger sein: Schlachtengemälde von tosender See und Seefahrtsdevotionalien zieren das Souterrain des Kap Tormentoso, in das man über eine schmale Treppe hinabsteigt wie in einen Schiffsrumpf. Dieses Ambiente haben AHAB für die Präsentation ihres neuen Albums auserkoren.

Und wenn AHAB zur Listening Session laden, ist das etwas, das nicht jeden Tag passiert. Bereits für den Vorgänger „The Divinity Of Oceans“ hatte sich die Band drei Jahre Zeit gelassen. 2012 ist nun wieder ein AHAB’sches Schaltjahr.

„The Giant“ hat die Band ihr neues Werk getauft, auf dem sie versucht, die engen Grenzen des extremen Doom noch ein Stück nach außen auszubeulen. Bereits auf „The Divinity Of Oceans“ haben sich AHAB nicht mehr an die „reine Lehre“ des Funeral Doom gehalten, sondern zahlreiche stilfremde Elemente in ihre Songs eingebaut. Wie um die Skeptiker von einst einmal mehr eines Besseren zu belehren, beschreiten AHAB auch auf „The Giant“ wieder Neuland.

Manche Neuerungen sind subtiler Natur. Das Bandlogo hat ein paar Anker-Tentakel bekommen, die ein bisschen an das alte KATATONIA-Logo erinnern oder auch an POSSESSEDs Beelzebubschwänzchen, ohne dass das jedoch musikalisch etwas zu bedeuten hätte. Das Cover-Artwork ist einmal mehr ein Bild mit nautischem Bezug, diesmal – und das ist das Novum – hat man sich aber nicht eines bestehenden klassischen Gemäldes bedient, sondern sich ein Bild auf den Leib malen lassen. Ungleich psychedelischer wirkt das Album optisch, und es kann diesen Eindruck auch musikalisch nicht ganz von der Hand weisen.

Konzeptionell bleibt sich die Band treu und verarbeitet wieder historische Literatur mit nautischem Bezug. Bei „The Giant“ liefert Edgar Allan Poes einziger Roman „The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket“ die Vorlage, die AHAB in ihren unverkennbaren Sound kleiden. Der überrascht anno 2012 aber mit ein paar erfrischenden Neuerungen, was durchaus zum Konzept der Band passt. „Wenn es Dein Ziel ist, Texte zu interpretieren, kannst Du nicht immer dieselbe Musik machen“, sagt Gitarrist Chris Hector. „Du musst Deinem Stil treu bleiben, aber gleichzeitig die Stimmung der Vorlage mit den richtigen Stilmitteln einfangen. […] Wir wollen uns nicht wiederholen. Das ist langweilig.“ Und tatsächlich: „The Giant“ ist ihr bislang vielgestaltigstes Album. Den Stempel „Funeral Doom“ haben AHAB bereits bei „The Divinity Of Oceans“ nicht mehr für sich beansprucht. Wenn man sich „The Giant“ anhört, dämmert einem, warum.

 

Ihren unverwechselbaren Trademarks, den gutturalen Growls Daniel Drostes, dem schleppenden Riffing und den hypnotischen Melodien fügen AHAB anno 2012 ein starkes Gegenwicht hinzu, das die Songs sehr abwechslungsreich macht, sie aber dennoch unverkennbar nach AHAB klingen lässt. So kommt – wenn ich richtig mitgezählt habe – keiner der Songs ausschließlich mit dem markanten Gurgeln Drostes aus. In „Aeons Elapse“ macht er mit kehligem Cleangesang das langsame Abdriften des darbenden Charakters im Text in den Wahnsinn fast spürbar. Vom eindringlichen Flüstern, über heroischen Gesang bis zum konspirativen Beschwörungsgemurmel offenbart er eine vorher nicht gekannte Bandbreite. Da braucht es schon einen Herbrand Larsen (ENSLAVED, ex-AUDREY HORNE), um dem einen passenden Partner an die Seite zu stellen. Den haben AHAB mit drei Flaschen Cognac bestochen, beim Titeltrack und bei „Antarctica The Polymorphess“ mitzuwirken, was den beiden Songs eine weitere Dimension verleiht, die ihnen gut zu Gesicht steht.

Wer Herbrands Stimme kennt, kann sich vorstellen, dass seine Passagen mit Funeral Doom nichts zu tun haben. Generell ist das AHAB ureigene donnernde Tosen nicht mehr Dreh- und Angelpunkt der Songs. Es wird heute viel dosierter eingesetzt. Dem massiven, riffing-orientierten Bums steht ein mindestens ebenbürtiger Teil an cleanen, lead-konzentrierten Passagen gegenüber, die die Songs oft fragil wirken und an Post Rock erinnern lassen. „Time’s Like Molten Lead“ oder „Further South“ sind Beispiele dafür, dass Bands wie EARTH einigen Einfluss auf die Songwriter gehabt haben.

Im Sog der Eindrücke findet man kaum Zeit, sich zu erheben und sich an der Bar im oberen Stock ein neues Bier zu holen. Der Kontrast könnte kaum krasser ausfallen. Über die schmale Treppe bahnt man sich seinen Weg aus dem verrauchten Bauch des Kap ins Erdgeschoss. Out of the dark, into gleißendes Sonnenlicht, in dem sich die Einkäufer und Spaziergänger aalen. Stillende Mütter und junges Hipstervolk nippen an ihren Chai Lattes und grünen Tees, während der schmale Abstieg ins Untergeschoss fies mäanderndes Dröhnen ausspuckt wie ein gefährlich gurgelndes Leck unter Deck. Die Musik hat man oben abgestellt. Sie hat keine Chance gegen das unheilvolle Grollen von unten.

Doch zurück zum Album. Die Napalm’sche Produktpolitik sieht sechs reguläre Albumtracks vor, die zusammen bereits für über eine Stunde Spielzeit gut sind. Die Erstauflage (erstmals im Digipak) wird limitiert sein und einen Bonussong enthalten, erwähntes „Time’s Like Molten Lead“, den man unbedingt mitnehmen sollte. Der Song vertont seinen Titel mit langen Passagen zweistimmiger Leads, erinnert dabei immer wieder an EARTH und steigert sich gegen Ende hin zum traditionellen AHAB-Song.

Neben der limitierten Erstauflage wird es „The Giant“ auch auf Vinyl geben. Das schwarze Gold trägt neben dem Digi-Bonus-Song noch einen weiteren Track, „Evening Star“, ein musikalisch inszeniertes Gedicht von Edgar Allan Poe. Mutmaßlich in seiner ursprünglichen Versform belassen, rezitiert Daniel Droste das Werk mit verschwörerisch murmelndem Sprechgesang, während AHAB drum herum ein imposantes Stück Musik aufziehen. Zusammen mit „Time’s Like Molten Lead“ hievt er die Gesamtspielzeit von „The Giant“ auf über 80 Minuten, die einem während der Listening Session aber wie ein Bruchteil vorkommen. Und das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass AHAB mit dem Album etwas richtig gemacht haben.

„The Giant“ erscheint am 25. Mai 2012 auf Napalm Records.

AHAB – The Giant Tracklist

  1. Further South
  2. Aeons Elapse
  3. Deliverance (Shouting At The Dead)
  4. Antarctica The Polymorphess
  5. Fathoms Deep Below
  6. The Giant
  7. Time’s Like Molten Lead (nur auf dem limitierten Digipak und auf Vinyl enthalten)
  8. Evening Start (Vinyl-only Bonustrack)

 

07.03.2012
Exit mobile version