Ahab
Listening Session zu "The Divinity Of Oceans"
Special
Im Spätsommer dieses Jahres jährt sich die Veröffentlichung von „The Call Of The Wretched Sea“ zum dritten Mal. Drei Jahre sind eine Menge Holz für eine so junge Band wie AHAB, die mit ihrer EP „The Oath“ und ihrem Debüt-Longplayer gerade einmal zwei Releases auf der Habenseite hat. Eine normale Band mit so einer Biographie fängt nach drei Jahren Funkstille noch einmal bei Null an. Aber AHAB sind offenbar alles andere als eine normale Band. Denn mit ihrem Debüt haben die – damals noch – Drei einen Monolithen in die Welt gestellt, dessen langer Schatten bis heute reicht, der der Band Auftritte bis in die entlegensten Winkel der Welt eingebracht hat und dessen musikalische wie ikonographische Macht der Band einen Hauch Zeitlosigkeit verliehen hat, der sie aus dem reißenden Strudel des schnelllebigen Musikbusiness und dem kollektiven Aufmerksamkeitsschwund unserer Zeit enthebt. Wenn man bei AHAB also von „Entschleunigung“ spricht, sagt das nicht nur etwas über die musikalische Facette der Band aus.
Nun also steht das zweite Album an. Und trotz dieses Exotenstatus wird diese Scheibe ein Wegweiser dafür sein, wie es mit AHAB weitergeht. Denn mit ihr muss die Band zeigen, dass ihr lyrisches Konzept nicht auf der letzten Seite von „Moby Dick“ endet und dass sie es schafft, sich in einem musikalischen Genre, dessen stilistische Grenzen so eng gesteckt sind, nicht zu wiederholen.
Um diesen Beweis anzutreten, hatte die Band Mitte Mai zur rustikalen Listening Session im schwäbischen Hinterland gebeten. Das ist nicht gerade maritim, doch hier heiligte der Zweck die Mittel: Inmitten malerischer Weinberge ist in der Nähe von Brackenheim, unweit von Heilbronn, die Besenwirtschaft „Zum Spundloch“ gelegen, wo beim „Metalbesen“ zünftig-rezente Leckereien zu deftigem Gitarrenlärm serviert werden.
Dass sich etwas getan hat bei den Hochseefahrern, zeigt bereits der Blick auf die Besatzung. Neben den beiden Initiatoren Daniel Droste und Chris Hector gehören inzwischen auch Drummer Corny Althammer (schon etwas länger) und Bassist Stephan Wandernoth zum festen Line-Up, die sich sonst bei den äußerst technikaffinen DEAD EYED SLEEPER austoben. Im Gegensatz zur Location bleiben AHAB konzeptionell ihrem angestammten Metier treu und fühlen sich mit ordentlich Wasser unterm Kiel am wohlsten.
„The Divinity Of Oceans“ – die Göttlichkeit der Meere ist der Titel der neuen Scheibe, der damit in geradezu sarkastischem Kontrast zum lyrischen Konzept des Albums steht, das diesmal nicht fiktionalen Hintergrunds ist, sondern auf einer historisch verbrieften Begebenheit beruht. Dem Walfang noch immer treu, beschäftigen sich AHAB auf „The Divinity Of Oceans“ mit der Hatz des Walfängers Essex, dessen Fahrt im Jahre 1820 nach dem Kampf mit einem Wal auf dem Grund des Ozeans endete. Ein Teil der Crew konnte sich in die Beiboote retten und nach einer entbehrungsreichen Fahrt von etwa einem Monat die Küste der Pitcairn-Inseln erreichen. Aus Angst, am Ufer Kannibalen zum Opfer zu fallen, zwangen die Seeleute ihren Kapitän, aufs offene Meer hinaus zu steuern, wo sie ohne ausreichend Nahrung untereinander bald selbst zu Kannibalen wurden.
„Yet Another Raft Of The Medusa (Pollard’s Wankelmut)“ beginnt mit einem behutsamen Intro, das sich nach einiger Zeit in den typischen, monströsen AHAB-Sound ergießt. Massive Riffwände und Daniels unverkennbare, kellertiefe Growls wischen den verträumten Beginn mit einem Streich über Bord. Die süße Melodik, die dem AHAB’schen Sound stets eigen war, und die ihm mehr als einmal den Vergleich mit SHAPE OF DESPAIR einbrachte, ist das Gegenstück zum wüsten Getöse. Bereits beim ersten Song wird deutlich, dass AHAB anno 2009 die Songdramaturgie nicht mehr so stark auf stimmungsbildende Atmosphäre-Parts fußen lassen. Stattdessen kleidet man die überlangen Songs mit progressiven Elementen aus, die das Geschehen weniger hypnotisch, dafür aber entschlossener wirken lassen.
Viele Parts, die auf „The Call Of The Wretched Sea“ vielleicht durch ihre reine Wiederholung ihre Wirkung entfaltet hätten, staffiert die Band heute mit filigranen Drumfills oder verzierenden Bassläufen aus. Hier wird der Anteil, den die beiden Rhythmusmänner Corny und Stephan am Songwriting hatten, sehr deutlich. Das Kunststück, diese neuen Elemente in den Sound einzuweben und ihn dabei trotzdem so unverkennbar nach AHAB klingen zu lassen, ist der Band voll geglückt. Dabei schreckt die Band auch nicht vor lupenreinen Death-Metal-Parts mit treibender Double-Bass zurück, die fast schon Blastspeed erreichen, dabei aber dennoch den Fußabdruck eines Dinosauriers hinterlassen. Ebenso homogen wie diese gelegentlichen Ausbrüche (z.B. in „Redemption Lost“) fügen sich Ausflüge in Postcore-Gefilde ein, gregorianisch angehauchte Clean-Vocal-Passagen (u.a. „Nickerson’s Theme“), marschartige Snare-Wirbel oder die orientalischen Kadenzen in „O Father Sea“ tragen ein Weiteres dazu bei, dass „The Divinity Of Oceans“ äußerst kurzweilig ausfällt. Dabei wirken die Songs zu jeder Sekunde schlüssig und der Einsatz der stilfremden Elemente vollkommen selbstverständlich.
Diese Wandlungsfähigkeit geschieht dabei ebenso selbstverständlich wie beiläufig, sodass „The Divinity Of Oceans“ stets typisch AHAB ist und einem das Album, das es mit seinen sieben Songs auf stattliche 70 Minuten Spielzeit bringt, nur halb so lang erscheinen lässt. Jeder einzelne der sieben Songs ist ein Quell an Abwechslung, die sich von der lieb gewonnenen Melodik über die monströse Wucht der bulligen Riffs mit den verspielten Fills bis zur fiesen Dissonanz erstreckt und dabei eine tragfähige Brücke von SHAPE OF DESPAIR zu DISEMBOWELMENT schlägt, ohne dass AHAB sich auch nur eine Sekunde anbiedern.
Rechnung trägt man dieser behutsamen Stilöffnung auch auf dem Papier, indem man den Terminus „Funeral“ aus der Stilbezeichnung kippt und sich nunmehr mit „Nautik Doom Metal“ labelt. Schaden tut es AHAB nicht. Im Gegenteil: „The Divinity Of Oceans“ erbringt den Beweis, dass weit mehr als Herman Melvilles Geist und die Dogmen eines engen Stilkorsetts in AHAB schlummern.
„The Divinity Of Oceans“ erscheint am 27. Juli 2009 via Napalm Records.
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Stile | Funeral Doom Metal |
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