Abseits der Wege
Bent Knee

Special

BENT KNEE – ein Phänomen des zeitgenössischen Rock

BENT KNEE sind eine Band aus Boston, die in ihrer noch vergleichsweise kurzen Laufbahn bereits große Wellen in der Szene geschlagen hat. Die Band um Courtney Swain und Ben Levin konnte mit ihrer nur schwer in Schubladen einzuordnenden Musik auf sich aufmerksam machen, die in der offiziellen Presseinfo passend als „rock for the thinking person“ beschrieben wird. Was bei den meisten Bands maximal ein Klischee ist, haben die Damen und Herren aus Boston zu ihrem Erfolgsrezept gemacht. Dieses hat ihnen 2016 schließlich eine Tour mit THE DILLINGER ESCAPE PLAN beschert. Grund genug also, mal den Blick über den Tellerrand zu wagen und euch das Wirken der Band einmal vorzustellen.

„Bent Knee“ (2011)

Das selbstbetitelte Debüt der Band legte bereits den Grundstein für einige Konstanten, die sich durch die noch recht übersichtliche Diskografie von BENT KNEE hinweg zeigen sollten. Zum einen ist da diese geradezu sporadische Energie der Songs. Dadurch wirken die Tracks so, als seien sie just im Moment der Aufnahme entstanden. Dazu kommt das Zusammenspiel respektive Ineinandergreifen verschiedenster Stilrichtungen, die derart gekonnt miteinander verflochten worden sind, dass es kaum auffällt. Nicht zuletzt ist da natürlich der Gesang von Courtney Swain. Und sie ist ein Vulkan des expressiven Gesanges, und eine der besten Sängerinnen, die derzeit aktiv sind.

Und dennoch hebt sich das Debüt prägnant von den anderen beiden Veröffentlichungen, allen voran vom direkten Nachfolger „Shiny Eyed Babies“, ab. Denn zum einen ist „Bent Knee“ bedeutend aggressiver als die Nachfolgewerke. Das zeigt sich etwa in den rumpelnden Bass-Eruptionen, die sich gleich bei den ersten Tönen des Openers „Urban Circus“ ereignen. Auch generell zeichnen sich einige Passagen durch ihre Nähe zum Noise-Rock aus. Zum anderen ist die Platte bedeutend düsterer ausgefallen, was sich auch in der Sperrigkeit der Platte äußert. Die beschwingt-poppigen Passagen des Nachfolgers sucht man hier vergeblich. „I Don’t Love You Anymore“ ist vielleicht noch der geradlinigste Rock-Song des Albums, der jedoch auch diese düstere Stimmung aufweist. Selbst das peppige, Vaudeville-artige „I’ve Been This Way Before“ hat diese zwielichtigen Vibes, die durch einzelne, verzerrte Gesangspassagen so wie dem Finale des Songs unterstrichen wird, das an einen Albtraum-Zirkus erinnert.

Tatsächlich ist diese zermürbende Stimmung die große Stärke des Debüts. Teilweise erinnern die Tracks an den Soundtrack eines verdrehten, zerebralen Filmes. „Styrofoam Heart“ ist ein hervorragendes Beispiel dafür, gerade wenn sich gespenstische Streicher und leicht angezerrte Klavierlinien zwischen den rockigen Parts durch den Song schlängeln. Dazu trägt wiederum Swains Stimme bei, die mal zerbrechlich säuselt, mal aggressiv schreit, kreischt und wie ein Orkan durch die Songs fegt.

Kurzum ist „Bent Knee“ ein starkes Debüt, das zwar nicht die eingängigste Veröffentlichung der Band darstellt. Dafür ist das Album zu düster ausgefallen, dafür fehlt ihm auch der Pop-Appeal, den die beiden folgenden Veröffentlichungen inne haben. Allerdings ist das Debüt für Metaller der perfekte Einstieg in das Œuvre dieser Band, denn mit seiner dichten Atmosphäre und der Aggressivität kommt es dem Metal schon recht nahe.

Trackliste:

1. Urban Circus
2. I Don’t Love You Anymore
3. Funeral
4. I’ve Been This Way Before
5. After Years Of Love
6. Little Specks Of Calcium
7. Styrofoam Heart
8. Nave

„Shiny Eyed Babies“ (2014)

Mit „Shiny Eyed Babies“ wandelt die Band auf deutlich vielfältigeren Pfaden und hat ihre musikalische Bandbreite um ein Vielfaches erweitert. Ist das Debüt noch atmosphärisch dicht und sperrig gewesen, so öffnen sich die Bostoner auf „Shiny Eyed Babies“ dem Hörer deutlich mehr. Die Vielfältigkeit der Einflüsse erreicht dabei ungeahnte Höhen, sodass diese sporadische Energie, die schon das Debüt ausgemacht hat, noch sporadischer wirkt. Allein die Bandbreite der Musik verleiht den einzelnen Tracks von „Shiny Eyed Babies“ ein enormes Maß an Tiefe, was für sich selbst schon beachtenswert ist.

Nach dem titelgebenden Intro brechen bei „Way Too Long“ sintflutartigen Gitarrenwände über den Hörer herein. Die Eruptionen sind derart heftig, dass man glatt von einem musikalischen Rückblick auf die heftigeren Momente des Debüts reden kann. Auch die gewaltige Orgelwand im Mittelteil zeugt davon. Doch mittendrin gibt sich die Band geradezu dezent mit filigranen Pizzicatos und pointierten Riffs von Ben Levin. „Dry“ steigert sich vom mysteriösen Art Rock langsam in diesen bombastischen Rocker. „Battle Creek“ ist eine eindringliche Ballade, die dank ihrer Dynamik unter die Haut geht. Den Evergreen „You Are My Sunshine“ hat die Band in einen dramatischen, mit Folk-Elementen gewürzten Kracher verwandelt, der sich wiederum zu einem gewaltigen Finale steigert. „Being Human“ ist der große Bombast-Rocker des Albums, der gleichzeitig die explizitesten Parallelen zum klassischen Prog enthält.

Hinzu kommt bei gleichbleibend düsteren Texten ein gewisser Pop-Appeal, der sich dann etwa bei Tracks wie „In God We Trust“, „Dead Horse“ und „Skin“ zeigt. Dadurch werden diese Songs natürlich nicht flacher, denn selbst bei diesen Titeln schlagen BENT KNEE musikalische Haken, die ihresgleichen suchen und die sich andere Bands kaum trauen würden. „Skin“ etwa wandelt sich vom peppigen Art-Rocker schlagartig zu einem avantgardistischen Klumpen, der in einem wunderbaren, jazzigen Pianopart aufgelöst wird. Und es klingt trotzdem wie aus einem Guss

Überflüssig ist natürlich zu erwähnen, dass die tadellose Spielweise der Band, die klare, kraftvolle Produktion und – erneut – der großartige, wandelbare Gesang von Courtney Swain ihr übriges tun, um „Shiny Eyed Babies“ zu einem herausragend hörbaren, aber auch zugänglichen Album zu machen. Jeder einzelne Track ist vollgestopft mit genug musikalischer Energie, um ein handelsübliches Album zu füllen. Kein Wunder also, dass der Band hiermit der Durchbruch gelungen ist.

Trackliste:

1. Shiny Eyed Babies
2. Way Too Long
3. Dry
4. In God We Trust
5. I’m Still here
6. Dead Horse
7. Battle Creek
8. Untitled
9. Sunshine
10. Democratic Chorale
11. Skin
12. Being Human
13. Toothsmile

„Say So“ (2016)

Das aktuellste Album der Bostoner ist auch deren erstes, das über das Label Cuneiform Records erschienen ist, im Gegensatz zu den Vorgängern, die in Eigenregie veröffentlicht worden sind. Dieses hört auf den Namen „Say So“ und ist klingt zunächst einmal ruhiger als seine Vorgänger. Sind das Debüt noch düster, der Zweitling dagegen vor Energie geradezu überschäumend ausgefallen, so präsentieren sich BENT KNEE auf „Say So“ vergleichsweise zurückhaltend. Diese Überschwänglichkeit gerade von „Shiny Eyed Babies“ ist hier dem deutlich intimeren aber auch verschachtelterem Songwriting gewichen, das die Gefühlsausbrüche von Courtney Swain zwar nicht zügelt, sie dem Hörer aber in gewissen Dosen verabreicht.

Das quintessenzielle Stück ist „Eve“, das wie eine Rückschau auf die musikalische Entwicklung der Band wirkt, sich gleichzeitig nahtlos in das Album einfügt. Zum einen beginnt der Track mit ähnlichen Riffs wie auch „Leak Water“, die auch bei „Counselor“ wieder auftauchen. Dazu lässt „Eve“ die aggressiven Drones von „Urban Circus“ Revue passieren, ebenso wie die Vielschichtigkeit von „Shiny Eyed Babies“. Mittendrin erumpiert der Track in fulminanter Art und Weise, als wollte die Band damit ein Unwetter darstellen, das meisterlich in den anschließenden, schönwetterartigen und von der Violine getragenen Part überführt wird.

Nach wie vor wildern die Bostoner in allen möglichen Genres und machen sich diese zu eigen, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. „The Things You Love“ hat gewisse, fernöstliche Vibes. „Leak Water“ hat wieder einen gewissen Pop-Appeal, wenn man mal von der allgegenwärtigen Polyrhythmik absieht, die hier jedoch für wunderbare, progressive Grooves statt angestrengtem Stirnzunzeln sorgt. „Hands Up“ ist der vielleicht peppigste, poppigste Song, den die Band bis dato aufgenommen hat. Und selbst hier sorgen BENT KNEE mit so vielen, feinen Details dafür, dass der Track nicht zu flachen, süßlichen Nummer verkommt. Dieser unverschämt eingängige Refrain nistet sich rotzfrech in den Gehörgängen ein, um dort zu bleiben. Das Abschließende „Good Girl“ kommt gänzlich ohne Schlagzeug aus und ist wieder einer der eindringlicheren Songs von geradezu intimer Stimmung.

„Say So“ führt die Tradition hochklassiger Alben der Band fort. Es trägt sämtliche Trademarks des Sextetts, ebenso wie es zugleich völlig anders klingt als seine Vorgänger und mehr noch als die vorausgegangenen Alben am Stück funktioniert.

Trackliste:

1. Black Tar Water
2. Leak Water
3. Counselor
4. Eve
5. Transition
6. The Things You ove
7. Nakami
8. Commercial
9. Hands Up
10. Good Girl

27.02.2017

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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